„Nutzloser Deal“ und härtere Aufsicht: Brexit macht britischen Versicherungsmarkt unattraktiv(er)

Großbritannien kommt nicht zur Ruhe. Bild von Arthur Daniliuk auf Pixabay.

Die Loslösung Großbritanniens vom Kontinent ist vollzogen. Das hat Auswirkungen auf den englischen Versicherungsmarkt sowie die europäischen Versicherer, die sich auf neue Gegebenheiten einstellen müssen. So hat eine als tot angesehene Aufsichtsbehörde enorme Befugnisse (wieder-)gewonnen und Mergers & Acquisitions (M&A)-Deals werden wohl schwieriger. Das ist wohl ein Grund, warum die britischen Versicherer im Austrittsvertrag „keinen Nutzen“ sehen. Doch es gibt noch weitere Probleme für die Branche.

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Die Competition and Markets Authority (CMA) war zu Zeiten der EU-Zugehörigkeit praktisch vergessen, jetzt erlebt sie ein umfängliches Comeback und muss aus dem Schatten der EU treten. Die Behörde wird erneut über potenzielle M&A-Deals entscheiden und damit auch für europäische Versicherer wichtig werden. Die Führung der Behörde würde bereits jetzt ein „starkes Verlangen zur Intervention“ zeigen, schreibt insurancejournal. “Die CMA ist auf dem Weg, eine der am stärksten interventionistisch handelnden Wettbewerbsbehörden weltweit zu werden“, sagt Paul Gilbert, ein Kartellrecht-Anwalt der britischen Kanzlei Cleary Gottlieb, die auch in Deutschland tätig ist. Die Einschätzung der ausgeprägten Interventionsneigung überrascht, wollten doch die Briten mit der Loslösung von Europa Eigenständigkeit über ihren (Finanz-) Markt gewinnen und die Bürokratie der EU abschütteln.

Im letzten Jahr hat die Behörde elf Transaktionen geblockt, dieses Jahr wird die Zahl laut einer Analyse der Kanzlei „deutlich steigen“, auch weil sie jetzt mehr Fälle auf den Tisch bekommen wird. „Wir können nicht herumsitzen und darauf warten, dass andere unsere Probleme lösen, erklärte CMA Chief Executive Officer Andrea Coscelli im letzten Monat. „Wir müssen uns präparieren, um alleine tätig werden zu können.“ An Gelegenheiten mangelt es nicht. Aktuell hat der US-Casino-Betreiber MGM Ressort dem britischen Wettunternehmen Entain ein Elf-Milliarden-Dollar-Angebot  für dessen (Online-) Sportwetten-Tochter Ladbrokes unterbreitet.

Keinen Nutzen: Versicherer lehnen Deal ab

Generell ist der Brexit in Großbritannien weiter das Thema. Schottland und Irland woll(t)en in der EU-Gemeinschaft bleiben und drohen bereits unverhohlen mit politischen Konsequenzen, die bis zur Loslösung reichen. Die britische Wirtschaft ist ebenfalls wenig angetan. Zwar gibt es keine Zölle, doch laut CNN macht der Austritt das Land „ärmer“. Das wiegt insbesondere derzeit schwer, da das Land in einer Arbeitslosenkrise und der „größten Rezession seit 300 Jahren“ steckt.

Alleine im Einzelhandel sind in diesem Jahr 180.000 Jobs weggefallen, schreibt die BBC und prognostiziert weitere Reduktionen. Für die Probleme ist neben dem Brexit auch Corona verantwortlich, das Virus traf die Insel hart. Von den bedeutendsten Wirtschaftsräumen sei das UK am stärksten vom Virus in Mitleidenschaft gezogen worden, schreibt CNN. Die Confederation of British Industry prognostiziert eine Erholung der Wirtschaft im laufenden Jahr, aber keine volle Widerherstellung.

Vor diesem Hintergrund steigt die enorme Bedeutung des britischen Finanzmarktes weiter, regulatorische Unsicherheiten sind daher aktuell besonders unerwünscht. Doch genau die gibt es. Die Aufsichtsbehörden beider Wirtschaftsräume haben kundgetan, dass sie gemeinsame Regeln anstreben. Einig sind sie sich aber nicht. Der größte Streitpunkt diesseits und jenseits des Ärmelkanals sind die „negativen Zinsen“. Offenbar geht die EU davon aus, dass diese noch lange bestehen bleiben, während die Briten optimistischer nach vorne blicken. Die Ansicht von EIOPA „ist viel zu niedrig und negativ“, erklärte beispielsweise Olav Jones, Deputy Director General bei Insurance Europe.

Zu den aufsichtsrechtlichen Fragen kommt hinzu, dass künftige M&A-Deals zwischen britischen und europäischen Unternehmen künftig von beiden Aufsichten genehmigt werden müssen. Was geschieht, wenn die Behörden einen Zusammenschluss gegensätzlich bewerten, ist offen.

Es überrascht daher nicht, dass die britische Versicherungs- und Rückversicherungsbranche erklärt, dass der ausgehandelte Brexit-Deal „keinen Nutzen“ für sie habe. Die europäische Seite ist ebenfalls vorsichtig zurückhaltend. Es sind noch aufsichts- und kartellrechtliche Fragen offen.

Wie geht es weiter?

Die genannten Probleme beschäftigen die europäischen Versicherer, denn nach wie vor ist Großbritannien ein wichtiger Markt. So wird die Zurich gemeinsam mit MGA Plum Underwriting Wohngebäudeversicherungen in Großbritannien anbieten, Getsafe ist im letzten Jahr nach Großbritannien expandiert. Zudem gibt es noch die Versicherungsbörse Lloyds, die mitten im Umbau steckt, und nach wie vor große Bedeutung für die (europäische) Versicherungsbranche hat.

Die Allianz hat in Großbritannien zuletzt Nägel mit Köpfen gemacht und ist zum zweitgrößten Versicherer aufgestiegen. Zuerst wurde der Versicherungsteil von Liverpool Victoria Friendly Society gekauft und dann die bereits vorbereitete Übernahme der Versicherungsdivision von Legal & Generals vollzogen.

Die Versicherer müssen auch künftig unabhängig handeln, um erfolgreich zu sein. „Es macht auch keinen Sinn, die strategische Geschäftsentwicklung dauerhaft von Verhandlungen politischer Entscheidungsträger und hypothetischen Vereinbarungen abhängig zu machen“, erklärt KPMG-Experten Olaf Seidel.

Große Gefahren entstünden nur, wenn bei aufsichtsrechtlichen Fragen das etablierte „Level Playing Field“ aufgeweicht würde, erklärt Frank Püttgen, ebenfalls KPMG. Besonders betroffen vom Brexit seien insgesamt die Industrieversicherungssparten und der Bereich der Financial Lines-Versicherungen, wie etwa die D&O-Versicherung und die Cyber.

Mit Ablauf der im Austrittsvertrag zwischen UK und der EU vorgesehenen Übergangsfrist zum 31. Dezember 2020 wird das Vereinigte Königreich aus der Perspektive der EU-Staaten zu einem Drittstaat und umgekehrt. Die Konsequenz ist der Verlust der Möglichkeit, ohne eine Niederlassung im Wege des Dienstleistungsverkehrs grenzüberschreitend in dem jeweils anderen Territorium tätig zu werden, das sogenannte „EU Passporting“. Für einen Geschäftsbetrieb ist die deswegen die Errichtung einer Drittstaaten-Niederlassung oder eines Tochterunternehmens notwendig.

Alles in allem erschwert der Brexit den Zugang zum Markt, hemmt potenzielle M&A-Deals und schafft aufsichtsrechtliche Fragen. Sicherlich nicht das Ergebnis, dass sich die Versicherungsbranche gewünscht hat.

Autor: Maximilian Volz

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