Hans-Jörg Mauthe (AGCS): „Ich strebe eine Combined Ratio von unter 95 Prozent in unserer Region an, derzeit sind es über hundert“

Hans-Jörg Mauthe, Vorstand AGCS, Quelle: AGCS

Die Gewerbeversicherung erlebt aktuell einen Prämienanstieg. Nach mehreren Jahren des Rückgangs begann im letzten Jahr die Kehrtwende, die sich aktuell fortsetzt. Hans-Jörg Mauthe, seit April CEO in Central und Eastern Europe der Allianz-Tochter AGCS, nennt die Gründe und erklärt, warum die Branche Automatisierung lernen muss. Offen erklärt er, wie der Spezialversicherer die von der Allianz SE geforderten besseren Ergebnisse liefern wird und wie aktuell Schiffe in der Straße von Hormus versichert werden können.

VWheuteWie wird sich der Markt in der Industrie- und Gewerbeversicherung entwickeln und warum?

Hans-Jörg Mauthe: Der Markt ist seit acht Jahren durch einen Preisverfall geprägt. Seit dem Jahr 2018 stellen wir fest, dass die Preise wieder steigen, im Jahr 2019 sogar noch einmal deutlich. Der Anstieg erfolgt nicht spartenübergreifend, doch in Bereichen wie Property und Marine waren die Aufschwünge teilweise zweistellig. Auch in Liability sehen wir spürbare Ratenerhöhungen, vor allem im Bereich Recall.

VWheuteWas sind die Ursachen für die progressive Entwicklung?

Hans-Jörg Mauthe: Zum einen liegt die Ursache schlichtweg darin, dass die Risikoseite nicht mit den Prämien zusammenpasst. Zum anderen stellen wir auch eine Marktkonsolidierung fest. Es gab viele Zusammenschlüsse, am prominentesten wahrscheinlich Axa und XL Catlin. Zugleich haben sich mehrere Mitbewerber aus der Gewerbe- und Industrieversicherung oder bestimmten Sparten zurückgezogen. Es ist nicht länger ein Nachfragemarkt.

VWheuteWas bedeutet das für die nähere Zukunft?

Hans-Jörg Mauthe: Wir stehen als Branche unmittelbar vor der Erneuerungsrunde, der erste Januar des kommenden Jahres ist der Stichtag. Jetzt ist die Zeit, in der wir mit unseren Kunden sehr partnerschaftlich in den Dialog treten. Viele Gespräche sind schon erfolgt und waren sehr konstruktiv. Ich blicke optimistisch in die Zukunft.

VWheuteBevor wir zur Zukunft kommen, noch eine Frage zur Konsolidierung. Liegen die Rückzüge der Mitbewerber im Markt ausschließlich an den Prämien oder auch an größeren, globalen Risiken?

Hans-Jörg Mauthe: Aus meiner Sicht sind die geringen Prämien der hauptsächliche Grund für die Rückzüge, das hat nichts mit wirtschafts- oder weltpolitischen Entwicklungen zu tun. Vor zehn Jahren sind Mitbewerber mit Erwartungen in den Markt gegangen, die sich nicht erfüllten. Viele haben die Komplexität des Geschäfts schlicht unterschätzt. Es geht nicht nur um Kapazitäten, sondern auch um Schadenexpertise Servicekomponenten und Netzwerke.

VWheuteDie Durchhalter wie Axa XL oder AGCS werden also profitieren?

Hans-Jörg Mauthe: Generell schon, aber es kommt natürlich auch darauf an, wie jedes Unternehmen individuell agiert. Wir als AGCS werden sehr differenziert vorgehen. Wir schauen uns jede einzelne Kundenverbindung und Individualrisiko an und gehen dementsprechend in die kommenden, wichtigen Verhandlungen.

VWheute: Geben Sie bitte eine Ist-Einschätzung. In welchen Bereichen läuft es bei AGCS gut, in welchen nicht so sehr?

Hans-Jörg Mauthe: Die technische Versicherung arbeitet sowohl umsatz- wie auch ertragstechnisch sehr gut. Das liegt sicherlich an unserer fachlichen Expertise in diesem Sektor. In anderen Sparten tun wir uns aufgrund des anhaltend starken Wettbewerbsdrucks schwerer.

VWheuteDie da wären?

Hans-Jörg Mauthe: Die Luftfahrtversicherung ist geprägt durch Großschäden, die das Ergebnis massiv beeinflussen. Daher ist das Resultat in diesem Bereich – volatil. In schadenfreien Jahren sind die Ergebnisse dagegen sehr gut. Bei Property und Marine spiegeln sich die Risiken seit Jahren nicht in den Prämien wider, das ist ein strukturelles Problem für den ganzen Markt. In der Haftpflichtversicherung verzeichneten wir zuletzt einige Rückrufschäden, die auf das Ergebnis drücken. Und in Financial Lines sehen wir vor allem im D&O-Bereich Konsortien, in denen eine Kapazität von bis zu 100 Millionen Euro ersetzt werden musste, weil einzelne Anbieter aussteigen wollten. Das ist eine neue Entwicklung.

VWheuteDerzeit gibt es viele politische Risiken, Straße von Hormus, Syrien oder Handelskriege, ist so etwas versicherbar, wo liegt die Grenze der Absicherung und was zeichnet AGCS?

Hans-Jörg Mauthe: In der Straße von Hormus sind vor allem Schäden an Schiffen und Ladung zu erwarten. Dafür kommen die Seekasko- und Transportversicherung auf. Kaskoversicherungen decken jedoch keine Kriegshandlungen, Piraterie oder die Beschlagnahme von Schiffen ab. Diese Risiken erfordern den Kauf einer eigenständigen Police, die die AGCS ebenfalls anbietet. Wenn Reeder/Charterer in die angesprochene Region reisen, müssen sie in der Regel eine zusätzliche Versicherungsprämie zahlen. Der Preis wird auf Grundlage der Wahrnehmung der Risikosituation zum Zeitpunkt der Reise festgelegt. Auch in der Transportversicherung wird eine zusätzliche Prämie auf alle Waren erhoben, die in die, aus der oder innerhalb der Region verschifft werden. 

VWheute: Lassen Sie uns vom Schiff zum Hochleistungsrechner gehen. Es gibt gesamtwirtschaftlich einen Trend zur Digitalisierung, beeinflusst dass ihr Geschäft, also weg vom Schraubenzieher, hin zum Notebook.

Hans-Jörg Mauthe: Wir können nicht feststellen, dass die zunehmende Digitalisierung zu einer Abnahme im Bereich der Gewerbeversicherung führt. Wir bemerken aber, dass sich jedes Unternehmen mit der Digitalisierung beschäftigt, nicht zuletzt dadurch steigt die Nachfrage nach Cyberversicherungen. Bei der Einführung im Jahr 2013 war das Interesse eher schleppend, aktuell sind die Hälfte aller Angebote im Bereich Financial Lines Cyberofferten. Wir erwarten als AGCS weltweit im Jahr 2019 einen dreistelligen Millionenbetrag an Versicherungsprämien, das ist eine Erfolgsgeschichte. Die Digitalisierung hat an dieser Stelle direkte Auswirkungen auf die Nachfrage.

VWheuteWelche Rolle spielt die Digitalisierung intern bei AGCS?

Hans-Jörg Mauthe: Bei der Digital- und Automatisierung hat die Branche sicherlich noch Nachholbedarf. Im Bereich der Risikoselektion und Underwriting wird uns die Digitalisierung als Unternehmen weiterhelfen, Stichwort Big Data. Die vorhandenen Daten müssen noch besser genutzt werden, wir arbeiten mit Partnern in diesem Sektor derzeit an mehreren Projekten. Zudem wollen wir die Möglichkeiten der Technik nutzen, um bei den Portalen und Vergleichsseiten sichtbarer zu werden.  Verbesserungspotenzial sehen wir auch in der Administration, an dieser Stelle erfolgt immer noch zu vieles händisch, die Technisierung muss erhöht werden.

VWheuteKönnen Sie ein Beispiel nennen?

Hans-Jörg Mauthe: In der Schadenbearbeitung werden wir verstärkt auf Automatisierung setzen. Wir haben aktuell rund 140.000 Schäden im Jahr, davon sind mehr als 75 Prozent unter 5000 Euro, die derzeit noch größtenteils von Experten bearbeitet werden. An dieser Stelle sehen wir Potenzial für mehr Effizienz durch Digitalisierung und Automatisierung. Alle diese Bestrebungen machen aber nur Sinn, wenn wir die Kunden und Partner mit einbeziehen.

VWheuteEin gutes Stichwort. Viele Kunden beschweren sich, dass die Schadenbearbeitung in der Industrie- und Gewerbeversicherung intransparent und schleppend abläuft.

Hans-Jörg Mauthe: Wir bekommen bei AGCS ein anderes Feedback, die Kunden sind weit überwiegend sehr zufrieden. Bei unserer jährlichen Kundenumfrage liegt der schlechteste Durchschnittswert auf einer Skala von 7 bei 5,77. Am besten wird die Schnelligkeit der Bearbeitung, der Lösungsansatz und die Expertise unserer Schadenbearbeitung gelobt. Dazu trägt ohne Zweifel die direkte Zusammenarbeit mit für den Kunden nominierten Claimshandlern bei. Aber es stimmt, dass es in der Gewerbeversicherung noch zu wenige einheitliche Standards gibt, das gilt nicht nur im Schadenfall. Ein Kunde, der mit mehreren Versicherern zusammenarbeitet, kann schwerlich einen Überblick über seine ganzen Cases, Portale, Passwörter und so weiter halten. An dieser Stelle sehe ich bei uns und branchenweit noch Verbesserungspotenzial.

VWheuteBleiben wir bei der Branche und kommen zur Zukunft. Wenn die oben genannten steigenden Prämien eintreten, werden die nächsten acht Jahre die vorhergegangenen acht ausgleichen?

Hans-Jörg Mauthe: Das Ziel für die von mir verantwortete Region Deutschland, Österreich, Schweiz und Osteuropa sind deutlich bessere Ergebnisse als zuvor. Das ist auch unser Auftrag des Aktionärs Allianz SE.

VWheuteWas bedeutet deutlich besser?

Hans-Jörg Mauthe: Ich strebe langfristig und nachhaltig eine Combined Ratio von unter 95 Prozent in unserer Region an, derzeit liegen wir bei über hundert.

VWheuteEin stolzes Ziel, wie erreichen Sie das?

Hans-Jörg Mauthe: Vor allem über das Verhältnis von Risiko und Prämie, das wir in den Sparten individuell angehen. Zudem sind wir wie gesagt mit unseren Kunden im Dialog, wie das Verhältnis verbessert werden kann. Darüber hinaus werden wir, wie zuvor beschrieben, die internen Prozesse digitalisieren und optimieren.

VWheuteWie passen risikopicken und Umsatzziele zusammen?

Hans-Jörg Mauthe:Meine Erfahrung aus über 29 Jahren zeigt, dass man die Balance halten kann. Mein Ziel ist der Dialog mit dem Kunden und eine zufriedenstellende Lösung für beide Seiten. Die Aufgabe eines Risikos ist immer die Ultima Ratio.

VWheuteApropos Aufgabe. Die Allianz steigt aus bestimmten Bereichen wie Kohleförderung aus. Wie passen Umwelt- und Umsatzziele zusammen?

Hans-Jörg Mauthe: Die Allianz Gruppe hat sich dazu bekannt, den globalen Wandel zur kohlenstoffarmen Wirtschaft in den kommenden Jahrzehnten aktiv mitzugestalten. Damit unterstützen wir letztlich auch den Umbau der Energiewirtschaft. Wichtig ist, dass wir nicht abrupt aussteigen, sondern mit unseren Industriepartnern aktiv zusammenarbeiten, um angemessene Lösungen zu finden, die einen gemeinsamen Weg in eine klimafreundliche Wirtschaft ermöglichen. Die meisten Energieanbieter arbeiten am Ausstieg aus fossilen- und Einstieg in erneuerbare Energien. Auch als AGCS sehen wir hier große Wachstumschancen, die die Verluste überwiegen werden.

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Maximilian Volz.