Jahresrückblick 2020: Corona, BSV, Wirecard und die Lebensversicherung

Quelle: Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

2020 neigt sich mit den bevorstehenden Feiertagen seinem Ende zu. Dabei schlug das Corona-Virus in diesem Jahr auch in der Versicherungsbranche ein wie ein Komet. Die Folgen: Deutliche Spuren in den Bilanzen und ein Endlos-Streit um die BSV mit bislang noch ungeahntem Ausgang. Und was bewegte die Versicherer darüber hinaus? VWheute mit einem Rückblick auf ein außergewöhnliches Jahr.

Es verwundert nicht, dass die Themen rund um die Pandemie auch unsere Leser besonders beschäftigte. Neben der Kultur waren vor allem die Veranstaltungs- und die Reisebranche die Wirtschaftszweige, die bis heute am stärksten von den Folgen der Corona-Krise betroffen sind. Gleich reihenweise wurden Großveranstaltungen verschoben oder gleich ganz abgesagt. So wurden die Fußball-Europameisterschaft und die Olympischen Spiele um ein Jahr auf 2021 verschoben.

Das Oktoberfest wurde bereits im April 2020 von den bayerischen Polit-Verantwortlichen gleich ganz abgesagt. Bereits im 19. Jahrhundert ist das Volksfest einer Seuche zum Opfer gefallen: So wurde die Wiesn bereits 1854 und 1873 wegen Cholera abgesagt. Während der Weltkriege wurde das Oktoberfest gestrichen, ebenso 1923 in der Phase der Hyperinflation. Nur bei der Deutschen Sport & Entertainment Versicherungsgemeinschaft DSE scheint dies noch nicht ganz angekommen zu sein.

Allerdings wirbelte Corona auch den Branchenkalender 2020 deutlich durcheinander. Zahlreiche Veranstaltungen wurden abgesagt, darunter auch feste Größen wie das 64. Rendez-Vous de Septembre in Monte Carlo oder der Rückversicherungskongress in Baden-Baden. Selbst ein digitales Meeting war nicht im Sinne der Veranstalter. „Die Option, statt einer hybriden Veranstaltung lediglich ein rein digitales Meeting auszurichten, ist nicht in unserem gemeinschaftlichen Interesse für Baden-Baden. Dies könnte unserem Standort Baden-Baden für die zukünftigen Jahre eher schaden“, betonte Nora Waggershauser, Geschäftsführerin der Baden-Baden Kur & Tourismus GmbH (BBT).

Ganz im Gegensatz zu den Organisatoren der DKM 2020: Diese entschieden sich bereits Mitte Juni 2020 für ein digitales Format unter dem Motto „digital.persönlich“. 2021 soll die Leitmesse dann aber nach dem Willen des DKM-Veranstalters bbg Betriebsberatungs GmbH wieder als Präsenzveranstaltung stattfinden.

„Sicherlich werden wir die Erfahrungen der diesjährigen DKM auch in die zukünftigen Messekonzepte einfließen lassen. Die auf der DKM viel beschriebene digitale Transformation unserer Branche wird also auch Einzug in das zukünftige Messekonzept halten.“

Konrad Schmidt, Geschäftsführer des DKM-Veranstalters bbg Betriebsberatungs GmbH

Corona hinterlässt seine Spuren in den Bilanzen

Gerade bei den Rückversicherern hat die Pandemie deutliche Spuren hinterlassen. Während die Munich Re für 2020 mit einem deutlichen Gewinneinbruch rechnet, rutschte die Swiss Re im ersten Halbjahr 2020 gar zwischenzeitlich in die Verlustzone. Möglicher positiver Nebeneffekt: „Covid-19 ist Katalysator für Preisanpassungen für Erst- und Rückversicherer“, glaubt Hannover Rück-Vorstand Michael Pickel. Immerhin schlägt sich der niedersächsische Rückversicherer bislang tapfer in Zeiten der Pandemie. Für das Geschäftsjahr 2020 rechnet der Konzern mit einem Nettogewinn von rund 800 Mio. Euro. Für 2021 peilt der Konzern gar einen Überschuss von 1,15 bis 1,25 Mrd. Euro an.

„Wir sehen die Covid-19 Pandemie als Katalysator für Preisanpassungen sowohl auf der Erst- als auch auf der Rückversicherungsseite. Natürlich werden die Ausprägungen je nach Region, Sparte und Kunde unterschiedlich sein.“

Michael Pickel, Vorstand der Hannover Rück

Ungeachtet der Corona-Pandemie dürfte das Jahr 2020 für die Rückversicherer zu einem der teuersten Schadenjahre in der Geschichte werden. Laut vorläufigen Sigma-Schätzungen des Swiss Re Institute beliefen sich die weltweiten Schäden aus Natur- und Man-made-Katastrophen für die Versicherungswirtschaft auf 83 Mrd. US-Dollar.

Auch die Explosionskatastrophe von Beirut im August 2020 hat ihre Spuren in den Bilanzen der Versicherungsbranche hinterlassen. Dadurch wurden Gebäude und andere Infrastruktur im Wert von bis zu 4,6 Mrd. US-Dollar (rund 3,9 Mrd. Euro) zerstört. Zu dieser Schadenschätzung kam die Weltbank in einer Studie. Vor allem der Wohnungsbau, das Transportwesen und kulturelle Einrichtungen seien davon besonders betroffen.

Die Versicherer selbst scheinen der Pandemie bislang jedenfalls unbeirrt zu trotzen. Glaubt man den jüngsten Quartalszahlen, kommt die Branche recht glimpflich davon. Während die Zurich und die Generali bislang geringe Schäden verzeichnen, sieht sich die Deutsche Familienversicherung weiter im Plan. MLP legt beim EBIT deutlich zu und die Talanx wagt eine vorsichtige Gewinnprognose.

Auch der deutsche Branchenprimus gibt sich vorsichtig optimistisch. So hat die Corona-Pandemie die Allianz twar in den vergangenen Monaten schwer getroffen. Bis Ende September hat der Versicherer für die Folgen der Krise etwa 1,3 Mrd. Euro ausgegeben, davon rund 900 Mio. in der Sachversicherung. Konzernchef Oliver Bäte sieht den Höhepunkt nun überschritten.

„Wir haben es mit einer gewaltigen Pandemie zu tun und, bedingt dadurch, mit einem Systemausfall. Das ist vergleichbar mit Katastrophen wie Erdbeben oder der Explosion eines Atomkraftwerks.“

Oliver Bäte, Vorstandsvorsitzender der Allianz SE

Allein im dritten Quartal 2020 hatte die Allianz die Analysten mit guten Zahlen überrascht. So hatten die Marktbeobachter im dritten Quartal 2020 mit einem Gewinn von rund 2,64 Mrd. Euro. Am Ende stand das operative Ergebnis von 2,907 Mrd. Euro nur knapp drei Prozent unter dem Vorjahresniveau (Q3: 2,984 Mrd. Euro). „In einem Umfeld, das weiterhin herausfordernd bleibt, haben wir solide Ergebnisse erzielt“, bilanzierte Konzernchef Bäte.

Die Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) gehörte indes auch 2020 zu den Sorgenkindern des Münchener Versicherungskonzerns. Mit einem radikalen Umbauprogramm will AGCS-Deutschlandchef Joachim Müller den kränkelnden Industrieversicherer schon im kommenden Jahr wieder in die schwarzen Zahlen bringen. Dafür sollen bis zu 700 Arbeitsplätze zum Opfer fallen. Auch die Manager bleiben nicht verschont.

Das konkrete Ziel der Radikalkur: Durch Stellenstreichungen unter den 4.450 Mitarbeitern, schlankere Strukturen und effizientere Prozesse sollen bis zum Jahr 2024 rund 200 Mio. Euro eingespart werden. Der Industrieversicherer will sich weiter auf globale Großkunden mit mehr als 500 Mio. Euro Umsatz sowie auf spezielle Luftfahrt-, Schiffs- und Veranstaltungs-Risiken fokussieren.

Teils deutlich härter trifft es hingegen die ausländische Konkurrenz der Allianz. So verzeichnete die Axa in den ersten sechs Monaten einen satten Gewinneinbruch von 39 Prozent auf 1,4 Mrd. Euro. Diesen begründet der französische Versicherungskonzern vor allem mit der hohen Schadenbelastung durch Covid-19, die mit rund 1,5 Mrd. Euro zu Buche schlägt. Einen weiteren Grund für das Minus sieht der französische Versicherer im Prämienrückgang von etwa zehn Prozent auf rund 53 Mrd. Euro.

Droht die große Insolvenzwelle?

Für die Kreditversicherer war 2020 nur auf den ersten Blick ein gutes Jahr. Denn die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht für zahlungsunfähige (bis 30. September) und überschuldeter Firmen (bis 31. Dezember) verzerrt die Zahlen: So sinkt die auf Basis der ersten Quartale hochgerechnete Schaden- und Kostenquote 2020 auf 76 Prozent (2019: 88 Prozent). Laut aktuellen Daten der Wirtschaftsauskunftei Creditreform ist die Zahl der Pleiten auf einen neuen Tiefstand gesunken – bei immer höheren Schäden. Die Branche selbst warnt jedoch vor einem Vertrauensverlust durch Zombie-Unternehmen.

„Die deutsche Wirtschaft schiebt seit Monaten eine Welle von Insolvenzen vor sich her. Erst wenn ab Januar sowohl überschuldete als auch zahlungsunfähige Unternehmen wieder einen Insolvenzantrag stellen müssen, werden wir erkennen, wie groß dieser Anstieg ist und welche wirtschaftlichen Verwerfungen die Corona-Pandemie tatsächlich angerichtet hat.“

Thomas Langen, Vorsitzender der Kommission Kreditversicherung im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV)

Immerhin: Der Staat greift den Kreditversicherern entsprechend unter die Arme. So hatten sich die Bundesregierung und die Branche Anfang Dezember 2020 darauf verständigt, den Schutzschirm für Warenkredite bis zum 30. Juni 2021 zu verlängern. Nach Angaben des GDV verpflichten sich die Kreditversicherer, ihre bestehenden Kreditlimite weitestgehend aufrechtzuerhalten und sich an den Schadenzahlungen im Rahmen des Schutzschirms mit zehn Prozent zu beteiligen.

Die über die Garantie des Bundes hinausgehenden Ausfallrisiken tragen die Kreditversicherer. Darüber hinaus führen sie knapp 60 Prozent ihrer Prämieneinnahmen für das erste Halbjahr 2021 an den Bund ab. Ein Freibrief für riskante Geschäfte ist dies jedoch nicht.

Besonders gefährdet ist dabei auch die Reisebranche, die ebenfalls zu den ersten Opfern des Corona-Virus zählt. Dabei stand auch die größte deutsche Fluglinie stand im April vor dem Konkurs. Dabei stemmte sich die Lufthansa zunächst händeringend gegen eine Rettung durch den Staat. Daher hatte die Führung des Unternehmens mit einem Schutzschirmverfahren liebäugelt – eine „Noch-nicht-Insolvenz“, bei der in Eigenverantwortung ein Sanierungsplan erarbeitet wird.

Die Airline hätte sich dadurch unbeliebten Pensionsverpflichtungen entziehen können – mit einem Totalschaden für die Betriebsrentner. Auch bei den VWheute-Lesern stieß das Thema auf besonderes Interesse: Mit 50.065 Klicks zählt das Horror-Szenario zu den meistgelesenen Beiträgen des Jahres 2020.

Skandal um Wirecard: Auf der Suche nach 1,9 Mrd. Euro

Der wohl größte Schadenfall des Jahres 2020 ist aber zweifellos die Pleite des Finanzdienstleisters Wirecard. Eigentlich wollte das Unternehmen im großen Konzert der globalen Finanzplayer mitspielen. 1999 gegründet, verdiente das Unternehmen anfangs auch Geld mit Zahlungen für Glücksspiel und Pornografie. Von dieser Schmuddelecke löste man sich schnell, stieg 2018 mit einer fulminanten Performance in den DAX30 auf und dachte sogar laut über einen Kauf der Deutschen Bank nach. Doch kleine Pannen blieben. Mit dem Bilanzskandal kommt nun der große Rückschlag. Das hat auch Folgen für die Versicherer.   

Die Investoren hat Wirecard mit stetig wachsenden Gewinnen verwöhnt. Nicht allzu lange ist es her, da wurde die Gewinnprognose erhöht – Umsätze sollten sich bis 2020 auf mehr als drei Mrd. Euro verdoppeln. Der Konzern wolle neue Branchen stärker in den Blick nehmen, kündigte man an, Zahlungsabwicklungen für Streaming-Dienste etwa. Das alles ist in den Hintergrund gerückt.

Nun droht Wirecard im schlimmsten Fall der Totalschaden. Aufgrund des fehlenden Nachweises von 1,9 Mrd. Euro hatte der Wirtschaftsprüfer EY Wirecard das Testat für den Jahresabschluss verweigert. Der Fall löste ein Beben aus, das Unternehmenschef Markus Braun sowie Vorstand Jan Marsalek den Job kostete. Es werden jedenfalls ungute Erinnerungen an den Skandal um PIM Gold ein Jahr zuvor wach.

Juristische Endlosschleife um die BSV

Hohe Wellen unter unseren Lesern und allgemein in der Branche schlug das Thema BSV. Einige Juristen wurden von uns als Experten herangezogen. Die Einschätzung des Berliner Rechtsanwalts Knut Pilz, der der Branche pauschal vorwarf, dass sie im Leistungsfall nicht zahle, wurde in unserer Kommentarfunktion rege diskutiert.

„Die derzeitige Pandemie hat gezeigt, dass es für die Kunden äußerst misslich ist, wenn sie von Pontius zu Pilatus rennen müssen, um an ihr Geld zu kommen, während ihre Fixkosten davonlaufen.“

Thomas Lindner, Rechtsanwalt

Dabei sollte die sogenannte „Bayerische Lösung“ die coronabedingten Folgeschäden für die Gastronomen und Hoteliers zwar halbwegs abzufedern. Nur bei den Betroffenen selbst stieß das Gebaren der Branche selbst auf wenig Gegenliebe. Während einige bayerische Gastwirte die Versicherer mit einem Schmähvideo durch den Kakao zogen, bevorzugten andere Gastronomen und Hoteliers den Rechtsweg – mit teuren Folgen, entschieden doch einige Gerichte bereits zugunsten der Betroffenen.

Eine klare Linie der Gerichte ist dennoch – bislang – noch nicht zu erkennen. Während das Landgericht Regensburg jüngst zugunsten der Dialog entschied, hatte das Landgericht München I erst Ende November 2020 der Klage von Jürgen Lochbihler, dem Wirt des Pschorr am Münchener Viktualienmarkt, stattgegeben. Demnach muss der Versicherer dem Gastronomen rund 465.000 Euro zahlen.

Derzeit sind etwa 100 Klagen am Münchener Landgericht anhängig, darunter auch der Bayerische Hof: So hat das Luxushotel in der bayerischen Landeshauptstadt die Allianz auf sechs Mio. Euro Betriebsausfall für die Zeit des Lockdowns von März bis Mai 2020 verklagt. Zudem verklagt der Münchener Edel-Italiener „Guido al Duomo“ die Allianz auf 160.000 Euro aus der BSV. Ein Urteil soll allerdings wohl erst im Januar 2021 gefällt werden.

Im Fall der Gaststätte „Paulaner am Nockherberg“ hat sich die Allianz bereits außergerichtlich geeinigt. Nach Angaben des Landgerichts hatte Gastwirt Christian Schottenhamel die Klage gegen den Versicherer zurückgenommen. Details sind allerdings nicht bekannt.

Die Allianz selbst hat unterdessen Nägel mit Köpfen gemacht: So will der Münchener Versicher die bisherigen Bestandsverträge in der BSV loswerden und bietet ihren Kunden – branchenübergreifend – neue Verträge an. Sollten diese das neue Angebot nicht annehmen, werden die bestehenden Verträge gekündigt. Andere Versicherer folgen dem Beispiel.

Bereits im Sommer hatte der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) ein Konzept für einen entsprechenden Versicherungschutz erarbeitet. Der Plan enthalte neben einer Beteiligung von Versicherern und öffentlicher Hand auch eine Kapitalmarktkomponente in Form von Pandemiebonds.

Quelle: Statista

PKV beschäftigt die Gerichte weiter

Die Beiträge in der PKV waren auch 2020 ein ewiger Zankapfel, allerdings oft besser als ihr Ruf. Es gab 2019 einige Rechtsurteile, welche die Beitragserhöhung als rechtskräftig einstuften. Im Februar erstritt der Anwalt Ilja Ruvinskij einen Sieg gegen die Axa wegen einer nicht ausreichenden Erhöhungsbegründung. Im Mai verlor die Barmenia vor dem Landgericht Frankfurt. Im November erlitt die DKV vor dem Amtsgericht Lichtenberg eine juristische Schlappe. 50.744 Leser interessierten sich für die Gründe, warum die Richter eine weitere Klausel in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) der DKV für rechtswidrig befunden – und sorgten damit für den Leserekord des Jahres 2020.

Auch der Bundesgerichtshof hatte wenige Tage vor Weihnachten höchstrichterlich über eine Prämienerhöhung in der privaten Krankenversicherung (PKV) urteilen müssen. So hatten zwei Kunden gegen die Axa geklagt, weil der Versicherer diese nicht ausreichend begründet hätte. Die Bundesrichter gaben ihnen nun – zumindest teilweise – Recht. Daher seien die Beitragserhöhungen in den Jahren 2014, 2015 und 2016 unwirksam.

Sind die Kfz-Versicherer der große Profiteur von Corona?

Zu den großen Gewinnern der Corona-Pandemie könnten jedoch die Kfz-Versicherer werden. „Die Covid-19-Situation verbunden mit den ausbleibenden Schäden wird wahrscheinlich zum besten versicherungstechnischen Ergebnis der letzten 15 Jahre führen. Allein durch das erste Halbjahr dürfte 2020 ein versicherungstechnisches Ergebnis von plus fünf Prozent als Summe aller Kraftfahrtsparten nahezu garantiert sein. Sollten die Auswirkungen von Covid-19 auch in das zweite Halbjahr ausstrahlen, ist ein Ergebnis von bis zu neun Prozent plus bei durchschnittlicher Elementarbelastung zu erwarten“, prognostizierte Marco Morawetz, Leiter des Bereichs Consulting bei der Gen Re in Köln, im August.

Wird Homeoffice zur Dauerlösung?

Agiles Arbeiten gehört auch in den Unternehmensetagen der Versicherungskonzerne zum guten Ton – die Axa Deutschland lässt grüßen. Durch die moderne Kommunikation wird auch Heimarbeit trotz Festanstellung immer beliebter. Nicht immer spielte aber der Arbeitgeber in der Vergangenheit mit – bis Corona kam.

Mit der Pandemie ist Homeoffice bei vielen Versicherern vorübergehend zur Tagesordnung geworden. Doch wie nachhaltig ist der Trend? Glaubt man einer Umfrage des Ifo-Instituts, wollen 54 Prozent der befragten Firmen weiter auf Heimarbeit setzen. Bei der Allianz denkt man wohl gar über kleinere Büroflächen nach.

Glaubt man einer Umfrage der Neuen Assekuranz Gewerkschaft (NAG) unter 1.700 Versicherungsangestellten, habe sich eine überwältigende Mehrheit der Befragten sehr positiv über ihre Erfahrungen mit dem Homeoffice geäußert und für einen entsprechenden Anspruch ausgesprochen.

Schlechte Presse für die Versicherer

Auch in der medialen Wahrnehmung waren die Versicherer in diesem Jahr nicht immer gut gelitten. So spielte die ARD im September zu bester abendlicher Sendezeit mit dem Image der Versicherer. Im Film „Verunsichert“ wurde das Klischee bedient, die Gesellschaft würde sich um die Auszahlung von Leistungen drücken. Das ZDF hatte im Oktober mit einer „investigativen“ Dokumentation unter dem Titel „Schadenfalle – wenn Versicherungen tricksen“ nachgelegt. In der TV-Sendung Wiso ging
es darum, wie Versicherer scheinbar „tricksen, um Ansprüche abzuwehren“, hieß es im Vorspann.

Kaum wurde Jörg Asmussen zum GDV-Hauptgeschäftsführer gewählt, musste er sich gleich dem Kreuzverhör der ZDF-Journalisten stellen. Dabei wurde kein Thema ausgespart – ob BSV, systematische Leistungskürzungen in der Kfz-Sparte oder lange Regulierungen bei BU und in der PKV. Asmussen konnte mit seinen Antworten die Vorwürfe nicht ausräumen. Das Image der Versicherer sei „zu Unrecht so schlecht und ich glaube nicht,
dass es Bedarf gibt für verschärfte Regulierung.“

Abgesang auf die Lebensversicherung

Die klassische Lebensversicherung dürfte derzeit jedoch ganz andere Sorgen haben. So fragen zwar immer noch rund 30 Prozent der Deutschen bei Neuabschlüssen nach einer Lebensversicherung mit klassischer Garantie. Für die Anbieter ist das Geschäft jedoch schon lange nicht rentabel. „Die Branche hat sich den Veränderungen des Marktes in der Vergangenheit teilweise nicht konsequent genug gestellt. Von zentraler Bedeutung sind hierbei insbesondere: Niedrigzins, Wandel im Konsumentenverhalten und veraltete Technologie“, konstatiert KPMG.

„Das Geschäft dreht ja zunehmend in Produkte wie hybride Rentenversicherung, fondsgebundene Rentenversicherung, indexgebundene Rentenversicherung, wo der Kunde seine Chancen am Kapitalmarkt sucht, wo er auch ein Stück weit ins eigene Risiko geht. Das heißt, die traditionelle klassische Renten- und Lebensversicherung mit ihren Überschussbeteiligungen wird mehr und mehr ein Nischenmarkt.“

Guido Bader, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV)

Hinzukommen die Konkurrenz an Produkten von der betrieblichen Altersvorsorge bis zur Riester-Rente. Für den Gang in den Run-off musste Generali 2019 viel Kritik einstecken. Inzwischen will sich Marktführer Allianz ab 2021 von der 100-Prozent-Garantie verabschieden. Die Ergo schließt diesen Schritt nicht mehr aus. Eine weitere Senkung des Höchstrechnungszinses dürfte den Trend nicht mehr aufhalten. Die Bafin bleibt indes optimistisch. Die Corona-Pandemie setze den Lebensversicherern in der Kapitalanlage zwar zusätzlich zu, „existenzbedrohend ist die Situation aber aus heutiger Sicht nicht“, sagte Präsident Felix Hufeld im Mai.

Endlos-Tauziehen um das Weiße Haus und den Brexit

Und was war noch? Natürlich schauten die Versicherer gespannt auf den Urnengang in den USA: Das Duell zwischen dem scheidenden Präsidenten Donald Trump und dem „President elect“ Joe Biden entwickelte sich zur erwarteten Schlammschlacht.

Für die deutschen Versicherer sind die USA auch 2021 ein wichtiger Absatzmarkt: Denn die Menschen sind bereit, viel Geld für Versicherungen auszugeben. 39 Prozent der weltweiten Prämieneinnahmen stammen aus den USA und deutsche Gesellschaften verdienen kräftig mit.

Dabei ist die Allianz eine der wenigen deutschen Gesellschaften, die auch im US Privatgeschäft tätig sind (Allianz Life). Im Industriegeschäft ist man über AGCS am Markt vertreten. Die Hälfte der Prämieneinnahmen von 9,1 Mrd. Euro erwirtschaftet AGCS in den USA. Für Versicherer indes dreht sich 2021 jedenfalls alles darum, wie stark die Zügel bei der Regulierung angezogen werden und wie hoch die Steuerquote sein wird.

Offen ist auch die Frage, ob und wann es im Scheidungskrieg zwischen Großbritannien und der Europäischen Union (EU) ausgehen wird. Für die Versicherungsbranche wird sich allerdings nicht mehr viel ändern, glauben die KPMG-Experten Olaf Seidel und Frank Püttgen: „Die größten Risiken für Versicherer aus der EU bzw. Deutschland ergeben sich nicht aus dem absehbaren Verlust der Möglichkeit des Marktzuganges zum Vereinigten Königreich im Dienstleistungsverkehr.“

Skurrile Schadenmeldungen und prominenter Versicherungsbetrug

Kein Jahr übrigens auch ohne die obligatorischen Schadenmeldungen: Auch 2020 hat VWheute seinen Lesern wieder manch skurrilen Schaden dokumentieren können. So hatte ein 59-Jähriger in seinem Betrieb über Jahre die Speisen seiner Kollegen mit giftigen Substanzen versetzt – mit fatalen Folgen. Am Ende musste er Schadenersatz in Millionenhöhe leisten.

Die Deutsche Post kam eine verspätete Briefzustellung teuer zu stehen: Nachdem diese einen eiligen Brief nicht fristwahrend zugestellt hatte, verdonnerte das Oberlandesgericht Köln das Logistikunternehmen zur Zahlung von rund 18.000 Euro.

Finanzielle Fehlplanungen sind in vielen deutschen Kommunen leider keine Seltenheit. Politische Entscheidungsträger werden dabei allerdings nicht immer juristisch zur Verantwortung gezogen. Die Bundesstadt Bonn hat nun die ehemalige SPD-Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann vor dem Verwaltungsgericht Köln auf Schadenersatz über eine Million Euro verklagt. Hintergrund war der Bau des Kongresszentrums WCCB.

„Ein Leben ohne Mops ist zwar möglich, aber sinnlos“, wusste schon der berühmte Loriot. Ein Mops namens „Edda“ sorgte bei der Stadt Ahlen für eine öffentliche Affäre und beschäftigte daraufhin reihenweise die Gerichte in Deutschland. Der Streitwert: Rund 20.000 Euro. Müßig zu erwähnen, dass Österreichs Kühe auch 2020 wieder manch fatalen Zusammenstoß mit der Spezies Mensch zu verantworten hatten.

„Hat Bushido wieder zugeschlagen?“ titelte VWheute im Oktober 2020: Der Gangster-Rapper soll seinen ehemaligen Geschäftspartner Arafat Abou-Chaker, gegen den er aktuell prozessiert, zur Brandstiftung angehalten haben. Das Ziel soll Versicherungsbetrug gewesen sein. Es wäre nicht der erste Fall für den Musiker.

Mitunter griffen Menschen sogar zur Selbstverstümmelung als Mittel zum Versicherungsbetrug. Oft sind menschliche Tragödien wie Existenzangst das zugrunde liegende Motiv, in vorliegendem Fall bleibt der ausschlaggebende Beweggrund verborgen, die Details liegen jedoch grausig offen.

Allerdings haben auch die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie nach Angaben des Branchenverbandes GDV bereits zu mehr Betrugsversuchen geführt. „Aus elf Millionen Kurzarbeitern werden bald etliche Arbeitssuchende. Ich bin mir sicher, dass die Insolvenzquote steigen wird und damit mehr Gelegenheitsbetrüger ihre Versicherung als letzten Ankerpunkt sehen werden. Das sind Leute, die bisher unauffällig waren“, sagte Rüdiger Hackhausen, der beim GDV die Kommission „Kriminalitätsbekämpfung“ leitet.

„Aufgrund finanzieller Notlagen könnte es eine Zunahme von ‘Gelegenheitsbetrügern’ geben“, sagte auch der Kölner Fachanwalt für Straf- und Arbeitsrecht, Abdou Gabbar, der sich auch mit Betrugsmotiven und Täterprofilen beschäftigt. Es gebe Hinweise darauf, dass betrugsverdächtige Schäden sowohl im privaten als auch im gewerblichen Bereich im Zusammenhang mit der Corona-Krise stünden.

Nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) dürften die internationalen Weltwirtschaften jedenfalls noch lange mit den Folgen der Corona-Pandemie zu kämpfen haben. Auch die Versicherer werden die Folgen der Corona-Pandemie noch lange beschäftigen.

Autor: VW-Redaktion

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