BSV trübt Stimmung bei den Versicherern: „Es ist ein Bild entstanden, als würden wir uns weigern, unserer Verantwortung gerecht zu werden“

Foto: Anastasia Gepp/ Pixabay

2020 war in jeglicher Hinsicht ein Ausnahmejahr: Kaum ein Wirtschaftszweig in Deutschland blieb von Corona verschont. Versicherer scheinen mit einem blauen Auge davon gekommen zu sein, die PKV sieht sogar eine Trendwende in der Vollversicherung. Nur die BSV-Debatte trübt das Gesamtbild. Erkenntnisse aus der diesjährigen digitalen Jahrespressekonferenz des GDV.

Nach Angaben des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) schlossen die Versicherungsunternehmen über alle drei Sparten hinweg mit einem Beitragszuwachs von 1,2 Prozent auf 220,1 Mrd. Euro ab. 2021 sollen die Prämieneinnahmen wieder deutlich steigen. Dabei rechnet der Verband für das laufende Jahr mit einem deutlichen Beitragsplus von zwei Prozent. Dafür müsse es aber nach dem zu erwartenden schwachen Jahresbeginn im Laufe des Frühjahrs zu Lockerungen bei den Einschränkungen und großen Fortschritten, schränkte GDV-Präsident Wolfgang Weiler auf der digitalen Jahresmedienkonferenz des Branchenverbandes jedoch ein.

Allerdings werden die juristischen Auseinandersetzungen um die Betriebsschließungsversicherung (BSV) die Versicherer auch in den nächsten Monaten weiterhin beschäftigen. Dabei sollte die sogenannte „Bayerische Lösung“ im März die coronabedingten Folgeschäden für die Gastronomen und Hoteliers zwar halbwegs abzufedern. Nur bei den Betroffenen selbst stieß das Gebaren der Branche selbst auf wenig Gegenliebe. Während einige bayerische Gastwirte die Versicherer mit einem Schmähvideo durch den Kakao zogen, bevorzugten andere Gastronomen und Hoteliers den Rechtsweg – mit teuren Folgen, entschieden doch einige Gerichte bereits zugunsten der Betroffenen.

Eine klare Linie der Gerichte ist dennoch – bislang – noch nicht zu erkennen. Während das Landgericht Regensburg jüngst zugunsten der Dialog entschied, hatte das Landgericht München I erst Ende November 2020 der Klage von Jürgen Lochbihler, dem Wirt des Pschorr am Münchener Viktualienmarkt, stattgegeben. Demnach muss der Versicherer dem Gastronomen rund 465.000 Euro zahlen.

Im Mittelpunkt des Streits steht dabei noch immer die Interpretation der Vertragsbedingungen in der BSV. Dabei gab sich GDV-Präsident Weiler durchaus auch ein wenig selbstkritisch: „Corona hat dabei ein Produkt in die öffentliche Wahrnehmung katapultiert, das bislang nur wenige kannten: die Betriebsschließungsversicherung. Fest steht: Versicherer haben auch hier geleistet – für tatsächlich versicherte Fälle. Doch die Betriebsschließungsversicherung war nie für eine globale Pandemie oder bewusste politische Entscheidungen wie einen Lockdown konzipiert. Vor allem Gastwirte und Hoteliers haben uns unter anderem vorgeworfen, dies in den Bedingungen nicht eindeutig genug formuliert zu haben“.

Dies habe „zweifellos Spuren beim Image unserer Branche hinterlassen und wir nehmen die Kritik sehr ernst. Umso wichtiger ist es, Lehren zu ziehen und Antworten zu finden: Neue unverbindliche Musterbedingungen unseres Verbandes für die Betriebsschließungsversicherung schaffen nun mehr Klarheit, wann gezahlt wird und wann nicht“, so Weiler.

„Pandemien hebeln das Versicherungsprinzip aus und sind daher rein privatwirtschaftlich nicht zu versichern. Darüber herrscht weltweit Konsens. Das entbindet uns aber nicht von der Pflicht, über den Tellerrand hinaus zu denken“.

Wolfgang Weiler, Präsident des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft

Dabei seien „Betriebsschließungsversicherungen in Deutschland eigentlich eine Randsparte, die durch die Pandemie in den Fokus der Öffentlichkeit geraten“ seien, ergänzt Norbert Rollinger. Was man aber sagen könne: „25 Mio. Euro Beitragseinnahmen bei 20 Mrd. Euro an versicherten Risiken“. Dabei habe die Branche „untere Schätzung“ bereits 900 Mio. Euro schon geleistet. Dies laufe, „wenn man richtig rechnet“ auf eine Schadenquote von „über 3.000 Prozent“ heraus.

Allerdings sei „in der Öffentlichkeit ein Bild entstanden, als würden wir uns hier weigern, unserer Verantwortung gerecht zu werden“. „Entgegen der öffentlichen Meinung ging die überwiegende Zahl nach unseren Erkenntnissen in den überwiegenden Fällen“ zugunsten der Versicherer aus, „wo die Gerichte die Bedingungen für standfest halten“, betont Rollinger.

Dabei brachte der R+V-Chef erneut den Vorschlag des GDV nach einem privat-staatlichen Pandemieschutz ins Spiel, der eine privat-staatliche Deckung für kleine und mittlere Unternehmen vorsieht. „Wir sind weiterhin mit der Politik im Gespräch. Aber ist ganz klar: Die aktuelle Corona-Bewältigung führt eben dazu, dass die Gespräche noch nicht ganz weit vorangeschritten sind“, ergänzt Rollinger.

Dabei rufe man „mitnichten reflexartig nach dem Staat, der es im Zweifel richten soll. Vielmehr ist und bleibt es oberstes Ziel, privatwirtschaftlich funktionierenden Versicherungsschutz bereitzustellen, bei dem der Staat außen vorbleibt, gar entlastet werden kann“, ergänzt Weiler. Allerdings gehe es „aber nicht immer ohne Staat, etwa wenn die Schäden – wie bei einer Pandemie – unkalkulierbar werden oder ein gesamtwirtschaftliches, gesellschaftliches Interesse besteht. Wir sind dann gefordert, mit unserer Expertise überzeugende Angebote zu unterbreiten, bei der staatliche Hilfe im Gesamtpaket mit privatwirtschaftlichen Lösungen Sinn macht.“

Die Allianz selbst hat jedenfalls schon Nägel mit Köpfen gemacht: So will der Münchener Versicher die bisherigen Bestandsverträge in der BSV loswerden und bietet ihren Kunden – branchenübergreifend – neue Verträge an. Sollten diese das neue Angebot nicht annehmen, werden die bestehenden Verträge gekündigt. Andere Versicherer folgen dem Beispiel.

Quelle: GDV

Kompositversicherer kommen glimpflich durch das Jahr 2020

Insgesamt sind die Sachversicherer laut GDV jedoch noch recht glimpflich durch das Jahr 2020 gekommen. So stiegen die Beitragseinnahmen nach Hochrechnungen des Branchenverbandes um 2,1 Prozent auf 74,8 Mrd. Euro. Gründe für das im Vorjahresvergleich abgeschwächte Wachstum (2019: plus 3,5 Prozent) liegen in fast allen Segmenten. In der größten Teilsparte Kfz-Versicherung haben es zahlreiche Unternehmen ihren Kunden ermöglicht. Die Schaden-Kosten-Quote lag 2020 bei 90 Prozent (2019: 92,8 Prozent).

Gleichzeitig gingen die Leistungen im gesamten Schaden- und Unfallbereich im Jahr 2020 um 2,5 Prozent auf voraussichtlich 52,0 Mrd. Euro zurück. Durch die bislang zwei Lockdowns entstanden zwar hohe Aufwände für ausgefallene Veranstaltungen und Betriebsschließungen, so der Branchenverband. Gleichzeitig wurden aber auch weniger Unfälle im Straßenverkehr oder bei Freizeitaktivitäten sowie weniger Einbrüche, Warentransporte und aufgrund der ausgesetzten Insolvenzantragspflicht auch weniger Firmenpleiten verzeichnet. Zudem liege das vergangene Jahr mit Schäden durch Naturgefahren von voraussichtlich 2,5 Mrd. Euro deutlich unter dem langjährigen Mittel von 3,7 Mrd. Euro.

Die Lebensversicherer scheinen indes im letzten Jahr besonders an den Folgen der Pandemie gelitten: 2020 verzeichneten die Lebensversicherer, Pensionskassen und Pensionsfonds ein Minus von 0,4 Prozent auf knapp 103 Mrd. Euro. Die laufenden Beiträge gingen dabei um 1,0 Prozent auf 64,4 Mrd. Euro zurück, während die Einmalbeiträge um 0,4 Prozent auf 38,3 Mrd. Euro zulegten.

Allianz-Lebenchef Andreas Wimmer gab sich rückblickend dennoch versöhnlich: „Ich glaube man sieht, dass wir als Branche gut durch dieses Jahr 2020 in der Lebensversicherung gekommen sind. Das zeigen die Zahlen.“ Dennoch sei die aktuelle Nullzins-Phase eine Herausforderung, die man annehmen werde, so Wimmer. Dabei gebe es auch entsprechende Veränderungen auf der Produktseite und bei den Kapitalanlagen, so der Allianz-Manager weiter. Dabei will sich Marktführer Allianz ab diesem Jahr von der 100-Prozent-Garantie verabschieden. Die Ergo schließt diesen Schritt nicht mehr aus. Eine weitere Senkung des Höchstrechnungszinses dürfte den Trend aber nicht mehr aufhalten. Die Bafin bleibt indes optimistisch. Die Corona-Pandemie setze den Lebensversicherern in der Kapitalanlage zwar zusätzlich zu, „existenzbedrohend ist die Situation aber aus heutiger Sicht nicht“, sagte Präsident Felix Hufeld bereits im Mai 2020.

Private Krankenversicherer sehen Trendwende in der Vollversicherung

Die privaten Krankenversicherer (PKV) geben sich trotz Corona auch weiterhin selbstbewusst: So stiegen die Beitragseinnahmen der privaten Krankenversicherungsunternehmen erhöhten sich 2020 um 3,8 Prozent auf 42,6 Mrd. Euro. Davon entfallen 38,4 Mrd. Euro auf die Krankenversicherung (plus 1,5 Prozent). In der Pflegeversicherung lagen die Einnahmen bei 4,2 Mrd. Euro (plus 31,2 Prozent). Im Wesentlichen wurde dies durch Mehrleistungen im Zuge der gesetzlichen Pflegereformen verursacht.

Die ausgezahlten Versicherungsleistungen der PKV nahmen um 0,2 Prozent zu auf 30,1 Mrd. Euro. Auf die Krankenversicherung entfallen davon 28,4 Mrd. Euro, auf die Pflegeversicherung 1,7 Mrd. Euro. Der Bestand aus Voll- und Zusatzversicherungen erhöhte sich um mehr als 600.000 auf 36 Millionen.

Zudem boten nach Angaben des PKV-Verbandes im Jahr 2020 rund 13.500 Unterneh­men in Deutschland ihren Mitarbeitern eine komplett vom Arbeitgeber gezahlte betriebliche Krankenversicherung (bKV) an. Das entspricht einem Wachstum von 29 Prozent gegenüber dem Jahr 2019 (10.500 Betriebe). Die Zahl der Beschäftigten, die von einer bKV profitieren, stieg um 18 Prozent von 883.400 (2019) auf 1,04 Millionen Personen (2020).

„Die Private Krankenversicherung ist auch 2020 weiter gewach­sen. Die Gesamtzahl an Versicherungen stieg auf 36 Millionen. Die Zahl der Zusatzversicherungen wuchs um 2,4 Prozent auf insgesamt 27,3 Millionen. Der Trend zu privater Vorsorge, um den Leistungsumfang der Gesetzlichen Krankenversicherung aufzustocken, setzt sich somit fort.“

Ralf Kantak, Vorsitzendes des PKV-Verbandes

Zudem sehen die privaten Krankenversicherer der Vollversicherung eine Trendwende: So haben sich nach Angaben des PKV-Verbandes im Jahr 2020 insgesamt 144.800 Personen für einen Wechsel aus der GKV in die PKV entschieden. Umgekehrt wechselten 123.400 Personen in die GKV, wobei diese Abgänge in der Regel nicht freiwillig erfolgen. So mussten auch 2020 wieder tausende seit Geburt privatversicherte junge Leute beim Eintritt ins Berufsleben gezwungenermaßen in die GKV wechseln. Derselbe Effekt betraf tausende Selbstständige bei Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Im Saldo ergab sich ein Plus von 21.400 Versicherten zugunsten der PKV (Saldo 2019: plus 17.400), erläutert PKV-Verbandsvorsitzender Ralf Kantak.

Dennoch dürfte auch Corona im letzten deutliche Spuren in der Bilanz der privaten Krankenversicherer hinterlassen haben. 2Bei den Sonderaufwendungen für die Corona-Pandemie rechnen wir mit einer Zusatzbelastung von etwas über einer Milliarde Euro“, konstatiert PKV-Verbandsdirektor Florian Reuther, bereits Mitte Dezember 2020. Auf die aktuellen Beitragsanpassungen habe die Pandemie jedoch keinen Einfluss.

Corona beschleunigt digitalen Wandel

Einig sind sich die Versicherer weitgehend darin, dass Corona den digitalen Wandel in der Branche beschleunigt hat. Ursächlich seien dafür vor allem ein verändertes Kundenverhalten, die flächendeckende Einführung von Homeoffice und besonders der Wandel in der Beratung und der Schadenabwicklung. „Wir erleben eine völlig veränderte Realität“, betont Weiler.

„Die Vertriebsprozesse haben sich so völlig verändert“, ergänzt Wimmer. So würden die Kunden vor allem in den beratungsintensiven Sparten wie Lebens- oder Berufsunfähigkeitsversicherung vermehrt auf Informationen aus dem Netz zugreifen, ehe sie sich mit ihren persönlichen Wünschen an einen Berater wenden.

Zudem habe sich die Einstellung der Branche zu Investitionen in Technologie geändert. Galten die lange Zeit vor allem als hoher Kostenfaktor. Daher rühmen sich die Versicherer inzwischen mit einer IT-Kostenquote auf einem neuen Rekordhoch von 2,52 Prozent. Zum Vergleich: 2017 waren es laut GDV noch 2,17 Prozent.

Autor: Tobias Daniel

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