Klickhits 2022: Streit, Skandale und Trennungen

Für prägende Momente im Jahr 2022 sorgten u.a. Oliver Bäte, Frank Grund und Carsten Schildknecht (Quelle: Allianz, Bafin, Zurich)

Kurz vor den Feiertagen ist es üblicherweise Zeit für einen Ausblick auf das, was kommt – und natürlich den Rückblick auf die großen Versicherungsthemen des zurückliegenden Jahres. Neben dem Dauerbrenner Pandemie hinterließen auch der Ukraine-Krieg, die Inflation oder die ewige Debatte um Provisionen ihre Spuren in der Branche. Manch ein Manager schäumte vor Wut, andere zogen sich aus der Branche komplett zurück. An dieser Stelle blickt die Redaktion auf die wichtigsten Themen im Jahr 2022 zurück.

In eigener Sache: An dieser Stelle bedanken wir uns für das große Interesse, Feedback und die aufmerksame Lektüre unseres Tagesreports Versicherungswirtschaft-heute. Wir verabschieden uns mit der heutigen Ausgabe für eine kurze Weihnachtspause und versorgen Sie ab dem 2. Januar 2023 wieder tagesaktuell mit den Themen, welche die Branche bewegen – Wissensvorsprung inklusive. Die Redaktion wünscht Ihnen eine frohe Weihnachtszeit, einen ruhigen Jahresausklang und ein gesundes sowie erfolgreiches Jahr 2023.

Corona-Pandemie dominiert den Jahresbeginn

Der Jahresbeginn 2022 stand noch ganz im Zeichen der Corona-Pandemie. Aktuellen Studien zufolge leiden zwischen fünf und zehn Prozent der Betroffenen an den Langzeitwirkungen einer Corona-Infektion. Im schlimmsten Fall droht den Betroffenen die Berufsunfähigkeit? Doch wie gehen die Versicherer damit um? Lange Zeit hielten sich die Unternehmen entsprechend bedeckt – bis die Debeka schließlich Anfang September 2022 nach vorne preschte und von damals sechs anerkannten BU-Leistungsfällen sprach.

„Wir hatten 2021 die ersten sechs Fälle, da zahlen wir.“

Thomas Brahm, Vorstandsvorsitzender der Debeka und neugewählter Präsident des PKV-Verbandes

Als neben der Debeka sich gleichzeitig auch der GDV äußerte und betonte, dass eine Corona-Erkrankung kein pauschaler Ausschlussgrund für die Leistung von Berufsunfähigkeitsversicherungen sei, dann wäre es auch ein guter Zeitpunkt für die anderen großen Lebensversicherer sich zu äußern und ihre Corona-bedingten BU-Leistungsfälle publik zu machen. Denn sie weisen viel mehr Fälle auf als die Debeka.

In China scheint die Branche jedoch noch viel zurückhaltender zu sein: Nachdem die chinesische Führung ihre strenge Null-Covid-Strategie weitgehend beendet hatte, hatte die Assekuranz den Verkauf von günstigen Covid-Policen gestoppt. Waterdrop, die größte Online-Versicherungsplattform in China, hat diese Woche alle Policen im Zusammenhang mit Covid-19 auf Eis gelegt, während ein beliebtes Produkt von China Continent Insurance, das Versicherungsnehmern, die positiv auf Covid getestet wurden, bis zu 1.500 Rmb (215 Dollar) auszahlt, nicht mehr in den Suchergebnissen zu finden ist.

Vor drei Wochen hat die Staats- und Parteiführung überraschend und weitgehend unvorbereitet die meisten Covid-Bestimmungen offiziell abgeschafft, nachdem zuvor fast drei Jahre lang in China die striktesten Corona-Regeln der Welt galten. (Bildquelle: Mhobl/flickr/ https://creativecommons.org/licenses/by-nd/2.0/)

Ähnliche kostengünstige Covid-Policen, die von der von Alibaba und Tencent unterstützten ZhongAn Online P&C Insurance und der mittelgroßen Yong An Insurance angeboten wurden, sind ebenfalls aus dem aktuellen Produktangebot entfernt worden. In Thailand brachte Corona gleich vier Versicherungsgesellschaften in den Konkurs.

Allerdings wurde die Debatte um die Leistungszahlungen der Versicherer natürlich auch von Impfgegnern aufgegriffen – auch für Falschmeldungen. Eine Fake-New lautete beispielsweise: Nach einem Tod durch eine Covid-Impfung habe ein französischer Lebensversicherer die Zahlung verweigert. Ein Gericht sagte, das sei rechtens, da eine „freiwillige Impfung mit experimentellem Impfstoff“ wie Selbstmord zähle. Mehrere Recherchenetzwerke weisen nach, dass der Fall frei erfunden war (17.876 Klicks)

Ein Faktencheck der Seite Correctiv stellt klar, dass die Geschichte frei erfunden ist. Es gibt keine Belege für den Todesfall oder einen Gerichtsprozess in Frankreich. In der Geschichte werden ohnehin weder die Namen der Versicherungsnehmer noch der Versicherer genannt. Ein Sprecher des französischen Versicherungsverbands teilte mit, ein solcher Vorfall sei dort nicht bekannt. Der Rechtsrahmen erlaube es Unternehmen zudem nicht, die Zahlung im Todesfall nach einer Impfung zu verweigern. Eine Covid-19-Impfung werde keineswegs wie ein Suizid bewertet.

Ein weiterer Nebeneffekt der grassierenden Pandemie war auch ein deutlicher Rückgang von Vorsorge-Untersuchungen – mit ungewöhnlichen Reaktionen. Pünktlich zum Weltkrebstag machten die Techniker Krankenkasse auf ungewöhnliche Art und Weise darauf aufmerksam, wie man Hodentumore erkennt. Für ein Aufklärungs-Video buchte man dazu Porno-Sternchen Anny Aurora (25.000 Abonnenten bei OnlyFans) und erntete im Netz viel Kritik, aber auch viel positive Kommentare für den Mut. Mit mehr als 20.000 Klicks war die Infokampagne der Krankenkasse auch bei den VWheute-Lesern das Top-Thema des Jahres.

„Der life-saving Handjob: So tastet du deine Hoden ab“, lautet die Werbung der Techniker Krankenkasse (Quelle: Screenshot/Youtube)

Versicherungsmitarbeiter bekommen mehr Geld und einen Inflationsausgleich

Anfang April 2022 hatten sich der AGV und Verdi auf einen Tarifabschluss für die rund 160.000 Beschäftigten im Innendienst und die Auszubildenden geeinigt. So wurden Tarifgehälter zum 1. September 2022 um drei Prozent erhöht. Zum 1. September 2023 steigen die Gehälter um weitere zwei Prozent. Die Ausbildungsvergütungen sollen ebenfalls zum 1. September 2022 und 2023 um jeweils 50 Euro erhöht werden.

Im Dezember 2022 hatten sich die Verhandlungspartner außerdem nach einem zehnstündigen Verhandlungsmarathon auf leichte Anpassungen im bestehenden Tarifvertrag verständigt. Im Kern sollen Angestellte des Innen- und Außendienstes sowie die Auszubildenden in den Jahren 2023 und 2024 eine Inflationsausgleichsprämie von insgesamt 2.000 Euro erhalten.

Allianz sorgt für Skandale und Skandälchen

Beim deutschen Branchenprimus Allianz dürfte man allerdings froh sein, wenn das Jahr 2022 der Geschichte angehört. Obwohl die Münchener – wieder einmal – mit Rekordzahlen aufwarten konnten, sorgten jedoch vor allem andere Themen für eine Menge Negativ-Schlagzeilen – allen voran Oliver Bätes interne Wutrede. Ob „feige Mitarbeiter“, miese Manager, unfaire US-Aufsicht und „Crap“-IT-Systeme: In der „AZI Debrief2022“, einem internen Austausch, an dem neben 200 Konzernmanager rund 8.000 Beschäftigte aus aller Welt teilnahmen.

„Ich denke, wir hatten in den vergangenen acht bis zehn Jahren wirklich eine falsche IT-Strategie“, erklärte der CEO, der seit 2008 Vorstand und 2015 CEO der Münchener ist. Die Allianz müsste neue Systeme mit dem alten Crap“ kostspielig verbinden, anstatt ihn lokal loszuwerden, erklärte er. Es könne nicht sein, „den Crap zu automatisieren, den wir mehr als 130 Jahre lang entwickelt haben.“ Mit diesen Worten dürfte er den Verantwortlichen vor den Kopf gestoßen haben, mit denen er laut Wirtschaftswoche auch weiter hart ins Gericht ging (18.672 Klicks).

„Wenn unsere Technik unsere Mitarbeiter bei ihrem Service am Kunden nicht unterstützt, dann soll jeder das offen sagen können. Denn nur so können wir besser werden.“

Oliver Bäte, Vorstandsvorsitzender der Allianz SE

Umso mehr lässt es aufhorchen, dass Bäte jüngst ein Focus-Interview nutzte, um nicht nur die Weltwirtschaftslage einzuordnen, sondern auch eigene Unternehmensentwicklungen und persönliche Aussagen zurechtzurücken. Von Häme ist im Gespräch nichts mehr zu spüren. Bäte lenkt das Gespräch ins Fachliche – dahin also, wo seine Stärke liegt. Seine Wutrede indes bezeichnet er als vermeintliche Mutrede. Nun schlägt der CEO also auch durchaus versöhnliche Töne an. Daran muss man sich erst einmal gewöhnen. Fest steht: Er wird auch 2023 aus der Position der Stärke agieren.

Daran dürfte auch der Skandal um den US-Hedgefonds „Structured Alpha“ nichts ändern: Der Versicherungskonzern hatte mit einer mangelhaften Anlagestrategie die Kunden geschädigt und musste an diese und die US-Behörden Milliarden bezahlen. Der Rückstellungsbetrag belief sich auf 5,6 Mrd. Euro. Die jüngsten Zahlen des blauen Versicherungstankers lassen sich dennoch sehen: Bei der Allianz konnte das operative Ergebnis im dritten Quartal 2022 um 3,2 Prozent auf 10,2 Mrd. Euro gesteigert werden, der Gesamtumsatz um 5,3 Prozent auf 116 Mrd. Euro. Der Konzern beschloss zudem ein neues Rückkaufprogramm für eigene Aktien im Volumen von bis zu einer Milliarde Euro.

Oliver Bäte auf der JHV der Allianz 2022. Quelle: Allianz.

Fest steht: Konzernchef Bäte wird auch 2023 aus der Position der Stärke agieren. Ob die guten Zahlen allerdings auch die Stimmung innerhalb des Konzerns widerspiegeln, bleibt hingegen offen. So hatte ein lauter Streit auf der Allianz-Re-Betriebsversammlung im September 2022 hohe Wellen geschlagen. Die VWheute-Redaktion erhielt darauf zahlreiche Leserkommentare. Ein Allianz-Mitarbeiter etwa kritisierte kurz darauf das Arbeitsklima im gesamten Konzern. Er spricht u.a. über Geschäftsstellenleiter, die sich als „Halbgötter“ positionieren und Mitarbeiter beleidigen und dass Selbstständige mehr leisten müssten als Haupt- oder Generalvertreter.

Und dennoch: Bäte ist ein Phänomen. Es gibt so viel über ihn zu sagen – und doch bringt es ein Begriff auf den Punkt. Erfolgshunger. Als bekanntestes Gesicht der deutschen Assekuranz hat er durch sein Wirken nicht nur die Allianzkultur verändert, sondern die der Versicherungsbranche hierzulande insgesamt. Ob rote Turnschuhe, Armbändchen oder das lockere Auftreten in der Öffentlichkeit. Für die Insider sind das vermutlich nur Oberflächlichkeiten.

Tatsächlich hat Bäte seit seinem Amtsantritt damit angefangen, was viele Versicherer erst mit Corona erkannt haben. Den Kulturwandel in seinem Unternehmen einzuläuten. Vielerorts bekam er aufgrund seines forschen Stils und dem klaren Effizienzkurs heftigen Gegenwind zu spüren. Die Allianz ist nun mal ein Koloss mit komplexen Strukturen. Bäte löste sie an vielen Stellen auf. Ein Business-Mann par excellence, der empathisch sein kann und in Krisensituationen auch mal die helfende Hand ausstreckt.

Signal Iduna fällt bei den Kunden durch

Ganz andere Probleme hat derzeit vor allem die Signal Iduna: Seit Jahren kämpfen die Dortmunder mit akuten Problemen im Support. Kunden bemängeln das Fehlen kompetenter Ansprechpartner und berichten von „unterirdischen Wartezeiten“ bis hin zu „völligem Vertrauensbruch“. Insbesondere die Krankenversicherung scheint Probleme beim Service zu haben. Die Kunden berichteten auf dem Bewertungsportal Trustpilot von „teilweise unverschämter Behandlung“ und immer wieder, dass sie keinen Ansprechpartner erreichen oder nach „stundenlangem ausharren“ aus der Leitung geworfen werden.

Nun will die Versicherungsgruppe mithilfe des Schweizer Softwareanbieters BSI Kundenanliegen schneller bearbeiten. Wenn es allerdings nur das wäre: Bereits im Januar 2022 kassierten die Dortmunder eine deutliche Schelte durch die Vermittler: So zeigte sich ein Vermittler überrascht, wie „zukunftsorientiert man sich hier gibt“. Die Pläne würden nicht zu dem passen, was man regelmäßig erlebe. Dann nennt er konkrete Beispiele: „E-Mails werden bestenfalls nach Wochen und etlichen Erinnerungen erledigt. Nur, weil man gendert ist man ein noch kein fortschrittliches Unternehmen. Damit spricht man im besten Fall 25 Prozent der Kunden (links-grün) an. Der Rest ist davon eher genervt. Würde mir mehr wünschen, dass man als Makler bei seinen Aufgaben für den Kunden unterstützt wird.“

Ein anderer Signal-Iduna-Mitarbeiter zeigt gegenüber VWheute weitere Schattenseiten. „Unklare Zuständigkeiten, überforderte Mitarbeiter, viele Kündigungen in den letzten Jahren. Viele, die Verantwortung aufgeben, wegen der Belastung. Einschränkung der monetären Entwicklung bei den Mitarbeitern, auch das ist bei Signal Iduna/Deutscher Ring derzeit.“ Dabei ist die Signal Iduna nicht der einzige Versicherer mit Kundenproblemen. Die Allianz-Direct musste harsche Kritik einstecken, zuletzt war es bei Proxalto so ernst, dass BaFin-Exekutivdirektor Frank Grund zur Ordnung rufen musste.

Politische Endlos-Debatte um Elementarschaden-Pflichtversicherung

Dabei sorgen Medienberichte über eine vermeintliche Leistungsunwilligkeit der Versicherer auch nicht gerade für ein besseres Vertrauen: Im April 2022 unterstellte Spiegel TV der Branche, sich für der Regulierung der Schäden nach der Ahrtal-Katastrophe drücken zu wollen. „Wie Flutopfer im Ahrtal alleingelassen werden“, hieß die 16-Minuten-Reportage mit dem Teaser: „Familie Sicken verlor vier Häuser. Doch die Versicherung verweigert eine Entschädigung – wie bei vielen Betroffenen.“

Allerdings: 70 Prozent der Geschädigten der Flutkatastrophe vor einem Jahr an der Ahr und in der Eifel wussten nicht, dass sie sich in einem hochwassergefährdeten Gebiet befinden, und ein Viertel hat keine Ahnung, wie man Häuser vor derartigen Katastrophen schützen kann. So das Ergebnis von Umfragen, die Annegret Thieken, Professorin für Geografie und Naturrisikenforschung Universität Potsdam, während einer Veranstaltung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) vorstellte.

Am schwersten betroffen: Im Ahrtal ist die Zahl der Toten nach dem Hochwasser auf 139 gestiegen. (Quelle: Provinzial)

Auch GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen erneuerte die Forderungen der Versicherer nach mehr Prävention beim Hochwasser- und Starkregenschutz. Es könne nicht angehen, dass mit einer Pflichtversicherung für Elementarschäden die gesamte Last auf die Versicherer abgeladen wird. Dabei sorgte gerade die Debatte um eine bundesweite Elementarschaden-Pflichtversicherung in diesem Jahr für erheblichen politischen Zündstoff. Erst vor wenigen Tagen lehnte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) die Einführung strikt ab und setzt dabei auf die Verantwortung der Bundesländer – wohl ganz zur Freude der Versicherer.

„Wir sollten so etwas nicht immer dann erst wieder auf die Agenda legen, wenn wieder etwas passiert ist; denn dann ist der Staat wieder gefordert. Ob das das Staatsverständnis ist, das die Partei des Bundesjustizministers üblicherweise vor sich herträgt, beziehungsweise ob es die bessere Lösung ist, dass der Staat dann einspringt, weiß ich nicht genau.“

Hendrik Wüst (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen

So wäre eine solche Pflicht aus seiner Sicht zwar verfassungsrechtlich „wohl möglich“. „Politisch halte ich sie für falsch“, betonte Buschmann. Die wiederum üben scharfe Kritik an der Haltung des Bundesjustizministers. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) kritisierte demnach laut Bericht, dass Buschmann dem Bundeskanzler „eine Absage erteilt“ und damit „Verwunderung ausgelöst“ habe. Sollte Buschmanns Weigerung, einen bundeseinheitlichen Gesetzesentwurf auf den Weg zu bringen, Bestand haben, droht am Ende womöglich ein Flickenteppich von Einzelregelungen auf Länderebene. Und was das bedeuten kann, zeigen die Erfahrungen aus der Corona-Pandemie.

Provisionsrichtwert sorgt erneut für Stress

Ein weiterer Zank-Apfel waren 2022 auch die Pläne für einen Provisiondeckel oder -richtwert. Die Vermittler und ihre Verbände lehnen ihn ab, Aufsicht und Verbraucherschützer sind strikte Befürworter. Immerhin: Politisch sah das Bundesfinanzministerium in diesem Jahr keinen Handlungsbedarf, eine entsprechende Regelung auf den Weg zu bringen. Umso aktiver zeigte sich daher die Finanzaufsicht Bafin und – allen voran – deren Exekutivdirektor Frank Grund.

So sollten sich die Lebensversicherer nach seiner Ansicht „konstruktiv“ beim Provisionsrichtwert zeigen. „Für die Branche wäre es gut zu wissen, bis zu welcher Grenze X ist eine Provision aufsichtsrechtlich in Ordnung – und darüber hinaus fragt die Aufsicht nach, ob es aufsichtsrechtlich noch unbedenklich ist“, sagte der oberste Versicherungsaufseher der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) auf einer Fachkonferenz im Mai dieses Jahres. In der Vergangenheit hatte sich der Aufseher bereits mehrfach für einen Provisionsdeckel starkgemacht, der „Richtwert“ dürfte auf dasselbe hinauslaufen.

„Restschuldversicherungen sind überteuerte Produkte mit einem lückenhaften Versicherungsschutz und werden teilweise in einem zweifelhaften Verkaufskontext vertrieben. Daran hat auch der Provisionsdeckel, der seit dem 1. Juli 2022 die in die Versicherungen hineinkalkulierten Provisionen begrenzt, nichts geändert. Zwar wurden mit dem Provisionsdeckel die zu beobachtenden Provisionsexzesse und daraus resultierende Verbraucherschäden unterbunden. Verbraucherinnen und Verbraucher müssen aber weiter mit den Missständen der Versicherungsform kämpfen. Das liegt vor allem daran, wie Restschuldversicherungen verkauft werden.“

Dorothea Mohn, Leiterin Team Finanzmarkt im Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), in der VWheute-Montagskolumne

Erst ein halbes Jahr später sah sich der Bundesverband Deutscher Versicherungskaufleute (BVK) – immerhin lautester Dauerkritiker einer solchen Regelung – schon auf der Siegerstraße. So begrüßte der Vermittlerverband „Signale der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)“, von ihren Plänen zur Einführung von Provisionsrichtwerten beim Vertrieb von Lebensversicherungen abzurücken.

Doch die Bafin sieht sich keinesfalls auf dem Rückzug. „Die Bafin plant weiterhin eine Veröffentlichung zu wohlverhaltensaufsichtlichen Aspekten bei kapitalbildenden Lebensversicherungsprodukten, insbesondere zur Vertriebsvergütung“, hieß es daraufhin bei der Finanzaufsicht. Vielmehr werde es einen Provisionsrichtwert geben, allerdings nicht per Rundschreiben, sondern als Merkblatt der Bafin.

Bafin-Direktor Frank Grund sah die rechtlichen Grundlagen für die Provisionsrichtwerte gegeben. (Quelle: Uli Deck / BGV)

Im Fokus stehen die Rückvergütungen, sogenannte Kick-Back-Zahlungen, sowie Provisionsexzesse in der Lebensversicherung. Die Kick-Back-Zahlungen im LV-Fondsgeschäft sind der Bafin schon länger ein Dorn im Auge. Unklar ist, ob letztlich BaFin oder Branche gewonnen hat. Der Unterschied zwischen Rundschreiben und Merkblatt ist marginal, besonders da die BaFin für Maßnahmen stets die EU-Versicherungsvertriebsrichtlinie (IDD) im Rücken hat.

Klarheit im Dauerstreit um eine Deckelung von Provisionen in der Lebensversicherung sieht jedenfalls anders aus. Und ob dieser im Jahr 2023 dauerhaft und abschließend geklärt werden kann, ist momentan nicht zu erwarten.

Ukraine-Krieg und die Folgen belasten die Versicherer

Neben Corona hinterließ natürlich auch der Ukraine-Krieg seine Spuren in den Bilanzen der Versicherer. So haben viele Unternehmen mittlerweile millionenschwere Rückstellungen für die Folgen des Konfliktes gebildet. Bereits im Mai 2022 hatte der Branchenverband GDV seine Prognose für 2022 nach unten korrigiert. Demnach erwartete der Verband, dass die jährlichen Prämieneinnahmen in diesem Jahr um 2,3 Prozent steigen werden. Ursprünglich ging der Branchenverband von einem Beitragswachstum von 2,5 Prozent aus. Zudem schraubte der GDV laut Reuters die Wachstumsprognose für die Lebensversicherer von 1,6 Prozent auf 0,7 Prozent in diesem Jahr herunter. Vor Beginn des Krieges Ende Februar hatte der Verband noch stärkere Erholungseffekte für 2022 erwartet und mit einem Beitragswachstum von bis zu drei Prozent für den gesamten Sektor und bis zu zwei Prozent für die Lebensversicherung gerechnet.

Deutlich heftiger dürften jedoch die Folgen für die Luftfahrtversicherer auswirken. Bereits im Juli 2022 rechnete der Rückversicherungsmakler Gallagher Re vor, dass der anhaltende Krieg in der Ukraine zu Schäden führen könnte, die das Siebenfache der endgültigen Schadenssumme für die Anschläge auf das World Trade Center (WTC) im Jahr 2001 und das Vierfache der ursprünglichen WTC-Reserve betragen. Das ist bislang die größte aufgestellte Schadensrechnung für die Luftfahrt. Das liegt an einer Besonderheit im russischen Fliegergeschäft.

Spürbare Folgen hat dabei auch die Inflation für Schiffsversicherer: Demnach verursachen Feuer- und Explosionen laut AGCS zwar die teuersten Versicherungsansprüche in der Schifffahrtsbranche. Transportschäden sind hingegen die häufigste Schadensursache. Auch die Inflation ist ein wichtiges Thema für die Schiffsversicherer. Zudem hätten eine Reihe von Zwischenfällen auf See, Naturkatastrophen, Cyberangriffe und die Covid-19-Pandemie zu erheblichen Verzögerungen in der Schifffahrt und in den Häfen geführt. Weitere Störungen seien durch Überlastung, Arbeitskräftemangel und eingeschränkte Containerkapazitäten verursacht worden.

Eine weitere Folge: Die Hannover Rück hat in den ersten neun Monaten dieses Jahres eine Rückstellung von 331 Mio. Euro für mögliche Verluste durch den Ukraine-Krieg gebildet, Munich Re kommt auf 260 Mio. Euro. Im nächsten Jahr will man keine roten Zahlen mehr sehen und die Deckung von kriegsbedingten Risiken für Schiffe, die nach Russland und in die Ukraine fahren, einstellen.

Wesentlich nüchterner blicken derzeit die Kreditversicherer auf die aktuelle wirtschaftliche Lage: So dürften die Unternehmensinsolvenzen im Jahr 2023 zwar vermutlich um 20 Prozent ansteigen werden, bedeutet das keinen Kahlschlag, sondern nur, dass sich das Feld lichtet. So das Fazit des GDV auf der Jahrespressekonferenz der Kreditversicherer. Im Bereich Warenkredite, der sich um Bonitätsprüfung und Zahlungsausfälle kümmert, stiegen die Deckungssummen in diesem Jahr um elf Prozent auf 510 Mrd. Euro.

Der von uns prognostizierte Anstieg ist kein Horror-Szenario, sondern natürlicher und notwendiger Bestandteil einer funktionierenden Wirtschaft.

Thomas Langen, Vorsitzender der Kommission Kreditversicherung im GDV

Thomas Langen, Vorsitzender der Kommission Kreditversicherung im GDV, betonte in seinem Bericht zur Lage der Kreditversicherer, Insolvenzen seien notwendige Bestandteile einer funktionierenden Wirtschaft und ihr Herauszögern würde der gesamten Wirtschaft schaden. Die Unsicherheit für Geschäftspartner, ob Unternehmen noch solvent sind oder nur als sogenannte Zombi-Unternehmen ihr Unwesen treiben, sei groß.

Klare Kante im VersicherungswirtschaftCLUB

Klare Worte gab es in diesem Jahr auch beim VersicherungswirtschaftCLUB: Ein zentraler Fokus lag im Oktober 2022 pünktlich zum Rückversicherungstreffen in Baden-Baden auf den Rückversicherern, die in diesem Jahr erneut besonders stark unter den jüngsten Naturkatastrophen zu leiden hatten. „Man kann nur anbieten, was man kalkulieren kann“, lautete die Antwort der Rückversicherer-Vorstände auf die Preiserhöhungen.

VersicherungswirtschaftCLUB (v.l.n.r): Versicherungswirtschaft-Chefredakteur Michael Stanczyk, Frank Reichelt (Swiss Re), Claudia Hasse (Munich Re), Jan-Oliver Thofern (Aon), Michael Pickel (Hannover Rück) und VW-Redakteur Maximilian Volz (Bildquelle: fabry).

Gutes Underwriting hat seine Grenzen. Denn der aktuell gelegte Fokus auf Naturkatastrophen macht nur ein Bruchteil des Geschäfts aus, Probleme bereiten eher die Sparten Kraftfahrt und Feuer. Und auch der Ukraine-Krieg „ist ganz brisant“. Am Horizont lauern die nächsten Kumule wie ein Blackout oder politische Unruhen. Denn bei Cyber gehe man bereits an die Grenze der Versicherbarkeit.

„Wenn man auf unsere Branche schaut, die ist hochgradig sexistisch. Auf der Maklermesse sehen wir das typische Bild: Sportwagen und Hostessen. Wenn man jungen Menschen, ob Mann oder Frau, heute den Auftrag gibt, eine Vertriebsmesse zu organisieren, dann würde diese ganz anders aussehen.“

Marco Adelt, Mitgründer von Clark im April 2022 beim VersicherungswirtschaftCLUB

Der „War of Talents“ gehört ebenfalls zu den großen Herausforderungen der Branche: Doch wie können die Versicherer auch in Zukunft ihre Attraktivität für neue Talente erhöhen? Für den Personalchef der Signal Iduna, Tobias Vögele, war es wichtig, dass der Manager Spaß an seiner Arbeit hat und „Interesse zeigt“, an den Dingen, die um ihn herum passieren. Er müsse dann auch mal „fachfremd arbeiten“. Darüber hinaus sei eine gute Wertewelt relevant. Lena Lindemann würde nicht den Begriff „Interesse“ verwenden, sondern es „Leidenschaft“ nennen. Dennoch tat sich die Ergo-Vorständin auf Gruppenebene eher schwer mit dem richtigen Rezept für eine erfolgreiche Management-Karriere: „Wenn man ein Rezept hätte, dann birgt das die Gefahr, dass jeder Manager gleich ist und das brauchen wir nicht.“

Die Diskussionsrunde des VersicherungswirtschaftCLUB. v.l.n.r. Tobias Vögele, Personalchef Signal Iduna; Lena Lindemann, Vorstandsmitglied Ergo Group; Michael Stanczyk, Chefredakteur Versicherungswirtschaft/VWheute; Katharina Höhn, Geschäftsführerin BWV Bildungsverband und Marco Adelt, Mitbegründer und Vorstand Clark (Bildquelle: Foto Fabry).

Von einem durchgetakteten Fast-Track-Programm in der Assekuranz hielten die Diskutanten des VersicherungswirtschaftCLUB allerdings eher wenig. Vor allem aber bei den Themen Frauen, Image und dem Zeitalter des Homeoffice wurde deutlich, dass die Versicherer eine Menge Arbeit vor sich haben.

„Tops und Flops“ sowie mediale Schlammschlachten in den Konzernspitzen

CEO – drei Buchstaben, die beschreiben, dass man es in der Wirtschaftswelt geschafft hat. Doch wie gut sind die Spitzenmanager der Versicherungsbranche wirklich? Wie managen sie Krisen? Wie bringen sie ihre Unternehmen nach vorne? Auch in diesem Jahr hat die Redaktion wieder ein exklusives Ranking der besten amtierenden Chief Executive Officers der zehn beitragsstärksten Erstversicherer am Standort Deutschland erstellt. Der Sieger: Zurich Deutschland-Chef Carsten Schildknecht. Der Versicherungsmanager überzeugte am meisten in den Kategorien Performance, Krisenmanagement, Führungsqualität und Image.

Die Stunde der Sanierer: Besonders diejenigen Spitzenmanager, die einen Turnaround geschafft haben, landeten ganz oben im CEO-Ranking, darunter Carsten Schildknecht von der Zurich Deutschland.

Auf Platz zwei: R+V-Vorstandschef Norbert Rollinger, der im September 2022 auch zum neuen Präsidenten des GDV gewählt wurde. Für den Verband um Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen ist das ein wichtiger Coup. Rollinger kennt die Branche wie seine eigene Westentasche und hat sowohl Lust als auch den Einfluss, sie nachhaltig nach vorne zu bringen.

Seit 2017 steht der gebürtige Rheinländer Rollinger an der Spitze des Genossenschaftsversicherers. Dabei ist der Versicherungsmanager bekanntlich nicht um ein offenes Wort verlegen. Seine Führungsqualitäten hat Rollinger jedenfalls längst bewiesen. So stieg der Gewinn des Konzerns im letzten Jahr dank des guten Kapitalgeschäftes um satte 200 Prozent von 291 Mio. auf 914 Mio. Euro. Nicht nur die Flut, sondern auch die Unsicherheiten durch den Ukraine-Krieg perlen bislang an dem Wiesbadener Versicherer ab.

Positionen von R+V-Vorstandschef Norbert Rollinger zu aktuellen Themen

08.12.2022: R+V-Chef Rollinger: „Das Jahr 2022 hat die Kapitalmärkte verändert“
Mit der R+V Versicherung hat ein weiterer Versicherer seine Gesamtverzinsung in der Lebensversicherung für das Jahr 2023 festgelegt. Dabei folgen die Wiesbadener dem Beispiel der Allianz Leben und wollen ihren Kunden eine höhere Verzinsung gewähren. CEO Norbert Rollinger lobt vor diesem Hintergrund die Europäische Zentralbank, dass sie mit deutlichen Zinserhöhungen gegen die aktuelle Krise ankämpft. „Das war überfällig und ist richtig.“

15.11.2022: Hohe Vertriebskosten: GDV-Präsident Rollinger sieht Fälle von Fehlberatung, aber das sei nur eine „kleine Minderheit“
Als GDV-Präsident muss Norbert Rollinger nun die gesamte Branche auf der großen politischen Bühne verteidigen – in erster Linie die hohen Abschlusskosten in der Lebensversicherung. Im Interview mit der Süddeutschen Zeitung geht er in den Angriffsmodus und kritisiert die Bürger, dass sie ihre Freiheiten aufgeben und bei jeder Krise nach dem Staat rufen. In der Folge würden löchrige Konzepte von der Aktienrente und der Flut-Pflichtversicherung entstehen, weil man die Versicherungsbranche nicht miteinbezog.

30.09.2022: R+V-Chef Rollinger entdeckt „digitales Neuland“
Norbert Rollinger, Chef der R+V und frisch gebackener GDV-Präsident, beschreitet jetzt auch im Internet neue Wege. Sein Wiesbadener Arbeitgeber R+V hat für seinen Vorstandsvorsitzenden einen LinkedIn-Account erstellt. Unter den Bossen der führenden Versicherer in Deutschland fehlen auf dem beliebten Karrierenetzwerk nur noch die Namen Frank Walthes, Wolfgang Breuer und Markus Rieß.

15.09.2022: R+V-Chef Rollinger im Interview: „Das Strategieprogramm Wachstum durch Wandel war das wichtigste Großprojekt in den vergangenen Jahren“
Die R+V feiert ihren 100. Geburtstag. Über den Erfolg des Genossenschaftsgedankens im Jubiläumsjahr, gescheiterte Projekte in seiner Amtszeit, Inflationssorgen und ein mögliches Comeback der Garantieprodukte durch die Zinswende spricht R+V-Chef Norbert Rollinger im Interview mit VWheute.

12.09.2022 R+V-Chef Rollinger will digitale Welt im Metaverse versichern
Die R+V feiert diese Woche ihr 100-jähriges Bestehen. In dieser Zeit gab es nur analoge Dinge zu versichern. Nun haben sich die Wiesbadener im Silicon Valley umgeschaut und R+V-Chef Norbert Rollinger kann sich bald vorstellen, Avataren im Metaverse Versicherungen zu verkaufen.

17.05.2022: R+V-Chef Rollinger: „Ein Verkauf von Lebensversicherungsbeständen kommt für uns nicht infrage“
Das Thema „Run-off“ hat in jüngster Zeit wieder an Fahrt aufgenommen. Allerdings scheint dieser Schritt nicht für jeden Versicherer infrage zu kommen. Nach Ansicht von R+V-Vorstandschef Norbert Rollinger sprechen jedoch einige Gründe dafür.

20.12.2021: R+V-Chef Rollinger: „In unserer Gesellschaft ist die Erkenntnis gereift, dass es so wie bisher nicht weitergeht“
Wie versichern wir pandemische und Elementarrisiken? Wie sieht die Zukunft unseres Generationenvertrages in der Altersversorgung aus? Aber auch: Wie sichern wir die Energieversorgung, wie stoppen wir den Klimawandel? Und welche Rolle spielt die Versicherungsbranche dabei? Die Versicherungsbranche startet in wenigen Tagen in ein neues Jahr, das geprägt sein wird von den tiefgreifenden Veränderungen der beiden zurückliegenden Jahre. Ein Gastbeitrag von R+V-Vorstandschef Norbert Rollinger.

21.06.2021: Norbert Rollinger im Sommerinterview: „Die Pandemie hat den Druck auf die Branche erhöht, sich zu wandeln“ Corona hat die Versicherer ordentlich durchgerüttelt. Dennoch habe die Branche „das Corona-Jahr insgesamt gut überstanden. Das Geschäftsmodell Versicherung funktioniert grundsätzlich gut, das hat sich auch in der Pandemie gezeigt“, betont Norbert Rollinger. Im VWheute-Sommerinterview skizziert der R+V-Chef den digitalen Handlungsbedarf und die Erwartungen der Versicherungswirtschaft an die künftige Bundesregierung.

22.04.2020: Rollinger: „Solche gewaltigen wirtschaftlichen Schäden kann unsere Branche finanziell nicht schultern“
Warum können Versicherer keinen Schutz gegen Pandemien anbieten und mit welchen Kosten rechnet die Branche durch die Corona-Krise? „Wir können noch gar nicht abschätzen, wie hoch die Schäden sein werden. Die hängen von den politischen Entscheidungen ab“, konstatiert R+V-Vorstandsvorsitzender Norbert Rollinger.

17.02.2020: Rollinger äußert sich zu Versicherung für Glücksspiel und Kohle
„Warum sollte man in Deutschland nicht bis 2038 Kohlekraftwerke versichern“? Das ist in diesen Zeiten alles andere als ein harmloser Satz, den R+V-Chef Norbert Rollinger gegenüber einer Wirtschaftszeitung äußert. Während Versicherer wie Allianz, Munich Re und Talanx gar nicht genug Abstand zwischen sich und Kohle bringen können, sieht der R+V Chef darin kein Problem. Ebenso will er weiter Glücksspielbetreiber versichern.

Für höhere Weihen hat sich allerdings auch Debeka-Chef Thomas Brahm empfohlen: Im November 2022 wurde der Versicherungsmanager zum neuen Vorsitzenden des PKV-Verbandes gewählt. Damit tritt er die Nachfolge des scheidenden SDK-Vorstandssprechers Ralf Kantak an, der zum Jahresende in den Ruhestand gehen wird. Dabei hält sich der Debeka-Chef mit den medienwirksamen Auftritten eher zurück. Dennoch ist auch Brahm um deutliche Worte nicht verlegen. Immer wieder bricht er öffentlich eine Lanze für das duale Gesundheitssystem in Deutschland und die private Krankenversicherung. In seiner neuen Funktion dürfte er mit seinen Positionen nun deutlich mehr Gehör in der Branche und der Politik finden.

Bei der Talanx standen indes in den letzten Monaten einige Zeichen auf Trennung: Anfang November 2022 gab der Versicherungskonzern den Abgang von Christopher Lohmann bekannt. Der Versicherungsmanager übergibt seine Aufgaben auf eigenen Wunsch und „in bestem gegenseitigen Einvernehmen“ an den bisherigen Finanzvorstand Jens Warkentin. Lohmanns Entscheidung und ein persönlicher Brief deuten auf einen endgültigen Ausstieg aus der höchsten Vorstandsebene hin. Welche Gründe am Ende wirklich für den vorzeitigen Abgang Lohmanns ausschlaggebend waren, liegt wohl eher im Reich der Spekulation.

Nur wenige Wochen zuvor hatte die HDI-Vertriebsvorständin Stefanie Schlick ihren Posten – nach gerade einmal neun Monaten – wieder hingeworfen. Demnach soll die 50-Jährige dem Aufsichtsrat eine einvernehmliche Beendigung ihres Vertrages angeboten haben, um sich neuen beruflichen Herausforderungen zu widmen. Das Kontrollgremium habe schließlich ihrem Wunsch entsprochen. Laut einem Bericht des Versicherungsmonitor sollen allerdings „deutlich unterschiedliche Positionen zwischen ihr“ und dem amtierenden Vorstandschef Christopher Lohmann über die Vertriebsstrategie des Unternehmens der Grund für ihr Ausscheiden gewesen sein. Wie ihre künftige Karriere aussehen wird, liegt bislang noch im Dunkeln.

„Unterschiedliche strategische Auffassungen“ waren übrigens auch der Grund für den Abgang von Provinzial-Vorstand Markus Hofmann, der das Unternehmen zum Jahresende verlassen wird. Welche Gründe für den Abgang von IT-Vorstand Christian Bielefeld bei der Signal Iduna ausschlaggebend waren, ist – bislang zumindest – nicht bekannt. Der 53-jährige Manager kam im Oktober 2018 zum Dortmunder Versicherungskonzern. Sein Vertrag lief ursprünglich bis zum Herbst 2023. Nun erfolgte die Trennung bereits zum Jahreswechsel – „im besten gegenseitigen Einvernehmen“.

Demgegenüber gilt Talanx-Konzernchef Torsten Leue geradezu als Inbegriff für Kontinuität in der Versicherungsbranche. Die Geschäfte laufen gut für den drittgrößten deutschen Versicherer. Höhere Prämien, verbessertes Konzernergebnis, sogar die Wachstumserwartungen werden angehoben. Es war also nur folgerichtig, dass der Vertrag des stillen Machers vorzeitig bis 2028 verlängert wurde. Das Unternehmen strahlt damit das Signal der Konstanz und Stabilität in die Welt. Den Fähigkeiten eines Oliver Bäte oder Joachim Wenning steht der gebürtige Berliner in nichts nach. Nur in Sachen Gehalt vielleicht.

Deutlich klarer sieht derzeit allerdings die Zukunft der früheren hessischen Landesministerin Silke Lautenschläger aus: Nach zwölf Jahren in der Ergo-Gruppe – davon fünf Jahre als Vorstandsvorsitzende der DKV Belgien und der Ergo Insurance Belgien – verabschiedet sie sich vorerst von der Versicherungsbranche und will sich auf die Arbeit der Deutschen Herzstiftung konzentrieren. Mit Lena Lindemann haben die Düsseldorfer im Sommer 2022 hingegen eine neue Personalchefin gewonnen. Die 41-jährige promovierte Juristin gehört dem Konzern seit 2017 an.

Generali-Chef Giovanni Liverani (r.) bei einer Ausstellung in Berlin. Bildquelle: Generali

Einen deutlichen Sprung in der Karriereleiter nach oben hat in diesem Jahr auch Giovanni Liverani hingelegt: Mitte Dezember wurde der Generali-Chef für die Region Deutschland, Österreich und Schweiz, auch als Verwaltungsratspräsident der Generali (Schweiz) Holding, der Generali Personenversicherungen und der Generali Allgemeine Versicherungen, installiert. Der bisherige Deutschlandchef des italienischen Versicherungskonzerns ist seit langem weitgehend unumstritten – ganz im Gegenteil zu Philippe Donnet. Der Machtkampf um die Konzernspitze – und damit auch um die Zukunft des Franzosen – prägte in der ersten Jahreshälfte die Schlagzeilen. Die medial geführte Schlammschlacht – gepaart mit einer Reihe juristischer Nebenkriegsschauplätzen – ließ dabei die gute Halbjahresbilanz der Triester beinahe vergessen machen.

Von einem Generationenwechsel kann man derzeit auch bei der Nürnberger sprechen: 2023 soll Harald Rosenberger (45) den bisherigen Vorstandschef Armin Zitzmann (61) an der Spitze des fränkischen Versicherers ablösen. Ähnliches kann man auch von der Debeka sagen: Anfang Oktober 2022 trat Laura Müller die Nachfolge von Roland Weber (67) an, der sich nach über 20 Jahren bei der Debeka in den Ruhestand verabschiedet hatte. Dabei gehört die 36-Jährige zu den Eigengewächsen des Konzerns.

Neue Machtverhältnisse gibt es auch beim Berliner Insurtech Element: Erst im Oktober 2022 hatte der Co-Chef des Digitalversicherers Element, Christian Machtseinen Abschied angekündigt. Seitdem führt die ehemalige Axa-Managerin und frühere Co-Chefin Astrid Stange das Unternehmen in Alleinregie. Zudem wird Jörg Schmidt zum 1. Januar 2023 als SVP People und Generalbevollmächtigter beim Berliner Insurtech Element einsteigen. Er wird künftig die Gesamtverantwortung für People und Organization tragen. Der erfahrene Personalstratege kommt von der Axa Deutschland. Und die Allianz SE hat im November 2022 mit Bettina Dietsche eine neue Personalchefin gefunden.

Eine neue Personalchefin bekommt auch die Arag SE im April 2023: Shiva Meyer übernimmt damit die Verantwortung für das Ressort Konzern Human Resources / Group Internal Audit von Werenfried Wendler, der in den Ruhestand gehen wird. Zudem hat neu gewählte Aufsichtsrat der Mylife Lebensversicherung AG Madeleine Bremme mit Wirkung zum 9. Dezember 2022 zur neuen Vorständin bestellt. In ihrer neuen Funktion wird die 44-Jährige künftig die Bereiche Finanzen, Kapitalanlage, Produktentwicklung und Aktuariat führen.

Müßig zu erwähnen, dass sich auch 2022 wieder manch weitere langjährige Versicherungsmanager in den Ruhestand verabschiedet haben oder verabschieden werden – darunter auch der langjährige Vorstandschef der Öffentlichen Versicherung Braunschweig, Knut Maywald. An fähigem Nachwuchs dürfte es der Branche derzeit aber nicht mangeln: Ob Laura Gersch, Katja de la Viña, Zeliha Hanning, Jens Florian-Jansen oder der Ergo-Personalvorständin Lena Lindemann – das Potenzial an aufstrebenden Talenten ist jedenfalls enorm.

Politische Ambitionen eines Versicherungsmanagers

Keine Gedanken an Abschied gibt es derzeit allerdings bei der Deutschen Familienversicherung. Die Querelen um den ehemaligen Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann haben indes die politischen Ambitionen von Stefan M. Knoll – seines Zeichens Gründer und Vorstandschef der DFV – mehr als beflügelt. Dass der Versicherungsmanager durchaus offen Kritik an den politischen Verhältnissen in der Mainmetropole übt, ist längst kein Geheimnis mehr. Bereits im April 2022 hatte er öffentlich seinen Hut für eine Kandidatur um den OB-Posten in den Ring geworfen. So überraschend die Ankündigung in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde, so wenig überraschend war es schließlich, dass der DFV-Chef seinen Vertrag beim Frankfurter Versicherer bereits Anfang Juni 2022 um weitere vier Jahre verlängert hatte.

Stefan Knoll, CEO der Deutschen Familienversicherung. Quelle: DFV

Dass er allerdings mit der Abwahl Feldmanns seine Bemühungen auf den Chefposten in Frankfurt forcieren könnte, dementierte er auf VWheute-Anfrage. „Es stimmt, dass ich Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt werden will. Es stimmt aber auch, dass ich Vorstandsvorsitzender einer börsennotierten Versicherungsgesellschaft bin, die ich nicht beliebig verlassen kann.“ Daher wird der geneigte Beobachter vor allem darauf schauen, ob sein jüngster Kurswechsel nun auch Früchte trägt. Immerhin: Nach dem Umbau im Vertrieb – samt neuem Vertriebschef – nimmt Knoll nun das Marketing in den Fokus. Dabei sollen die Frankfurter Eintracht und seine eigene Tochter künftig eine zentrale Rolle spielen.

Umstrittene Sportevents beschäftigen auch die Versicherer

Apropos Fußball: Es dürfte wohl müßig zu erwähnen sein, dass die Olympischen Winterspiele 2022 in Peking sowie die umstrittene Fußball-Weltmeisterschaft in Katar für Zündstoff in der Versicherungsbranche sorgten. So stand der Gastgeber der Spiele von Peking wegen seiner Menschenrechtsverletzungen ebenso in der Kritik wie auch die Allianz als Sponsor. Bereits 2018 verkündeten die Münchener den Deal, wonach man bis 2028 die Spiele sponsert und absichert. Im Gegenzug erhofft man sich mehr Reichweite.

„Für die Allianz könnte es bedeuten, erstens zu erklären, welches Motiv hinter dem Sponsoring steht – natürlich fernab der internen Marketingziele. Der FC Bayern hat beispielsweise bei der lauten Kritik bezüglich der Nähe zu Katar zu Protokoll gegeben, dass man seine Kraft dafür nutzen will, etwas zu ändern, statt zu boykottieren. Das muss nicht jedem gefallen, ist aber zumindest ein Standpunkt. Zweitens wäre es noch besser, wenn die Allianz historisch belegen könnte, wo man einen ähnlichen Standpunkt bereits einmal bewiesen hat.“

Colin Fernando, Markenexperte und Partner bei der Managementberatung BrandTrust

Deutlich distanzierter zeigten sich manch Branchenvertreter jedoch gegenüber der Fußball-WM im arabischen Emirat Katar. Gerade einmal zwei Tage alt war das Turnier, als vielen bereits die Lust am Milliardenspektakel verging. Bemerkenswert: Ein Versicherer und ein Vorstand zeigen öffentlich klare politische Kante – gegen die Fifa und gegen den Austragungsort.

Das sportliche Abschneiden der DFB-Elf rückte angesichts der öffentlichen Debatte um die „One-Love“-Binde dabei eher in den Hintergrund. Sponsor Ergo will jedenfalls an seinem Engagement für den Sportverband festhalten. Seit diesem Jahr agiert die Ergo als offizieller Versicherungspartner des mächtigen Fußballverbands. Konkret unterstützt das Unternehmen im Rahmen des Vertrages die Nationalmannschaften der Männer und Frauen sowie der U21, die DFB-Akademie oder etwa das Amateurfußball-Portal Fussball.de.

Dass das Ergo-Management die gemeinsamen Zukunftspläne mit dem DFB plötzlich über den Haufen wirft, gilt aber als höchst unwahrscheinlich. Immerhin geht es auch ums Geschäft. Ergo erhofft sich durch den Deal eine stärkere Markenpräsenz nicht nur in Deutschland, sondern vor allem international. Zudem bekräftigte der Versicherer wenige Tage vor dem Turnierstart in Katar noch einmal seine Rolle als Sponsor der Nationalmannschaft. „Wir unterstützen die verschiedenen Initiativen des DFB mit Blick auf Menschenrechte, Diversität und Chancengleichheit und stehen in engem Austausch mit dem Verband“, erklärte Ergo gegenüber VWheute. Auf welcher Ebene sich dieser abspielt, bleibt offen.

Immerhin: Rund 220 Mrd. US-Dollar soll Katar in die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 gesteckt haben. Er kann es sich leisten. Heute zählt das Land zu den reichsten der Welt. 1939 wurden erstmals Erdölvorkommen entdeckt, 1971 proklamierte Katar seine Unabhängigkeit. Kurz darauf gingen alle Ölgesellschaften in staatliche Hand über.

Medienberichten zufolge beträgt die maximale Versicherungssumme für die Weltmeisterschaft 900 Mio. US-Dollar und deckt die zusätzlichen Kosten der FIFA im Falle einer Absage, Verschiebung und/oder Verlegung der Veranstaltung. Zu den versicherten Risiken gehören Naturkatastrophen, Unfälle, Unruhen, Krieg, Terroranschläge und übertragbare Krankheiten.

In Anspruch nehmen mussten die Veranstalter den Versicherungsschutz jedoch nicht. Am Ende standen unter dem Strich vor allem zwei Gewinner: Sportlich war es der argentinische Superstar Lionel Messi, der seine Karriere mit dem dritten WM-Titel für die Albiceleste mit dem größten Triumph nun endgültig krönen und damit in die Fußstapfen des 2020 verstorbenen Diego Maradona treten konnte. Politisch gehört der Gastgeber Katar wohl zu den größten Gewinnern. Innenpolitisch hat das Turnier wohl keine Veränderungen losgetreten – trotz aller Kritik am Umgang mit Frauen, Gastarbeitern und Homosexuellen der Rolle der Menschenrechte.

Quelle: Statista

Ob die Versicherer unter dem Strich als Sieger oder Verlierer aus dem Jahr 2022 gehen, liegt indes im Blickwinkel des Betrachters. Die Herausforderungen im Jahr 2023 sind jedenfalls weiterhin immens. VWheute wird die Branche auch im zehnten Jahr seines Bestehens kritisch verfolgen.

Autor: Tobias Daniel

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