Malu Dreyer: „Die Pandemie hat unser Zusammenleben auf eine neue Probe gestellt“

Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz. Quelle: Staatskanzlei Rheinland-Pfalz

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer gehört zur engsten Führungsriege ihrer Partei. Im Mai wurde die SPD-Politikerin für eine dritte Amtszeit gewählt. VWheute sprach mit der Sozialdemokratin über ihre politischen Ziele für die kommenden fünf Jahre und die Folgen der Corona-Pandemie.

VWheute: Im Mai sind Sie auf der konstituierenden Sitzung des rheinland-pfälzischen Landtages erneut zur Ministerpräsidentin gewählt worden. Was sind Ihre politischen Prioritäten in den kommenden fünf Jahren?

Malu Dreyer: Ich will mit meinem Kabinett Rheinland-Pfalz fit machen für dieses dritte Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, das ein Veränderungsjahrzehnt sein wird. Das Ziel ist ein nachhaltiges Rheinland-Pfalz. Alle Weichenstellungen, die wir heute vornehmen, müssen sich an einer nachhaltigen Zukunft von Rheinland-Pfalz ausrichten, daher wird die nachhaltige Entwicklung zentraler Bestandteil unserer Politik in den kommenden fünf Jahren sein.

Wir stehen mit dem Klimawandel vor einer zentralen Herausforderung, die all unsere Aufmerksamkeit und Kraft verlangt. Wir wissen, dass es eine lebenswerte Zukunft nur mit Klimaschutz gibt. Daher haben wir in unserem Zukunftsvertrag, den das Ampelbündnis für die kommende Legislaturperiode beschlossen hat, den Klimaschutz ganz nach vorne gestellt. Ich setzte mich dafür ein, dass auch unsere Kinder und Enkelkinder in Rheinland-Pfalz noch in einer intakten Umwelt leben können.

Wichtig ist es auch, die Transformation der Arbeitswelt so anzugehen, dass gute Arbeit und wirtschaftliche Innovationen Hand in Hand gehen. Mein Ziel ist es, die Innovationskraft unserer Wirtschaft zu stärken und dabei die Veränderungen in unserer Arbeitswelt positiv für die Menschen zu gestalten. Der digitale Fortschritt und die technologische Entwicklung müssen so genutzt werden, dass sie zu Chancen für die Menschen werden.

Wir wollen unser Industrieland in der Transformation weiter stärken, Zukunftstechnologien fördern und dabei die soziale Gerechtigkeit sichern. Corona hat unser Land und seine Menschen verändert. Die Gefahr, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter öffnet, ist groß. Diese Herausforderungen gehen wir entschieden an.

VWheute: Mit der neuen Amtszeit gehen Sie erneut mit der FDP und den Grünen eine Regierungskoalition ein. Was hat am Ende den Ausschlag für die Neuauflage gegeben und könnte dies ein Modell für eine Ampel-Koalition auf Bundesebene sein?

Malu Dreyer: Wir haben in den vergangenen fünf Regierungsjahren der Ampel-Koalition das Land sozial, wirtschaftlich erfolgreich und ökologisch nachhaltig gestaltet.  Wir kennen und vertrauen uns und haben gemeinsam viel vorangebracht. Wir haben das Leben der Menschen in unserem Land ganz konkret verbessert. Mit guten Schulen, Kitas und Hochschulen, mit sozialer Gerechtigkeit und einem lebendigen Ehrenamt, mit mehr Power beim Umwelt- und Klimaschutz, mit dem Einsatz für eine starke Wirtschaft, mit einem handlungsfähigen Staat, der innere Sicherheit garantiert. Darauf wollen wir weiter aufbauen.

Wir haben für die kommende Legislaturperiode einen Zukunftsvertrag geschlossen, in dem sich die gemeinsamen Ziele wiederfinden. Die Koalition gestaltet das Land so, dass mehr Zusammenhalt, mehr Zukunft, mehr Fortschritt entsteht. Auch wenn unsere Ampel typisch Rheinland-Pfalz ist, ist das Modell Ampel natürlich auch eine Zukunftsoption auf Bundesebene.

VWheute: In Ihrem aktuellen Kabinett sind derzeit mehr Frauen als Männer – was bislang im bundesweiten Vergleich eher noch die Ausnahme ist. Der Zukunftsforscher Matthias Horx kommentierte dazu: „Frauen sind meistens eben doch in ihrem Politik-Stil kommunikativer, verbindlicher, zugeneigter und zurückhaltender“. Wie bewerten Sie diese Einschätzung? Gehört Frauen in Regierungsverantwortung künftig die Zukunft in Deutschland?

Malu Dreyer: In Rheinland-Pfalz haben wir seit vielen Jahren die weiblichsten Kabinette in ganz Deutschland. Die rheinland-pfälzische Ampel-Koalition wird jetzt von drei Frauen geführt. Das ist ein starkes Zeichen.

Dass dies jedoch 2021 noch spektakulär ist, zeigt aber auch, wo wir in Sachen Gleichberechtigung stehen. Frauen stellen die Hälfte der Menschheit, das sollte sich auch in Spitzenämtern und Führungspositionen abbilden. Und da bleibt in unserer Gesellschaft noch einiges zu tun. Es ist nicht mehr als eine Annäherung an die Normalität, wenn Frauen in der Politik Spitzenämter übernehmen. Erst wenn dies selbstverständlich aufgenommen wird, haben wir wirklich den nächsten großen Schritt gemacht.

Von Kategorien wie ‚weiblicher‘ und ‚männlicher Politik‘ halte ich nicht so viel. Sie sind meist mit Zuschreibungen verbunden, die mir zu klischeehaft sind. Die Aussage oder Beobachtung, dass Frauen zugeneigter, zurückhaltender oder kommunikativer als Männer seien, kann auch viel mit Rollenzuschreibungen und auch mit Erziehung zu tun haben. So nehme ich heute sehr viele, vor allem jüngere Männer als sehr kommunikativ und empathisch wahr. Was man aber sicher sagen kann ist, dass Männer noch sehr viel besser darin sind, Netzwerke zu knüpfen und sich gegenseitig zu fördern. Das Ergebnis ist, dass es immer noch ein großes Ungleichgewicht zwischen Frauen und Männern in Führungspositionen und Spitzenämtern gibt. Das gilt auch für die Politik. Für mich ist es daher ein zentrales Anliegen, Frauen in allen Bereichen zu fördern und zu unterstützen.

VWheute: Blicken wir auf die Landespolitik: Welche politischen Akzente stehen für Sie in den kommenden fünf Jahren besonders im Vordergrund?

Malu Dreyer: Neben den wichtigen Themen Klimaschutz, Digitalisierung, Transformation der Arbeitswelt, Stärkung der Innenstädte haben wir uns zum Ziel gesetzt, Rheinland-Pfalz zu einem führenden Standort der Biotechnologie zu machen. Während der Corona-Pandemie ist das Mainzer Unternehmen Biontech zu weltweiter Bekanntheit gelangt, als erstes Unternehmen, das einen wirksamen, zugelassenen Impfstoff entwickelt hat. Das Unternehmen steht damit in herausragender Weise für den Standort Rheinland-Pfalz. Biontech ist eine Ausgründung aus der Universität Mainz. Das zeigt, wie eng Wirtschaft und Wissenschaft hier Hand in Hand miteinander arbeiten. Hierauf wollen wir in Rheinland-Pfalz weiter aufbauen.

VWheute: Kurzer Blick auf die Bundespolitik: SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz liegt in Umfragen derzeit deutlich hinter den Kandidaten von CDU und den Grünen. Wie realistisch sehen Sie die Chancen, dass die SPD im September als Wahlsieger hervorgeht und den neuen Bundeskanzler stellen wird? In Rheinland-Pfalz haben Sie ja bereits mehrfach in Umfragen hinter den CDU-Herausforderern gelegen. Welche Empfehlungen würden Sie Herrn Scholz aus Ihrer Erfahrung geben wollen?

Malu Dreyer: Umfragen sind noch keine Wahlen; das können wir sowohl in Rheinland-Pfalz, in anderen Ländern als auch im Bund sehen. Die Zeiten ändern sich sehr schnell, es kann in kurzer Zeit viel passieren. Umfragen sind daher als Momentaufnahmen zu sehen. Es liegt noch eine geraume Zeit des Wahlkampfs vor uns, bei dem viele wichtige Themen verstärkt in den Fokus der Öffentlichkeit geraten. Die Wählerinnen und Wähler werden dann im September ihr Votum abgeben, wer das Land die nächsten vier Jahre führen soll. Olaf Scholz ist ein Politiker, dem die Menschen vertrauen und der die starke und verlässliche Regierungsarbeit der SPD ideal verkörpert. Er ist ein Herzblutpolitiker und ich bin mir sicher, dass die SPD mit ihm an der Spitze weiter zulegen wird. Olaf Scholz hat die Fähigkeiten, Deutschland als Bundeskanzler in eine sozial gerechte und wirtschaftlich starke Zukunft zu führen. Ich werde ihn natürlich mit großer Energie unterstützen.

VWheute: Corona hat auch in Rheinland-Pfalz seine Spuren hinterlassen. Wie ist das Bundesland Ihrer Ansicht nach bislang durch die Krise gekommen und welche Auswirkungen wird die Pandemie aus Ihrer Sicht politisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich – haben?

Malu Dreyer: Die Bewältigung der Corona-Pandemie hat uns alle in den letzten Monaten in Atem gehalten und das soziale Leben, aber auch das Wirtschaftsleben und die Politik in hohem Maße gefordert. Wir in Rheinland-Pfalz haben alles getan, um das Land gut durch die Pandemie zu führen. Bund und Land haben Milliarden Euro aufgewendet, um das Gesundheitssystem zu stärken, die Wirtschaft zu unterstützen, unsere Schulen noch schneller zu digitalisieren und Kulturschaffenden und Vereinen mit Stipendien und Hilfsprogrammen durch die Pandemie zu helfen. Aktuell setzen wir alle Kraft dafür ein, so schnell wie möglich so viele Menschen wie möglich zu impfen. Auch wenn die Impfstofflieferungen durch den Bund nach wie vor knapp sind, so schreiten wir doch mit großen Schritten voran. Ich bin sehr zuversichtlich, dass in Kürze der Impffortschritt weiter Fahrt aufnehmen wird.

VWheute: Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte jüngst vor weiteren Pandemien gewarnt. Welche Lehren sollte die Politik aus der aktuellen Pandemie ziehen, um künftig besser für solche Krisen gewappnet zu sein?

Malu Dreyer: Die Pandemie hat unser Zusammenleben auf eine neue Probe gestellt, weil sie nahezu alle Bereiche unseres Zusammenlebens berührt hat. Sie hat gezeigt, wie wichtig es ist, füreinander Verantwortung zu übernehmen. Die Corona-Pandemie hat uns daher große Solidarität gelehrt. Wir können die Pandemie nur gemeinsam überwinden. Ich hoffe, dass wir uns diesen Zusammenhalt bewahren können. Auch in der Politik haben wir dazugelernt. Es ist deutlich geworden, wie wichtig ein gutes Gesundheitssystem ist und wie wichtig es war, der Digitalisierung einen enormen Schub zu geben.

Die Krise ist auch eine Gelegenheit, alte Denkmuster und Gewohnheiten zu überdenken. So gibt es zum Beispiel viel flexiblere Arbeitszeitmodelle als vor der Pandemie. Der Wechsel von Homeoffice und Arbeit im Büro ist mittlerweile für viele fast selbstverständlich. Das sind wichtige Schritte in die richtige Richtung.

VWheute: Werfen wir einen kurzen Blick in die Zukunft: Ihre Amtszeit dauert fünf Jahre: Haben Sie bereits weitere Pläne für die Zeit ab 2026?

Malu Dreyer: Zunächst bin ich für weitere fünf Jahre als Ministerpräsidentin gewählt worden. Diese erneute Bestätigung meiner Politik freut mich sehr und ich danke den Rheinland-Pfälzerinnen und Rheinland-Pfälzern für ihr Vertrauen. Diese Wahl ist für mich Verpflichtung, mein Bestes für Rheinland-Pfalz zu geben. Wir wollen in diesen fünf Jahren die Weichen für die weitere Zukunft stellen. Und dem widme ich mich mit aller Kraft.

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Tobias Daniel.

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