Wirtschaftsneustart: Industrieversicherer warnen vor Gefahren und bereiten goldene Zukunft vor

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Geschäft oder Gesundheit ist derzeit die Frage. Die Bundesländer überbieten sich mit Lockerungen bei den Coronaregeln, besonders die Beschränkungen der Wirtschaft sollen schnellstmöglich fallen. Die Industrieversicherer sind von Corona doppelt betroffen. Während des Shutdowns gab es wenig Nachfrage und viele Schadenmeldungen, der jetzige Neustart bringt sogar noch weitere Risiken mit sich.
Untätig waren die Industrieversicherer auch in der Krise nicht, wie der Allianz-Spezialversicherer AGCS erklärt. Die Mitarbeiter arbeiten vom Home-Office aus „mit Brokern und Industriekunden zusammen“ und können anstehende Vertragsverlängerungen weiterhin „ohne Verzögerungen“ abwickeln. Auch die Schadenbearbeitung laufe weiter.
Der Mitbewerber Axa XL setzt ebenso auf Digitalität. Die Risikoberatungsteams arbeiten eng mit den jeweiligen Risikomanagern zusammen, „um ihnen bei der Bewältigung ihrer neuen Risiken zu helfen“. Dabei setzt das Unternehmen auch auf einen „virtuellen Risikobewertungsservice“, der es ermöglicht, die Bewertung des Gefährdungspotenzials in allen Geschäftsbereichen „aus der Ferne“ fortzusetzen. Genau diese fehlende Digitalisierung hatte der Industrieversicherungsmakler und Risikoberater Marsh im Dezember noch angemahnt.
Die Probleme der Branche
Die Industrieversicherer setzen der Corona-Bedrohung Bits und Bytes entgegen, was auch notwendig erscheint, denn die Industrieversicherung ist dank eines jahrelangen Preisverfalls kein Goldesel und muss lukrativer werden. Die Axa ist mit der Entwicklung seines relativ neu, und teuer, zugekauften Spezialversicherers XL Catlin nicht zufrieden und hat bereits Maßnahmen eingeleitet um entgegenzusteuern. Der Konzern setzt laut Medienberichten auf Absicherung über zusätzliche Rückversicherungen und Preiserhöhungen.
Der letztgenannte Punkt ist seit Jahren Thema in der Industrieversicherung, denn „der Markt ist seit acht Jahren durch einen Preisverfall geprägt, wie Hans-Jörg Mauthe, CEO in Central und Eastern Europe bei AGCS, im August 2019 erklärt. Er fügt aber hinzu, dass die Preise seit dem Jahr 2018 „wieder steigen“, im Jahr 2019 sogar „noch einmal deutlich“. Das ist auch nötig, denn der Spezialversicherer ist bei der Allianz derzeit ein wenig das schwarze Schaf, in einer ansonsten makellosen Herde. Der Konzern-CEO Oliver Bäte erklärte: „Wenn wir jetzt nur einmal 112 hatten, wäre es für ein Jahr ok. Aber es ist leider so – und deswegen ärgert es uns so -, dass die AGCS nicht nur in einem Jahr diese hohe kombinierte Schaden-Kostenquote hat, sondern seit drei Jahren.“
Der Druck auf die Industrieversicherer ist groß, was sich in jüngster Zeit auch in personellen Wechseln bei Axa und der Allianz manifestiert hat. Ein Vorteil solch großer Häuser ist, dass sie schlechte Zeiten aussitzen können. Viele vor Jahren in den Markt eingestiegene Unternehmen haben die Komplexität des Geschäfts unterschätzt, was zu einer Konsolidierung und zuletzt wieder höheren Prämieneinnahmen führte.
Steigende Preise und wenig Schäden?
Wenn die Prämien wieder steigen, ist das in Verbindung mit dem derzeitig weitgehenden Stillstand der Wirtschaft doch sicherlich der Idealzustand für die Versicherer, denn wenn wenig gearbeitet wird, dann passieren auch weniger Unfälle. Doch so einfach ist die Rechnung nicht.
Welche Auswirkungen die Covid-19-Pandemie direkt und indirekt auf die Schadenentwicklung im Industriebereich hat, lässt sich erst in einigen Monate absehen, erklärt AGCS. Zudem berge die unsachgemäße Stilllegung von Gebäuden und Produktionsstätten „erhebliche Risiken für Unternehmen“. Verwaiste Fabriken oder Büros seien „keineswegs sicher vor Bränden oder anderen Gefahren“. Das leuchtet ein, nichts verhindert Gefahren so sehr wie aufmerksame Mitarbeiter. Der Versicherer sieht immer wieder Schäden an Feiertagen oder Wochenenden, wenn Mitarbeiter „nicht oder nur begrenzt“ anwesend sind.
Erschwerend kommt für die Spezialversicherer derzeit hinzu, dass die Corona-Pandemie die globalen Lieferketten in noch nie dagewesener Weise beeinträchtigt. Das hat zur Folge, dass Gefahren für Fracht, Lagerung und Transport „erheblich zugenommen“ haben, wie AGCS erklärt. Auch das ist nachvollziehbar, ein dauerhaft in einem Lagerhaus befindliches Gut ist Wasser, Feuer oder Langfingern stärker ausgesetzt, als wenn es sich ständig bewegt.
Wiedereröffnung als Gefahr
Die derzeit unter anderem vom Bund der Deutschen Industrie (BDI) geforderte Öffnung der Wirtschaft birgt für die Versicherer neue Gefahren. Wenn Anlagen oder Betriebe für einen bestimmten Zeitraum geschlossen wurden, ist es wichtig, dass Unternehmen vor der Wiedereröffnung „gezielte Maßnahmen zur Schadenprävention“ durchführen. Unternehmen sollten beispielsweise prüfen, ob während der Schließung unbemerkte Schäden und Defekte aufgetreten sind, erklärt die Allianz-Tochter.
Die Gefährdung durch Vorfälle wie Brände, unzureichende Wartung, oder fehlerhafte Lagerung kann sich nach einer Zeit der Inaktivität erhöhen, warnt AGCS. Auf diesen Umstand müsse reagiert werden. Unternehmen sollten jene Inspektions-, Test- und Wartungsverfahren, die während der Stilllegung unterblieben sind, durchführen und insbesondere auf den Zustand der elektrischen Geräte und Anlagen achten, da diese „oft Ursachen für Brände“ sind. Auch die Axa XL spricht davon, dass wenn Unternehmen ihre Produktion „umstellen oder ihre Anlagen vorübergehend schließen mussten“, neuen Risiken entstehen.
Das Potenzial ist vorhanden
Trotz all dieser Gefahren, hohen Schadenquoten und eventuell noch kommenden Covid-19-Forderungen bleibt die Industrieversicherung für alle großen Versicherungsgruppen so essenziell wie potenziell lukrativ sein. Aktuell hat die Ratingagentur Fitch den kleineren Mitbewerber FM Global „nach bestandenem Covid-19-Stresstest“ erneut mit dem „AA-Rating“ ausgezeichnet und den Amerikanern eine „stabilen Zukunft“ bescheinigt. Das überrascht etwas, denn das Unternehmens hat (größtenteils) Covid19-Deckung bereitgestellt, allerdings rückversichert und begrenzt.
Das Label „stabile Zukunft“ gilt trotz Pandemie weiter für die ganze Branche, denn weder wird es eine Welt ohne Industrie geben noch eine Industrie ohne Versicherung. Vielleicht ist gerade Covid-19 im Jahr 2020 die Wiedergeburt der lukrativen Industrieversicherung.
Autor: Maximilian Volz