Strukturproblem in der PKV? OLG urteilt final gegen Prämienanpassung im Fall Axa

Bildquelle: Mohamed Hassan/ Pixabay

Erneut hat ein Gericht eine PKV-Beitragserhöhung für ungültig erklärt. Im Kern des Streits stehen die Beitragskalkulation, die Verwendung von Limitierungsmitteln sowie formale Aspekte. Die betroffene Axa spricht von einem Einzelfall und ist trotz des rechtskräftigen Urteils der Auffassung, richtig kalkuliert zu haben. Doch sowohl der Axa wie auch der DKV drohen neue Prozesse, denn der im vorliegenden Fall erfolgreiche Anwalt Knut Pilz sieht „Angriffspunkte für materiell unwirksame Prämienanpassungen bei mehreren Versicherern“.

In früheren Prozessen zu Prämienanpassungen waren eher formale Fragen entscheidend, beispielsweise die Rolle des Treuhänders oder prämienauslösende Faktoren. Diesmal hat der Berliner Anwalt Pilz einen Kalkulationsfehler festgestellt, den die Axa allerdings bestreitet. Die Korrektheit der Beitragskalkulation werde im Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Stuttgart „gar nicht infrage gestellt“. Laut Axa habe der Sachverständige lediglich mit Blick auf einen „kleinen Teilbereich der Beitragsanpassung“, die sogenannten Limitierungsmittel, ausgesagt, dass ihm zur ausführlichen Überprüfung „nicht alle erforderlichen Dokumente vorlägen“. Für den PKV-Verband ging es daher „letztlich um die formale Frage“, wie „vollständig die Dokumentation der Mitwirkung des mathematischen Treuhänders sein soll“. 

Kein „nachvollziehbares Limitierungskonzept“?

 „Wir sehen Angriffspunkte für materiell unwirksame Prämienanpassungen bei mehreren Versicherern.“

Knut Pilz, Rechtsanwalt

Im Urteil ist zu lesen, dass eine Beurteilung der einzelnen Tarife mit den vorgelegten Daten nicht möglich war. „Wir haben alle Dokumente vorgelegt, deren Vorlage nach unserer Auffassung erforderlich gewesen ist und die wir im Rahmen des Beweisbeschlusses vorlegen durften. Die Vorlage weiterer Unterlagen war aus verfahrensrechtlicher Sicht nicht möglich“, schreibt der Versicherer. Das Gericht und der Sachverständige stellen letztlich fest, dass anhand der Unterlagen schon nicht geprüft werden kann, „dass die Voraussetzungen für eine Anpassung vorlagen“, erklärt Pilz. Der Treuhänder hätte bei einer solchen Sachlage der Beitragserhöhung „nie zustimmen dürfen“. Die Axa habe letztlich kein „nachvollziehbares Limitierungskonzept bei der Verwendung der Mittel“ vorgelegt. Die Angesprochene war vom Ergebnis des Prozesses überrascht. 

„Wir sind weiterhin der Auffassung, dass wir richtig kalkuliert haben“, schreibt die Axa. „Das Gericht hat – zu unserer Überraschung – aus der Aussage über einen kleinen Teilbereich auf die Unwirksamkeit der gesamten BAP geschlossen“.

Es ist diskutabel, ob der Aspekt der Limitierungsmittel tatsächlich „klein“ ist. Die Axa kann einzelne Tarife nach ihren Vorstellungen „stützen“ und andere Tarife benachteiligen. Dies machen Versicherer z.B., um die Prämien für aktuelle Tarife, die noch verkauft werden, möglichst auf Kosten von alten und geschlossenen Tarifen niedrig zu halten, erklärt Pilz. Es bestehe dann aber die Gefahr, „dass geschlossene Tarife mit zumeist alten Versicherten die aktuellen Tarife mit zumeist jungen Versicherten subventionieren“. Das sei unzulässig. Vorliegend konnte der Sachverständige und das Gericht zumindest nicht ausschließen, dass dies hier geschehen ist, sagt Pilz.

Weitere Verfahren

Der PKV-Kunde erhält etwas über 2.000 Euro. Er trägt zudem nur die geringere Prämie, also ohne die fehlerhafte Erhöhung. Hinzu kommen für die Axa noch ungefähr 8.500 Euro Anwalts- und Gerichtskosten für zwei Instanzen.

Auszug aus dem zugrundeliegenden Urteil, Oberlandesgericht Stuttgart.

Entscheidender für die Axa – und weitere Versicherer – wird sein, wie viele Betroffene sich ebenfalls zu einer Klage entscheiden.

Fehlerhafte Kalkulationen sind in der PKV zumindest kein Einzelfall. Laut Pilz sei die Sachlage bei den Versicherern „sehr unterschiedlich“. „Wir sehen Angriffspunkte für materiell unwirksame Prämienanpassungen bei mehreren Versicherern, insb. der AXA und DKV. Im Einzelnen hänge das auch von den Tarifen und Jahren ab“, erläutert Pilz.  Es gäbe aber auch Versicherer, bei denen wir von Klage abraten, hierzu „gehört bspw. die Debeka“.

Die Axa glaubt nicht an eine Folgewirkung. „Das Urteil hat nach unserer Einschätzung keine Auswirkung auf weitere Prozesse“. Es handle sich um eine Einzelfallentscheidung und  wirke nur „für und gegen die am Verfahren beteiligten Parteien“. Der Jurist Pilz  ist dagegen von weiteren Prozessen überzeugt. „Bei diesem Kalkulationsfehler gehen wir davon aus, dass die Axa den über viele Jahre und auch noch in jüngerer Zeit gemacht hat.“ Jeder Versicherungsnehmer sei betroffen, „da der Fehler alle Tarife betrifft“. Weitere Rechtsmittel hat die Axa nicht. Entscheidend wird sein, ob sie ihre Anpassungen gegenüber Richter und Sachverständigem rechtzeitig begründen kann.

Auszug aus dem zugrundeliegenden Urteil, Oberlandesgericht Stuttgart.

Die Axa ist zuversichtlich: „In anderen Verfahren zu vergleichbaren Fragestellungen etwa haben wir genau anderslautende, für uns positive Gutachten erhalten.“

Strukturelles Problem in der PKV?

„Gerichtsurteile über Einzelfälle sind noch kein Hinweis auf vermeintliche Strukturprobleme.“

PKV-Verband

Die Beitragserhöhungen sind in der PKV stets ein heikles Thema. Einige Politiker nehmen diese gerne zum Anlass, das gesamte duale System infrage zu stellen, die Versicherungsnehmer gehen juristisch gegen die Erhöhungen vor, die nach klaren und komplizierten Vorgaben erfolgen müssen. Die Streitthemen der letzten Jahre waren beispielsweise der Einsatz des Treuhänders oder die Anwendung des Faktors, der die Erhöhung auslöst. Nicht selten unterliegen die Versicherer in den Prozessen, die teilweise erst am Bundesgerichtshof enden. Ein grundlegendes Prämienanpassungsproblem gäbe es aber nicht, sagt der PKV-Verband.

Infobox: Wesentliche PKV-Prozesse in den letzten drei Jahren.

2018; Treuhänderprozess. Im Kern stand die Frage, ob die Unabhängigkeit des Prämienanpassungen prüfenden Treuhänders von Zivilgerichten oder der Finanzaufsicht geprüft werden muss. Link.
2019; weitere Klagen gegen die Prämienanpassungen werden vorbereitet und teilweise eingereicht. Link.
2020; Anwälte konzentrieren sich bei ihren Klagen auf den „Prämienauslösenden Faktor„. Link.
2020 (2); Anwälte kritisieren die Begründungen der Versicherer bei der Prämienerhöhung. Link.
2021; Bafin schaltet sich verstärkt ein, Versicherer versuchen teilweise proaktive Schadenbegrenzung. Link.
2021 (2); Anwälte kritisieren die Kalkulation wegen Limitierungsmitteln und formalen Aspekten.

„Gerichtsurteile über Einzelfälle sind noch kein Hinweis auf vermeintliche Strukturprobleme, zumal da die Anzahl der Prozesse von einer Handvoll Anwaltskanzleien bewusst in die Höhe getrieben wird.“ Die meisten aktuellen Prozesse würden sich um die Frage drehen, ob die jeweilige Begründung einer früheren Beitragsanpassung den formalen Anforderungen genügt. „[…] Die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs bringen nun eine rechtliche Klärung und präzisieren die im Gesetz nicht eindeutig geregelten Anforderungen.“ Ähnlich sieht es auch die Axa: „Die Vielzahl an Verfahren begrüßen wir, da sie dazu beitragen, Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu schaffen.“ In der Vergangenheit hätte es Interpretationsspielräume bezüglich der formalen Vorgaben an eine Beitragsanpassung gegeben.

Bei so viel Liebe zur Transparenz und gerichtlichen Klarstellungen wird es Versicherer und Verband freuen, dass der Jurist Pilz  „bei mehreren Versicherern ähnliche, z.T. aber auch andere, Angriffspunkte entdeckt“ hat. Diese werden „gerade gerichtlich geklärt“.

Autor: Maximilian Volz

2 Kommentare

  • Schön, dass Herr Volz so offenkundig auf Seiten des Anwalts Pilz steht. Eines Anwalts, der ein Verfahren nach dem anderen anstrengt und den Kunden mit den gewonnenen Klagen zeigt, „seht her, Ihr werdet alle nicht richtig behandelt, Ihr könnt Euer Geld zurück bekommen“. Daraus entstehen dann immer mehr Klagen, die die Gerichte lahmlegen. Und natürlich erweckt der Anwalt mit seiner Vorgehensweise bei den Richtern den Eindruck, als handele es sich um ein Massenphänomen, also wird schon was dran sein. So unabhängig im Geiste kann kein Richter sein, davon nicht beeinflusst zu werden. Wie eine selbsterfüllende Prophezeiung.
    Aber erklärt der Anwalt, der erhebliches Honorar bekommt, seinen Mandanten auch, dass dann die nächsten Erhöhungen um so deftiger ausfallen MÜSSEN? Dass am Ende des Tages nur einer gewinnt: Die Anwälte? Sagt er Ihnen das? Würde mich wundern.

  • Was Herr Volz womöglich noch nicht weiß und Anwalt Pilz seinen Mandanten vielleicht auch verschweigt? – Angenommen der Kläger ist Arbeitnehmer, dann steht dem Arbeitgeber wahrscheinlich 50% der erstatteten Prämie zu (Arbeitgeberzuschuss zur PKV). Darüber hinaus werden Prämienanteile der persönlichen Altersrückstellungen entzogen. Wenn die Prämie steuerlich abgesetzt wurde, möchte auch das Finanzamt eingesparte Steuern zurück haben. Stellt sich die Frage, ob es das dann alles wert war. Ich möchte keinesfalls die Klage an sich infrage stellen. Kalkuliert sollte schon korrekt werden. Die Versicherer werden, denke ich, daraus lernen.

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