Gefahr Strafzinsen: Bild gegen GDV in der Lebensversicherung

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Der Branchenverband klopft sich wegen der niedrigen Stornoquoten auf die LV-Schulter – die Bild malt wegen Strafzinsen den Untergang. Dazwischen stehen die Unternehmen, die krampfhaft faktisch argumentieren und auf die neue Tarifgeneration verweisen. Ob das gegen die Kraft des Boulevardblattes ausreicht?

„So vernichtet der Strafzins unseren Wohlstand“, titelt die Bild aktuell. Wegen dieses Umstandes sei auch die Lebensversicherung stark bedroht. Neuverträge würden wegen der Strafzinsen „so gut wie gar keine Erträge mehr abwerfen“, schreiben die Berliner. Zudem hätten „viele Anbieter“ ihre Überschussbeteiligung „wegen der Strafzinsen“ gesenkt. „Vor zehn Jahren gab es noch fast doppelt so viel (Zinsen)“, endet die Tirade.

Ganz so schlimm scheint die Lage allerdings nicht zu sein, wenn dem Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) geglaubt werden kann. Die deutschen Lebensversicherer haben 2020 ungeachtet der Corona-Krise  die wenigsten Vertragskündigungen seit der Wiedervereinigung verzeichnet – gemessen am Bestand. Auch die Beitragseinnahmen seien stabil geblieben, freut sich GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen. Die gesamten Beitragseinnahmen der Lebensversicherer, Pensionskassen und -fonds lagen mit 103,2 Mrd. Euro exakt auf dem Vorjahreswert. „Die Lebensversicherung allein verzeichnete sogar einen leichten Zuwachs um 0,4 Prozent auf 99,9 Mrd. Euro“, fährt Asmussen fort. Diese Entwicklung sei auch auf eine historisch niedrige Stornoquote von 2,55 Prozent der Verträge zurückzuführen. Im Vorjahr lag die Quote noch bei knapp 2,7 Prozent.

„Die Verbraucher kennen den Wert ihrer Garantien und versuchen gerade in der COVID-19-Krise, die in den Policen vielfach enthaltene Absicherung biometrischer Risiken wie Todesfall oder Berufsunfähigkeit so lange wie möglich aufrechtzuerhalten“, erklärt Henning Kühl, Leitender Aktuar von Policen Direkt und Versicherungsmathematiker (DAV). Angesichts des „weiter hohen Stornovolumens“ hätten die Deutschen dennoch auch 2020 mehr als 100 Mio. Euro verschenkt, weil sie ihre Lebensversicherung stornierten, statt auf dem Zweitmarkt für Lebensversicherungen zu verkaufen.

Keine Vernichtung?

Im Gegensatz zu den Minus- sind die Strafzinsen ein junges Phänomen. Kann es also sein, dass die Bild nicht den Jetzt-, sondern den Zukunftszustand der LV-Branche beschreibt? Nicht, wenn den Versicherern Glauben geschenkt werden kann.

„Das Lebensversicherungsmodell stellt nach wie vor eine sehr attraktive Vorsorgeform dar (…)“, schreibt die Zurich. Der Versicherer schränkt aber ein, dass „natürlich“ die Gesamtrendite über die letzten Jahre gesunken ist. Diese halte sich im Marktvergleich aber „immer noch überdurchschnittlich“. Insbesondere fondsgebundene Versicherungen würden „einen Lösungsweg“ bieten, um Performancechancen zu wahren. Die Zurich sieht auch künftig „großes Potenzial im LV-Geschäft“.

Sehr ähnliches ist aus Düsseldorf zu vernehmen. In der Altersvorsorge wird sich der marktweite Trend – „und der bei Ergo Vorsorge bereits vollzogene Schritt“ – von klassischen Produkten mit jährlichem Rechnungszins zu flexiblen und kapitalmarktorientierten Produkten weiter fortsetzen, schreibt die Ergo. Der Kunde solle auch weiterhin bei seiner Altersvorsorge das Garantieniveau wählen können, „das am besten zu ihm passt“.

Und was ist mit dem Marktführer, der im Artikel der Bild als Beispiel für die Senkung der Zinsen herhalten muss – und zuletzt in der betrieblichen Altersversorgung die volle Beitragsgarantie strich? Erst bei der zweiten Nachfrage schreibt die Allianz das, was auf den Artikel der Bild eigentlich von allen Unternehmen erwartbar gewesen wäre. „Der Fokus auf die Minuszinsen allein trifft es nicht wirklich, denn das Problem ist langfristiger und auch auf Nullzins oder den mageren Plus-Bereich bezogen.“

Trotz aller Probleme würde sich die Lebensversicherung aber „deutlich von anderen vergleichbar sicheren Anlagen abheben“. Um in einer „weiter anhaltenden Nullzins-Phase“ eine attraktive, sichere und zukunftsfähige Altersvorsorge zu bieten, setze die Allianz auf Lösungen mit „zeitgemäßen Garantien“.

Viel Spielraum haben die Unternehmen in ihrer Anlage nicht, wie der Aktuar Maximilian Happacher erklärt. „Auch die Versicherer reagieren auf die anhaltende Tiefzinssituation. Entsprechend schichten sie zunehmend ihre Kapitalanlage um: weg von Nominalwerten wie festverzinslichen Wertpapieren, hin zu Substanzwerten wie Aktien, Immobilien oder Infrastrukturprojekten.“ Dies sei der einzige Weg, um langfristig eine Rendite „oberhalb der Inflation zu erwirtschaften“. Die diesbezüglichen Möglichkeiten der Versicherer sind aber aufgrund geltender handelsrechtlicher und regulatorischer Rahmenbedingungen limitiert, fasst der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der DAV zusammen.

Am Ende bleibt, dass die Bild die Kraft ihrer Printausgabe genutzt hat, um ihre Leser (erneut) auf Probleme in der Lebensversicherung hinzuweisen. Ob Stil und Stoßrichtung stimmig sind, mag jeder für sich beschließen. Und müssten die Versicherer mit den aktuellen (GDV-)Zahlen im Rücken nicht ein wenig mehr Mut gegenüber dem Kritiker aufbringen? Entscheiden Sie selbst.

Autor: Maximilian Volz