Problemfall Lebensversicherung: Der große Aufkauf rückt näher

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Es war ein lautes Lebensversicherungsgerücht mitten zur Corona-Zeit: Allianz und Generali wollen sich von großen und milliardenschweren LV-Beständen trennen, meldete Bloomberg. Die Unternehmen schweigen auf Nachfrage, doch die Run-off-Branche hat bereits Witterung aufgenommen. Experten zufolge muss sich ein Viertel bis ein Drittel der Versicherer ernsthaft Gedanken darüber machen, wie es mit den Altbeständen weitergeht. Die Zeit der LV-Käufer scheint gekommen.

Laut der Nachrichtenseite will sich die Allianz von europäischen LV-Beständen in Höhe von 9,9 Mrd. Euro trennen, die Generali, die ja bereits ihren deutschen Bestand in den Run-Off schickte, wollte den französischen veräußern, der auf ein bis zwei Milliarden Euro Assets geschätzt wird. Zudem planen die Italiener offenbar, ihr gesamtes Schweizgeschäft zu veräußern, besagen die Gerüchte. Beide Unternehmen geben sich auf Nachfrage schweigsam, wollen „Gerüchte nicht kommentieren“.

Die Corona-Pandemie hat die Lage für die gesamte Lebens- und Versicherungsbranche erschwert, auch wenn die Bafin die deutschen Versicherer als „nicht existenzbedrohend“ bezeichnet. Zwischen „überleben“ und „lukrativ“ liegen allerdings Welten, sodass viele Unternehmen laut Beobachter über einen Verkauf nachdenken. Eine wahrscheinlich weitere Absenkung des Höchstrechnungszinses dürfte die Lage der Anbieter auf dem Markt weiter erschweren, auch wenn die Mehrheit mittlerweile eh auf Fondsmodelle mit geringen Garantien setzt.  

Die Probleme der Branche sind die Chancen der Run-Off’ler

Dass Corona eher den Aufkäufern als den Besitzern der Bestände nutzt, glaubt Christian Thimann, CEO der Athora Deutschland, einem Lebensversicherungsaufkäufer. „Die Corona-Pandemie erhöht die Spannungen im Lebensversicherungsmarkt. Neben den langfristig niedrigen Zinsen ist ein extrem volatiler Aktienmarkt als eine weitere Herausforderung hinzugekommen“, erklärt er.

Für viele Versicherer wäre die Erhöhung der Aktienquote eine Option gewesen, um den niedrigen Zinsen zu begegnen, diese habe sich nun als stark schwankend herausgestellt, erklärt Thimann. Die Spannung am Markt setze Versicherer, die über Altbestände mit Garantieversprechen verfügen, weiter unter Druck. „Ein Viertel bis ein Drittel der Versicherer muss sich wahrscheinlich ernsthaft Gedanken darüber machen, wie es mit den Altbeständen weitergeht. Lösungen für Altbestände, die Erstversicherern helfen, Kapital freizusetzen, sind daher im Markt willkommen“, glaubt Thimann.

Die Freisetzung von Kapital wurde auch in der Bloomberg-Meldung als wahrscheinlicher Grund für den (möglichen) Verkauf angegeben. Ein weiterer Aspekt ist, dass es sich für die Unternehmen finanziell nicht mehr lohnt, die Bestände weiterzuführen, auch weil die Aufsicht milliardenschwere Absicherungen fordert. Der europäische Lebensversicherungssektor ist insgesamt stabil, die zuständige Aufsichtsbehörde Eiopa spricht von einer „gutkapitalisierten, schockresistenten Branche„. Dennoch hadern viele Anbieter offensichtlich mit dem Aufwand und den damit nicht in Einklang stehenden Erträgen.

„Lebensversicherer werden ihr Neugeschäft einstellen“

„Eine kritische Analyse wird zahlreichen Playern offenbaren, dass ein erfolgreiches Mitspielen im Markt für sie schon unter den bisherigen Rahmenbedingungen kaum möglich sein wird“, erklärt Kurt Wolfsdorf, stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender und Aktionärsvertreter des Run-Off-Anbieters Frankfurter Leben.  

Nach den zahlreichen staatlichen Eingriffen, deren Folgen derzeit im Einzelnen noch nicht absehbar sind, gäbe es für diese Unternehmen dann „keine Impulse für Wachstum und Gewinn“, glaubt der Experte und Aktuar. „In den kommenden Monaten werden zunehmend Lebensversicherer ihr Neugeschäft einstellen und den Bestand intern oder extern abwickeln“, ist er sich sicher.

Zudem spricht der Aktuar Wolfsdorf eine weitere wichtige Entwicklung an, den Folge- oder Herdeneffekt. „Wenn große Marktteilnehmer sich aus Regionen oder Geschäftsfeldern zurückziehen, dann überdenken viele Mitbewerber ihre eigenen Geschäftsaussichten in diesen Bereichen.“ Wohl niemand wird widersprechen, dass die Allianz und Generali solch große Spieler sind.

Thiemann stimmt den Gesagten zu: „Wir spüren, dass sich bei den Lebensversicherern zunehmend eine Offenheit für externe Lösungsmöglichkeiten entwickelt. So wird es in den nächsten beiden Jahren voraussichtlich weitere Transaktionen in Deutschland und Europa geben.“ Früher oder später werden sich die Bestandsversicherer etablieren“, glaubt der CEO.  

Fallende Preise?

Wenn Corona tatsächlich den Markt ausdünnt, werden mehr Portfolios auf den Markt kommen, wodurch die Preise fallen. Davon könnte neben den Aktionären der Run-Off-Unternehmen am Ende theoretisch auch der LV-Kunde profitieren, da dem Aufkäufer geringere Kosten entstehen. Dass wäre laut einigen Kritikern auch wünschenswert, denn die Run-Off-Unternehmen stehen nicht im Ruf, gegenüber den Kunden besonders spendabel zu sein.

Einen Preisverfall am Markt sieht Wolfsdorf allerdings nicht. „Ein größeres Angebot muss nicht zwangsläufig zu geringeren Preisen führen, wenn zugleich auch das Interesse an dem Erwerb von Portfolien steigt.“ Es gäbe zahlreiche Investoren, die sich gern im deutschen oder europäischen Run – Off Markt engagieren wollen. Entscheidend und Ausgangsbasis für Preisverhandlungen seien immer die Unternehmens- bzw. die Bestandsbewertungen. Dann schränkt er das Gesagte wieder ein und erklärt „In einem sich verdüsternden wirtschaftlichen Umfeld aber werden diese sicherlich nicht steigen. Das führt dann „eher zu niedrigeren Preisen“, erklär er.

Wolfsdorf erwartet nicht, dass die Run–Off Versicherer bereits im Jahr 2021 eine „beherrschende Rolle spielen werden“, dass sie aber in den nächsten fünf Jahren ihren Anteil „erheblich ausbauen“ und dann eine „bedeutende Rolle“ übernehmen.

Die Aufsicht und die Kunden

Die größte Rolle beim Wachstum der Run-Off-Unternehmen spielt die Aufsicht. Am Ende entscheidet sie, ob eine Übernahme funktioniert oder nicht. Natürlich geschieht dies nach Gesetz und nicht Gefühl, doch wie streng eine Vorschrift ausgelegt wird, ist für den Erfolg einer Übernahme von großer Bedeutung.

„Entscheidend für das Wachstum des Run-Off-Marktes in Europa wird sein, wie sich die Aufsicht in den Ländern und europaweit positioniert. Wie werden die Ansprüche der Kunden geschützt, damit der durch die Investoren bewirkte Rendite-Hunger am Ende diese legitimen Ansprüche nicht auszehrt oder gar gefährdet“, fragt Hermann Weinmann von der  Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft in Ludwigshafen. Der Run-Off-Markt werde „stark wachsen“, wenn die Aufsicht, insbesondere Eiopa, nicht klare Regeln einzieht, denn eine Run-Off-Gesellschaft habe „immer das Investoren-Interesse vor Augen“.

Die angesprochene EIOPA hat auf eine Anfrage nur mit einem Verweis auf eine zuvor geäußerte, und oben zitierte, Pressemeldung geantwortet. In dieser erklärt sie, dass sie bereit ist, und auch schon tätig wurde, bestehende Aufsichtsverpflichtungen zeitweise zu lockern, um den Unternehmen in Coronazeiten entgegenzukommen.

In früheren Interviews wollte Eiopa-Chef Gabriel Bernardino, Run-Off-Unternehmen einen „genauen Blick“ widmen und hat auch die nationalen Aufsichten zu erhöhter Aufmerksamkeit angehalten, ein Feind des Run-Off ist er aber nicht.

Trotz genauer Aufsicht, die Niedrigzinsen und Corona spielen den Run-Off-Anbietern in die Karten. Ob bereits 2021 oder in fünf Jahren, eine größere Rolle der Aufkäufer ist wahrscheinlich.  „Bereits heute ist eine Run –Off Plattform mit ihren Beständen unter den Big Five der LV. Bestands- und Unternehmensveräußerungen laufen von den ersten Überlegungen bis zum Closing über weit mehr als ein Jahr“, schließt Wolfsdorf .

Autor: Maximilian Volz

2 Kommentare

  • Gisela Engelhardt

    Es wäre schade, wenn durch Corona oder andere, nicht nach vollziehbare Viren keine Lebens-versicherungen mehr angeboten werden.
    Es wäre ein Verlust an Lebens-qualität und es passt auch nicht zu unserer Demokratie.
    Alles traurig !

  • So geht es wenn der Staat der Versicherungswirtschaft zusetzt, verlangt von den Versicherungen
    dass Sie Millionenschwere Staatsanleihen kaufen müssen die immer Wertloser werden und wurden.
    Unser Deutscher Staatshaushalt ist Mitschuld an der Misere.
    Niedrige Zinsen, obwohl die Grossen Deutsche Versicherer genügend Anlagevermögen besitzen.
    Misswirtschaft im Grossen Stil.
    Das ist nicht alles. Würde genügend Nachschub neue LV Abschlüsse kommen wuerden die Versicherer mit unter weniger Probleme haben.
    Durch Staatliche Aufsicht das BaFin und so manchen Vorständen hat man nach Lösungen gesucht um noch mehr Profit zu machen. Der Versicherungsvermittler bekommt zu hohe Provisionen, wir müssen denen das Wasser abgraben, schnell wurde dem Vermittler die Lv Provisionen
    halbiert dafür Fehlt dauerhaft Neugeschäft.

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