Covid-19, verlorene Container und Riesenfrachter stellen Schifffahrt vor Probleme

Neue Analyse von AGCS zum Schadenaufkommen in der Schiffsversicherung. Quelle: Bild von Julius Silver auf Pixabay

Teure Frequenzschäden setzen die Seekaskoversicherung weltweit weiter unter Druck. „Trotz der jüngsten Marktkorrekturen dürfte das Prämienniveau den extrem weichen Markt der letzten fünfzehn Jahre nicht auffangen“, sagte Justus Heinrich bei der Vorstellung der Studie „Safety & Shipping Review 2021“ der Allianz Global Corporate & Specialty SE (AGCS).

Die jährliche Studie analysiert die gemeldeten Schiffsverluste und -unfälle über 100 Bruttoregistertonnen. Danach lagen die Totalschäden 2020 mit 49 (48) Fällen das dritte Jahr in Folge auf einem historischen Tiefstand. Auch die Zahl der Schiffsunfälle sank weltweit um vier Prozent auf 2.703. „Wenn die Totalverluste sinken, heißt das aber nicht, in Kasko läuft alles super. Feuer, Explosion und Maschinenschäden, die schnell eine zweistellige Millionenhöhe erreichen, bleiben ein entscheidendes Thema bei der Risikobewertung, der Qualität des Buches und damit des Ergebnisses. Und das sind eher Frequenzschäden“, so Heinrich, der die Schifffahrtsversicherung der AGCS in Zentral- und Osteuropa leitet und Globaler Produktmanager für Schiffskasko ist.

„Die anhaltende Belastung der Crews durch lange Zeiten an Bord, die Zunahme von teuren und komplexen Schäden gerade in Zusammenhang mit größeren Schiffen, die wachsende Besorgnis über Verzögerungen und Unterbrechungen in der Lieferkette sowie die Einhaltung von Umweltauflagen stellen die Reeder und ihre Besatzungen vor große Herausforderungen im Risikomanagement“, listet Heinrich die wesentlichen Probleme auf. Die Auswirkungen der Covid-Pandemie gelten als größtes Risiko.

Durch die Pandemie hätten sich die Wartezeiten in den Häfen verlängert und der Mangel an leeren Containern vergrößert. Dass sich im März 2021 schätzungsweise immer noch 200.000 Seeleute an Bord von Schiffen befunden haben, die aufgrund von COVID-19-Beschränkungen nicht in die Heimat zurückkehren konnten, nennt er eine humanitäre Krise – und sieht ein großes Risiko. Denn: Längere Zeit auf See könne zu mentaler Ermüdung führen und die Entscheidungsfähigkeiten beeinträchtigen, so Anastasios Leonburg, Senior Marine Risk Consultant bei AGCS. 80 bis 90 Prozent aller Schäden seien auf menschliches Versagen zurückzuführen. Es habe bereits Zwischenfälle auf Schiffen gegeben, bei denen Besatzungen länger an Bord waren, als sie hätten sein sollen. Solche Arbeitsbedingungen könnten zudem die Probleme des Fachkräftemangels in der Seefahrt verschärfen.

Wenn die Besatzungen im Rahmen der COVID-19-Einschränkungen keine Wartungsarbeiten durchführen oder die Herstelleranweisungen befolgen konnten, könne dies bald zu höheren Schadenersatzansprüchen bei Maschinenausfällen führen, so Heinrich. „Insgesamt hat sich die Häufigkeit von Schiffsschäden nicht verringert. Wir sehen auch einen Anstieg der Kosten für Kasko- und Maschinenschäden aufgrund von Verzögerungen bei der Herstellung und Lieferung von Ersatzteilen sowie einer Verknappung der verfügbaren Werftflächen“, sagte er. Auch die Kosten für Bergung und Reparaturen seien gestiegen.

Trotz der verheerenden wirtschaftlichen Auswirkungen von COVID-19 waren die Auswirkungen auf den Seehandel geringer als zunächst befürchtet. Das globale Seehandelsvolumen ist auf dem besten Weg, das Niveau von 2019 in diesem Jahr zu übertreffen. Allerdings bleibt die Erholung volatil.

COVID-19-bedingte Verzögerungen in den Häfen und Probleme beim Management der Schiffskapazitäten haben zu Staus zu Spitzenzeiten und einem Mangel an leeren Containern geführt. Im Juni 2021 gab es schätzungsweise eine Rekordzahl von 300 Frachtschiffen, die auf die Einfahrt in überfüllte Häfen warteten. Die Zeit, die Containerschiffe beim Warten auf Hafenliegeplätze verbringen, hat sich seit 2019 mehr als verdoppelt.

Insgesamt nimmt laut Heinrich die Schiffssicherheit aber zu. Die Seeregion Südchina, Indochina, Indonesien und Philippinen bleibe der globale Unglücks-Hotspot und ist für jeden dritten Totalverlust 2020 verantwortlich. „Das ist Geschäft, das hinsichtlich der Typen und Altersklassen aber eher in regionalen Büchern steckt, und nicht bei der AGCS versichert ist.“

„Besorgniserregend“ nannte Heinrich die Entwicklung bei den Bränden an Bord – und hier vor allem eine gestiegene Häufigkeit bei Containerschiffen mit einem Wert von über 500.000 US-Dollar. Ursächlich seien oft Nicht- oder Fehldeklaration von gefährlicher Ladung wie Chemikalien und Batterien in den Containern. Der Verlust von Containern auf See sei 2020 auf über 3.000 Fälle hochgeschnellt. Dieser Trend habe sich 2021 fortgesetzt. Die Folge seien Lieferkettenunterbrechungen sowie potenzielle Verschmutzungs- und Navigationsrisiken.

Der weltweite Hotspot der Piraterie hat sich der Studie zufolge in den Golf von Guinea verlagert. 2020 wurden 130 Besatzungsmitglieder bei 22 Vorfällen in der Region entführt. Da die Ursache oft fehlende staatliche Strukturen seien könnte die Pandemie die Piraterie verschlimmern, da diese soziale, politische und wirtschaftliche Probleme verschärfe.

Größere Schiffe, größere Risiken
Die Blockierung des Suezkanals durch das Containerschiff Ever Given im März 2021 ist der jüngste in einer wachsenden Liste von Zwischenfällen mit großen Schiffen oder Megaschiffen. Schiffe werden immer größer, da Reedereien nach Größenvorteilen und Treibstoffeffizienz streben.

Die größten Containerschiffe überschreiten mittlerweile die 20.000-TEU-Marke und noch größere Schiffe sind in Auftrag gegeben (24.000 TEU) – allein die Kapazität von Containerschiffen ist in den letzten 50 Jahren um 1.500 % gestiegen und hat sich in den letzten 15 Jahren mehr als verdoppelt.

„Größere Schiffe bedeuten besondere Risiken. Die Reaktion auf Zwischenfälle ist komplexer und teurer. Die Zufahrtskanäle zu bestehenden Häfen wurden zwar tiefer ausgebaggert und die Liegeplätze und Kaianlagen erweitert, um große Schiffe aufzunehmen, aber die
Gesamtgröße der Häfen ist gleichgeblieben. Infolgedessen kann ein „Versehen“ häufiger zu einem „Unfall“ für die sehr großen Containerschiffe werden, sagt Anastasios Leonburg, Senior Marine Risk Consultant bei AGCS. Wäre die Ever Given nicht wieder flott gemacht worden, hätte die Bergung den langwierigen Prozess des Entladens von rund 18.000 Containern erfordert, wofür Spezialkräne nötig gewesen wären. Die Wrackbeseitigung des großen Autotransporters Golden Ray, der 2019 mit mehr als 4.000 Fahrzeugen an Bord in US-Gewässern kenterte, hat über anderthalb Jahre gedauert und mehrere hundert Millionen Dollar gekostet.

Der Bericht stellt zudem fest, dass die vier größten Reedereien (Maersk, MSC, CMA CGM und Cosco) bereits Opfer von Cyberangriffen waren. Hier wurde über eine zunehmende Sensibilisierung für Cyberrisiken und Regulierungen, wonach Risikomanagement verpflichtend an Bord werde, berichtet. Die Schifffahrtsunternehmen schlössen zunehmend Cyberversicherungen ab, allerdings hauptsächlich für landgestützte Aktivitäten.

Autorin: Monika Lier