Expertenmeinungen zur US-Wahl: „2016 kein Unfall, der schnell korrigiert werden kann“
Die Wahlen in den USA sind gelaufen und haben vor allem einen Verlierer: nämlich die Demoskopen. Wie schon vor vier Jahren lagen die Meinungsforscher wieder einmal deutlich daneben. Anstatt am Mittwochmorgen bereits einen klaren Wahlsieger zu küren, entpuppte sich der Urnengang als die befürchtete Hängepartie.
Wie bereits in den vorangegangenen Wahlgängen wird auch die aktuelle Wahl wieder im Mittleren Westen der USA entschieden. Die ersten Reaktionen auf den Wahlkrimi sind jedenfalls ernüchternd. So rechnet Hubertus Bardt, Geschäftsführer und Leiter Wissenschaft beim Institut der Deutschen Wirtschaft (IW), nicht mit einer Rückkehr zu stabilen transatlantischen Beziehungen. Vielmehr sei die Wahl von Donald Trump im Jahr „2016 kein Unfall, der schnell korrigiert werden kann“.
„Die Entfremdung zwischen den USA und Europa, die von der Trump-Regierung mit ihrer konfrontativen Politik gegenüber den Verbündeten ausgegangen ist, kann sich mit dem knappen Wahlergebnis noch verstärken. Rund die Hälfte der US-Wähler wünscht sich eine Fortsetzung des Kurses der vergangenen vier Jahre. Eine klare Kurskorrektur sieht anders aus. Das Ergebnis – egal, wie es am Ende aussieht – macht die Wahl von Donald Trump 2016 nicht ungeschehen und bringt uns nicht zurück in die Zeit vor 2016. Sowohl wirtschaftlich als auch politisch kann sich Europa kaum auf dauerhaft stabile transatlantische Beziehungen verlassen.“
Hubertus Bardt, Geschäftsführer und Leiter Wissenschaft beim Institut der Deutschen Wirtschaft (IW)
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) wünscht sich hingegen unabhängig vom Wahlausgang einen Neustart in den transatlantischen Beziehungen. „Unabhängig davon, wer zukünftiger US-Präsident wird, wünscht sich die deutsche Industrie einen Neustart in den transatlantischen Beziehungen. Die großen Herausforderungen, allen voran die Überwindung der Coronakrise, können EU und USA nur gemeinsam erfolgreich bewältigen“, kommentiert BDI-Präsident Dieter Kempf.
Zudem müssten die USA „endlich darauf verzichten, Zölle unter dem Deckmantel der nationalen Sicherheit zu erheben oder anzudrohen. Importe aus der EU und von anderen Verbündeten gefährden nicht die nationale Sicherheit der USA. Die Zölle, die die USA inzwischen erheben, belasten die Wirtschaft auf beiden Seiten des Atlantiks“.
BGA: „Jeder Präsident wird die Interessen der Vereinigten Staaten voranstellen“
Der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) erwartet hingegen keine Kursänderung in Wirtschaftsfragen: „Jeder Präsident wird die Interessen der Vereinigten Staaten voranstellen. Die deutsche Wirtschaft wird auch die nächsten vier Jahre mit der politischen Situation zurechtkommen“, konstatiert BGA-Präsident Anton F. Börner. Vielmehr müsse man „mit jedem Präsidenten auskommen. Entscheidend ist, dass Europa seine wirtschaftlichen und politischen Interessen klar formuliert und auch durchsetzen will“.
Der Präsident des RWI Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung, Christoph Schmidt, erwartet zudem kein Ende des Handelsstreits. „Beide Kandidaten wollen US-Interessen international durchsetzen. Bei einem Wahlsieg Bidens würden die bestehenden Handelskonflikte daher nicht beigelegt werden“, sagte der ehemalige Wirtschaftsweise gegenüber der Rheinischen Post.
„Unabhängig vom Ausgang der Wahl wird es sehr wahrscheinlich ein Konjunkturprogramm geben, vor allem, um die nach wie vor hohe Arbeitslosigkeit zu senken“, ergänzt Schmidt. Auch im Streit um die Ostsee-Pipeline Nordstream 2 rechnet der Ökonom mit keiner gravierenden Kursänderung: „Wer auch immer gewinnt, wird die amerikanischen Interessen vertreten und die Fertigstellung des Ausbaus von Nordstream verhindern wollen, um stattdessen vermehrt amerikanisches Flüssiggas in Europa verkaufen zu können“.
Etwas gelassener bewertet hingegen Lars Kreckel, Global Equity Strategist, Legal & General Investment Management, die Hängepartie in den USA: „Beim aktuellen Stand sollte das Ergebnis unseres Erachtens nach relativ geringe Auswirkungen haben. Unabhängig davon, ob Biden oder Trump im Weißen Haus sitzt, dürfte ein wohl gespaltener Kongress das Regieren erschweren, sodass nur wenige Maßnahmen mit sehr deutlichen Auswirkungen auf die Aktienmärkte verabschiedet würden. Das eine oder das andere Ergebnis stünde für die Fortsetzung des Status quo, also keine höhere Körperschaftssteuer und kein großes grünes Steuerpaket. Für den Technologiesektor hat der Wettlauf um das Weiße Haus noch eine gewisse Bedeutung, denn eine mögliche Tech-Regulierung hinge stärker von Personalentscheidungen als von der Gesetzgebung im Kongress ab.“
Kurzinfo: Esel oder Elefant – wer regiert im Weißen Haus?
Die Parteienlandschaft in den USA wird vor allem von den beiden großen Parteien – den Demokraten und den Republikanern – dominiert. Dabei sind der Esel und der Elefant die Wappentiere.
So gilt der Esel bereits dem 19. Jahrhundert als inoffizielles Maskottchen der Demokraten: 1828 skizzierten politische Gegner den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Andrew Jackson als Esel. Der machte das willensstarke Tier prompt zum Symbol seiner Kampagne und gewann die Wahl. Heute betonen die Demokraten vor allem seine positiven Eigenschaften: Der Esel sei bescheiden, gemütlich, etwas starrsinnig, schlau, mutig und liebenswert.
Die Republikaner setzen hingegen seit rund 150 Jahren auf das Rüsseltier, welches bereits um 1860 in Zeichnungen mit der Partei in Verbindung gebracht wurden. Die Parteigänger haben sich mittlerweile längst mit dem Dickhäuter angefreundet: Demnach seien die Elefanten vor allem stark, intelligent und würdevoll.
Marija Kolak, Präsidentin des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR), setzt unabhängig vom Wahlausgang auf Optimismus: „Mit der Feststellung eines Wahlergebnisses würde sich die Unsicherheit über den künftigen Kurs der US-Wirtschaftspolitik deutlich verringern. Dies würde die Konjunktur beleben und zur Schaffung von Arbeitsplätzen beitragen, was angesichts der Coronapandemie dringend notwendig ist“.
„Wie auch immer die Wahl ausgeht: Eine hohe Priorität sollte in der neuen Amtsperiode des US-Präsidenten die Überwindung der politischen Spaltung in der Gesellschaft sein. Die USA sollten sich wieder stärker der Zusammenarbeit in den multinationalen Organisationen öffnen. Eine weniger protektionistische Handelspolitik würde der Weltwirtschaft und auch den deutschen Exporteuren wichtige Impulse geben.“
Marija Kolak, Präsidentin des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken (BVR)
USA sind ein wichtiger Handelspartner für Deutschland
Wer auch immer in den kommenden vier Jahren im Weißen Haus in Washington D.C. regieren wird: Die USA sind weiterhin der wichtigste ausländische Absatzmarkt für Waren und Dienstleistungen „made in Germany“. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes haben die deutschen Firmen allein 2019 Güter im Wert von insgesamt 118,7 Mrd. Euro in die USA exportiert. Auch bei den Einfuhren stehen die Vereinigten Staaten unter den Top Drei der deutschen Handelspartner, hinter China und den Niederlanden, mit einem Importwert von 71,4 Mrd. Euro.
„Besonders wichtig ist der US-Markt für die Automobilindustrie, den Maschinenbau sowie für Medikamentenhersteller. „Hinzu kommt: Zahlreiche deutsche Firmen haben Fabriken in den USA eröffnet, zum Beispiel BMW. In keinem anderen Land der Welt investierten deutsche Unternehmen so viel Geld wie in den USA“, konstatiert Michael Böhmer, Chefökonom am Prognos-Institut.
Wichtiger Absatzmarkt für die deutschen Versicherer
Auch für die deutschen Versicherer sind die USA ein wichtiger Absatzmarkt: Denn die Menschen sind bereit, viel Geld für Versicherungen auszugeben. 39 Prozent der weltweiten Prämieneinnahmen stammen aus den USA und deutsche Gesellschaften verdienen kräftig mit.
Dabei ist die Allianz eine der wenigen deutschen Gesellschaften, die auch im US Privatgeschäft tätig sind (Allianz Life). Im Industriegeschäft ist man über AGCS am Markt vertreten. Die Hälfte der Prämieneinnahmen von 9,1 Mrd. Euro erwirtschaftet AGCS in den USA.
In der gleichen Sparte ist Axa mit seiner US-TochterXL aktiv, die 18 Prozent zu den Gesamteinnahmen des französischen Konzerns beiträgt, aber nur ein Teil direkt aus den USA generiert. Wie bei XL hat man überwiegend über Zukäufe, darunter der US-Lebensversicherer Equitable (1991) oder Mutual of New York (2004) in den USA Fuß gefasst. Wie die Allianz wagte auch die Talanx in den 1970er-Jahren den Sprung über den großen Teich. Die Talanx-Tochter HDI Global SE erzielt heute etwa 14 Prozent des jährlich gezeichneten Bruttoprämienvolumens in den USA.
Unabhängig davon, wer nun als Sieger aus dem Kopf-an-Kopf-Rennen geht, lag die Wahlbeteiligung bei den US-Wahlen 2020 laut United States Elections Project bei voraussichtlich 66,9 Prozent. Das ist deutlich höher als in den Vorjahren, wie die Statista-Grafik zeigt. Rund 160 Millionen Wahlberechtigte haben dabei ihre Stimme abgegeben.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes waren allein in Deutschland mehr als 141.000 Menschen bei der US-Präsidentschaftswahl 2020 wahlberechtigt. Darunter haben fast 32 Prozent zusätzlich auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Die hierzulande lebenden wahlberechtigten US-Bürgerinnen und US-Bürger sind überwiegend männlich (58 Prozent) und zwischen 25 und 65 Jahre alt (77 Prozent). 98.000 und damit fast 70 Prozent von ihnen sind Eingewanderte der ersten Generation. 43.000 Stimmberechtigte sind in Deutschland geboren.
Autor: VW-Redaktion
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