Die geheime Macht hinter den BSV-Prozessen
Die Betriebsschließungsversicherungsprozesse (BSV) sind entgegen der landläufigen Meinung zunehmend nicht der Streit zwischen Versicherer und Kunden. Eine dritte Kraft ist federführend beteiligt und sorgt dafür, dass auch künftig viele Prozesse ausgefochten werden. Prozessfinanzierer wie Omni Bridgeway helfen Kunden bei der Durchsetzung der vermeintlichen oder tatsächlichen Ansprüche. Sie wollen für den Kläger „Waffengleichheit“ gegenüber „wirtschaftlich übermächtigen Gegnern“ schaffen und verdienen am Erfolg mit.
Im Kern ist ein Prozessfinanzierer so etwas wie eine private Prozesskostenhilfe. Sie ermöglicht einen Rechtsstreit, indem sie die nötigen finanziellen Mittel bereitstellt.
Die Prozesse können sich „bis zu zehn Jahren“ hinziehen, erklärt die Anwältin Sandra Peters, die für Omni Bridgeway arbeitet. Bei Klagemisserfolg verbleiben alle Kosten beim Prozessfinanzierer, bei einem Sieg wird mitverdient. Die Erlösbeteiligung bei Verfahrensabschluss in den ersten zwei Jahren beträgt beispielsweise pauschal 25 Prozent, mindestens jedoch das Zweifache der investierten Kosten.
Diese belaufen sich für Gericht und Anwälte bei einem Streitwert von 100.000 Euro, zwei Instanzen und kein Vergleich, etwa auf 30.000 Euro. Das Engagement ist also riskant, weswegen die Beteiligungen erstens gut ausgewählt und zweitens bestimmte Bedingungen erfüllt sein müssen. Fälle aus vertraglicher Versicherungsleistung sind obligatorisch, der Streitwert muss mindestens 100.000 Euro betragen und der Verfahrensgegner darf keine öffentliche Institution oder der Staat sein.
Schwachstelle unklare Versicherungsbedingungen
„Wir finanzieren die Durchsetzung von Ansprüchen […] aus Betriebsschließungsversicherungen, da wir der Ansicht sind, dass viele Versicherungsbedingungen in diesem Bereich nicht verständlich genug für den Versicherungsnehmer formuliert sind und damit dem im Versicherungsrecht geforderten Transparenzgebots nicht entsprechen“, erklärt Peters. Die „unklaren Formulierungen der Versicherungsbedingungen“ führen dazu, dass „wir klare Ansprüche aufseiten des Versicherungsnehmers gegen die Versicherung sehen“.
Anstatt allein zu prozessieren hat sich Bridgeway mit spezialisierten Partnern zusammengetan, etwa der Kanzlei Pilz Wesser & Partner Rechtsanwälte aus Berlin. Der den Versicherern aus zahlreichen Kranken– und BSV-Fällen bekannte Knut Pilz sieht durch die Prozessfinanzierung Vorteile für den Kunden. „Der Versicherungsnehmer braucht sich keine Gedanken um die finanziellen Aspekte eines Klageverfahrens bspw. über die Kosten eines Berufungsverfahrens zu machen“, erklärt der Anwalt.
Er richtet einen Vorwurf an die Branche, den Bridgeway teilt. „Der Versicherer nutzt regelmäßig seine wirtschaftliche Überlegenheit, um z.B. einen Vergleich herbeizuführen, in dem er mit einem Berufungsverfahren ‚droht‘, wenn sich abzeichnet, dass der Versicherungsnehmer in der ersten Instanz gewinnt.“
Gerade weil die überwiegende Mehrzahl der Versicherungsnehmer als Gewerbetreibende über keine abdeckende Rechtsschutzversicherung verfüge, kann eine Prozessfinanzierung dem Versicherungsnehmer ein Verfahren auf „Augenhöhe“ ohne „wirtschaftlichen Druck“ ermöglichen, erklärt Pilz. Auch Peters spricht in einem Webinar von „Waffengleichheit“ gegenüber „finanzstarken Versicherungen“ mit „hervorragender juristischer Beratung“.
Das sagt die Branche
Die Versicherer sehen die Beteiligung von Bridgeway und Co gelassen. Für die W&W, derzeit in einige Prozesse verwickelt, ist eine Beteiligung von Prozessfinanzierern „aktuell nicht erkennbar“. Für die Axa, ebenfalls mit BSV-Streitereien beschäftigt, spielt es „keine Rolle“, wie ein Prozess finanziert wird. „Unser Vorgehen entspricht geltendem Recht“, erklärt das Unternehmen; es gäbe laut Gerichten „in den meisten Fällen“ ein „transparentes Bedingungswerk“. Daraus gehe „deutlich hervor“, dass „Betriebsschließungen im Zusammenhang mit Covid-19 in der Regel nicht versichert“ sind. „In allen Urteilen“, die bisher in Deutschland mit Axa-Beteiligung ergangen sind, wurde diese Rechtsauffassung „erstinstanzlich bestätigt“.
Die Allianz ist ebenfalls tief im BSV-Geschehen involviert. „Wir nehmen keine signifikante Entwicklung wahr“. Eine Prozessfinanzierung könne sich in Abhängigkeit der konkreten Interessenlage dahingehend auswirken, dass der Kläger „weniger vergleichsbereit ist.“ Allerdings könne es „von Vorteil sein“, dass die „Kosten im Falle unseres Obsiegens in jedem Fall von solventer dritter Seite übernommen werden“.
Wir sind weiterhin der Auffassung, dass in unseren BSV-Verträgen aufgrund Covid-19 kein Versicherungsschutz besteht. Dies werde auch durch die aktuellen Gerichtsentscheidungen gestützt, führt der Versicherer aus. So seien aktuell bereits „deutlich mehr Verfahren zugunsten der Versicherer“, über 70, entschieden worden und „nur wenige dagegen“. „Alle bisherigen zwanzig, die Allianz betreffenden Urteile bestätigen unsere Rechtsauffassung.“
Die kommende Prozesslawine
Die Aussagen der Versicherer zeigen, Omni Bridgeway tritt wie beabsichtigt im Hintergrund auf; am Einfluss ändert das nichts. Das Unternehmen will sich weiter engagieren. „Wir denken, dass hier der BGH zu einigen Rechtsfragen Stellung nehmen muss und verfolgen bis dahin die Entwicklung der Fälle anhand der öffentlichen Rechtsprechung und durch intensiven Austausch mit Rechtsanwälten“, erklärt Peters. Das Ziel ist, „möglichst zügig zu einer Stellungnahme des BGH zu kommen“, um „Rechtssicherheit für alle Beteiligten“ zu schaffen. Der Anwalt Pilz bezweifelt, dass der BGH ein grundsätzliches Urteil sprechen wird. Nach seiner Meinung wird sich die oberste Instanz „nur zu den Einzelfällen“ äußern, die Urteile wären auf die „Bedingungen zugeschnitten“. Das wäre ein „realistisches Szenario“.
Der Vorteil von Bridgeway und Pilz ist die zunehmende Fülle an Entscheidungen und Vergleichen, es liegen teilweise schon erstinstanzliche Urteile vor. Die Zusammenarbeit ermöglicht beiden Parteien das Heraussuchen von besonders erfolgversprechenden Fällen. Für die Versicherer bedeutet es, dass eine Niederlage wahrscheinlich weitere nach sich zieht, auch wenn unterschiedliche Gerichte dieselben Bedingungen mitunter unterschiedlich auslegen.
Bridgeway muss nicht von Anfang an einem BSV-Fall beteiligt sein. Ein späterer Prozesseinstieg, beispielsweise nach der ersten Instanz, ist möglich. Selbst ein zuvor geschlossener Vergleich, beispielsweise mittels der bayrischen Lösung, ist keine Gewähr dafür, dass nicht trotzdem erfolgreich geklagt werden kann.
„Wir betrachten den bayrischen Kompromiss in vielen Fällen als sehr unangemessen. Ein Vergleich in Höhe von 15 Prozent der Anspruchshöhe ist in den meisten Fällen weder fair noch ausreichend für die Betroffenen. Weder die Rechtslage noch eine Anrechnung staatlicher Leistungen auf den Anspruch rechtfertigen eine solche Begrenzung“, erklärt Peters. Auch bei einer Annahme des Kompromisses sind Klagen möglich. Es sei im Einzelfall danach zu beurteilen, wie die Abfindungserklärung formuliert und was im Vorfeld vonseiten des Versicherers gegenüber dem Versicherungsnehmer beziehungsweise seinem Makler kommuniziert wurde“, führt sie weiter aus.
Problematische Kündigungen
Einige Versicherer haben trotz Deckungsablehnung die Versicherungsverträge außerordentlich, hilfsweise ordentlich, gekündigt. Eine solche Kündigung ist vor dem Hintergrund der notwendigen Rechtsklarheit als „sehr problematisch anzusehen“, ergänzt Pilz. Viele anderer Versicherer haben „allerdings lediglich ordentlich“, d.h. meist mit Wirkung zum Ende des Jahres 2020 gekündigt. Mithin fällt der zweite Lockdown „regelmäßig noch in den versicherten Zeitraum“. Da nach einem Experten „etwa 60–70 Prozent der BSV-Geschädigten“ den bayrischen Kompromiss angenommen haben, ist die teilweise noch bestehende Klageoption ein wesentlicher Punkt im Hinblick auf kommende Prozesse.
Die Allianz kann die Kritik an der bayrischen Lösung nicht nachvollziehen und sieht keine Erfolgsaussichten für Klagen in diesem Bereich. Es wurde „eine Lösung gefunden“ und den betroffenen Betrieben ohne Anerkenntnis einer Rechtspflicht „schnell und unkompliziert“ Liquidität verschafft, ohne „bürokratische Hemmnisse“. Die Allianz hätte den Kunden die Lösung angeboten und sie darauf hingewiesen, dass „unser Angebot in der Höhe aus Gründen der Gleichbehandlung aller nicht nachverhandelt werden kann“. Die Offerte erfolgte „ohne Anerkenntnis einer Rechtspflicht“ und dem „expliziten Hinweis“, dass bei Annahme „keine weiteren Ansprüche erhoben werden können“.
Die Münchener wollen auch bei einem künftigen Sieg kein schlechter Gewinner sein, wie sie klarstellen. „Auch in den Fällen, in denen wir vor Gericht obsiegen bzw. für den Fall, dass höchstrichterlich in unserem Sinne entschieden werden sollte, werden wir die von uns auf Basis des bayrischen Modells geleisteten Zahlungen „nicht zurückfordern.“
BGH wird kein allumfassendes Urteil sprechen
Ob bayrischer Kompromiss oder ein anderer Vergleich, für die Branche gibt es wenig Sicherheiten gegenüber weiteren Prozessen. Eine Klage in der ersten BSV-Welle schließt weitere Ansprüche zu einem späteren Zeitpunkt nicht automatisch aus, auch kann der Gastronom zunächst tatenlos geblieben sein und erst in der zweiten Welle einsteigen. Die Erfolgsaussichten hängen, wie der Jurist weiß, vom Einzelfall ab.
„Grundsätzlich sehen wir die Bedingungen für eine Versicherungsdeckung im ersten und zweiten Lockdown als identisch an. Viele Versicherungsverträge enthalten jedoch eine Klausel, die Ansprüche aus dem zweiten Lockdown ausschließen könnte. Ob dies zutreffend ist, muss im Einzelfall geprüft werden“, erklärt Peters. In manchen Fällen sind die Erfolgsaussichten für die zweite Welle „ähnlich wie für die erste“ zum Teil aber auch „schlechter einzuschätzen“, ergänzt Pilz.
Die Annahme eines Vergleichs schließt weitere Ansprüche ebenso wenig aus wie eine vorherige Klage. Dazu kommt, dass der BGH wohl kein allumfassendes Urteil sprechen wird und somit Einzelklagen möglich bleiben. Es sieht daher nicht so aus, als würden die BSV-Prozesse bald enden.
Die Prozessfinanzierer wie Bridgeway haben sich eine sehr gute Rolle in den BSV-Prozessen geschaffen. Sie sind wie der Berater eines erfolgversprechenden Sängers, in diesem Fall der Kläger. Sie stellen ihm mit der Kanzlei Pilz den passenden Gitarristen an die Seite, schicken ihn auf Tour, also vor Gericht, und stehen beiden mit Rat und Tat sowie einer Blanko-Kostenübernahme zur Seite. Wird das erste Konzert ein Erfolg, schicken sie die Band zu weiteren Gerichtsshows und wiederholen den Erfolg. Floppt der Sänger, stehen andere Bewerber als Ersatz bereit.
Autor: Maximilian Volz