Hermann Weinmann: „Die Situation der Lebensversicherung ist ernst“

Wie steht es um die Stabilität der Lebensversicherer? Quelle: Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

„Die Situation der Lebensversicherung ist ernst, aber insgesamt nicht dramatisch“, skizziert Hermann Weinmann von der Hochschule Ludwigshafen gegenüber VWheute die aktuelle Situation. Wie es um die Stabilität der zwölf größten Lebensversicherer bestellt ist, soll nun eine aktuelle Studie belegen.

Das zentrale Ergebnis: Alle untersuchten Gesellschaften haben das Jahr 2020 – trotz Corona-Pandemie und den daraus resultierenden Turbulenzen an den Kapitalmärkten – noch gut überstanden. Dennoch hätte es „deutlich schlimmer kommen können, wenn man sich die Anfänge der Pandemie vor Augen hält“, wird Studienautor Weinmann im Handelsblatt zitiert.

So kommt die Allianz mit 800 von insgesamt 1.000 möglichen Punkten als einziger Lebensversicherer auf eine „betriebswirtschaftlich sehr starke“ Bewertung. Mit dem Prädikat „betriebswirtschaftlich stark“ folgen die Württembergische Leben sowie die Alte Leipziger Leben, Axa Leben, Cosmos Leben und Debeka Leben mit jeweils 600 Punkten. Noch steigerungsfähig sind demnach die Zurich Deutscher Herold sowie die Generali Deutschland Leben, Nürnberger Leben, SV Leben und R+V Leben. Schlusslicht der Bewertung hingegen ist mit dem Prädikat „betriebswirtschaftlich schwach“ die VKB-Tochter Bayern-Versicherung mit lediglich 350 Punkten.

Dennoch gebe es „Unterschiede, die in Teilbereichen erheblich sind. Man kann aber daran arbeiten, und zu beachten ist, dass die Analyseperiode nur ein Jahr ausmacht. Veränderungen und chronische Schwächen werden im mehrjährigen Vergleich sichtbar“, betont Studienautor Weinmann gegenüber VWheute.

Die Herausforderungen für die Lebensversicherer bleiben jedoch immens: Zum einen geht es im Herbst um die Frage, welche regulatorischen Neuerungen die neue Bundesregierung gerade beim Thema Altersvorsorge auf den Weg bringen wird. Zum anderen steht auch die Frage im Raum, ob die Lebensversicherung angesichts des sinkenden Garantiezinses als Produkt der Altersvorsorge in der Zukunft noch eine relevante Rolle spielen wird.

Für Studienautor Hermann ist jedenfalls klar: „Die Absenkung des Höchstrechnungszinssatzes wird die Transformation des Geschäftsmodells, die einige Unternehmen in den letzten Jahren nur zögerlich angegangen haben, beschleunigen. Dass die Riester-Rente damit vorläufig aus dem Rennen ist, setzt der Politik die Narrenkappe auf.“

Zudem habe die „Lebensversicherung nur eine Chance auf Ansehensgewinn durch konsequente Regulierung in der Daseinsvorsorge. Dies bedeutet eine Regulierung ‚ganz vorne‘ im Produktdesign und in der Kalkulation. Damit kann der Produkt-Exzess in der Daseinsvorsorge gestoppt werden. Nach der Deregulierung (1994) wurde bevorzugt ‚Regulierungskosmetik‘ betrieben. Ein Beispiel sind die Produktinformationsblätter. Auf dieser Grundlage bin ich von der dauerhaft erfolgreichen Zukunft der Lebensversicherung uneingeschränkt überzeugt“, gibt sich Weinmann optimistisch.

„Lobeshymne“ vom GDV

Der Branchenverband GDV selbst wollte die Studie auf Anfrage von VWheute zwar nicht kommentieren. Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen hält aber „eine zusätzlich kapitalgedeckte Altersvorsorge für wichtig und sinnvoll. Die aktuelle demografische Situation in Deutschland macht es umso dringender, dass jeder sich um seine Altersvorsorge kümmert. Die Lebensversicherung ist hier ein stabiler und beständiger Pfeiler – auch dank neuer, flexibler Produkte. Ein Beleg für die anhaltende Attraktivität der Lebensversicherung sind nicht zuletzt Prämieneinnahmen von branchenweit über 100 Mrd. Euro.“

Auch der Branchenprimus Allianz äußerte sich nicht konkret zur Studie. Dennoch herrscht bei den Münchenern bislang wohl wenig Anlass zur Sorge: „Die Allianz Lebensversicherung und die Lebensversicherer in Deutschland generell sind sehr robust durch das schwierige Jahr 2020 gekommen. In der Allianz Leben konnten wir im Jahr 2020 sogar den zweithöchsten Umsatz in der Geschichte erzielen. Gegenüber dem absoluten Rekordjahr 2019 haben sich die Beitragseinnahmen zwar um 5,4 Prozent verringert, wir haben aber damit den Wert des ebenfalls starken Jahres 2018 um 16,5 Prozent übertroffen“, betonte Vorständin Laura Gersch erst Anfang Juli 2021 im Exklusiv-Interview mit VWheute.

„Ich sehe für die Lebensversicherung auch in den kommenden Jahren ein enormes Wachstumspotenzial. Blicken wir hier einmal auf zwei wesentliche Kriterien: die Umbrüche in der Branche und die notwendige Transformation unserer Wirtschaft.“

Laura Gersch, Vorständin Firmenkunden und Personal bei der Allianz Lebensversicherung, Anfang Juli 2021 im VWheute-Interview

Dennoch dürfte nicht jeder Marktbeobachter das hohe Loblied auf die vermeintliche Zukunftsfähigkeit der Branche einstimmen – zumal die nackten Zahlen durchaus auch eine ganz andere Sprache sprechen können. So ist allein der Vertragsbestand seit 2007 – mit einer Ausnahme im Jahr 2014 – kontinuierlich gesunken. Den größten Bestandsabrieb verzeichnete 2020 die Proxalto Lebensversicherung AG mit einem Minus von 216.500 Policen – gefolgt von der Ergo mit einem Rückgang von etwa 204.300 Verträgen sowie der Targo Lebensversicherung mit einem Minus von etwa 155.400 Policen.

Nicht viel besser scheint es derzeit auch bei den Kapitalanlagen zu sein. So stiegen die Erträge aus Kapitalanlagen bei 65 Lebensversicherern im letzten Jahr zwar um 2,1 Prozent auf mehr als 38 Mrd. Euro. Allerdings ging das Kapitalanlageergebnis um rund fünf Prozent zurück, konstatierte jüngst das Finanzmagazin Procontra online im LC-Check 2021. Ein wesentlicher Grund dafür waren die gestiegenen Aufwendungen, die 2020 mit rund 4,7 Mrd. Euro fast doppelt so hoch ausfielen wie im Vorjahr (2,3 Mrd. Euro).

Ein wesentlicher Grund dafür könnte zumindest auch in den hohen Kosten liegen, die schon lange wie ein Damokles-Schwert über der Branche hängen. Im medialen Fokus stehen dabei zwar vor allem die Abschlussprovisionen, allerdings überdeckt diese Debatte auch die anderen Kostenblöcke, welche die Lebensversicherung für die Kunden teuer machen. Dabei kommt die aktuelle Studie von Professor Weinmann unter anderem zu dem Ergebnis, dass im ungünstigsten Fall für einen Beitrag von 100 Euro bereits 16,30 Euro an Kosten wegfallen. Dies sei noch höher als im Vorjahr, wo die Betriebskostenquote noch bei 15,50 Prozent lag. Ein Kritikpunkt sind dabei laut Studie nicht nur die teuren Vertriebswege, sondern auch beispielsweise Restrukturierungen in den Unternehmen, welche die Kunden mittragen müssten.

BdV zeichnet ein düsteres Bild

So verwundert es am Ende nicht, dass BdV-Vorstandssprecher Axel Kleinlein im Gespräch mit VWheute ein durchweg düsteres Bild über die Gesamtlage der Lebensversicherer zeichnet: „Es ist flächendeckend dramatisch, wenn man sich anschaut, wie effizient die Altersvorsorge mit Lebensversicherungen ist.“ Vielmehr sei klar, „dass man es dabei schon mit dem Niedergang einer Branche zu tun hat.“

„Wenn man schaut, welches Unternehmen über die Wupper gehen könnte und welches nicht, ist es zwar nicht ganz so dramatisch“, betont Kleinlein weiter. „Im Grunde sei es aber die Aufgabe der Unternehmen, einen Mehrwert zu bieten – und das tun die Lebensversicherer schon lange nicht mehr. Aus Verbrauchersicht ist das eine Katastrophe“, konstatiert der Verbraucherschützer.

Den wesentlichen Grund sieht Kleinlein vor allem darin, dass die „Unternehmen keinen Spielraum mehr haben, in irgendeiner Art und Weise mit einer vernünftigen Form von Überschussbeteiligung dafür zu sorgen, dass die Verträge Sinn machen. Dies liegt daran, dass sich die Unternehmen in der Vergangenheit verkalkuliert haben – zum einen in Form von zu hohen Zinsverpflichtungen. Zum anderen aber auch verkalkuliert in Form von viel zu hohen Kostenblöcken, die sie einfach nicht mehr in den Griff bekommen.“ Ein „ernstes Problem“ seien dabei laut Kleinlein auch die Abschlusskosten.

Auch die Pläne der Versicherer, die Garantien zu reduzieren, sind für den BdV-Vorstandssprecher „zu kurz gedacht. Dass damit eine echte Entspannung für die Unternehmen entstehen könne, ist nicht abzusehen“. Dafür sei – so Kleinlein – nicht nur das Neugeschäft zu niedrig. Zudem würden die Unternehmen „hier nicht ganz redlich argumentieren. Wer sagt, ‚ich möchte von Garantien heruntergehen und wir schauen uns nur die Kapitalgarantien zu Rentenbeginn an“, blendet aus, dass es weiterhin Garantieblocks gibt, nämlich die Verrentung.

Die Aussagen des GDV zur Zukunft der Lebensversicherung findet Kleinlein zudem „fahrlässig, denn hier wird eine Sicherheit suggeriert, die so nicht mehr gegeben ist.“ Vielmehr sollte sich der Branchenverband „endlich mal ehrlich machen und hier auch mal Klartext reden. Zudem hätten die Lebensversicherer „sehr viel an Vertrauen verspielt und mit solchen Aussagen wird noch das allerletzte Quäntchen Vertrauen aufs Spiel gesetzt, dass dies der Branche wirklich das Genick brechen kann.“

Autor: VW-Redaktion

Ein Kommentar

  • Dr. Andreas Billmeyer

    Ach, Herr Kleinlein möchte also als Verbraucherschützer weniger garantierte Renten? Wie möchte er das den Kunden erklären? Und sonst wird doch immer so sehr von BdV kritisiert wie niedrig die garantierten Rentenfaktoren angeblich sind…
    Natürlich gibt es auch noch eine attraktive Überschussbeteiligung in der Lebensversicherung, bis über 3% bei manchen Anbietern inkl Schlussüberschuss! Richtig verglichen mit Produkten ohne Risiko auf Kapitalverlust ist das meilenweit über sämtlichen Angeboten der Banken. Nur alte Kunden und Garantien kannibalisieren geht natürlich nicht! Und da ist auch nichts verkalkuliert wenn alte Kunden ihre Garantien erfüllt bekommen!
    Insgesamt eine mehr als beachtliche Leistung der Branche angesichts der schwierigen Rahmenbedingungen.

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