Allianz-Sorgenkind AGCS baut im großen Stil um

Quelle: Allianz

Die Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) gehört seit Jahren zu den Sorgenkindern des Münchener Versicherungskonzerns. Mit einem radikalen Umbauprogramm will AGCS-Deutschlandchef Joachim Müller den kränkelnden Industrieversicherer schon im kommenden Jahr wieder in die schwarzen Zahlen bringen. Dafür sollen bis zu 700 Arbeitsplätze zum Opfer fallen. Auch die Manager bleiben nicht verschont.

Das konkrete Ziel der Radikalkur: Durch Stellenstreichungen unter den 4.450 Mitarbeitern, schlankere Strukturen und effizientere Prozesse sollen bis zum Jahr 2024 rund 200 Mio. Euro eingespart werden. Der Industrieversicherer will sich weiter auf globale Großkunden mit mehr als 500 Mio. Euro Umsatz sowie auf spezielle Luftfahrt-, Schiffs- und Veranstaltungs-Risiken fokussieren.

„Wir haben die Exponierungen bereits erheblich reduziert und werden weiterhin Korrekturmaßnahmen vornehmen, wo dies erforderlich ist“, wird eine Sprecherin bei der Nachrichtenagentur Reuters zitiert. Dadurch habe man zwar ein Beitragsvolumen von rund 500 Mio. Euro aufgegeben. Ein Teil davon soll durch Prämiensteigerungen in anderen Bereichen wettgemacht werden. Insgesamt will AGCS auf 9,1 Mrd. Euro Beiträge im Jahr kommen.

„Wir richten unser Geschäft strategisch und organisatorisch neu aus. Wir werden fachliche Exzellenz im Underwriting vor Wachstum stellen, unser globales Modell vereinfachen und stärken, um weltweit als ein Team zu handeln und effizienter, schlanker und schlagkräftiger werden – zum Vorteil für uns und unsere Kunden. Wir setzen uns ein ehrgeiziges Ziel: Die neue AGCS wird in unseren Zielsegmenten Marktführer sein. Wir erwarten ab 2021 eine deutliche Profitabilitätsverbesserung unseres versicherungstechnischen Ergebnisses und streben den vollständigen Turnaround und die Transformation unseres Unternehmens bis 2024 an“.

Joachim Müller, Vorstandsvorsitzender der AGCS

Allerdings will sich AGCS vor allem von den Sparten trennen, die dem Unternehmen bislang Verluste eingebracht haben. Dazu zählt laut Handelsblatt unter anderem das Agrar-Geschäft in den USA. „Wir haben die Exponierungen bereits erheblich reduziert und werden weiterhin Korrekturmaßnahmen vornehmen, wo dies erforderlich ist“, wird eine Sprecherin zitiert.

Eine Stellschraube liegt unter anderem bei den regionalen Einheiten: Geplant sei demnach, die Anzahl der regionalen Einheiten von sieben auf sechs reduzieren und von einer länderzentrierten zu einer stärker globalen Struktur mit regionalen Vertriebseinheiten überzugehen, die der Organisation vieler Kunden und globaler Maklerpartner entspricht.

Die derzeitigen Regionen Nordamerika, Asien-Pazifik, Zentral- und Osteuropa, Regionaleinheit London (einschließlich Skandinavien) bleiben unverändert. Die künftige Region Mittelmeerraum & Afrika wird aus Frankreich, Italien, Benelux und Afrika bestehen. Spanien/Portugal und Südamerika werden zu der neuen regionalen Einheit ‚Ibero/LatAm“ zusammengelegt, die den Marktverbindungen zwischen diesen Ländern entspreche, heißt es bei AGCS.

Müller dreht am Personalrad

Zudem will AGCS nach eigener Aussage erheblich in den Ausbau der fachlichen Exzellenz von Kernfunktionen investieren. Dazu gehören die Weiterentwicklung von Pricingtools, des Portfoliomanagements, der Analyse von Schadentrends, des Volatilitätsmanagements und der aktuarischen Modellierung. In diesen Bereichen sollen laut Industrieversicherer über 30 neue zusätzliche Funktionen geschaffen. Dabei umfasse das Maßnahmenpaket auch andere Bereiche des Industrieversicherers wie zum Beispiel die Schadenverarbeitung.

Auch bei den Unternehmenseinheiten lässt Müller keinen Stein auf dem anderen: So soll eine neue globale Vertriebseinheit mit rund 35 Mitarbeitern entstehen, die Patrick Thiels, dem derzeitigen AGCS-Regionalchef für den Mittelmeerraum, geleitet werden soll. Dazu gehören auch sogenannte „Industry Solution Directors“, die Kunden aus bestimmten Branchen gezielt betreuen und ihnen Lösungen aus allen AGCS-Versicherungssparten anbieten werden. Solche Branchenteams sollen zunächst für Finanzinstitutionen, Telekommunikation & IT, Baubranche sowie Luft- und Raumfahrt aufgebaut werden. Perspektivisch soll dieses Modell auch auf andere Branchen ausgeweitet werden.

Zudem soll das neue Team Global Process Management künftig die End-to-End-Prozesse verbessern mit dem Ziel, mehr Effizienz und Kundenservices zu schaffen. Diese neue Funktion soll von Erika Cubova geleitet werden, die von ihrer derzeitigen Position als Global Head of Claims Portfolio Intelligence & Coordination in diese neu geschaffene Rolle wechselt.

Ein weiterer Fokus liegt für den AGCS-Chef auf der digitalen Schiene. Ziel sei demnach eine global skalierbaren Systemarchitektur und ein neues Kundenportas, das alle Angebote in den Bereichen Underwriting, Schaden und Risikoberatung zusammenführen soll.

„Der verstärkte Einsatz von Datenanalyse und digitalen Technologien sowohl für unser Kerngeschäft als auch für unsere Kunden wird entscheidend sein, um unsere künftigen Ambitionen zu verwirklichen.“

Joachim Müller, Vorstandsvorsitzender der AGCS

Marschroute von oben

Die Stoßrichtung der Maßnahmen hatte jedenfalls schon Allianz-Finanzvorstand Giulio Terzariol vor einiger Zeit recht deutlich formuliert: „Wir wollen keine Gesellschaft, bei der die Schaden-Kosten-Quote immer wieder über 100 Prozent liegt“. Der Unmut des Allianz-Managements um Oliver Bäte & Co. über die Industrieversicherungs-Tochter ist schon länger ein offenes Geheimnis.

Zu spüren bekommen hat dies jüngst die Führungsriege von AGCS: So mussten erst vor wenigen Tagen die beiden Regionalvorstände Sinéad Browne und Hartmut Mai zum 30. Juni 2020 ihre Stühle räumen. Ihre Zuständigkeiten wurden in einer einzigen regionalen Einheit unter der Leitung von Henning Haagen zusammengeführt. Gleichzeitig wurde Renate Strasser als Chief Underwriting Officer Specialty in den Vorstand berufen.

Zudem hatte AGCS erst vor wenigen Tagen Stephan Kammertöns zum neuen Regional Head of Claims Liability und Financial Lines in der Region Zentral- und Osteuropa ernannt. Er folgt auf Birgit Vosper, die künftig als Top Expert Claims Specialist Long-Tail tätig sein wird. Im Zuge der personellen Veränderung werden die Schadenabteilungen von Haftpflicht und Financial Lines in Zentral- und Osteuropa zusammengefasst.

Kontinuierliche Verluste

Bereits im November 2019 wurde Joachim Müller zum neuen Vorstandschef des kriselnden Industrieversicherers berufen. Er folgte damit auf Chris Fischer Hirs, der sein Amt zum 30. November 2019 niederlegen musste. Der Mutterkonzern Allianz reagierte damit auf das anhaltende Verlustgeschäft seines Industrieversicherers. So gehe es nicht, dass eine Gesellschaft ein, zwei, drei oder gar vier Jahre kontinuierlich Verluste schreibe, machte Finanzvorstand Terzariol noch im vergangenen Jahr deutlich.

Potenziellen Überlegungen für eine Fusion mit dem Kreditversicherer Euler Hermes Terzariol allerdings eine Absage erteilt – zumindest vorerst. Zu unterschiedlich sei die Ausrichtung beider Geschäftsmodelle, zu weit seien die beiden Zentralen voneinander entfernt, betonte der Finanzchef. Allerdings gebe es „Kapitalsynergien, die wir heben können“.

Industrieversicherung unter Druck

Allerdings sind die Probleme des Industrieversicherers nicht nur hausgemacht: „Der Markt ist seit acht Jahren durch einen Preisverfall geprägt. Seit dem Jahr 2018 stellen wir fest, dass die Preise wieder steigen, im Jahr 2019 sogar noch einmal deutlich. Der Anstieg erfolgt nicht spartenübergreifend, doch in Bereichen wie Property und Marine waren die Aufschwünge teilweise zweistellig. Auch in Liability sehen wir spürbare Ratenerhöhungen, vor allem im Bereich Recall“, konstatierte AGCS-Manager Hans-Jörg Mauthe vor gut einem Jahr im Exklusiv-Interview mit VWheute.

Die aktuelle Corona-Pandemie tat dabei am Ende ihr Übriges: So lag die Combined Ratio in den ersten drei Monaten des laufenden Geschäftsjahres 2020 bei 117,4 Prozent. Zudem werde die Allianz-Tochter nach dem operativen Quartalsverlust von 141 Mio. Euro auch im Gesamtjahr keinen Gewinn erzielen, kündigte Allianz-Finanzvorstand Giulio Terzariol bei der Präsentation der Q1-Zahlen an. 

Die Gründe für die Verluste bei AGCS sieht der Finanzvorstand der Allianz SE vor allem in der Absage von Großveranstaltungen und die Betriebsschließungen. Die Verschiebung der Olympischen Spiele von Tokio auf das kommende Jahr dürften den Versicherungskonzern laut Terzariol etwa 20 Mio. Euro kosten.

Ob AGCS-Chef Müller es am Ende schaffen wird, das Sorgenkind des Münchener Versicherungskonzerns wieder in ruhigere Fahrwasser lenken kann, wird die Zeit erweisen. Optimistisch ist er jedenfalls: „Ich zweifle nicht im Geringsten daran, dass dies eine gewinnbringende Kombination ist, die nicht nur Ihnen, unseren Kunden und Geschäftspartnern, zugute kommenwird, sondern auch die AGCS wieder an die Spitze unserer Branche bringen wird – als weltweit führenden Unternehmens- und Spezialversicherer.“

Autor: VW-Redaktion

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