Crashkurs in die Gewinnzone: Wie Kfz-Versicherer ihr Geschäft umstellen
Auch wenn Entwicklungen vielfältig sind, dürften Autoversicherer unter dem Strich zu den deutlichen Gewinnern der Corona-Krise werden. Viele Indizien sprechen für ein schadenarmes Jahr 2020. Damit wird der Wettbewerb wieder zunehmen und in die digitale Arena wandern.
Der Lockdown durch Corona hat die individuelle Mobilität extrem eingeschränkt. Doch die Post-Pandemie-Periode ab Mai 2020 bringt den Verkehr nicht vollends auf die Straßen zurück. Das führt auf Dauer zu weniger Aufwand. In der Spitze, so die DEVK Versicherung, reduzierten sich die Schäden in der Kfz-Haftpflicht um 45 Prozent und in der Kasko um 34 Prozent. Unter dem Strich stellt beispielsweise die Hanse Merkur Anfang Juni für die ersten fünf Monate des Jahres eine Schadenreduktion von rund 30 Prozent fest. Je nach Versicherer fällt der Schadenrückgang unterschiedlich aus.
So berichtet die LVM-Versicherung „nur“ von einem Rückgang zwischen elf und 20 Prozent. Gleichzeitig wurden im gewerblichen Bereich ganze Flotten stillgelegt, weil bestimmte Branchen, vor allem aus dem Event- und Messebereich, vollkommen zum Erliegen gekommen sind. „Die Corona-Krise trifft die Versicherer sehr unterschiedlich. Es kommt auf das jeweilige Kunden- und Geschäftsmix an“, sagt Assekurata-Geschäftsführer Reiner Will. Assekuranzen mit dem Schwergewicht auf Gewerbekunden würden deutlich härter getroffen, als reine Privatversicherer.
Dass die Krise noch viel länger wirken dürfte, zeigen aktuelle Daten der Innovation Group, die einer der größten Schadenabwickler in Deutschland ist und für etliche Kfz-Versicherer arbeitet. Danach lag die Summe der vermittelten Reparaturaufträge – verglichen mit dem Zeitpunkt vor dem Lockdown – in der Spitze bei einem Minus von 44 Prozent. Doch auch im Juni schwankte die Zahlen zwischen Minus 21 und zwölf Prozent.
Spärliche Gegenbewegung bei steigenden Kosten
Natürlich gibt es längst wieder eine Gegenbewegung. Das zeigt der Mobilitätstrend von Apple, der die Daten zu Anfragen der Routenführung erhebt. Danach verliert der Öffentliche Nahverkehr. Die Maskenpflicht macht Bus und Bahn unattraktiv. „Es gibt viele Pendler, die aus Angst vor der Ansteckungsgefahr in Bussen und Bahnen aufs Auto umgestiegen sind und jetzt sogar mehr Kilometer fahren als vorher“, berichtet Rico Kretschmer, Abteilungsleiter Schadenmanagement bei der R+V Versicherung. Doch auch Fahrräder und vor allem Pedelecs gewinnen. Gleichzeitig werden mehr Urlauber das Auto nutzen. Weite Strecken dürften aber eher selten bei Reisen anfallen. Da sämtliche Business-Events weiterhin virtuell stattfinden und sich immer noch die Mehrzahl der Angestellten im Homeoffice befinden, dürfte die individuelle Mobilität per Kfz unter dem Strich dennoch deutlich verlieren.
Schäden könnten hingegen künftig noch teurer werden. „Im Vergleich zum Vorjahr stellen wir Preissteigerungen fest“, heißt es bei der DEVK. Streit gibt es bereits um spezielle Desinfektionskosten. Während beispielsweise die Ergo solche Corona-Hygienekosten bis zu einer Höhe von 40 Euro pauschal übernimmt, sind Allianz oder DEVK der Meinung, dass es sich um typische Gemeinkosten einer Fahrzeugreparatur handelt.
Laut HUK-Coburg gibt es aber auch erhöhte Aufwendungen für Miet- und Ersatzwagenkosten sowie höhere Transportkosten für Ersatzteile. Grund seien durch Corona hervorgerufene Logistikprobleme und längere Reparaturzeiten. „Auch wenn die Schadenhäufigkeit leicht sinkt, gibt es weiterhin eine ungebremste Kostenentwicklung“, sagt Dennis Wittkamp, Assekurata Fachkoordinator Schaden- und Unfallversicherung. Problematisch könnte für die Kfz-Versicherer zudem der Trend weg vom Auto werden.
Er wird aus wirtschaftlicher Not verstärkt, denn das Auto ist für Haushalte, die etwa durch Kurzarbeit in Schieflage gekommen sind, ein extrem großer Kostenfaktor. So berichtet der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK), dass in einer Blitzumfrage viele Mitglieder auch Vertragskündigungen in der Kfz-Versicherung festgestellt hätten.
Das habe – zumindest in den ersten Wochen des Lockdowns – zu Einbußen von 20 Prozent in dieser Sparte geführt. „Wir gehen davon aus, dass die wirtschaftliche Not der Autohersteller, die durch Corona verschärft wurde, weiter zu hohen Ersatzteilpreisen führen wird, weil die Produzenten hier noch zusätzliche Erträge generieren können“. Daher erwartet die Rating-Agentur Assekurata keinen neuen Preiskampf in der Kfz-Versicherung.
Tief gespaltener Kfz-Markt
Das größte Problem: Der Markt ist längst tief gespalten. Dies zeigt der „Marktausblick Schaden-/Unfallversicherung 2020/2021“. Danach fahren viele Kfz-Versicherer Verluste ein, weil ihre Schadenkostenquote teilweise weit über 100 liegt. Oft wachsen diese Gesellschaften nicht mehr und werden dann als „gesättigte Verlustbringer“ eingestuft. Gewinnen sie Marktanteile, gelten sie als „vitale Verlustbringer“.
Doch selbst Gesellschaften, die noch mit der Combined Ratio oberhalb von 100 Prozent liegen, verlieren als „gesättigte Ertragsbringer“ Marktanteile. Allein eine kleine Gruppe wächst und hat eine günstige Kostenstruktur. Auch wenn diese Daten für das Jahr 2018 erhoben wurden, hat sich daran wenig geändert, denn schon 2019 war der Markt rückläufig, wie Assekurata feststellt.
Der Durchschnittsbeitrag in der Kfz-Haftpflichtversicherung sinkt seither. Der Wettbewerb zieht an. Warum weitere Prämiensenkungen zur Gewinnung von Marktanteilen für die starken Unternehmen angesichts Corona „unwahrscheinlich“ sind, bleibt in der Studie offen. Beitragserhöhungen dürften in der Öffentlichkeit jedenfalls zu einem Aufschrei führen. Immerhin haben beispielsweise Allianz, Huk-Coburg oder DEVK schon angekündigt, dass „Corona-Gewinne“ zurückgezahlt würden – entweder als Direktvergütung oder als Reaktion auf eine geringere Jahresfahrleistung.
Vor diesem Hintergrund müssen die Versicherer noch aktiver Kosten senken. Schon Ende 2019 – also weit vor Corona – kam Ingolf Putzbach, Geschäftsführer des Digitalhauses sum.cumo, zum Schluss, dass die Autoversicherer nur noch eine Option habe, um am Markt zu bestehen: Nutzung moderner Technologie zur Verbesserung der Wettbewerbsposition.
Das erfordere bei den meisten Gesellschaften einen radikalen Umbau in Richtung Digitalisierung. Ein Schritt, der durch die Corona-Krise nun massiv verstärkt werden dürfte. „Ein wettbewerbsfähiger Preis ist entscheidend für den Vertriebserfolg“, stellt Putzbach fest. Entsprechend groß sei der Druck auf den Beitrag.
Ausschlaggebend für die gute Betriebskostenquote ist ein hoher Automatisierungsgrad. Wer das als Dickschiff nicht mehr hinbekommt, muss einen Direktversicherer gründen, wie die neue benannte Allianz Direkt, Nexible, Friday oder Emil zeigen. „Die lang erwartete Disruption in der Versicherungswirtschaft wird von der Autoversicherung ausgehen“, behauptet Berater Putzbach. Und stellt fest, dass eine Trennung von der Autoversicherung in der Regel ein Ausstieg aus den Massensparten sei. Das kommt einem Untergang nahe und erinnert fatal an die Auswirkung der weltweiten Pandemie Corona.
Autor: Uwe Schmidt-Kasparek
Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der August-Ausgabe der Versicherungswirtschaft.