Branchenpuls: Lebensversicherer, Baden-Baden, Berliner Ampel

Was lässt den Puls der Branche höher schlagen? Quelle: OpenClipart-Vectors auf Pixabay.

Wird die Lage der Lebensversicherer schlechter geredet als sie ist? Glaubt man der Branche, ist dies natürlich zutreffend. Glaubt man hingegen den Verbraucherschützern – allen voran dem BdV – ist dies nicht der Fall. Die Wahrheit dürfte wohl wie so oft irgendwo in der Mitte liegen. Über die aktuelle Lage der Rückversicherer geht es in dieser Woche beim Rückversicherungstreffen in Baden-Baden.

Was bisher geschah …

Laut Exekutivdirektor Frank Grund sind es derzeit „rund 20 Lebensversicherer und rund 40 Pensionskassen“. Das sei jedoch nicht mit einer Aufforderung gleichzusetzen, dort keine Versicherung abzuschließen. Nach Angaben der Bafin könnten diese Unternehmen in gewissen Szenarien Schwierigkeiten bekommen. „Mit unserer Aufsicht wollen wir ja verhindern, dass ein solcher Fall eintritt“, betonte Grund jüngst im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Bei den Lebensversicherern gehen wir – Stand jetzt – davon aus, dass alle Unternehmen ihre vertraglich versprochenen Leistungen erfüllen können. Bei den Pensionskassen würde ich das nicht so sagen. Es gibt Pensionskassen, bei denen man Leistungskürzungen – so wie wir sie bei drei Pensionskassen in den vergangenen Jahren schon erlebt haben – nicht ausschließen kann“, konstatiert der Finanzaufseher.

Wie „ernst“ die Situation der Lebensversicherer ist, zeigte jüngst auch eine Studie der Hochschule Ludwigshafen unter zwölf Anbietern: Dabei kommt die Allianz mit 800 von insgesamt 1.000 möglichen Punkten als einziger Lebensversicherer auf eine „betriebswirtschaftlich sehr starke“ Bewertung.  Und dennoch: „Es ist flächendeckend dramatisch, wenn man sich anschaut, wie effizient die Altersvorsorge mit Lebensversicherungen ist.“ Vielmehr sei klar, „dass man es dabei schon mit dem Niedergang einer Branche zu tun hat“, betonte Vorstandssprecher Axel Kleinlein. „Wenn man schaut, welches Unternehmen über die Wupper gehen könnte und welches nicht, ist es zwar nicht ganz so dramatisch“, betonte Kleinlein weiter. „Im Grunde sei es aber die Aufgabe der Unternehmen, einen Mehrwert zu bieten – und das tun die Lebensversicherer schon lange nicht mehr. Aus Verbrauchersicht ist das eine Katastrophe”, konstatierte der Verbraucherschützer. Auch die Pläne der Versicherer, Garantien zu kürzen, seien „zu kurz gedacht. Dass damit eine echte Entspannung für die Unternehmen entstehen könne, ist nicht abzusehen.“

Wir sind finanzstark, haben ein langfristiges Geschäftsmodell und legen das Vorsorgekapital unserer Kundinnen und Kunden über Jahrzehnte ertragreich an, damit diese im Alter ein zusätzliches Einkommen erhalten, auch in einem Niedrig- und Nullzinsumfeld.

Katja de la Vin͂a, Vorständin Finanzen der Allianz Lebensversicherung

Der Marktführer Allianz kann die Kritik allerdings nicht nachvollziehen. „Blicken wir doch nur auf die Allianz Lebensversicherung: Über zehn Millionen Menschen in Deutschland sorgen mit uns vor oder sichern sich gegen Lebensrisiken ab. Und im kommenden Jahr wird Allianz Leben 100 Jahre alt. Wir sind finanzstark, haben ein langfristiges Geschäftsmodell und legen das Vorsorgekapital unserer Kundinnen und Kunden über Jahrzehnte ertragreich an, damit diese im Alter ein zusätzliches Einkommen erhalten, auch in einem Niedrig- und Nullzinsumfeld“, betont Katja de la Vin͂a, Vorständin Finanzen der Allianz Lebensversicherung, gegenüber der Versicherungswirtschaft. Mit rund 2.300 Klicks war der Beitrag zur aktuellen Lage der Lebensversicherer bei VWheute das Topthema der letzten Woche.

Was diese Woche jeder wissen muss …

Über die aktuelle Lage der Rückversicherer geht es in dieser Woche beim Rückversicherungstreffen in Baden-Baden, welches nach der coronabedingten Absage 2020 wieder in den heiligen Hallen des badischen Kurortes stattfinden soll – natürlich mit strengem Hygienekonzept und 3G-Regelung. Den Auftakt hat bereits die Swiss Re mit ihrem Pressegespräch am letzten Donnerstag gemacht – und sparte dabei nicht an (Selbst-)Kritik. Die Absicherung gegen Elementargefahren sei in Europa zu gering ausgeprägt, stellt Kramer fest, das sei ein „enormes Problem“. Ursächlich dafür sind laut Frank Reichelt, Managing Director Swiss Re Deutschland, auch Fehler von Versicherungsbranche und Staat. Die Kunden wären zu wenig über Gefahren und Schutz aufgeklärt und die Staaten, speziell Deutschland, würden zu wenig in Katastrophenschutz investieren. Reichelt hinterfragt auch das Vorgehen Deutschlands bei Naturkatastrophen. Wenn „80 Prozent der Schäden staatlich beglichen werden“, könne das die Idee der Vorsorge hintertreiben.

„Selbstverständlich gibt es noch eine Vielzahl anderer spezifischer Diskussionspunkte in den bilateralen Gesprächen. Ein guter Rückversicherer zeichnet sich nicht dadurch aus, dass er pauschale Forderungen an seine Klientel stellt, sondern individuell Portefeuilles mit ihren enthaltenen Risiken bewertet.“

Frank Reichelt, Managing Director Swiss Re Deutschland

Dabei diskutieren die Versicherer „gerade viel Grundsätzliches: Wie geht es weiter mit der Pandemie? Pflichtversicherung für Flut – ja oder nein? Eigentlich will die Branche sie nicht wirklich, zu groß ist die Sorge um die Einmischung des Staates. Man verweist besorgt auf mögliche nachlassende Präventionsmaßnahmen und befürchtet eine staatlich verordnete Festprämie. Das Schlagwort von der ‚risikogerechten Prämienkalkulation‘ ist in die Mittelstürmerposition gebracht worden – wird sie auch scoren? Wie schön wäre es, wenn die Rückversicherungseinkäufer im Spiel mit ihren Rückversicherern auch einmal die Notwendigkeit risikogerechter RV-Prämien einräumen würden. Aber hierzu haben die Einkäufer seit vielen Jahren eine Mauer nach bester Schule des alten italienischen Catenaccio (italienische Verteidigungstaktik) aufgebaut. Die negative Ergebnislage deutscher Rückversicherungsverträge in 2020 (Betriebsschließung) und 2021 (Naturgefahren, Feuer) verleiht den angreifenden Rückversicherern sicherlich ‚Schusskraft‘ à la Lewandowski“, konstatierte Reichelt jüngst in seiner Montagskolumne für VWheute.

Und die Konkurrenz? Die Munich Re und Hannover Rück warten jedenfalls heute mit ihrer Einschätzung zur aktuellen Lage auf. Munich Re-Vorstand Torsten Jeworrek erwartet jedenfalls im Schnitt für das nächste Renewal erneut Preiserhöhungen. Das traditionelle Kapital im Bereich der weltweiten Rückversicherung belaufe sich auf 441 Mrd. US-Dollar, doch seien in letzter Zeit die Provider von Alternative Capital vorsichtiger geworden. Sie befürchteten zunehmend, nach Schadenereignissen noch ungeklärten Ausmaßes über längere Zeiten mit ihren Mitteln ‘Locked In’ zu sein. Ihr Appetit habe sich daher auf fungiblere Cat Bonds verlagert, weniger liquide Produkte seien nicht mehr so gefragt.

Rückversicherungs-Underwriting werde nach Angaben der Munich Re zunehmend anspruchsvoller. Zudem würden wesentlich bessere Analysetools entwickelt, es gäbe mehr an vorhandenen Daten, es beginne das automatisierte Underwriting und die Fähigkeit auch mit unstrukturierten Daten umzugehen stelle sich ein. Als neue Tools am Horizont erschienen Artifical Intelligence und Quantum Computing. Im Hause Munich Re betreibe man bereits eine generelle Personalschulung auf vier Levels im Bereich Data Analytics.

„Anpassungen sind insbesondere bei Naturkatastrophenrisiken unumgänglich. Zwar hat die Dynamik der Preiserhöhungen in den unterjährigen Erneuerungen zuletzt etwas nachgelassen, dies war aber vor allem dort der Fall, wo bereits in den Vorjahren deutliche Erhöhungen stattgefunden haben.“

Jean-Jacques Henchoz, Vorstandsvorsitzender der Hannover Rück

Auch die Hannover Rück hält trotz der jüngsten Naturkatastrophen weiterhin an ihrem bisherigen Gewinnziel für 2021 von 1,15 bis 1,25 Mrd. Euro fest. Die Schadenbelastung im Rahmen des Großschadenbudgets von 1,1 Mrd. Euro, von denen bis Ende Juni 2021 rund 327 Mio. Euro aufgebraucht waren. Allerdings rechnet der Rückversicherer in den derzeit beginnenden Gesprächen über die Erneuerung der Verträge zum Jahreswechsel mit steigenden Preisen und verbesserten Konditionen. „In der Schaden-Rückversicherung sind weitere Ratenerhöhungen notwendig. Nur so können Rückversicherer zuverlässigen Risikoschutz in einem zunehmend herausfordernden Umfeld bieten“, betonte jüngst Vorstandschef Jean-Jacques Henchoz.

Weitere relevante Termine in dieser Woche: Am Dienstag und Mittwoch trifft sich die Branche zudem auf dem MCC-Fachkongress „IT-Optionen für Versicherungen“ mit dem Fokus auf digitalen Ökoystemen. Ab Mittwoch soll auch wieder die Frankfurter Buchmesse zum Mittelpunkt der literarischen Welt werden. Allerdings wird sie wegen Corona deutlich kleiner ausfallen als vor der Pandemie und auch teilweise virtuell bleiben. 1.700 Aussteller aus 74 Ländern nehmen in diesem Jahr an der Messe teil (2019: 7.500 Aussteller aus 120 Ländern). Die Zahl der Besucher ist auf 25.000 pro Tag begrenzt – 2019 waren insgesamt mehr als 300.000 Besucher nach Frankfurt gekommen. Gastgeberland ist in diesem Jahr Kanada.

Was über Branchengrenzen hinaus wichtig ist

Deutliche Entspannung dürfte dagegen in den Chefetagen der privaten Krankenversicherer herrschen: So hat sich zwar die Ampel aus Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen für Koalitionsverhandlungen ausgesprochen. Eine Bürgerversicherung, wie sie vor allem von SPD und Bündnis 90/Die Grünen präferiert wurde, scheint wohl – zumindest vorerst – vom Tisch zu sein. „Die gesetzliche und die private Kranken- und Pflegeversicherung bleiben erhalten“, heißt es in einem Grundsatzpapier, welches die Sondierer am Freitag als Grundlage für die weiteren Gespräche vorgelegt hatten.

Deutlich angespannter dürfte derzeit allerdings die Lage bei den gesetzlichen Krankenkassen sein. So prognostiziert der GKV-Schätzerkreis für 2022 einen zusätzlichen Finanzbedarf der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) von sieben Mrd. Euro. Hintergrund hierfür sei die Erwartung höherer Ausgaben in 2022. Um den für das kommende Jahr gesetzlich vorgegebenen rechnerischen durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz von 1,3 Prozent nicht zu überschreiten, muss die Bundesregierung nun eine Rechtsverordnung auf den Weg bringen, die den Bundeszuschuss um das festgestellte Finanzdefizit erhöht.

„Wir erwarten, dass die Bundesregierung rasch für einen entsprechenden Bundeszuschuss sorgt – und damit die Gefahr von flächendeckend steigenden Zusatzbeiträgen im nächsten Jahr abwendet. Der Bundesgesundheitsminister muss nun schnell die entsprechende Verordnung auf den Weg bringen.“

Volker Hansen, Verwaltungsratsvorsitzender des GKV-Spitzenverbandes

So rechnet das Gremium nach eigener Mitteilung mit Ausgaben für die Krankenkassen von rund 284 Mrd. Euro im Jahr 2022 – nach voraussichtlich 272 Mrd. Euro in diesem Jahr. Dabei verzeichneten die gesetzlichen Krankenkassen bereits im Jahr 2020 mit einem Verlust von 2,65 Mrd. Euro das größte Minus seit 2003. Obwohl die Corona-Pandemie 2020 die Krankenkassen zusätzlich belastet hat, zeichnete sich der potenzielle Negativtrend schon früher ab. Allein im letzten Jahr waren etwa 73 Millionen Menschen bei den Ersatzkassen, allgemeine Ortskrankenkassen, Betriebskrankenkassen, Innungskrankenkassen, landwirtschaftliche Krankenkassen und der Knappschaft Bund-See versichert.

Quelle: Statista

Die gesetzliche Rente soll nach dem Willen der Sondierer weiter gestärkt werden: „Neben der gesetzlichen Rente bleiben die betriebliche wie private Altersvorsorge wichtig für ein gutes Leben im Alter“, heißt es weiter. Das Mindestrentenniveau von 48 Prozent solle gesichert werden. Zudem soll keine Rentenkürzungen und keine Anhebung des Renteneintrittsalters geben. Dazu soll laut dem Papier eine teilweise Kapitaldeckung der gesetzlichen Rente eingeführt werden. 

Beim Votum-Verband stoßen die Pläne jedenfalls schon auf ein positives Echo: „Die ersten Ergebnisse der Sondierungsgespräche zeigen in den Bereichen Altersvorsorge und Gesundheitspolitik einen erfreulichen Pragmatismus. Extrempositionen wie die Abschaffung der privaten Krankenversicherung und des dreisäuligen Altersvorsorgesystems haben sich nicht durchgesetzt“, konstatiert Verbandsvorsitzender Martin Klein.

„Die geplante Prüfung der Einrichtung eines Staatsfonds in der betrieblichen Altersvorsorge gibt Anlass zu Kritik. Die private Altersvorsorge sollte staatsfern und privat bleiben. Den Bürgern muss bewusst sein, dass der Staat die angesparten Vorsorgevermögen auch zweckentfremden könnte. Das haben die Beispiele Spanien und Irland in der Finanzkrise gezeigt. Hier gilt es, die Politik weiterhin wachzurütteln und aktiv daran zu arbeiten, dass die Prüfung zu einer Ablehnung der Umsetzungspläne führt.“

Martin Klein, Vorstand von Votum

Glaubt man dem jüngsten Politbarometer des ZDF, treffen die drei potenziellen Koalitionäre derzeit den Nerv des Wählers. Drei Viertel aller Befragten würden es demnach gut finden, wenn Olaf Scholz neuer Bundeskanzler würde. Das sehen deutliche Mehrheiten der SPD-, Grünen-, FDP- und Linke-Anhänger so – aber auch 55 Prozent in der Unions-Anhängerschaft. Eine Regierung aus SPD, Grünen und FDP fänden 62 Prozent aller Befragten gut, 16 Prozent wäre es egal und 19 Prozent fänden das schlecht (alle anderen antworteten mit „weiß nicht“). Eine Jamaika-Koalition aus CDU/CSU, Grünen und FDP wird mehrheitlich ebenso deutlich abgelehnt wie eine Koalition aus SPD und Union. Daher verwundere es auch nicht, dass der große Vorsprung der SPD vor der Union erhalten bleibt: Wenn am nächsten Sonntag wirklich Bundestagswahl wäre, käme die SPD auf 28 Prozent (unverändert), die CDU/CSU könnte mit 19 Prozent (minus eins) rechnen.

„In Rheinland-Pfalz haben wir seit vielen Jahren die weiblichsten Kabinette in ganz Deutschland. Die rheinland-pfälzische Ampel-Koalition wird jetzt von drei Frauen geführt. Das ist ein starkes Zeichen.“

Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, im VWheute-Sommerinterview

Historisch gesehen ist eine Ampelkoalition, oft aufgrund der programmatischen Unterschiede zwischen FDP und den Grünen, allerdings äußerst selten. Lediglich in Rheinland-Pfalz gilt das Experiment als geglückt: 2016 wurde das Bündnis aus SPD, den Grünen und der FDP unter Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) erfolgreich etabliert, 2021 erfolgte die Wiederwahl der Koalition.

Autor: Tobias Daniel

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