BSV: Die Lage für Versicherer spitzt sich zu

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Praktisch kein Tag ohne neue Meldungen um die Betriebsschließungsversicherung: Am Donnerstag hat das Landgericht München I erneut gegen einen Versicherer entschieden. Auch in Großbritannien beugen sich gleich mehrere Branchenplayer den Entscheidungen der Richter. Die Situation ist heikel.

Im konkreten Fall haben die Richter am Münchener Landgericht einer Klage der Gaststätte Emmeramsmühle stattgegeben. Demnach muss die Haftpflichtkasse dem Wirt wegen der Corona-bedingen Schließung eine Entschädigung in Höhe von 427.169,86 Euro zahlen. Die Richter begründeten diesen Schritt damit, dass die Klausel, mit der sie ihren Leistungsumfang einschränken wollte, intransparent und unwirksam sei.

„Dass das Coronavirus nicht im Betrieb des Klägers aufgetreten ist, steht dem Anspruch ebenfalls nicht entgegen, denn nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) ist allein maßgeblich, dass der Betrieb aufgrund des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) geschlossen wurde“, heißt es in einer Mitteilung des Landgerichts.

Zudem sei der „Betrieb der Klägerin auch vollständig geschlossen gewesen, ein – rechtlich zulässiger – Außerhausverkauf war der Klägerin nicht zumutbar. Nach Ansicht der Kammer stellt ein Außerhausverkauf, wenn er für den Restaurantbetrieb lediglich ein vollkommen untergeordnetes Mitnahmegeschäft ist, keine unternehmerische Alternative dar, auf die sich der Versicherungsnehmer verweisen lassen muss.“ Der Haken allerdings: Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.

Harte Treffer

Deutlich teurer wird es für den Bayerischen Versicherungsverband: So musste die VKB-Tochter im BSV-Verfahren gegen den Wirt des Augustiner Kellers (Az.: 12 O 5895/20) in erster Instanz eine bittere Schlappe hinnehmen. Die auf Versicherungsrecht spezialisierte 12. Zivilkammer des Landgerichts München I hat der Klage auf Zahlung einer Entschädigung von 1.014.000,00 Euro aufgrund der Corona-bedingten Betriebsschließung gegen seinen Versicherer stattgegeben.

In der Diskussion um Zahlungen aus der Betriebsschließungsversicherung (BSV) gehen die Meinungen in Deutschland, aber auch international, weit auseinander. Während Gastronomen ihre Forderungen auf dem juristischen Weg durchsetzen wollen, verweisen Versicherer auf ihre Bedingungswerke. Andere wiederum setzen auf Kulanz, wie zuletzt die französische Axa oder die Schweizer Zurich. Das lässt aufhorchen. Und doch bleibt das Thema ein Problemfall.

Knackpunkt Mannheim?

Bereits vor einigen Monaten befasste sich das Landgericht Mannheim in einem Urteil vom 29. April 2020 (Az.: 11 O 66/20) mit den Problemen und Komplexitäten von Betriebsschließungsfällen und deren Versicherbarkeit. Konkret klagte eine Betreiberin von drei Hotels auf Zahlung aus den bestehenden Betriebsschließungsversicherungen. Das Gericht entschied im Ergebnis vorläufig gegen die Klägerin, weil die Anspruchshöhe nicht hinreichend dargelegt werden konnte. Grundsätzlich würde ihr jedoch ein Anspruch auf die vereinbarte Versicherungsleistung zustehen.

Das Oberlandesgericht Hamm bezog hingegen im Juli 2020 eine gegenteilige Position: Dabei argumentierten die Richter, dass kein Deckungsschutz gegen Krankheiten und Erreger besteht, wenn diese nicht ausdrücklich vertraglich benannt sind. Damit bestätigte das OLG eine Entscheidung des Landgerichts Essen. Im konkreten Fall hatte eine Gastwirtin aus Gelsenkirchen infolge des Corona-bedingten Lockdowns einen Betrag von exakt 26.962 Euro geltend gemacht.

88 Klagen am Landgericht München I anhängig

Bei der Entscheidung handelt es sich allerdings nur um eine von vielen. „Inzwischen sind in dem Verfahrenskomplex BSV am Landgericht München I 88 Klagen eingegangen“, heißt es weiter.

Zu den Klägern gehören auch prominente Münchener Gastronomen wie zum Beispiel Jürgen Lochbihler vom Pschorr am Viktualienmarkt. So klagt der Gastwirt über Umsatzeinbußen von bis zu 70 Prozent und fordert mehr als eine Million Euro vom Versicherer.

Ebenfalls zu den Klägern zählt Christian Vogler, Wirt des Augustinerkellers, der erst am 4. März – also kurz vor dem Lockdown – eine BSV abgeschlossen hatte. Nun fordert er insgesamt 1,14 Mio. Euro von seinem Versicherer, berichtet die Bild. Der lehnt die Forderung allerdings ab mit der Begründung, Pandemien seien nicht über die Standardpolicen abgedeckt.

Jüngstes Beispiel ist der Bayerische Hof: So hat das Luxushotel in der bayerischen Landeshauptstadt die Allianz auf sechs Mio. Euro Betriebsausfall für die Zeit des Lockdowns von März bis Mai 2020 verklagt. Der Versicherer selbst wollte sich auf Anfrage von VWheute nicht zum laufenden Verfahren äußern. Allerdings gebe es „bislang noch kein Urteil in einem Fall, in dem Versicherungsbedingungen der Allianz zugrunde lagen. Grundsätzlich sind wir weiterhin der Meinung, dass kein Versicherungsschutz besteht“, betonte ein Unternehmenssprecher.

Im Fall der Gaststätte „Paulaner am Nockherberg“ hat sich die Allianz bereits außergerichtlich geeinigt. Nach Angaben des Landgerichts hatte Gastwirt Christian Schottenhamel die Klage gegen den Versicherer zurückgenommen. Details sind allerdings nicht bekannt.

Wunder Punkt in den AGB

Das die Juristen in den AGB einen wunden Punkt für die Versicherer sehen, hatte jüngst auch Michael Pickel, Vorstandsvorsitzender der E+S Rück, jüngst eingestanden. Demnach sei es weder den Erst- noch den Rückversicherern vor Covid-19 aufgefallen, dass viele Betriebsschließungsbedingungswerke nicht eindeutig formuliert sind.

Die E+S bekennt zudem, dass sie auf diesen Bereich „nicht so draufgeschaut habe“, auch weil es kein „Großsummengeschäft war“. Zudem habe vor dem Lockdown niemand eine solche Wahrscheinlichkeit „auf dem Zettel“, ergänzt bestätigt Jonas Krotzek, Managing Director – Germany, Austria, Switzerland und Italy. Allerdings sei der Rückversicherer „nicht an der Erstellung der Bedingungswerke der Erstversicherer beteiligt“, ergänzt Pickel.

Erst vor wenigen Tagen hatte das Landgericht Oldenburg die Klage eines Gastwirtes gegen die Helvetia Schweizerische Versicherungsgesellschaft AG aufgrund einer durch Covid-19 bedingten Betriebsschließung abgewiesen (Az.: 13 O 2068/20). In den Versicherungsbedingungen des Unternehmens seien die unter der BSV versicherten Krankheiten namentlich genannt, begründeten die Richter ihre Entscheidung.

Britische Versicherer beugen sich High Court

Eine seriöse Prognose, wie die weiteren in Deutschland anhängigen Verfahren ausgehen werden, ist jedenfalls nicht möglich. Anders scheint die Lage jedoch im Vereinigten Königreich zu sein. Für sechs Versicherer ist der BSV-Streit in Großbritannien verloren (gegeben). Die Unternehmen RSA, QBE, Hiscox, MS Amlin, die Hannover-Rück-Tochter Argenta und Arch Unternehmen werden sich den Urteilen in Musterverfahren um Betriebsunterbrechungs-Policen (BSV) beugen.

Die genannten Unternehmen werden keine Berufung gegen die für sie negativen Urteile des Londoner High Court in drei Musterfällen einlegen, wie aus Gerichtsdokumenten hervorgeht, berichten Reuters und mehrere britische Medien. In zwei anderen Fällen wollen sie sich dagegen weiter wehren.

Nach dem Urteil klang das noch ganz anders, erst wurde die Bedeutung heruntergespielt, dann Berufung angekündigt. Einige Unternehmen wollten sich per „leapfrog certificates“, einem juristischen Sonderrecht, direkt an den Supreme Court wenden, doch das alles ist jetzt vom Tisch.

Milliardenschwere Ansprüche

Die Finanzaufsicht FSA hatte Musterprozesse gegen acht Versicherer angestrengt, um zu klären, ob Betriebsunterbrechungsversicherungen leisten müssen, wenn Läden, Restaurants und Pubs auf staatliche Anordnung wegen der Corona-Pandemie schließen müssen. Die Zurich und Ecclestiastical hatten bereits zuvor auf eine Berufung beim Supreme Court verzichtet.

Die meisten der erstinstanzlichen Urteile waren im September zugunsten der Klägerentscheiden worden. Viele der Betroffenen können nun hoffen, dass sie rasch Geld von den Versicherern bekommen. Ein RSA-Sprecher sagte am Mittwoch, der Konzern werde zusammen mit dem Makler Marsh Abschlagszahlungen anweisen.

Insgesamt sind von den Musterverfahren 21 unterschiedliche Klauseln, 700 Arten von Verträgen, 60 Versicherer und 370.000 kleine und mittelgroße Unternehmen betroffen. Das Ergebnis sind milliardenschwere Ansprüche an die Branche.

Wie in Deutschland hatten zahlreiche britische Versicherer die Leistungen zunächst abgelehnt. Sie argumentieren im Wesentlichen, dass sie nur bei einem konkreten Schaden im Betrieb selbst zahlen müssten und Pandemien wie die Corona-Infektion ausgeschlossen seien.

In Deutschland muss jeder Versicherungskunde seine Ansprüche einzeln durchfechten, da es hier bisher keine Musterbedingungen gibt.

Autor: VW-Redaktion

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