VersicherungswirtschaftClub: Führende CEOs stärken Vermittlern den Rücken und kritisieren digitale Standardprodukte

Die Diskussionsrunde des VersicherungswirtschaftClub. v.l.n.r. Michael Stanczyk, Chefredakteur Versicherungswirtschaft/VWheute, Carsten Schildknecht, CEO Zurich Deutschland, Jörg Kukies, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Theodoros Kokkalas, CEO Ergo Deutschland, Frank Walthes, CEO Versicherungskammer Bayern, Michael Trochimczuk, CEO Sollers, David Gorr, Redakteur Versicherungswirtschaft/ VWheute. Quelle: Foto Fabry

Versicherungsvertriebe im Umbau – Neue Partnerschaften, neue Kanäle, neue Effizienz? Unter diesem Titel ging der VersicherungswirtschaftClub in Karlsruhe in seine zweite Runde. Eine wichtige Erkenntnis: Der persönliche Vertrieb bleibt fester Bestandteil der Strategie der Versicherer. Darin waren sich die Chefs von Ergo, Zurich oder Konzern Versicherungskammer beim Live-Talk am Freitag einig. Was überraschte: Die Entscheider können erstaunlich gut mit den Solvency-II-Anpassungen leben. Weniger zufrieden zeigten sie sich mit der Politik in Sachen Altersvorsorge – und mit der Cloud.

Eine zentrale Frage für jeden Versicherer: Welche Rolle spielt künftig der digitale Vertriebsweg und welche Rolle spielt künftig die klassische Beratung?

Die Ergo setzt nach Aussage von Deutschlandchef Theodoros Kokkalas vor allem auf den „hybriden Kunden“, also auf den in Zeiten von Corona so wichtigen Mix zwischen persönlicher und onlinebasierter Beratung. Vor allem der persönliche Faktor sei laut dem Topentscheider erfolgskritisch. Der Anteil von Produkten, „die online verkauft werden, ist recht klein, daher ist dort auch der Beratungsbedarf klein.“

Kokkalas und der Ergo ist es wichtig, sich an Kundenwünschen zu orientieren und den Kunden entscheiden zu lassen. „Es bringt nichts etwas aufzuerlegen, das er eigentlich gar nicht will.“ Dass das Online-Angebot irgendwann auch auf komplexe Produkte zum Beispiel im Altersvorsorge- oder Lebensversicherungsbereich ausgeweitet werde, schließt Kokkalas nicht aus. Noch sei es allerdings nicht so weit. Die Vermittler bleiben also ein tragender Anker im Vertrieb.

Von Vertriebshits und den richtigen Zugängen zum Kunden

Zurich-Deutschlandchef Carsten Schildknecht betonte, dass es die „klassischen Lebensläufe“ des Kunden nicht mehr gebe. Daher bedürfe es Produkte, die den veränderten Lebensbedingungen angepasst werden. Dazu braucht es den Vermittler als „Erklärer“ komplizierter Produkte.

Indes sind für den Manager aktuell vor allem fondsgebundene Produkte mit ESG-Depotmodellen die Antwort auf Niedrigzins und Inflationsrisiko. „Sie werden nachgefragt wie geschnitten Brot, und darauf liegt unser strategischer Fokus.“

Zurich-Deutschlandchef Carsten Schildknecht leitete bei dem Unternehmen in den letzten Jahren einen beachtlichen Kulturwandel ein. Quelle: Foto Fabry

Für einen Perspektivwechsel sorgte Sollers-Chef Michal Trochimczuk. Seiner meiner Meinung nach spiele der Onlinevertrieb in anderen Ländern eine viel größere Rolle als am Standort Deutschland. Auch mit Blick auf junge, heranwachsende Versicherungskunden, die mit der Onlinewelt aufgewachsen sind, warnt er davor, sich zu sehr auf den physischen Vertrieb zu verlassen. Immerhin sei der Vermittlermarkt stark im Wandel. „Ein Drittel der deutschen Vermittler geht in zehn Jahren in den Ruhestand“, sagt der Experte. Sehr viele Produkte werden zudem ohne Vermittler verkauft und an die junge Generation angepasst.

Indes verstehe der Manager nicht, warum man sich in Deutschland noch immer so schwertue, mit den Systemen in eine Cloud zu gehen. „Deutsche Regulatorik erschreckt die Versicherer“, richtete Trochimczuk offene Worte an die Politik und den zugeschalteten Staatssekretär im Finanzministerium Jörg Kukies.

Wiederholt empfahl der Manager den Blick über den deutschen Tellerrand hinaus. In anderen Ländern wäre der Wettbewerb härter, die Kundenanforderungen liquider. „Wer sich dort als Versicherer zwei Jahre nicht bewegt, ist weg vom Markt.“

Techexperte und Sollers-Gründer Michal Trochimczuk: „Als Pole wünsche ich mir, dass Deutschland immer so europaorientiert ist.“ Quelle: Foto Fabry

Schildknecht seinerseits betonte, dass man technologisch „auf alles aufspringe, was uns Vorteile bringt“. Die Zurich etwa habe überhaupt „keine Berührungsängste bei Clouds“. Eine weitere womöglich versteckte Botschaft an die Entscheidungsträger aus der Politik.

Standardprodukte nicht so toll

Mit Blick auf die Thematik um ein digitales Riester-Standardprodukt übte der Top-Manager Kritik. Wer meine, „man könne mit Standardprodukten auf die unterschiedlichen Lebensläufe eingehen, ist auf dem Holzweg. Ich würde darauf setzen, Produkte zu kreieren, die auf die Bedürfnisse der Menschen angepasst sind.“ Zudem habe die Privatwirtschaft gezeigt, dass diese eher darauf eingehen könne als ein staatliches Standardprodukt. Staatssekretär Kukies hielt sich bei der Debatte vor dem Hintergrund der aktuellen Ampelgespräche betont zurück.

„Wir erwarten von der Ampelkoalition keinen Zick-Zack-Kurs beim Thema Altersvorsorge und vor allem nicht, dass das Rad beim Thema Riester komplett neu erfunden wird. Wir erwarten, dass man sich ernsthaft bemüht, zu justieren und Rahmenbedingungen zu schaffen, um die vorhandene Lösung für Kunden einfacher zu machen“, sagte der Manager Schildknecht.

Theodoros Kokkalas, Deutschlandchef der Ergo: Erfolgreich mit dem Modell des „hybriden Kunden“. Quelle: Foto Fabry

Dr. Frank Walthes, Konzern Versicherungskammer, ergänzt: „Alle anwesenden Versicherungschefs weisen Online Abschlüsse im Bereich Risikoleben, Sterbegeld, BU und Lebensversicherung auf. Wo wir aber immer Zeit brauchen, ist, wenn Gesundheitsfragen auf den Tisch kommen und es ins Detail geht.“ Hierzu müsse man beraten können.

Heiß diskutiert wurden im Verlauf des Spitzentalks die Themen Ökosysteme und Bancassurance. Laut Schildknecht wird das Thema zu oft abstrakt behandelt. Ergo-Vorstand Kokkalas bewegte sich in eine ähnliche Richtung, hob aber hervor, dass es der richtige Weg sei, Versicherung vernetzt zu sehen und an den richtigen Stellen die richtigen Partnerschaften zu knüpfen. Beim Aubau von Ökosystemen dürfe man nicht nur Capacity-Provider sein „Wir müssen im Frontseat sitzen“, betonte Kokkalas.

Kein Zweifel bestand bei allen Teilnehmern darin, dass Versicherungen extrem komplexe Produkte seien. Player wie Amazon oder Google würden den Sprung in das Geschäft von einem auf den anderen Tag nicht schaffen. Dass sie überhaupt keine Konkurrenz darstellten, sagte die Expertenrunde aber nicht. Klare Worte richtete Trochimczuk aus: „Es geht nicht darum, dass man abstrakt über Ökosysteme redet, sondern dass man Beispiele nennt. Es gibt gute Beispiele, die sehr gut funktionieren“. Wiederholt empfahl der Manager den Blick über den deutschen Tellerrand hinaus. In anderen Ländern wäre der Wettbewerb in vielen Bereichen härter, die Kundenanforderungen liquider. „Wer sich dort als Versicherer zwei Jahre nicht bewegt, der ist weg vom Markt.“

Bei der Zuschauerfrage nach den Vertriebsarten Social Selling und Embedded Insurance zeigten sich die Versicherer gegenüber diesen Optionen offen. Jedoch schloss sich an dieser Stelle der Kreis zu einem vorangegangenen Punkt, der Wichtigkeit des Beraters. Der Kunde „müsse wissen, was er kauft“, erklärte Kokkalas. Das sei nicht bei allen Produkten problematisch und eine Beratung müsse nicht zwingend persönlich erfolgen, aber am Ende sei nicht die Art des Vertriebes, sondern die Kundenzufriedenheit entscheidend. Das sah auch Walthes so, der beim Blick auf die sozialen Medien ergänzte, dass sein Unternehmen dort sehr aktiv und gut sei, die Verkäufe das aber noch nicht in vollem Umfang spiegeln.

Vielversprechender Vertrieb über den Bankschalter

Eine Partnerschaft, die bei der Zurich oder auch bei der Versicherungskammer gut laufe, sei die Bancassurance. Schildknecht hob mit Blick auf den Deal zwischen Zurich und Deutscher Bank hervor, dass gerade im Bankenvertrieb die Beziehungen lang anhaltend sein müssen, um erfolgreich zu sein. Vertrauen und Prozesse müssten zunächst aufgebaut und stabilisiert werden. Anders funktioniere es nicht.

Deutschland-Chef Kokkalas stellte den Vorteil von Exklusivität bei Bankpartnerschaften aus Kundensicht vor. Wenn Kunden beispielsweise einen Kredit erhalten, dann wollen sie in der Regel nicht noch zwischen mehreren Anbietern eine Kreditausfallversicherung auswählen. Die Bank sollte hier nicht als Makler agieren und für einen konkreten Kundenwunsch auf Produktebene mehrere Versicherungsunternehmen anbieten, das würde zu viel Komplexität darstellen und wenig Mehrwerte bieten.

Ausbaufähig – so die geteilte Meinung der Manager – sei lediglich die Sachversicherung über den Bankschalter. Auch Frank Walthes glaubt an die Renaissance der Bancassurance, das gehe nur über eine Vollintegration. „Wir merken, es ist ein erfolgreiches Modell, aber es Bedarf der permanenten Nachjustierung.“ Ein grundsätzliches Problem, wieso Bankpartnerschaften scheitern, sei laut Trochimczuk das oft fehlende Versicherungswissen auf der Seite der Banken.

Frank Waltes, CEO des Konzerns Versicherungskammer: Einer der erfahrensten und dienstältesten Vorstandschefs an der Spitze eines Top-Versicherers. Quelle: Foto Fabry

Am Ende blieb der politische Blick nach Berlin und der Wunschkatalog der Branche an die designierte Ampel-Koalition nicht aus. „Wir alle wollen verhindern, dass es Altersarmut gibt“, betonte Schildknecht. Daher müsse die Altersvorsorge „substanziell reformiert“ werden. Walthes wünschte sich „eine Renaissance der sozialen Marktwirtschaft“, frei nach dem früheren Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard (CDU).

Finanzstaatssekretär Jörg Kukies gab sich auch hier mit Blick auf die derzeit laufenden Koalitionsverhandlungen naturgemäß zurückhaltend. In einem Punkt ließ er jedoch folgendes durchblicken: „Die Ampelkoalitionäre planen einen massiven Ausbau in regenerativen Wandel. Wir werden massive Milliardensummen investieren.“

Wahrscheinlich wichtiger für die Branche war, dass der Umbau der Bafin im Zuge des Wirecards-Skandals keinen Versicherungsfokus mit sich bringen wird. Der Sektor sei am Vorfall nicht wesentlich beteiligt gewesen, sodass der Umbau keine grundlegenden Veränderungen mit sich bringen werde, sagte Kukies. Was natürlich nicht bedeutet, dass an Solvency oder IDD keine aufsichtsrechtlichen Anpassungen mit sich bringen können.

Jörg Kukies, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium: Vor seinem „Seitenwechsel“ in die Politik u.a. Co-Vorsitzender bei Goldmann Sachs. Quelle: Foto Fabry

Sollers-Chef Trochimczuk äußerte gleich drei Wünsche: „Deutschland muss digitaler werden. Der Datenschutz muss erleichtert werden, um automatisiert zu werden. Als Pole wünsche ich mir, dass Deutschland immer so europaorientiert ist.“

Der VersicherungswirtschaftClub fand mit freundlicher Unterstützung des Karlsruher BGV und Sollers Consulting statt.

Mehr zum Thema lesen Sie in der kommenden Dezember-Ausgabe der Versicherungswirtschaft.

Autor: Michael Stanczyk, Tobias Daniel

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