AGCS-Manager Mauthe: „Wir sehen keinen Grund für einen Rückzug aus dem Eventbereich“

Hans-Jörg Mauthe (ganz rechts), CEO Germany & CE bei AGCS, in einer Talkrunde. Quelle: Unternehmen.

Angriffslustige Allianz Global Corporate & Specialty: Der Spezialversicherer will die Räume nutzen, die der (pandemiebedingte) Rückzug von Mitbewerbern im Bereich der Industrieversicherung öffnete. Wo er im Bereich Property und Liability Wachstumschancen sieht, warum große Schiffe ihn sorgen und warum er bei Kfz-Rückrufen handeln musste, erklärt Hans-Jörg Mauthe, Regional Managing Director der AGCS in Zentral- und Osteuropa, in einer ausführlichen Analyse der Geschäftsbereiche. Die AGCS will wachsen, um die Volatilität der Industrieversicherung beherrschbar zu machen und die hochgesteckten Eigenziele zu erreichen.

VWheute: Sie hatten für Ihren Bereich steigende Prämien und eine sinkende Combined Ratio vorhergesagt. Wie lief es?

Hans-Jörg Mauthe: Gut! Das Verhältnis von Risiko zu Prämie hat sich verbessert, speziell wegen höherer Einnahmen. Die Combined Ratio liegt im Zielsektor. Das ist vor dem Hintergrund der Naturkatastrophenschäden der vergangenen Monate beachtlich. Wir haben unsere Ziele bis heute also erreicht.

VWheute: Was bedeutet der Umstand für das Unternehmen?

Hans-Jörg Mauthe: Wir streben als AGCS für die nächsten Jahre eine Combined Ratio von 96 Prozent an, immer plus-minus drei Prozent. Der Gewinn ergibt sich wesentlich aus den Faktoren Prämien, Kosten und Schadenquote, aber natürlich spielen auch Faktoren wie das Kapitalanlageergebnis eine Rolle.

VWheute: Verändern die steigenden Prämien Ihre Zeichnungspolitik?

Hans-Jörg Mauthe: In einigen Branchen ist das der Fall: Einige Wettbewerber haben sich in der Vergangenheit aus dem Markt zurückgezogen. Gerade in der D&O-Versicherung  versuchen wir deshalb dazuzugewinnen. Wir wollen auch über Neugeschäft, nicht nur aus dem Bestand wachsen. Bei der Technischen Versicherung sehen wir – vor allem getrieben durch den Klimawandel und die damit verbundene Energiewende – den Wunsch, große Infrastrukturprojekte etwa im Bereich der Grünen Energie zu versichern. Hier wollen wir die Industrie bei ihrem Übergang weg von kohlenstoffintensiver Energie unterstützen. Aber auch in Property und Liability sehen wir selektive Wachstumschancen.

VWheute: Wir brauchen „End-to-End-Lösungen vom Underwriting über die Vertragsbearbeitung bis hin zur Schadenbearbeitung“, sagten Sie 2020. Wie ist der Stand?

Hans-Jörg Mauthe: Wir befinden uns mitten im Prozess; die Schritte finden in Zusammenarbeit mit der Allianz-Gruppe statt und stehen ganz oben auf unserer Prioritätenliste. Bis zum Jahr 2023/24 wollen wir neu aufgestellt sein. Das betrifft alle Bereiche unseres Geschäfts wie Underwriting, das Pricing, aber auch die Vertrags- und Schadenbearbeitung. Wir wollen unsere IT-Systeme und digitalen Plattformen konsolidieren und erneuern rund um ein global konsistentes Produktmodell und durchgängige Prozesse.

VWheute: Kommen wir doch direkt zu Verträgen und Markt: Ist die Betriebsunterbrechungsversicherung wegen der vielen potenziellen Gefahren derzeit das größte Sorgenkind?

Hans-Jörg Mauthe: In der Tat ist die Betriebsunterbrechungsversicherung seit Jahren eines der größten Risiken für Unternehmen. Die Liste der Auslöser wird immer länger, von Bränden und Naturkatastrophen über Wetterereignisse, die Pandemie bis hin zu Cyber. Wir suchen als Allianz Lösungen für die Kunden, wobei zum Beispiel bei einem systemischen Risiko wie einer weltweiten Pandemie dies nur unter Einbindung von staatlicher Seite funktionieren kann. Die AGCS will und wird auch weiterhin adäquate Lösungen für versicherbare Risiken anbieten.

VWheute: Beinhalten die Gespräche mit Dritten auch Lösungen wie Pandemieschutz oder „All-Risk-Deckungen“?

Hans-Jörg Mauthe: Nein, ein Pandemieschutz ist über die Betriebsunterbrechungsversicherung nicht abdeckbar. Wir haben in der Vergangenheit allerdings „Non-Damage-Policen“ für bestimmte Szenarien angeboten, die Betriebsunterbrechungen ohne vorausgegangenen Sachschaden absichern sollten. Die Nachfrage war aber verhalten.

VWheute: Kommen wir zum nächsten Problemkind, dem Bereich „Aviation“.

Hans-Jörg Mauthe: Problemkind würde ich nicht bestätigen.  Aber Sie haben recht, im letzten Jahr wurden im zivilen Bereich nur ein kleiner Prozentsatz des normalen Flugverkehrs erreicht. Auch aktuell sind wir weit vom Vorkrisenstand entfernt und bewegen uns zwischen 30 und 40 Prozent. Das hat Auswirkungen auf Kapazitäten und Prämienvolumen. Gewisse Risiken bleiben aber auch beim Stillstand am Boden bestehen, wie etwa untrainierte Piloten oder Hagelschäden bei geparkten Flotten. Wir bleiben im Sektor Aviation aber langfristig optimistisch, die Raten im Markt waren zuletzt hoch, der Umsatz wird sich langfristig positiv entwickeln.

VWheute: „Die D&O-Versicherer machen aktuell unzumutbare Abwehr-Angebote“, sagt ein Experte. Welchen Weg gehen Sie?

Hans-Jörg Mauthe: Die These kann ich für die AGCS nicht unterstützen; es wird weiter gezeichnet. Der Markt ist aber geprägt durch hohe Schadenquoten, das führt aber auch zu steigenden Prämien. Alles in allem sehen wir speziell im deutschsprachigen Markt hier weiterhin gutes Potenzial.

VWheute: Dann gehen wir in die Film- und Event-Branche; zuletzt kein glückliches Feld.

Hans-Jörg Mauthe:  In der Tat, wir hatten im letzten Jahr rund 500 Mio. Euro an Schäden aus Covid-19 – und ein Großteil davon stammt aus Entertainment. Wir sehen, dass sich einige Mitbewerber aus dem Bereich zurückziehen, doch wir bleiben engagiert und gehen davon aus, dass wir im kommenden Jahr in eine Zeit wie vor der Corona-Phase zurückkehren werden – nur unter veränderter Sicherheitslage. Der Grund dafür ist die wachsende Nachfrage großer Konzertveranstalter nach Tourneen internationaler Top-Stars.

VWheute: Bei weniger Anbietern steigen die Preise, ist das ihr Kalkül?

Hans-Jörg Mauthe: Das ist ein Faktor unserer Überlegungen. Wir sehen aber generell keinen Grund für einen Rückzug aus dem Eventbereich, denn die generellen Risiken außerhalb der Pandemie haben sich nicht wesentlich verändert. 

VWheute: Klare Ansage. Haben Sie eine solche auch für den Bereich Marine?

Hans-Jörg Mauthe: Ich denke schon. Im Bereich Marine herrscht nach wie vor ein großer Wettbewerb, speziell im Bereich Cargo, das spiegelt sich in den Margen wider. Insgesamt ist die Lage schwierig.

VWheute: Ihr Safety and Shipping Review 2021 und der Vorfall im Suez-Kanal bestätigen das. Was machen Sie aus diesen Fakten?

Hans-Jörg Mauthe: Es ist ein grundsätzliches Problem, dass die Schiffe immer größer werden und mehr Container laden. Das birgt ein erhebliches Großschadenpotenzial und die Kapazitäten müssen in die Kumulabsicherung passen. Wir werden den Kunden aber keine Begrenzung der Schiffsgröße oder Containeranzahl diktieren, sondern regeln das über die Vertragsgestaltung und Kapazitäten. Über diese Hebel berücksichtigen wir die Schadensituation und das -potenzial.

VWheute: Im Bereich „Haftpflicht“ ist es aktuell still – oder täuscht das?

Hans-Jörg Mauthe: Ruhig, aber unverändert wichtig; von unseren neun Milliarden Prämien weltweit werden 20 Prozent in diesem Bereich erzielt. Der größte Schadentreiber waren Rückrufe von Kfz wegen Mängeln. Hier mussten wir handeln. Wir haben unser Haftpflichtbuch neu ausbalanciert, indem wir überproportionale Engagements abgebaut und Risiken reduziert haben.

VWheute: Das war eine Steilvorlage. Die Rechtsrisiken nehmen zu, zuletzt warnte ihr Haus vor Sammelklagen.

Hans-Jörg Mauthe: Tatsächlich steigt die Prozessgefahr, nicht zuletzt wegen der Umsetzung der entsprechenden EU-Richtlinie. In den Niederlanden und England wurde sie bereits umgesetzt, hierzulande muss es spätestens Ende 2022 so weit sein. Das wird Auswirkungen auf die Höhe des Schadenersatzes haben. Dennoch erwarte ich keine amerikanischen Verhältnisse.

VWheute: Welche Veränderung erleben Sie in der Beziehung zum Vertragspartner; ist er treu wie ein LV- oder hektisch wie ein Kfz-Kunde?

Hans-Jörg Mauthe: Im deutschsprachigen Raum bestehen manche Kundenbeziehungen seit 30, 40 Jahren oder gar länger. Im angloamerikanischen Raum wird schneller gewechselt, aber auch leichtherziger wieder zurückgekehrt. Trotz aller technischen Lösungen bleibt es ein People-Business auf Augenhöhe, denn speziell die größeren Unternehmen haben In-House-Broker mit entsprechendem Wissen und Know-how. Wir bemerken aber zunehmend, dass Anforderungen der Kunden mit der zunehmenden Digitalisierung steigen. Der Partner möchte beispielsweise jederzeit Einblick in den Stand der Schadenbearbeitung haben, auch bei grenzüberschreitenden Schäden. Das ist eine Herausforderung, der wir uns stellen.

VWheute: Sie haben gesagt, dass die AGCS in allen Bereichen/Sektoren engagiert bleibt. Inwieweit sichert Quantität in den Sektoren die Gesamtperformance?

Das Geschäft mit Industriekunden ist aufgrund der Risiken natürlich geprägt durch entsprechende Volatilität. Ein wichtige strategische Maßnahme, um diese Volatilität beherrschbar zu machen ist der Ausgleich im Portfolio durch das Engagement in verschiedenen Segmenten und Versicherungssparten. Bei globalen Risiken spielt dann auch noch der Ausgleich über verschiedene Regionen eine wichtige Rolle.

VWheute: Wie immer bedanke ich mich für das Gespräch.

Das Interview führte Maximilian Volz

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