Schadenprognose: GDV rechnet mit fünf Mrd. Euro Flutschäden, Aktuare liegen weit darunter

Bad Neuenahr,16. Juli 2021, Quelle: Bernd Engelien, Zurich

Eine laufende Betrachtung ist die Königsdisziplin der Schadenprognose. Aus diesem Grund sind sie eher Orientierung statt Faktenfels. Es ist nicht verwunderlich, dass die Einschätzungen variieren; eine solche Differenz wie zwischen GDV und MSK gibt es allerdings selten. Derweil tobt die Diskussion um eine Versicherungspflicht weiter und der Bund (sowie Gothaer) haben Hilfen für die Geschädigten angekündigt.

„Den versicherten Schaden für Deutschland schätzt Meyerthole Siems Kohlruss (MSK) auf über 1 Mrd. Euro“, sagt MSK-Geschäftsführer Onnen Siems. Das Gros der versicherten Schäden komme aus der (erweiterten) Elementarversicherung, ein kleinerer Teil aus der Kfz- und Transport-Sparte“, erklärt er weiter. „Elementargefahren haben in der Wohngebäude- und besonders in der Hausratversicherung nur eine geringe Anbindung. Das Gleiche gilt für gewerbliche Sachrisiken – also Gebäude, Inhalt und Betriebsunterbrechung. Dadurch beläuft sich der Schadenbetrag der Versicherer auf deutlich unter 40 Prozent des „theoretisch versicherbaren Schadens“.

Rekordschadenjahr erwartet

Mehr als 1,5 Mrd. Euro zahlten die deutschen Versicherer in den beiden letzten Jahrzehnten bei den Hochwasserereignissen der Sommer 2002 und 2013, bei Wintersturm KYRILL und den Hagelereignissen im Juli 2013 und Juni 2021. „Damit liegt die Wiederkehrperiode für das Schadenereignis BERND bei drei bis fünf Jahren“, ordnet Siems ein. Nach sieben unterdurchschnittlichen Schadenjahren hat 2021 das Potenzial, „das langjährige Mittel von 3,7 Mrd. Euro für die deutschen Versicherer zu übersteigen“.

Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), stimmt der Einschätzung hinsichtlich des Schadenpotenzials im Wesentlichen zu. „Insgesamt dürfte dieses Jahr mit Stürmen, Überschwemmung, Starkregen und Hagel zum schadenträchtigsten Jahr seit 2002 werden“. Damals lag der versicherte Unwetterschaden bei 10,9 Milliarden Euro. Bereits im Juni hatten Starkregen und Hagel einen geschätzten versicherten Schaden von 1,7 Milliarden Euro verursacht.

Schäden durch Bernd in der Kartenansicht. Quelle: MSK.

Die Versicherer sind gewarnt. „Für die Unwetter vom 21. bis 29. Juni haben uns inzwischen mehr als 26.000 Schadenmeldungen unserer Kunden erreicht und täglich kommen noch weitere dazu“, erklärte beispielsweise Ralph Eisenhauer, Vorstand Schaden/Unfall der SV SparkassenVersicherung. „Insgesamt gehen wir aktuell von einem Gesamtschadenaufwand in der Größenordnung von 150 bis 200 Millionen Euro aus.“ Das war noch vor der Flut.

GDV rechnet mit größeren Zerstörungen

Beim Potenzial des Schadenjahres waren sich GDV und MSK einig, nicht so bei der  aktuellen Schadenschätzung.

Die vom Tiefdruckgebiet „Bernd“ ausgelöste Flutkatastrophe der vergangenen Woche in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz hat nach ersten vorläufigen GDV-Schätzungen Milliardenschäden verursacht. „Wir rechnen momentan mit versicherten Schäden in Höhe von 4 bis 5 Milliarden Euro“, erklärt Asmussen. Die Schäden dürften sogar noch über denen des August-Hochwassers im Jahr 2002 von 4,65 Milliarden Euro liegen, erklärte er. „Bernd“ gehört damit zu den verheerendsten Unwettern der jüngeren Vergangenheit“. Die Berenberg Bank hatte mit drei Mrd. Euro gerechnet, allerdings als Untergrenze, MSK geht von einer Milliarde an versicherten Schäden aus.

Wahrheit oder Pflicht

In die ausgebrochene Diskussion um eine Pflicht zur Elementarabsicherung wollte sich Asmussen nicht direkt einbringen. „Als einzelnes Instrument lehnen wir sie ab, weil sie den Anreiz nimmt, sich gegen Flut- und andere Extremwetterrisiken abzusichern“. Eine Pflichtversicherung könne nicht die Kosten der fehlenden Klimafolgenanpassung schultern. „Sie wäre allenfalls dann sinnvoll, wenn sie in ein neues Gesamtkonzept für Flächen- und Bauplanung sowie den Katastrophenschutz eingebunden wäre“, analysiert er.

In den Kreis der Versicherungspflichtbefürworter haben sich trotz dieser nachvollziehbaren Argumente weitere Parteien eingegliedert. Dazu gehören die Verbraucherschützer sowie der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Zuvor hatte sich unter anderem der Justizminister Nordrhein-Westfalens, Peter Biesenbach, für eine Pflicht ausgesprochen. Die Bundeskanzlerin Angela Merkel ist dagegen, die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer hadert noch, wie sie im SCHLAGLICHT zum Thema nachlesen können.

Die Gefahr von Hochwasser werde trotz der aktuellen Ereignisse weiter unterschätzt, sagt Jutta Michel, Versicherungswirtschaftsprofessorin an der Hochschule Coburg. Das werde daran deutlich, dass die Elementarschäden oft an den Orten eintreten, „wo man nicht damit gerechnet habe„. Viele Hausbesitzer würden das Risiko Flut falsch einschätzen, sagt Michel. Laut RP-Online sind lediglich 43 Prozent der Häuser versichert.

400 Millionen sofort

Während das Für- und Wider einer Pflichtabsicherung diskutiert wird, haben Finanz- und Innenministerium einen Beschlussentwurf für Hilfen aufgelegt. Nach dem Papier sollen zunächst 400 Millionen Euro für Soforthilfen freigegeben werden. Es werde aber noch „final beraten“, schreibt der Münchener Merkur. Am Ende dieses Monats oder „Anfang August“ wird es ein Sondertreffen der Ministerpräsidenten der Bundesländer geben, bei dem über einen „gemeinsamen Wiederaufbau“ beraten wird.

Die Gothaer ist über das Diskutieren bereits hinaus. Die Kölner haben einen mit zunächst 500.000 Euro dotierten Hilfsfonds aufgelegt, um die vom Unwetter Bernd betroffenen Regionen zu unterstützen. Gefördert werden sollen vor allem Projekte, die soziale Härten ausgleichen oder zu einem nachhaltigen Wiederaufbau in den Regionen beitragen.

Autor: Maximilian Volz

Wer mehr zum Thema „Naturgefahrenversicherung“ wissen möchte, dem sei das brandneue gleichnamige Buch des Autors Thomas Behrens aus dem VVW Verlag empfohlen.