Rechtsschutzversicherer bereiten sich auf den „Neuschaden-Tsunami“ vor

Edward Lich auf Pixabay

Mit dem Lockdown ist in der Rechtsschutzsparte über Nacht das Neugeschäft weggebrochen. Auf der Schadenseite wird gleichzeitig eine teure Prozesswelle erwartet.  Ein „Neuschaden-Tsunami“ könnte die Branche jetzt stressen, warnt ÖRAG-Vorstand Andreas Heinsen. Um das Feld nicht den Legaltechs zu überlassen, ist eine aktive Kundenansprache unabdingbar.

Aufgrund der erfreulichen Jahresendzahlen haben deutsche Rechtsschutzversicherer den Jahreswechsel mit großer Gelassenheit begangen. Diese Erwartung hat sich mit den Verlautbarungen des GDV zum abgelaufenen Geschäftsjahr bestätigt. Der Beitrag steigt 2019 um 2,5 Prozent (VJ. plus 4,2 Prozent), seit 2015 sogar um satte 21,7 Prozent, womit Rechtsschutz unter den bedeutenden Kompositsparten den Spitzenplatz einnimmt.

Mit der Corona-Krise und einigen negativen Folgen für den Schadenaufwand aufgrund von BGH-Urteilen zu unwirksamen ARB-Klauseln aus 2019 sowie den weiterhin „lästigen“ Legaltechs und Internetkanzleien droht jetzt diese positive Entwicklung von heute auf morgen obsolet zu werden. Die Branche hat sich auf einen „Neuschaden-Tsunami“ vorzubereiten, der sich über die nächsten Monate aufbauen und die Unternehmen nicht nur operativ stressen wird.

Keine rosigen Margen für Neueinsteiger

Die Marktforscher und auch das Statistische Bundesamt haben den Unternehmen gerade bestätigt, dass sich auf der Marktdurchdringungsseite gar nichts tut. Trotz steigender Haushalte, Kfz-Zulassungen und auch verfügbaren Einkommen sowie weiter zulegenden Unternehmensgründungen gelingt es weiterhin nicht, das Absicherungsniveau im Rechtsschutz insgesamt zu steigern.

Das ist kein gutes Zeugnis für die Produktmanager und Vertriebe, die diese Potenziale in der Breite nicht aufgenommen und gehoben haben. Auch von den Versicherern ist Rechtsschutz als wachstumsstarke Sparte – mit nachhaltigen und ertragsseitig interessanten Beitragsangleichungen – teilweise sehr stiefmütterlich behandelt worden. Die GDV-Rennlisten zeigen hier sehr starke Spreizungen im Wachstum bei den einzelnen Unternehmen.

Einige Player verlieren sogar über Jahre bedeutende Marktanteile, ganz vorne die Ergo/D.A.S., aber auch andere – Deurag und NRV – mussten seit dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) 2013 und den Solvency-II-Herausforderungen deutlich an Federn und Kunden lassen, oder wurden gar, wie die Rechtsschutz Union, von ihren Konzernen verkauft.

Mutige Neueinsteiger, wie die Ideal oder auch Deutsche Familienversicherung mussten über teilweise sehr hohe Verluste lernen, dass Rechtsschutz im Direkt-, Pool- und Vergleichsportalmarkt keine rosigen Margen verspricht, wenn man dessen Mechanismen nicht kennt oder zu spät auf Marktveränderungen, dazu gehört dann auch die Legaltech-Szene, produkt- und bedingungsseitig reagiert.

Andere, wie z.B. die Örag, die seit 2015 über 350.000 Verträge im Bestand dazu gewinnen kann, aber auch Arag oder DEVK sowie R+V und LVM weisen deutlich über dem Marktschnitt liegende Wachstumskennzahlen aus. Dies spricht eigentlich für Konsolidierungspotenzial im Markt, aber auch dies hat sich seit 2010 nicht realisiert, auch wenn sich die Anbieter von 50 auf jetzt 45 reduziert haben.

Was bedeutet Corona für den Rechtsschutz konkret?

Der Lockdown führt auch für Rechtsschutz im Geleit der anderen Kompositsparten zu einem abrupten Stillstand des Absatzes über die klassischen Vertriebswege Ausschließlichkeit und Makler, die im Rechtsschutz über 85 Prozent des Gesamtgeschäfts zeichnen und auch in ihren Beständen halten.

Die übrigen Vertriebswege, insbesondere die in dieser Phase von vielen kritisch eingeschätzten Vertriebswege Direkt und Vergleichsportale, werden dies nicht im Ansatz ausgleichen können. Auch der Bankenvertrieb, in dem nur sehr wenige Versicherer engagiert sind, wird hier keinen Ausgleich für das Jahresgesamtergebnis bringen können.

Aus Unternehmenssicht ist sicherzustellen, dass Rechtsschutz innerhalb der Vertriebsaktivitäten 2020 zumindest gleichbehandelt wird und in der Aktivitäten- und Marketingplanung nicht ins Hintertreffen gerät, da zum jetzigen Zeitpunkt Rechtsschutz auch ein sinnvoller Türöffner zum Kunden sein könnte und vielleicht sogar sein sollte.

Rechtsschutz in einem schon immer kritischen Käufermarkt, der den Bedarf für sich selbst mitdefiniert, gerade jetzt zu platzieren, ist in wirtschaftlichen Krisenzeiten besonders gefährlich, da sich Eintrittswahrscheinlichkeiten bei und für den Abschluss massiv erhöhen.

Da helfen auch keine sechs Monate Wartezeit im Arbeitsrecht, wobei natürlich diejenigen Versicherer, die mit ein und zwei Monaten Wartezeit in einzelnen Angeboten unterwegs sind, bevorzugtes Empfehlungsziel der Legaltech-Kanzleien für ihre Mandanten werden, entsprechende Handlungsanweisungen, wie man in Deckung kommt, kann man dort nachlesen oder bekommt es auf Youtube-Clips erklärt. Diese Lernkurve sollten alle aus dem Widerruf-Joker-Kumulschaden gemacht haben.

Wie groß jetzt bei Maklern oder Vergleichern der erwartete Anstieg von Neuabschlüssen und Leistungsupgrades werden wird, dies ist die Glaskugel, in die alle gerade schauen. Aber auch auf der Ausschließlichkeitsseite wird es eine neue Bedarfswahrnehmung für Rechtsschutz geben. Diese gilt es zu kanalisieren und zu steuern, um keine brennenden Häuser in die Portfolios zu bekommen.

Negativschlagzeilen, die sich viele Versicherer gerade beim Thema Betriebsunterbrechungs-/ schließungversicherung eingefangen haben, sollte sich Rechtsschutz ersparen. Vertrieb vergisst dies nicht und wenn, dann dauert es sehr lange, um ein „im-Regen-stehen-lassen-Image“ von den Haken und aus den Köpfen zu bekommen.

Aktuell gilt es vornehmlich, die aktive Rechtshilfepositionierung für Kunden und Vertriebspartner nach vorne zu bringen. Nicht nur, weil dies solidarisch ist oder Imagegewinn verspricht, sondern weil ein massiver Bedarf bei den Vertriebspartnern und deren Kunden vorhanden ist.

Autor: Andreas Heinsen, Vorstand CPO / CIO der ÖRAG Rechtsschutz AG

Den vollständigen Beitrag und noch mehr zum Thema lesen Sie in der aktuellen Mai-Ausgabe des Magazins Versicherungswirtschaft.

Ein Kommentar

  • Die RS Versicherer haben ja auch allesamt nicht verstanden, wie sich die Vertiebswege geändert haben. Wo befinden sich denn heutzutage die Rechtsuchenden zuerst, wenn sie ein Problem haben!?
    -> auf den großen Anwalts-Portalen, welche konkrete Tipps geben. Wie z.B. https://www.rechtsanwalt.com/ratgeber/
    Dort wäre es doch ein leichtes die Interessenten abzufischen. Zumal diese Portal sogar kostenlose Erstberatungen anbieten. Über 80% der Anfragenden haben keine Rechtsschutzversicherung!

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