Fehlkalkulationen? Rückversicherer stolpern über ihre eigenen Füße

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Das Rückversicherungsgeschäft prosperiert. Die Unternehmen wittern Corona zum Trotz dank steigendem Rückversicherungskapital und Prämien erhebliche Zuwächse und blicken freudig in die Zukunft. Doch die Branche hat Fehler gemacht, die kaum zu erklären sind und in Zukunft noch Probleme bereiten werden.  

Die Preise für die Rückversicherung steigen wieder, was gut für die Rück- und nicht so gut für die Erstversicherer sowie die industriellen Endkunden ist. Allerorts wird sich auf einen realen Risikotransfer eingestellt. „In diesem Jahr werden wir wieder an die vor der Pandemie anvisierte Gewinnhöhe anknüpfen“, glaubt Munich Re-CEO Joachim Wenning. Die Voraussetzungen stimmen, die Rückversicherung ist „bestens aufgestellt“, um Chancen und ein profitables Wachstum im verbesserten Marktumfeld „konsequent zu nutzen“, glaubt der CEO.

Die Aussichten sind tatsächlich gut. Im Jahr 2020 wurden in den Rückversicherungsmärkten Prämieneinahmen von rund 402 Mrd. US-Dollar erzielt. Für das laufende Jahr wird eine Steigerung von 8,1 Prozent prognostiziert, zeigt eine Analyse der Zeitschrift Versicherungswirtschaft, die sich in ihrer April-Ausgabe intensiv mit dem Rückversicherungsmarkt beschäftigt.

Neben den Prämien stieg im siebten Jahr in Folge das Rückversicherungskapital sowie zusätzlich die Underwriting-Profitabilität, wie eine aktuelle Analyse von Willis Towers Watson zeigt.

Quelle: Willis Towers Watson

Das zusätzliche Kapital stammt sowohl von den etablierten Unternehmen wie von Neugründungen, beispielsweise Vantage oder Conduit Holdings. Den Rückversicherungsmarkt entscheidend verändern könnte der Zusammenschluss von Willis Towers Watson und Aon, der sich weiter in der Schwebe befindet. Allerdings ist Aon nun offenbar gegenüber den Aufsichtsbehörden zu Zugeständnissen bereit – VWheute berichtete.

Ein Zusammenschluss würde die Rolle der Rückversicherungsmakler aus dem oligopolistischen in den duopolistischen Bereich verschieben und dafür sorgen, dass Makler sich risikofrei und unverrückbar auf der Wertschöpfungskette der Branche installieren und sich mittels Courtage und sonstigen Vergütungen einen noch größeren Anteil des Kuchens abschneiden können.

Unerklärliche Fehler

Doch es ist nicht alles nur Sonnenschein. Die Versicherer haben es versäumt, in ihr Angebot Schutzmauern einzuziehen, weswegen die Coronakrise überraschend hart einschlug und Unternehmen wie der Swiss Re die Bilanz verhagelte. Die Unfertigkeit überrascht, gab es doch vor hundert Jahren mit der Spanischen Grippe ein vergleichbares  Schadenereignis. Hinzu kamen mit SARS im Jahr 2002 und MERS  im Kalenderjahr 2015 weitere, wenn auch kleinere, Anschauungsobjekte, um die eigenen Schadenmodelle anzupassen.

Kein Rückversicherer konnte sich vorstellen, dass aus Anlass einer Epidemie praktisch alle Staaten zu einem Lockdown greifen könnten. Speziell im Bereich der Betriebsschließungsversicherung (BSV) kam und kommt es zu erheblichen Zahlungen. Es fehlten Reißleinen, wie sie etwa im Bereich des Kriegsrisikos unter Transportdeckungen existieren. Beispielsweise das Recht, innerhalb von sieben Tagen eine wirksame Sonderkündigung auszusprechen. Sicherlich können in der jährlichen Erneuerung der Verträge neue Bedingungen ausgehandelt werden, doch dem Kunden höhere Prämien und nachteilige Bedingungen zu verkaufen, ist kein Kinderspiel. Besonders dann nicht, wenn sich die Zahl der Anbieter wie aktuell vergrößert.

Der für das Rückversicherungsgeschäft in Amerika zuständige Swiss Re Manager Jonathan Isherwood erklärte jüngst unverhohlen die Missgriffe der Branche. Die Krise sei „falsch eingeschätzt worden“, insbesondere im Bereich der BSV, daraus müssten „Lehren gezogen werden“. Ob die Erstversicherer für die wegen der Pandemie entstandenen BSV-Kosten aufkommen müssen und inwieweit dafür Rückversicherungsanspruch besteht, werden Versicherungsbranche, Justiz wie auch Kunden über Jahre beschäftigen. In Großbritannien hat sich die Justiz bereits klar auf der Seite der Verbraucher positioniert. Die Schadenschätzungen zu den Coronakosten variieren zwischen akzeptablen 40 bis erheblichen 107 Mrd. Euro

Quelle: Versicherungswirtschaft (Zeitschrift)

Das offensichtlich gewordene Unvermögen im Bereich des Risk Managements könnte zu mehr Kleinmut führen, was andere bislang allzu mutig angegangene Kumulrisiken wie etwa Cyber angeht. Das Bewusstsein hinsichtlich der Grenzen der Versicherbarkeit nimmt in der Rückversicherungsbranche zu, dementsprechend laut ist bei künftigen Pandemieschäden der Ruf nach staatlicher Beteiligung wie bei Überschwemmung und Terror. Führend sind in dieser Diskussion die Versicherungsriesen Allianz und Axa, aber auch die Rückversicherer haben ihr Fähnchen in den Sand gesteckt, beispielsweise die Munich Re.

Neben dem Staat gibt es noch weitere Optionen, das eigene Risiko zu minimieren. Die  Rückversicherer verstehen sich zunehmend nicht mehr als endgültige Risikoträger, sondern reichen die übernommenen Risiken vielmehr an die Kapitalmärkte, an Family Offices und an Pensionsfonds weiter, d.h. an nicht reglementierte Risikoträger. Dies geschieht via Risikoverbriefungen wie z.B. Cat Bonds, Collateralised Reinsurance und Sidecars, d.h. Parallelgesellschaften, die dem Initiator eine Quotenabgabe mehrjährig abnehmen und deren Aktien von branchenfremden Investoren behalten werden.

Für viele Rückversicherer zahlt sich auch die eigene Lage aus, fern von allzu eifrigen Steuerbehörden. Die Risikotragung findet zunehmend offshore statt, Gewinne bleiben größtenteils steuerfrei. Lloyd’s-Syndikate dienen dabei als Vorschalt- bzw. Fronting-Vehikel mit sehr geringem Selbstbehalt, welche Gewinne in die Bermudas oder auch die Cayman Islands transferieren. Die steuerfreie Generierung von Gewinnen aus der Risikoübernahme wird zunehmend zum Standard. Das hat zur Folge, dass in  Kontinentaleuropa angesiedelte Rückversicherer sich wohl irgendwann einmal mit der Frage nach einer Re-Domizilierung auseinandersetzen müssen. Dies gilt beispielsweise für die Swiss Re, die zwar niedrige Körperschaftssteuern zahlt, deren Dividenden dafür aber einer 35-prozentigen Quellensteuer unterliegen.

Alles in allem bietet der Rückversicherungsmarkt derzeit erhebliche Möglichkeiten, wie die Neugründungen und Zahlen zeigen. Doch wegen des Klimawandels und Covid ist unklar, ob der Branche wirklich sieben fette Jahre ins Haus stehen. Entwickeln sich die Covidschäden für die Branche nachteilig oder kommt es zu besonders treffsicheren Stürmen, könnte die Erfolgsperiode jäh verkürzt werden.

Autoren: Philipp Thomas und Maximilian Volz

Lesen Sie mehr dazu in der aktuellen April-Ausgabe der Versicherungswirtschaft.

Ein Kommentar

  • Aigner, Dieter

    Wer sich an einer seriösen Definition des Begriffes „Versicherung“ orientiert, dem ist klar, dass ein derartiges Pandemiegeschehen privatwirtschaftlich allein nicht versicherbar ist:
    „Versicherung ist gegenseitige Deckung zufälligen schätzbaren Geldbedarfs zahlreicher gleichartig bedrohter Wirtschaften.“ (Alfred Manes (Herausgeber): Versicherungslexikon, 3. Auflage, 1930, Spalte 290). Bei einem solchen Pandemiegeschehen kann der Geldbedarf in Bezug auf die Schadeneintrittswahrscheinlichkeit und die Schadenausbreitungswahrscheinlichkeit nicht abgeschätzt werden.

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