Nach Urteil zu PKV-Prämienanpassung: Zweistellige Millionenforderungen, „Heilungsversuche“ und heikle Fragen

Der Bundesgerichtshof entschied zugunsten der Axa. Quelle: BGH

Das kürzlich erfolgte BGH-Urteil zur Prämienanpassung in der PKV wird viele weitere nach sich ziehen. Allein die Kanzlei Pilz hat 2.000 weitere Klagen laufen und spricht von „über 5.000 Euro zuzüglich Zinsen“ als „durchschnittlichen Rückerstattungsbereich“. Das wären in der Summe zehn Millionen zuzüglich Anwalts- und Gerichtskosten. Einige Versicherer versuchen laut dem Experten derzeit alte Prämienfehler zu heilen, was „rechtlich mehr als zweifelhaft“ sei. Ein neues Kapitel in der PKV-Prämien-Geschichte ist eröffnet. Eventuell mit der Bafin als neuen Mitspieler.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat im Dezember über die Prämienerhöhung in der privaten Krankenversicherung (PKV) geurteilt. In der Entscheidung ist bestätigt worden, dass bei einer Prämienanpassung nach § 203 Abs. 2 VVG diese erst dann in Kraft tritt, wenn dem Versicherten eine Begründung für die Anpassung zugekommen ist, die den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG genügt. Während bis zum Jahr 2008 eine Prämienanpassung lediglich einer Zustimmung des Treuhänders bedurfte, muss der Versicherungsnehmer nunmehr auch bezüglich des Anlasses für die Prämienanpassung informiert werden. Allerdings muss das Unternehmen den Kunden nicht über die konkrete Veränderung einer Rechnungsgrundlage informieren.

Die vom Urteil betroffene Axa begrüßt das Urteil. Es sei „weitere Rechtssicherheit für alle Beteiligten geschaffen worden“. Der BGH hat in seiner Entscheidung die formellen Anforderungen an die Mitteilung zur Beitragsanpassung an Kunden konkretisiert. Denn „ob und wie“ Kunden zu informieren sind, ist in der entsprechenden Gesetzesgrundlage nicht vorgegeben, schreibt der Versicherer.

Ob tatsächlich Rechtssicherheit geschaffen wurde, ist fraglich. Die Ordnungsgemäßheit der Begründung sei nicht klar, erklärt der Berliner Anwalt Knut Pilz, der vor dem BGH gegen die Axa stritt. Mithin werde es in „Einzelfällen“ weiterhin zu unterschiedlichen Rechtsauffassungen bei einzelnen Begründungen der jeweiligen Versicherer kommen. Das Wort „Einzelfall“ ist an der Stelle aus Sicht der Branche euphemistisch. „Aktuell führen wir ca. 2000 Verfahren vom Amtsgericht bis hin zum BGH“, erklärt der Anwalt. Da sich die Miteillungen zur Beitragsanpassung (BAP) bei einem PKV-Anbieter wenigstens in einer zeitlichen Periode und pro Tarif ähneln, dürfte die Erfolgsaussicht für den Anwalt groß sein. Darüber hinaus weisen auch die Schreiben der verschiedenen Anbieter viele Ähnlichkeiten auf, da die Unternehmen sich untereinander austauschen und mitunter in Arbeitsgruppen arbeiten, wie ein Insider erklärt.

Eine Kanzlei, zehn Millionen – und die Bafin

Beunruhigen dürfte die Branche auch die numerische Dimension. Kürzlich hat die Kanzlei Pilz vor dem OLG Frankfurt am Main ein „rechtskräftiges Urteil“ erstritten, wonach dem Versicherungsnehmer über 5.000 Euro zuzüglich Zinsen zustehen. Dieser Betrag liege „im durchschnittlichen Bereich“ bei dieser Art von Prozessen. Es ist sicher, dass die Berliner Kanzlei Pilz nicht der einzige Ort Deutschlands ist, an dem an solchen Klagen gearbeitet wird. Die Argumentation bei Gericht bleibt dabei nicht bei den formellen Mängeln, vielmehr werden auch Kalkulationen der Tarife und die jeweiligen Anpassungen geprüft.

Bezüglich der zu erwartenden Rückzahlungen wird „viel davon abhängen“, ob die betroffenen Unternehmen allen ihren Versicherungsnehmern „außergerichtlich die Rückzahlungsansprüche zubilligen oder sich verklagen lassen“, analysiert der Anwalt. Letzterer Fall wäre „sicherlich etwas für die Bafin“. Allerdings fürchtet Pilz, dass „erfahrungsgemäß alle Ansprüche verjährt sein dürften“, bevor die Bonner eingreifen.

Für andere Versicherungsnehmer ergeben sich aus diesen beiden Urteilen „keine Ansprüche“, da „die Urteile in einem Zivilverfahren ergangen“, schreibt die Axa. Klingt so, als würde sich das Unternehmen eher „verklagen lassen“, als Ansprüche zuzubilligen.

Heilung möglich, Kosten bleiben

Der BGH hat in seinem Urteil entschieden, dass eine formal unwirksame BAP geheilt werden kann. „Dadurch, dass die von uns in den Beitragsanpassungen seit 2017 verwendeten Mitteilungsschreiben den nun konkretisierten formellen Anforderungen entsprechen, haben diese Kunden eine wirksame Beitragsanpassung und zahlen somit wirksame Beiträge.“ Wenn die neuen BAP gesetzeskonform sind, gibt es ab Erhalt keine neuen Forderungen. Jedoch bleiben die Rückforderungsansprüche der Versicherungsnehmer für die Vergangenheit davon unberührt.  

Andere Versicherer scheinen von dem Urteil aufgeschreckt worden zu sein. Die Ergo-Tochter DKV, die in der Angelegenheit bereits Urteile gegen sich hinnehmen musste, ist laut Pilz schon aktiv geworden. „Die DKV hat in den letzten Tagen bei einer Vielzahl von Versicherungsnehmern mittels eines nicht näher erläuterten Schreibens – ohne die Rechtsprechung des BGH zu erwähnen – teilweise Prämienanpassungen, die mehr als zehn Jahre zurückliegen, durch neue Begründungen zu heilen versucht.“ Dem Anwalt erscheint dieses Vorgehen „in dieser Form“ rechtlich „mehr als zweifelhaft“. Das Unternehmen antwortet: „Wir haben im Januar 2021 unsere Vollversicherungskunden über aktuelle Regelungen zur Heilmittelversorgung in unseren Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) und auch aufgrund von Kundennachfragen zu früheren Beitragsanpassungen zu diesem Thema entsprechend informiert.“

Das Thema Begründung der Beitragserhöhung wird nicht verschwinden. Wie hoch die Forderungen an die Branche letztlich ausfallen, kann niemand beziffern. Der PKV-Verband möchte „zwei Einzelfälle“ aus einem Mitgliedsunternehmen nicht kommentieren und auch „nicht über Folgerungen spekulieren“.

Die Axa geht davon aus, dass  „weit überwiegend nur Beiträge aus den Jahren vor 2017“ zurückverlangt werden. Wie das bei anderen Unternehmen ist, werden die kommenden Urteile zeigen. Das ausschlaggebende Argument für die Höhe der Forderungen ist die Güte der BAP in Vergangenheit und Zukunft – nicht unwesentlich dürfte zudem die Zahl der Anwälte sein, die auf den Klagezug aufspringen.

Autor: Maximilian Volz

Anmerkung der Redaktion: Die Antwort der DKV wurde am 4. Februar 2021 hinzugefügt.

6 Kommentare

  • Was für ein unsolidarischer, formaler Unfug!

  • Danke für diesen tollen Blog. War sehr interessant zu lesen.

  • Rolf-Peter Falk

    Eine gute und aufschlussreiche Begründung wäre sehr gut. Vielleicht begreift man als Betroffener dann eher eine Notwendigkeit dieser und künftiger Beitragsanpassungen. Ich frage mich immer wieder warum nur die PKV angeprangert wird. Die GKV leistet nichts, schreibt den Ärzten vor wie sie zu behandeln haben und erhöht die Beiträge jedes Jahr mehrfach ohne gänzliche Begründung. Mehrfach soll heißen: bei Gehaltserhöhungen, bei Erhöhung der BBG, bei Erhöhung des Zusatzbeitrages usw. Das stört wohl niemanden. Nun wünsche ich jedem Befürworter der GKV eine ordentliche Zahnersatzrechnung mit € 40.000,00 und dann noch eine Brille mit Verlaufgläsern. Ergebnis: Auto verkaufen und zu Fuß gehen. Die völlig unzureichende medizinische Versorgung und Einschränkung bei der Behandlung lassen wir mal weg.

  • Peter Müller

    Der BGH macht in seiner Regulierungswut immer weiter ohne Sinn und Verstand. Da wurde ein Gesetz 2008 geschaffen, das offenkundig nicht erklärt, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit die Erhöhung rechtswirksam ist. Nun geht der BGH hin und erklärt rückwirkend, dass die Erklärungen nicht ausreichen. Wie kann ein Gericht sich erdreisten, ja, so muss man es leider nennen, rückwirkend jemanden zu bestrafen für etwas, dass er nicht bewusst erfüllen konnte?
    Verbraucherschutz ist wichtig und gut, aber doch bitte auf die Zukunft gerichtet, wenn zuvor die Regelungen nicht klar waren.
    Und die Versicherten, was kommt auf die nun zu? Als Versicherungsunternehmen müsste man nun die Rückzahlungen leisten, dann werden die auslösenden Faktoren für Erhöhungen überschritten und im Folgejahr steigen die Beiträge dann nochmals mehr, da ja die Rücklagen wegen der Rückzahlungen minimiert wurden und somit weniger Zinsgelder in die Prämienkalkulation fließen. Am Ende hat dann nur einer verdient: Der Anwalt. Und ich Dummerchen dachte immer, dass Anwälte zum Vorteil ihrer Mandanten arbeiten sollten und würden…. herrjeh…

  • Ach die armen Krankenkassen. Ja wenn innerhalb von vier Jahren zweimal eine Erhöhung von 25% erfolgt kann man doch mal genau nachschauen warum eigentlich. Vielleicht könnte man diese Erhöhungen auch heilen. Ich empfehle jedem(der eine Rechtsschutzversicherug
    hat) zu klagen. Wenn das alle machen geht die PKV vielleicht daran kaputt und wir haben dann eine Bürgerversicherung.
    Aber Spaß beiseite. Ich glaube um die Versicherungen braucht sich keiner Sorgen zu machen. Bisher haben noch alle überlebt.

  • Immer das leidige Thema mit den PKV-Prämien. Wann hat das mal ein Ende? Interessant wird jetzt, welche Maßnahmen die Versicherer unternehmen und wie die Versicherten darauf reagieren werden.

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