Fusion von Aon und Willis könnte deutschen Maklermarkt mächtig durcheinander wirbeln
Nicht sicher, aber wahrscheinlich: Bis zum 27. Juli 2021 will die EU-Kommission entscheiden, ob sie die geplante Übernahme von Willis durch Aon nicht aufgrund zu befürchtender Wettbewerbsauswirkungen zu blockieren gedenkt. Die Zeichen stehen auf Genehmigung, die Auswirkungen wären insbesondere in Deutschland samt und sonders umwälzend.
Die weitere Oligopolisierung des Assekuranzmakler-Markts scheint den EU-Kartellwächtern – und wohl auch Versicherungsnehmern und Versicherern – unheimlich zu sein. Wohl aus diesem Grund hat die EU zahlreiche Zugeständnisse in Form von Verkäufen gefordert, die die Marktmacht begrenzen sollen. Verwundern sollte das nicht, mit der Fusion würde der größte Makler der Welt entstehen, das Nachsehen hätte das Haus Marsh & McLennan, in das Warren Buffet zuletzt groß investierte. Das amerikanische Unternehmen hatte seinerseits im April 2019 den britischen Wettbewerber Jardine Lloyd Thompson für 5,7 Milliarden Dollar übernommen und damit den Vorsprung gegenüber Aon und Willis ausgebaut.
Statt eine Monopolisierung verfolgt die EU gemäß den staatlichen Wettbewerbsrichtlinien das Ziel, in den jeweiligen Teilmärkten ähnlich starke Gladiatoren gegeneinander antreten zu lassen. Dieses als ‚workable competition‘ bezeichnete Verständnis des Marktes soll für einen effektiven Wettbewerb und zufrieden-geschützte Kunden sorgen. Bereits jetzt verlangt die EU-Kommission, dass Aon sich im Fall der Nichtblockierung von einer Reihe bedeutender Willis-Teile trennen soll, wie VWheute berichtete.
Auf was es ankommt
Entscheidend wird nicht nur die Veräußerung dieser von Aon selbst ins Spiel gebrachten Unternehmensteile sein. Darüber hinaus ist entscheidend, ob die jeweiligen Erwerber genügend mächtig erscheinen, um anschließend Aon-Willis im Wettbewerb die Stirn bieten zu können. Ein entscheidendes Kriterium dabei wird das Vorhandensein von internationalen Makler-Networks sein. Eine Einschränkung von Kunden und Mitbewerbern durch internationale Marktmacht soll begrenzt werden.
Land | Willis Bereich | Mögliche Erwerber |
Frankreich | Gras Savoye | Französische Konkurrenten: Bessé Conseil, Siaci Saint Honoré, Groupe Verspieren |
Deutschland, Spanien, Niederlande | Willis „property und casualty“-Geschäft mit dem Fokus auf große multinationale Kunden | Deutschland: Funk Gruppe, U.S. Gruppen Gallagher und Lockton, Britische Rivalen Howden, McGill und BGC/Corant |
In Frankreich pflegen private Vorgänge vom merkantilistisch-nationalistisch gesonnenen Staat beäugt und auch gesteuert zu werden. Dies gilt insbesondere, wenn es um eine in Frankreich marktbeherrschende Stellung von angloamerikanischen Gesellschaften geht, welche im Widerspruch zu gallischen Autarkiebestrebungen stehen.
Drei nationalen Grazien könnte der Staat die Rückeroberung des französischen Broker-Terrains zutrauen, Besse, Siaci Saint Honoré und Groupe Verspieren.
- Bessé ist ein französischer Makler im Familienbesitz, der auf das Jahr 1960 zurückgeht und 460 Personen beschäftigt. Die im Jahr 2020 vermakelte Prämie belief sich auf 900 Mio. Euro. Schwerpunkte des Geschäfts sind u.a. Employee Benefits und internationale Programme.
- Siaci Saint Honoré versucht derzeit den inländischen Konkurrenten Diot zu übernehmen. Die fusionierte Einheit wiese dann eine Jahresprämie von 2,9 Mrd. Euro auf.
- Auch Groupe Verspieren steht im Besitz einer einzigen Familie. Beschäftigt werden 2.200 Personen, die 2018er-Courtage belief sich auf 380 Mio. Euro
Die Liste der von der EU-Kommission als plausible Konkurrenten von Aon-Willis betrachtete Makler dürfte weitere Bewerber nicht ausschließen, speziell solche aus dem angloamerikanischen Markt. Es wäre in allen Ländern ein Gedanke, dass sich eine ganze Gruppe von industriellen Großkunden verbindet, um den abzuspaltenden Industriemakler zu erwerben. Damit würde das Kollektiv Autarkie von den bislang marktbeherrschenden Maklern erreichen. Ein solches Szenario gab es bereits im Dezember 1974. Damals erwarb die Versicherungs-Holding der Deutschen Industrie 25,9 Prozent des Gerling-Konzerns parallel zu den 25,1 Prozent der Zürich.
Kaufzeit für Makler und Verluste für Berater?
Für Aon-Willis entsteht durch die EU eine unangenehme shotgun-divorce-Situation. Die von der EU-Kommission erzwungenen Veräußerungen werden unter Zeitdruck an einen limitierten Kreis von möglichen Interessenten gehen. Dies dürfte die erzielbaren Verkaufspreise unter das Niveau dessen drücken, was bei einem freien Verkauf auszuhandeln wäre. Für die Erwerber ist das möglicherweise eine günstige Gelegenheit, vor allem wenn sie sich in gewissem Einverständnis bei den angebotenen Unternehmen nicht wechselseitig preistreibend in die Quere kommen.
Auf der anderen Seite ist das Aon-Timing für die Willis-Übernahme optimal. Der hard-market dürfte es noch über einige Jahre gestatten, qua prozentuale Courtage an den drastisch erhöhten Marktprämien zu partizipieren. Makler sitzen komfortabel platziert auf der Assekuranz-Wertschöpfungskette: Sie kontrollieren Käufer und Verkäufer von Rück-Versicherungsschutz und erheben ihren Obolus, ohne Risikokapital zu stellen und ohne dieses Kapital zu exponieren.
Die beiden Zusammenschluss suchenden Teile verbindet und trennt einiges. Aon plc ist eine in Chicago gegründete Gesellschaft mit Sitz in London, deren Aktien an der NYSE gehandelt werden. Willis Towers Watson Public Limited Company hat ihren Firmensitz ebenfalls in London, ist aber eine Aktiengesellschaft irischen Rechts. Die Börse bewertet Aon mit rund 54 Mrd. US-Dollar und Willis mit 32 Mrd. US-Dollar. Das Übernahmeangebot soll sich im Bereich des letztgenannten Werts bewegen, der Verkauf erfolgt über Wertpapiere, nicht Bargeld. Die künftigen Partner hoffen auf jährliche Synergieeffekte von 800 Mio. Dollar. Geführt wird der Gigant künftig vom Aon-Chef Greg Case unter dem Namen Aon.
Die erzwungenen Divestitures wären für die bei der Aon-Willis-Transaktion beteiligten M&A-Berater willkommene Anschlussaufträge. Willis wird derzeit von Goldman Sachs, Aon von Credit Suisse beraten. Der Finanzdienstleister S&P Global spekuliert, dass sich die Beratungshonorare bisher auf rund 40 Mio. US-Dollar summieren. Insbesondere die in Sachen Greensill und Archegos gebeutelte Credit Suisse könnte weitere Zubrote gut gebrauchen.
Trotz der Verzögerung durch die EU erwarten Experten, dass die Übernahme im ersten halben Jahr dieses Jahres erfolgt. Der bei der Vorstellung der Quartalszahlen insgesamt etwas wortkarge Willis-CEO John Haley äußerte sich ebenfalls dahingehend. Einen Kommentar bezüglich der Zugeständnisse gegenüber der EU gab er nicht ab. Da auch die EU eisern schweigt, bedeutet das wohl, dass der Deal kurz vor dem Erfolg steht und keine der Seiten den Abschluss durch – allzu viele – Indiskretionen gefährden will.
Fragezeichen Deutschland
Offen ist, was mit den deutschen Töchtern beider Unternehmen geschieht, wenn verkauft werden muss. Beide Häuser sind nicht klein, ein Kauf eines – oder beider – Teile würde ein starkes finanzielles Kommittent und Vertrauen in die Zukunft des deutschen Marktes verlangen und bedeuten.
Nach Reuters-Informationen ist eine überschaubare Anzahl von Unternehmen an Teilen des Aon-Willis-Netzes interessiert. Zu den bereits analysierten französischen Unternehmen –- Bessé Conseil, Siaci und Verspieren – gesellen sich aus den USA Gallagher und Lockton. Komplementiert wird die Gruppe durch Howden, McGill und BGC-Corant aus Großbritannien. Insbesondere der US-Makler Arthur J. Gallagher soll starkes Interesse am deutschen Markt haben. Das Unternehmen besitzt das von der EU geforderte internationale Makler-Network, Internationalität im Geschäft sowie das nötige Kleingeld.
Zuletzt hatte Ecclesia mit sieben Zukäufen innerhalb eines Jahres für Furore gesorgt und den (Makler-)Markt weiter konsolidiert. Der Umsatz der Gruppe beläuft sich nach eigenen Angaben auf 300 Millionen Euro bei 2.000 Mitarbeitern. Das Geschäftsfeld Kirche, Sozialwirtschaft und Gesundheitswesen wird souverän beherrscht, ist aber begrenzt. Das internationale Netzwerk ist im Gegensatz zu potenziellen Konkurrenten vernachlässigbar. Das bedeutet in der Summe, dass das Unternehmen bei allem nationalen Erfolg mit ziemlicher Sicherheit als Käufer ausscheidet.
Anders sieht es bei der Funk-Gruppe aus, die laut Reuters ebenfalls zu der Liste der Interessenten gehört. Das Familienunternehmen mit Sitz in Hamburg erfüllt die Kriterien Internationalität, Beständigkeit sowie Angebots- und Dienstleistungsbreite. Der Umsatz im Jahr 2020 betrug 195 Mio. Euro.
Es ist offen, ob Funk um Aon-Willis-Teile mitbieten will und kann. Bisher drangen aus der Hansestadt keine entsprechenden Gerüchte. Allerdings weiß aktuell auch niemand, was zu welchem Preis zu haben ist. Je kleinteiliger das Angebot, desto größer dürften die Chancen der Hamburger auf einen Teil des Kuchens sein. Ob mit oder ohne Funk, die nächsten Monate werden den nationalen Maklermarkt über Jahrzehnte prägen.
Autor: Philipp Thomas und Maximilian Volz