Drohende Hemmschwelle für Innovation: Schießt die Bafin mit schärferen Insurtechregeln ein Eigentor?

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Die Bafin hat die Zügel für Insurtechs angezogen. Die Bonner wollen die Versicherungsnehmer schützen, indem die Insurtechs mit Versichererlizenz von Anfang an über die nötigen Aufbaumittel verfügen müssen. Das erschwert die Finanzierung, denn die Geldgeber müssen sich von Beginn an monetär bekennen. Die Branche versteht das Ziel der Bafin, kritisiert aber das Mittel als  „harsch“, „unmodern“, „zu langsam“ und langfristig „kundennachteilig“.

Die Insurtechs, junge und technikaffine Unternehmen mit Versicherungslizenz, müssen in Zukunft so finanziert sein, dass alle zu erwartenden Verluste bereits zu Beginn abgedeckt sind. Als Instrument wird der sogenannten Organisationsfonds genutzt. Das Vehikel ist im Rahmen der Gründungsfinanzierung  der Kapitalstock für die immateriellen Investitionen sowie für den Aufbau der Verwaltung und (ggf.) des Vertreternetzes. Die Unternehmen müssen künftig nachweisen, dass dieser Topf von Beginn an ausreichend gefüllt ist. Mit der Forderung entspricht die deutsche Aufsicht sicherlich dem Gedanken der europäischen Behörde EIOPA, die europaweit für eine eher strengere Aufsicht steht.

Die Bafin will verhindern, dass zu laxe Regularien dazu führen, dass ein Unternehmen mit Kunden während der Gründung Insolvenz anmelden muss und den Versicherungsnehmern ein Schaden entsteht. Gleichzeitig möchte die Bafin, die  generell als insurtechfreundlich gilt, die Regularienschraube nicht bis Anschlag anziehen und so Wettbewerb verhindern. Das wäre volkswirtschaftlich-, wettbewerbsrechtlich und gesellschaftlich nicht sinnvoll.

„Das vorrangiges Ziel der Bafin ist der Schutz der Belange der Versicherungsnehmer. Hierzu fordert die BaFin von den Versicherungsunternehmen, dass diese – speziell in der Aufbauphase – ihre Risiken angemessen reflektieren und jederzeit über ausreichende Eigenmittel verfügen“, schreiben die Bonner auf Anfrage. Bei Neugründungen von Insurtechs erwartet die Bafin, dass diese schon am Tag ihres Zulassungsantrags „vollständig ausfinanziert“ sind, damit sie „keine ergänzenden Finanzierungsrunden“ mehr benötigen.

Folgendes Statement erklärt, warum die Änderung jetzt erfolgt: „Da die Digitalisierung die Rahmenbedingungen bei der Zulassung bzw. in der Aufbauphase von Versicherungsunternehmen geändert hat, ist es erforderlich, den Organisationsfonds zu stärken und an die tatsächlichen Geschäftsmodelle der Unternehmen anzupassen.“

Oletztky, Lang und Gnam zweifeln

Dass der Schutz der Versicherungsnehmer an erster Stelle stehen muss, dem stimmen alle befragten Experten und Unternehmen zu, allerdings nicht den Maßnahmen per se.

Für das Vertrauen der Versicherungsnehmer in die neu gegründeten Insurtechs ist es zentral, dass die Bafin die ausreichende Kapitalisierung dieser Unternehmen sorgfältig prüft, erklärt der Branchenexperte Torsten Oletzky, TH Köln und Vorstandsmitglied des Insurlab Germany. Gleichzeitig müsse die Praxis der Bafin allerdings so ausgestaltet werden, dass die „Neugründung unabhängiger, digitaler Versicherer im Interesse eines kundenorientierten Wettbewerbs nicht erschwert oder verhindert wird“.  Die „Spielregeln“ sollten daher „nicht während des bereits laufenden Spiels geändert werden“, kritisiert Oletzky.

Es gelte der „Grundsatz der Proportionalität“ und dieser kann und sollte so interpretiert werden, dass den „Besonderheiten der digitalen Neugründungen Rechnung getragen wird“. Damit auch unabhängige, konzernungebundene Neugründungen weiter möglich sind, muss insbesondere eine sukzessive Finanzierung von Startups „in mehreren Kapitalrunden möglich bleiben“. Eine klare Gegenposition zur Bafin. Überhöhte Anforderungen an den Organisationsfonds im Sinne einer vollen Ausfinanzierung aller Eventualitäten einer langjährigen Planung bereits zum Gründungszeitpunkt wäre „kontraproduktiv“.

Kritik kommt auch aus dem Lager der Jungunternehmen. „Den Wunsch nach höherer Stabilität unserer Industrie unterstützen wir. Schließlich sind wir alle auf das Vertrauen unserer Kunden angewiesen“, erklärt Oliver Lang, CEO des Versicherers One, der zur Wefox-Gruppe gehört. Es folgt allerdings ein deutliches „aber“.

„Wir sind der Meinung, dass die Hinterlegungen höherer Eigenmittel für Neoversicherungen ein sehr krudes Instrument ist, den Ruf nach mehr Sicherheit für den Verbraucher zu erfüllen.“ In der heutigen Zeit des einfachen Datenaustauschs hätte sich Wefox „einen modernen Weg gewünscht“, dieses Ziel zu erfüllen. „Das hätte von der Bafin zwar größere Anstrengungen erfordert, das Ziel aber eleganter und ohne die ungewünschte Nebenwirkung der Wettbewerbsverhinderung erreicht“, argumentiert Lang. One ist von den geänderten Regelung nicht betroffen. Erstens wird der Digitalversicherer von der FMA in Liechtenstein reguliert und zweitens „nähert sich One seit 2020 der Profitabilität“.

Für Lang haben sich die nun beschlossenen Änderung aus „Liechtensteiner Sicht „abgezeichnet. „Wir haben mit der FMA bereits vor gut zwei Jahren die Gespräche geführt, die die deutschen Neoversicherungen nun mit der Bafin haben.“ Bereits zu diesem Zeitpunkt wurde One von den Eigentümern mit zusätzlichen Kapital ausgestattet, erklärt er. Die FMA habe also „viel schneller auf die Anforderungen der EIOPA reagiert“. Für ihn war es klar, dass auch die Aufsichten in anderen europäischen Ländern „eine Reaktion zeigen würden“.

Besonders für zukünftige Insurtechs könnten die neuen Regeln erschwerend wirken, glaubt Christian Gnam, Managing Director des Insurtech Hub Munich. „Die Startups, die bereits mit einer eigenen Versicherungslizenz arbeiten oder dies zukünftig anstreben, dürfte die Ankündigung vor eine große Herausforderung stellen.“ Auch wenn die Zahl der Insurtechs mit Lizenz noch „relativ überschaubar“ sei, konnten sich trotzdem einige bereits am Markt etablieren. Mit anderen Ansätzen hätten sie Druck auf die etablierten Player ausgeübt, ihre Services und Produkte zu verbessern und neu zu denken.

Christian Gnam, Acting Managing Director des Insurtech Hub Munich, versteht und kritisiert die Bafin.

Er verstehet die Absicht, die Verbraucher „noch besser zu schützen“. Allerdings sei es auch im Interesse der Kunden, wenn die Versicherer sich „innovativer aufstellen und Prozesse effektiver gestalten“. Er bringt einen weiteren interessanten Aspekt in die Diskussion ein, die Wettbewerbsfähigkeit. „Interessant wird zu beobachten sein, wie die Aufsichtsbehörden in anderen europäischen Ländern die Solvency-II Anforderungen auslegen und welche Auswirkungen das sowohl für die Kunden als auch für die Versicherer und Insurtechs hat.“ Gnam hofft, dass Deutschland“ dadurch kein Standortnachteil entsteht.“

Was der Großinvestor sagt

Neben den Unternehmen und der Aufsicht gibt es noch die Sicht der Investoren. Wie reagieren Sie, wenn sie nun von Anfang an stark investieren müssen, anstatt in Schüben, wie das bei ergänzenden Finanzierungsrunden der Fall ist. Wenn die Allianz X repräsentativ für die Geldgeber ist, lautet die Antwort: entspannt.

„Wenn wir uns künftig potenzielle Akquisitionsziele anschauen, dann wird unser Fokus unverändert darauf liegen, ob das Geschäftsmodell des Zielunternehmens attraktiv ist. Dazu gehört, dass wir uns die jeweils geltenden regulatorischen und aufsichtlichen Rahmenbedingungen anschauen.“ In anderen Worten, wenn an den Erfolg geglaubt wird, dann wird auch investiert. Allianz X stellt ebenfalls klar, dass es „aktuell“ in kein Insurtech mit Versichererlizens in Deutschland investiert und daher nicht betroffen ist.

Die Meinungen zur härteren Aufsicht sind keineswegs eindeutig ablehnend. Jörg Asmussen, Geschäftsführer des Gesamtverbandes der Versicherungswirtschaft (GDV) begrüßt die Maßnahme. Unter Bezugnahme auf die Meldung von VWheute twittert er zustimmendes.

Quelle: Twitter, Jörg Asmussen

Die Maßnahme der Bafin ist an sich kaum zu kritisieren, wie die Reaktionen der Befragten zeigen. Der Verbraucherschutz ist ihre oberste Pflicht. Wenn die Behörde eine Lücke sieht, ist sie für die umgehende Schließung verantwortlich. Ob es bessere Möglichkeiten gegeben hätte, ist diskutabel.

Autor: Maximilian Volz

4 Kommentare

  • Ridschie+Blanko

    Ich persönlich finde die Entscheidung des BAFIN absolut richtig. Es werden derzeit utopische Unsummen in kleinst Gewerbe Versicherungsvermittlungsunternehmen gepumpt ohne Rückversicherung. Und wir haben zu Genüge erlebt, was passiert, wenn ein vermeintliches Versicherungsunternehmen sich vom Markt verabschieden musste. Außerdem werden mit solchen Regelungen auch der Geldverschiebemafia ein wenig das Geldwaschen erschwert. Wir erinnern uns lebhaft an Wirecard.

  • Endlich macht die BaFin das wofür sie da ist. Jeder der beruflich länger mit Insurtechs zu tun hat, kommt schnell dahinter, dass es den sog. Gründern i.d.R. nur ums schnelle Geld geht, d.h. eine attraktive Idee entwickeln und diese möglichst schnell für möglichst viel Geld verkaufen, siehe Knip und Co. Ganz im Sinne der Start up Mentalität. Unternehmerische Verantwortung, die für dieses Geschäft notwendig ist, möchte hier niemand dauerhaft übernehmen. In Bezug auf Oletzky lässt sich nur sagen, dass dieser vom Manager Magazin seinerseits zurecht als Deutschlands schlechtester Manager abgestraft wurde, hinzu kommt das es sich bei ihm um einen ehemaligen MeKi handelt, damit ist er ein reiner Interessenvertreter, quasi ein Kontraindikator für Geschäftserfolg.

  • Warum sollte ein Unternehmen mit Versichererlizenz nicht wie ein Versicherer zu behandeln sein? Nur weil es so schön modern ist.
    Absolut richtig, identische Maßstäbe anzulegen.

  • Da beschwert sich nun das Insurtechgewerbe, dass Sie die gleichen Regeln zur Sicherheit der Kunden erfüllen müssen wie die anderen Versicherer. Aha. Das heißt nichts anderes, als dass sie weiter ein Kostendumping legal abgesichert haben wollen, um auf Kosten derjenigen Versicherer und Vermittler zu wachsen, die dann, wenn sie pleite gehen, für den hinterlassenen Schaden aufkommen sollen. Eine perfide und widerliche Sichtweise.

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