Rückversicherer in Corona-Not: Swiss Re droht den Anschluss an die Spitze zu verlieren
Die Corona-Krise macht den Rückversicherern zu schaffen. Dass Wirtschaft und Gesellschaft bald zur Normalität zurückkehren, hält der Swiss-Re-Chef Mumenthaler für unwahrscheinlich. Eine Größenordnung der versicherten Schäden von bis zu 100 Mrd. Euro dagegen schon. Aus Sicht des Schweizer Konzerns wäre das eine wohl tragbare Summe. Die Halbjahresbilanz morgen ist für den Rückversicherer auch eine Zwischenbilanz aus der Coronazeit. Der Druck ist groß, denn die Konkurrenz aus München hat sich bislang wacker geschlagen.
Die Eidgenossen allein im ersten Halbjahr 2020 mit einem Verlust von 1,1 Mrd. US-Dollar. Demnach hat der Konzern eigenen Angaben zufolge Schäden und Rückstellungen im Zusammenhang mit der Pandemie von insgesamt 2,5 Mrd. US-Dollar (rund 2,16 Mrd. Euro) vor Steuern verbucht.
Den Schweizern machen Corona-bedingte Großschäden aus der Absage von Großveranstaltungen und aus Betriebsunterbrüchen zu schaffen. Allein im ersten Quartal hat der Rückversicherer nach eigenen Angaben Schäden von 476 Mio. Dollar verbucht. Demnach entfallen rund 1,5 Mrd. Dollar die Sach-Rückversicherungssparte. Rund 0,5 Mrd. würden auf das Erstversicherungsgeschäft von Großunternehmen entfallen.
In der Leben- und Kranken-Rückversicherung rechnet der Rückversicherer mit Schäden von 0,5 Mrd. Dollar entstanden. Die wesentlichen Gründe dafür sieht die Swiss Re in höheren Mortalitätsschäden in den USA und Großbritannien, die über den erwarteten Schadenniveaus liegen würden.
Mumenthaler: Rückkehr zur Normalität ist nicht absehbar
Vorstandschef Christian Mumenthaler rechnet zudem nicht mit einer schnellen Rückkehr zur Normalität. „Das wird meiner Meinung nach mindestens noch ein, zwei Jahre brauchen. Viel hängt davon ab, welche Fortschritte wir bei den Impfstoffen machen werden und was Sie als normal bezeichnen. Ich denke aber, dass wir uns auf jeden Fall auf eine zweite Welle der Epidemie einstellen sollten“, betonte der Versicherungsmanager und studierte Molekularbiologe bereits Anfang Juni gegenüber dem Handelsblatt.
Blickt man allein auf die aktuelle Zahl der Neuinfektionen in Deutschland, scheint diese Besorgnis durchaus berechtigt. Nach Angaben des Robert-Koch-Institutes (RKI) stieg die Zahl der infizierten Menschen am Mittwoch mit 206.926 angegeben – ein Plus von 684 seit dem Vortag (Stand: 29. Juli). „Wir müssen feststellen, dass wir eine zunehmende Fallzahl in Deutschland haben. Die neueste Entwicklung der Fallzahlen in Deutschland macht mir große Sorgen“, betonte RKI-Präsident Lothar Wieler am Dienstag. Ein Grund dafür: „Die Akzeptanz der Maßnahmen in Deutschland ist gesunken.“
Mumenthaler selbst rechnet indes nicht mit einer schnellen Zulassung eines Corona-Impfstoffes: „Das wird meiner Meinung nach mindestens noch ein, zwei Jahre brauchen (…). Es ist keineswegs ausgemacht, dass wir schon bald ein Mittel gegen Corona haben werden. Es werden zwar Milliarden Euro ausgegeben und viele Versuche gemacht, aber gegen andere Coronaviren haben wir bis heute Mühe, Gegenmittel zu finden“.
„Auch nach den Anschlägen vom 11. September dachten wir, dass alles anders wird. Man passt sich dann aber schnell den alten Gewohnheiten an, obwohl gewisse Veränderungen bleiben. Das erwarte ich diesmal auch. Ich hoffe, dass beispielsweise etwas mehr Solidarität zwischen den Ländern in Europa aufkommt und dass wir uns überlegen, ob man so viel konsumieren, so viel fliegen, so viel im Büro sein muss. Vielleicht können die Schulen digitaler werden. Es ist ein Lernprozess für uns alle, den sollten wir unbedingt nutzen.“
Christian Mumenthaler, Vorstandsvorsitzender der Swiss Re
Schadenbelastung in Milliardenhöhe?
Keine Prognosen will Mumenthaler jedoch hinsichtlich der Schadenbelastung für die Versicherer abgeben: „Ich glaube, es ist noch zu früh. Derzeit sind alle Vorstandsetagen und Aufsichtsratsgremien dabei, sich einen Überblick über die finanziellen Folgen zu machen. Die Lage ist unsicher. Da denkt niemand daran, ein Unternehmen zum Verkauf anzubieten. Aber es wird darauf ankommen, wie groß der finanzielle Stress in den nächsten Monaten sein wird. Es ist möglich, dass sich das Übernahmekarussell im vierten Quartal oder Anfang des kommenden Jahres wegen Corona in Gang setzen wird. Für die Swiss Re könnten sich dann Gelegenheiten bieten“.
Zum Vergleich: Der britische Versicherungsmarkt Lloyd’s of London beziffert den Schaden durch die Corona-Krise allein in diesem Jahr auf rund 203 Mrd. US-Dollar. Dabei setze sich diese Summe aus den Versicherungsschäden über 107 Mrd. US-Dollar und den Anlageverlusten von etwa 96 Mrd. US-Dollar zusammen.
Die Swiss Re hat es hart getroffen. So schrieb der Rückversicherer allein in den ersten drei Monaten des Jahres einen Verlust von 225 Mio. US-Dollar. Die Gründe: Die Folgen der Corona-Pandemie und eine höhere Schadenbelastung durch Naturkatastrophen als erwartet.
Dabei schlugen Unternehmensangaben zufolge vor allem die Verschiebung der Olympischen Sommerspiele von Tokio auf den Sommer 2021 sowie die Absage weiterer Großveranstaltungen und die Schadenbelastung durch Naturkatastrophen – allen voran Waldbrände, Hagelschäden und große Überschwemmungen vor allem in Australien – besonders zu Buche. Zum Vergleich: im ersten Quartal 2019 schrieb die Swiss Re noch einen Gewinn von 429 Mio. US-Dollar.
Finanzvorstand John Dacey betonte bei der Präsentation der Q1-Zahlen, dass weder Banken noch Versicherer in der Lage seien, die Kosten einer globalen Krise wie der Coronavirus-Pandemie zu stemmen: „Dies ist eindeutig ein Risiko, das zu groß ist, als dass die Branche es selbst bewältigen könnte. Es besteht ein Kumulationsrisiko, das selbst ein gut kapitalisiertes Unternehmen wie Swiss Re einfach nicht alleine bewältigen kann“. Allerdings könnten künftig Versicherungspools in Zusammenarbeit mit Regierungen, wie sie etwa bereits bei Terror-Risiken zur Anwendung kommen.
Konkurrenz kommt bislang besser weg
Die deutsche Konkurrenz ist bislang deutlich besser durch die Krise gekommen. So hat die Hannover Rück im ersten Quartal 2020 sowohl bei den Bruttobeitragseinnahmen als auch beim Gewinn zulegt. Auch in der Schaden-Rückversicherung konnte der niedersächsische Rückversicherer nach eigenen Angaben bei der letzten Erneuerungsrunde zulegen. Dennoch legt der Konzern rund 220 Mio. Euro für die Folgen der Pandemie zurück.
Größte sonstige Einzelschäden waren Unternehmensangaben zufolge die Buschbrände in Australien mit 22,4 Mio. Euro, Sturm „Sabine“ in Europa mit 17,6 Mio. Euro und ein Hagelsturm in Australien mit 15,1 Mio. Euro. Die kombinierte Schaden-Kostenquote stieg auf 99,8 Prozent (VJ: 95,7 Prozent). Ob die Niedersachsen auch weiterhin so gut wegkommen, wird sich am 5. August 2020 bei der Präsentation der Halbjahresergebnisse für das laufende Geschäftsjahr erweisen.
Auch die Münchener Konkurrenz zeigt sich bislang gelassen: So stand im zweiten Quartal ein zufriedenstellendes Nettoergebnis von ca. 600 Mio. Euro in den Büchern. Die Corona-bedingten Schäden fielen im gleichen Zeitraum mit 700 Mio. Euro dennoch deutlich aus. Der größte Anteil der Schäden infolge von Corona entfiel auf die Versicherung von Großereignissen, geringere Belastungen sind in der Lebens- und Gesundheitsversicherung sowie in anderen Bereichen der Schaden- und Unfallversicherung (inkl. Betriebsunterbrechung) angefallen. Über die endgültigen Halbjahresergebnisse wird der bayerische Rückversicherer wie geplant am 6. August berichten.
Dennoch hat Corona die Munich Re bereits im ersten Quartal 2020 mit voller Wucht getroffen. So erwirtschaftete der Rückversicherer in den ersten drei Monaten des Jahres einen Gewinn von gerade einmal 221 Mio. Euro (VJ: 633 Mio.). Die Covid-19-bedingten Schäden von lagen bei etwa 800 Mio. Euro, was vor allem dem Ausfall von Großveranstaltungen geschuldet ist.
Die Gesamtbelastung durch Großschäden stieg dabei deutlich auf 1,181 Mrd. Euro (V: 479 Mio.). Die Belastung aus Naturkatastrophen lag bei nur leicht erhöhten 208 Mio. Euro (VJ: 193 Mio.). Die hohe Schadensbelastung schlug sich in der Schaden-Kosten-Quote der Rückversicherung nieder und lag zum 31. März 2020 bei 106 Prozent (VJ: 97,3 Prozent). Als wesentlichen Grund nannte der Münchener Konzern vor allem die Schäden aus der Absage bzw. Verschiebung von Großveranstaltungen im Zuge der Corona-Pandemie.
Kritik an Führungsriege
Die Swiss Re dürfte die Schadenbelastung dank guter Kapitalpolster zwar auffangen. Dennoch wird mediale Kritik an der Führungsspitze laut – allen voran am scheidenden Verwaltungsratspräsidenten Walter Kielholz: So sei die Swiss Re nach ihrem tiefen Fall 2008 erneut in eine gefährliche Krise geraten, heißt es bei Inside-Paradeplatz.ch.
„Die Verantwortung dafür trägt der oberste Steuermann und Kommandeur. Er heißt Walter Kielholz und ist seit Jahr und Tag der Befehlshaber des Flugzeugträgers vom Zürcher Mythenquai. Kielholz hat es trotz seiner Erfahrung und der uneingeschränkten Machtposition nicht geschafft, das vermeintlich unzerstörbare Schiff auf Kurs zu halten“, lautet der Vorwurf. Ob dessen Nachfolger, der scheidende UBS-CEO Sergio P. Ermotti, den Schweizer Rückversicherer nach seinem Amtsantritt 2021 wieder in ruhigere Fahrwasser manövrieren kann, bleibt abzuwarten.
CEO Mumenthaler hält sich „lieber an die alten Stoiker. Die Erkenntnis, dass wir viele Dinge nicht beeinflussen können, gehört zum Leben. Hier lohnt es sich nicht, zu viel Energie zu investieren. Ich versuche mich eher darauf zu fokussieren, was ich verändern kann.“ Die Halbjahreszahlen 2020 dürften seine Entscheidungen maßgeblich beeinflussen.
Autor: VW-Redaktion