R+V-Chef Rollinger trifft Debeka und Co. mit Impfvorstoß auf falschem Fuß

Es geht um viel mehjr als nur Impfung:, nämlich um Solidarität und Gemeinschaft.

Es war eine Bombe: “Als Versicherungsbranche werden wir früher oder später darüber nachdenken müssen, möglicherweise Tarife nach Impfstatus zu unterscheiden”, hat R+V-Chef Norbert Rollinger kürzlich erklärt. Mit seinem Denkanstoß überrollte er PKV-Verband und Mitbewerber, die für den Vordenker (offenbar) noch nicht bereit sind. Rollingers Denkweise zum Bestandsschutz folgen andere Branchengrößen, beispielsweise die CEOs Oliver Bäte und Giovanni Liverani.

Die Idee mit Tarifen für Ungeimpfte hat die Branche überrascht. Der PKV-Verband hat erklärt, dass der Corona-Impfstatus der Versicherten in den PKV-Tarifen „keine Rolle spiele“, das gelte für alle Immunisierungen. Es werden “keine Überlegungen angestellt, daran etwas zu ändern”. Weiter möchte sich der Verband zu dieser allgemeinen gesellschaftspolitischen Debatte “nicht äußern”. Die PKV-Unternehmen – inklusive R+V – folgen dieser Sicht. Keines der Top-13 PKV-Unternehmen plant einen Schritt in eine Zweiklassenimpfgesellschaft, zeigt eine VWheute-Umfrage. Die Tarifierung sei zu aufwendig, rechtlich schwierig und Impfnachweise unüblich, waren die vorherrschenden Argumente. Der eine oder andere Anbieter fürchtete auch einen Ansturm von wütenden Impfgegnern. Die „momentane Kalkulation sei ausreichend“ und eine Corona-Erkrankung müsse bei künftigen Verträgen angegeben werden, erklärte ein Unternehmen. Zudem wären Tarif-Änderungen nur bei Neukunden möglich.  

Im Kern geht es um den Grundgedanken der Versicherung

Ist Rollingers Vorschlag damit gescheitert oder gar ein Eigentor? Ein Mitbewerber sprach wegen des „Anstoßes zu einer breiteren Debatte“ von einem Öffentlichkeits-Coup. Tatsächlich hatte die Impfaussage zwei Tage erheblichen medialen Widerhall in führenden Medien außerhalb der Branche gefunden. Ob es allerdings ein PR-Coup war, sei dahingestellt. Es habe eine “überschaubare Anzahl an Rückmeldungen zur Interview-Aussage” gegeben, erklärt die R+V. Es ist den geschätzten Kollegen in Wiesbaden zu wünschen, dass das Feedback im Ton angemessener war als das, was die VWheute-Redaktion zum „Gesellschaftsspalter“ Rollinger erhielt. Doch zwischen den Meinungen jenseits aller Gürtellinien traf ein Kommentator den Punkt der Debatte: „Wahrscheinlich steht allen Diabetikern, Rauchern und Sportlern eine ähnlich begründete Beitragserhöhung ins Haus“. Das ist der Kern; wie soll ein (Kranken)-Versicherer mit Menschen umgehen, die wissentlich ein höheres Risiko für sich und damit die Gemeinschaft bedeuten?

Solidarität und Gemeinschaft

„Wenn jemand wegen Corona auf der Intensivstation landet, ist das deutlich teurer als eine Impfung”. Diese Kosten trage im Endeffekt die Gemeinschaft, argumentiert Rollinger. Er fragt, “wie lange sich die schweigende Mehrheit der Geimpften von den hartnäckigen Impfverweigerern noch auf der Nase herumtanzen lasse“. Alleine ist er mit seiner Meinung keineswegs. „Wir müssen weg von dem Prinzip, dass die Gemeinschaft zahlt, wenn sich Einzelne falsch ernähren oder riskante Sportarten treiben. Auch halte ich es für falsch, dass die Gemeinschaft zahlt, wenn sich Einzelne nicht impfen lassen“, sagt Allianz-CEO Oliver Bäte aktuell im Handelsblatt-Interview. Auch der Staat schützt den Bestand: Wer als Ungeimpfter in Quarantäne muss, erhält ab 1. November keine finanzielle Unterstützung von Bund und Ländern mehr. Giovanni Liverani, CEO Generali-Deutschland, verfolgt diesen Gedanken auf eine etwas andere Art. Beim  Programm „Vitality“ erhalten verhaltensbrave Kunden –  gute Ernährung, viel Bewegung –  Vergünstigungen gegenüber den weniger Fleißigen. Das Programm fördert also bestandskonformes Verhalten zum Wohl aller, wie er im Video selbst erklärt.

Das Ziel von Liverani, Rollinger und Co. ist dasselbe: Schutz der Gemeinschaft.

Die Zukunft?

Neu ist das alles nicht: Eine Einteilung zwischen Rauchern und Nichtrauchern ist längst normal und in der Kfz-Versicherung ist der Einzelne bei konformem (Unfall-)Verhalten bis zu einem gewissen Grad Herr seines Beitrags. Das Prinzip ist stets, dass die Gemeinschaft nicht auf Dauer für die Fehler oder das Fehlverhalten des Einzelnen aufkommen kann. Um das zu gewährleisten, gibt es nicht nur in der Kfz-Versicherung Wege. Die Schweiz hat in der Krankenversicherung Selbstbehalte eingeführt, wenn Vorsorgeuntersuchungen nicht durchgeführt werden oder sich jemand gegen eine Covid-Impfung entscheidet. Ist das die Abschaffung des Solidarsystems in Gesellschaft und Versicherungswesen? Bäte verneint (stellvertretend). Dennoch müsste über Instrumente wie in der Schweiz „als alternde Gesellschaft diskutiert werden“, sonst „kollabiere das System“, erklärt der Allianz-CEO. Ob das Solidarsystem (in der Versicherungsbranche) vorherrschend bleiben wird, ist eine Frage für eine andere Diskussion. Der Zug zum individualisierten Versicherungsschutz ist jedenfalls längst Richtung Wachstum unterwegs. Rollingers „Anstoß zu einer breiteren Debatte“ kam unerwartet, aber rechtzeitig, um die Diskussion wird  in und außerhalb der Branche kein Weg vorbeiführen.

Autor: Maximilian Volz