Montagskolumne mit Reiner Will: „Das Wahlergebnis könnte die Geschäftsmodelle in der Assekuranz erheblich durchschütteln“
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Reiner Will ist geschäftsführender Gesellschafter und Mitbegründer der Assekurata Assekuranz Rating-Agentur. Quelle: Assekurata - von der Redaktion bearbeitet

Das Leben ist hart: Peer Steinbrück  hatte 2013 das exakt gleiche Wahlergebnis wie aktuell Olaf Scholz. Das Ergebnis: Steinbrück ist raus und Scholz Kanzler. Ob es auch für die Versicherer unter der neuen Ampel-Regierung hart werden wird, fragt sich Assekurata-Chef Reiner Will in der Montagskolumne. Besonders die Versprechen zu mehr Gerechtigkeit in den Sozialsystemen könnten das Geschäftsfeld der Assekuranz „erheblich durchschütteln“, glaubt der Analyst.

Sicher ist jedoch, Merkels Ägide ist vorbei. Ihr Stil war geprägt von Ruhe, Gelassenheit, Kompetenz, Führungsstärke und Glaubwürdigkeit. Kritisiert wurde sie jedoch hinsichtlich des Aussitzens von Problemen, wenig Konkretem in der Sache sowie wahrgenommener Entscheidungsschwäche. Deshalb sollen jetzt vor allem Inhalte wieder stärker in den Fokus rücken, was sich schon im Wahlkampf deutlich beim Thema Umgang mit dem Klimawandel zeigte.

Olaf Scholz konnte für sich und die SPD mit 25,7 Prozent die meisten Stimmen einsammeln und traditionell leitet sich daraus der erste Auftrag einer Regierungsbildung ab. Dementsprechend starten auch zunächst die Mitglieder einer möglichen Ampel aus SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen mit Koalitionsgesprächen.

Allerdings hätte Olaf Scholz in diesem Bündnis die mit Abstand schwächste „Hausmacht“, die einem Kanzler in den zurückliegenden 19 Amtszeiten seit 1949 zur Verfügung stand. Dass ein Wahlerfolg und der daraus abgeleitete Auftrag immer (nur) relativ ist, vergegenwärtigt auch, dass für den SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück das exakt gleiche Ergebnis in der Bundestagswahl 2013 sein politisches Aus bedeutet hat.

Der „Neue“ wird zwangsläufig neue Attribute setzen und setzen müssen. Verhandlungsgeschick und Kompromissbereitschaft benötigt er gleichwohl auch, wenn nicht sogar noch mehr. Denn dies ist nach der Wahl ebenfalls gewiss: Die künftige Regierung wird erstmals in der Geschichte gleich aus drei Parteien bestehen. Diese gilt es nicht nur zum Start, sondern vielmehr auch über die gesamte Legislaturperiode unter einen Hut zu bringen. Dabei gibt es Alternativen für Mehrheiten im Parlament, sodass das Damoklesschwert des konstruktiven Misstrauensvotums von Beginn an über der nächsten Regierung schwebt.

Das Wahlergebnis spiegelt zugleich ein breites und differentes Spektrum an Ideen, Meinungen, Werten und Überzeugungen in der Gesellschaft, die es nun politisch konstruktiv auszutarieren gilt. Nach den Aussagen der potenziellen Ampel-Koalitionäre sollen Politik und Land künftig unter anderem moderner, gerechter, klimaneutraler, digitaler, sicherer, frei, weltoffen, stark und bedeutend sein.

Vor diesem Hintergrund dürfte die anstehende Regierungsperiode vor allem für die Versicherungswirtschaft zu einer bewegten Zeit werden. Gerade in den Wahlversprechen von SPD und Grünen haben Veränderungen an den sozialen Sicherungssystemen unter der Zielsetzung „mehr soziale Gerechtigkeit“ einen hohen Stellenwert. Dies betrifft insbesondere Austarierung und Ausgestaltung des Dreisäulenmodells der Altersvorsorge, mit einer Stärkung der gesetzlichen Rente, einer Neuordnung der staatlichen Förderung und einer Bekämpfung von Fehlanreizen in der privaten Altersvorsorge. Ferner fallen darunter Veränderungen im Verhältnis von GKV zu PKV, die Ausgestaltung und Finanzierung der Pflege und die Beratung in all diesen Fragen der Vorsorge, speziell auch deren Vergütung.

Dem Leitgedanken folgend, dass der Sozialstaat für die Absicherung seiner Bürger sorgt, wollen SPD und Grüne die sozialen Ungleichheiten vor allem über Regulierungen/Gesetze und Umverteilungen überwinden. Konkret zeigt sich dies unter anderem in Zielen wie Bürgerversicherung, gesetzliche Garantierente, Provisionsverbot, Deutschlandrente/Bürgerfonds, Vermögenssteuer oder Pflichtversicherung für Elementarrisiken. Jedes dieser Themen für sich hat das Potenzial, die bestehenden Geschäftsmodelle in der Assekuranz erheblich durchzuschütteln. Deshalb ruht sicher ein besonderer Blick auf der FDP und ihrer inhaltlichen Positionierung in den aktuellen Verhandlungen. Neben der Maxime „Keine Steuererhöhungen“ sind das Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft, dem Freihandel und der Gestaltungsfreiheit des Einzelnen wesentliche Leitsätze ihres Wahlversprechens. Ziel ist es „das Verhältnis von Privat und Staat wieder in eine die Leistungsbereitschaft fördernde Balance zu bringen“.

Ohne hier ins Detail gehen zu können, ergibt sich daraus in der Gestaltung der zuvor skizzierten Themen und Leitgedanken hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit ein programmatischer Dissens. Trotz erkennbarer Differenzen haben die vermeintlichen Koalitionäre es vermieden, öffentlich rote Linien zu ziehen und die ersten Gespräche verliefen erstaunlich ruhig im Sinne von vertraulich. Man darf gespannt sein, ob und wie sich die Parteien einig werden. Von CDU-Altkanzler Ludwig Erhard können sie jedenfalls lernen: „Ein Kompromiss ist die Kunst, einen Kuchen so zu teilen, dass alle meinen, sie hätten das größte Stück bekommen.“ Ob dies aber der Assekuranz schmecken wird, bleibt abzuwarten. Vermutlich wird es keine Sahnetorte werden.

Zum Autor: Reiner Will ist geschäftsführender Gesellschafter und Mitbegründer der Assekurata Assekuranz Rating-Agentur. Er beschäftigt sich seit über 15 Jahren mit der Analyse und Bewertung von Versicherungsunternehmen und Tarifen.

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