Vertriebspsychologie: Warum Boni gefährlich für die Motivation des Vermittlers sind

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„Viel ist gut, mehr noch viel besser“ – nach diesem Mantra belohnen die Versicherer ihre Vermittler. Immer noch steht Quantität über Qualität. Dieses Prinzip wird nicht nur vom Bundesverband der Versicherungskaufleute und Verbraucherschützern angezweifelt, sondern auch von der Psychologin Julia Scharnhorst. Bonuszahlungen können die eigentliche Motivation des Vermittlers vernichten, warnt sie. Spaß und Motivation seien wichtiger, gesünder und dauerhafter als Boni.

Was treibt einen Menschen an, warum sind einige leistungsbereiter als andere, diese Fragen beschäftigten Philosophen, Psychologen und Arbeitgeber seit Anbeginn der Zeit. Eine Antwort darauf ist die Motivationsart. „Wir sprechen von intrinsischer- und extrinsischer Motivation. Das eine kommt von innen und besagt, jemand hat von sich aus auf etwas Lust. Die extrinsische Motivation kommt von außen, klassischerweise als Geldzahlung.“ Ein Beispiel ist laut Scharnhorst der Vermittler, „der einen Bonus für das Erreichen eines bestimmten Zieles erhält“.

Und schon ist man mitten in der Diskussion um Fehlanreize in der Beratung, die Teile der Politik, Verbraucherschützer und auch Branchenteilnehmer zunehmend bemängeln und die letztlich wohl in einer Begrenzung der Provisionen im Bereich der Lebensversicherung enden wird. „Wir fordern vertragsbezogene Provisionen, die IDD-konform sind und nicht unsichere Bonifikationen“, erklärt BVK-Präsident Michael H. Heinz kürzlich.

Wie Boni wirken und warum sie oft mehr schaden statt nutzen, erklärt Scharnhorst in wenigen Worten. „Das Unternehmen erhofft sich, dass der Bonus den Empfänger dazu motiviert, die Leistung aufrechtzuerhalten oder noch besser zu arbeiten. In aller Regel funktioniert das nicht. Es wurde festgestellt, dass man mit extrinsischer- die intrinsische Motivation eliminieren kann.“

Das Gegenteil von gut ist gut gemeint

Das Gesagte bedeutet, dass die Boni die ursprüngliche Motivation, nämlich den Kunden optimal zu beraten, verdrängen und folglich eine negative Wirkung entsteht. „Wenn ein Mensch einen Beruf aus Begeisterung und Interesse ausübt, ist das optimal. Wird so ein Angestellter aber in der Folge mit Boni überschüttet, kann das dazu führen, dass er in der Folge nur noch an den Zusatzzahlungen interessiert ist. Er verliert dann einen Teil seiner eigentlichen Motivation, im schlimmsten Fall sogar die Gesamte“, erläutert Scharnhorst.

Das Unternehmen kauft dem Vermittler (unbewusst) praktisch die Eigenmotivation ab. Das ist speziell im Verkauf ein häufiges Problem.  Gerade im Vertrieb sei extrinsische Motivation üblich, erklärt Scharnhorst. „Das hat die Folge, dass die Angestellten den Boni hinterherlaufen, anstatt mit Spaß an die Sache heranzugehen.“

Der Spaß ist auch keinesfalls unbedeutend, wer etwas mit Freude tut, wird es oft wiederholen und dadurch automatisch besser werden. „Gute Fähigkeiten entstehen nicht nur aus Talent und Motivation, sondern von lernen und wiederholen“, erklärt Scharnhorst.

Der Spaß sorgt dafür, dass wir etwas wiederholen, was die eigenen Fähigkeiten verbessert. Die daraus entstandenen verbesserten Begabungen lassen Erfolge erwarten, was wiederrum die Motivation erhöht, besser zu werden. Ein Kreislauf ist entstanden. Die Psychologin fasst es treffend zusammen: „Wir sind engagierter, wenn wir Erfolge erwarten und wir können Erfolge erwarten, wenn wir etwas gut können.“

Einen anderen Fokus setzen

Menschen wollen in ihrer Tätigkeit einen Sinn sehen, das Monetäre ist nicht unbedeutend, aber meist zweitrangig. Denken sie an die Krankenschwester, die sich für ein verhältnismäßig geringes Gehalt abrackert oder die vielen Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren.

Auch Vermittler wollen einen Sinn in ihrer Arbeit sehen, das Bildvom geldgierigen, porschefahrenden Vermittler ist überzeichnet und marktübergreifend gesehen nicht mehr zeitgemäß. Das Monetäre kann das Streben nach Sinn nur für eine bestimmte Dauer ersetzen. „Für einige Zeit funktioniert das, doch nicht auf Dauer. Das alleinige Streben nach Geld ist nicht gut für die Psyche“, erklärt die Psychologin, die sich mit ihrem Unternehmen Health Professional Plus der Qualitäts- und Serviceverbesserung im Gesundheitswesen widmet.

Es ist kein tiefes psychologisches Verständnis nötig, um den Sachverhalt nachzuvollziehen. Überlagert das Streben nach Geld die eigentliche Motivation der guten Beratung, rückt der ursprüngliche Sinn des Tuns in den Hintergrund. In der Folge nehmen die Qualität und die Zufriedenheit mit der eigenen Tätigkeit ab. Das belastet und macht unzufrieden, im schlimmsten Fall drohen psychische Krankheiten, die in Deutschland auf dem Vormarsch sind.

Anteil psychischer Erkrankungen als Ursache für Berufsunfähigkeit in Deutschland in den Jahren 2009 bis 2018 . Quelle: Statista

Dazu kommt, dass der Druck auf die Vermittler aufgrund des intensiveren Wettbewerbs steigt, in der Versicherungswelt beispielsweise ausgelöst durch zunehmende Digitalisierung und Konkurrenz durch Vergleichsportale. „Ich habe aus dem Bereich Versicherungen und Banken viele Verkäufer klagen gehört, die unzufrieden sind und die nur noch ihre Sollzahlen bringen müssen. Das macht unglücklich“, erklärt Scharnhorst.

Da die Unternehmen die Vermittler trotz aller Digitalisierung (noch) dringend brauchen, wäre es logisch, die Vergütung umzustellen. Eine mehr qualitativ- statt quantitativorientierte Bezahlung wäre nötig, ganz wie es Heinz und Verbraucherschützer fordern. Vielleicht würde es sogar dabei helfen, junge Menschen für den Beruf Vermittler zu begeistern und das desaströse Image in der Öffentlichkeit zu verbessern.

Eine solche Änderung hätte darüber hinaus den Vorteil, dass der Gesetzgeber nicht zum Holzhammer Provisionsdeckel greift. Ironischerweise würde dieser in der angedachten Form die Vermittler weit stärker belasten als die Unternehmen, die die Provisionsregeln aufstellen.

Das komplette Interview mit Frau Scharnhorst finden Sie in der neuen Ausgabe von „Der Vermittler“.

Link: Die Website von Frau Scharnhorst.

Autor: VW-Redaktin

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