Montagskolumne mit Reiner Will: „Sorgen vor Inflation sind in Deutschland besonders ausgeprägt“
Kommt es wegen er Inflationsangst zu steigenden Zinsen oder beginnt eine Lohn-Preis-Spirale – und welche Auswirkungen hat das Phänomen Geldentwertung eigentlich auf Versicherer und Kunden? Einen gewohnt analytischen wie kritischen Blick auf die Ist-Situation sowie das Kommende wirft Reiner Will, geschäftsführender Gesellschafter der Assekurata Assekuranz Rating-Agentur in seiner Kolumne.
Sorgen vor Inflation sind in Deutschland besonders ausgeprägt. Im Ausland spricht man in diesem Zusammenhang überspitzt gar von German-Angst. Gründe dafür sind sowohl die Erfahrungen der frühen 20er-Jahre des letzten Jahrhunderts als auch die Währungsreformen nach dem Zweiten Weltkrieg, die sich tief ins kollektive Gedächtnis der Bevölkerung eingebrannt haben.
Während der Coronazeit nahm die Inflationsrate einen rasanten Verlauf. Hatte sie vor Beginn der Pandemie im Januar 2020 noch bei 1,7 % gelegen, fiel sie im Dezember 2020 bis auf –0,3 % herab. Ab Januar 2021 drehte sich die Entwicklung in einen fortlaufenden Anstieg um. Im November erreichte die allgemeine Preissteigerungsrate mit 5,2 % ihren bisherigen Höhepunkt und damit auch den höchsten Wert seit Bestehen des gemeinsamen Währungsraums in der Europäischen Union. Von daher lässt die Entwicklung aufhorchen.
Angesichts unverändert niedriger Zinsen mehren sich vor allem bei Anlegern die Sorgenfalten um die Rendite und den Realwert der angesparten Anlagen. Dies betrifft insbesondere Lebensversicherungskunden. Wobei nicht nur der Wert der möglichen Ablaufleistungen, sondern auch die laufenden Renten aus Leibrenten-, BU- und Grundfähigkeitsversicherungen betroffen sind.
In der Krankenversicherung teilen Kunden mit Tagegeld- und Pflegeversicherungen dieses Schicksal. Dabei bewegen sich die Preissteigerungen in der Medizin bereits seit dem Jahr 2000 durchschnittlich zwischen 4 % und 5 %. Die medizinische Inflation ist damit doppelt so hoch wie die allgemeine Inflation in diesem Zeitraum, wobei die Pandemie zu vielfältigen Mehraufwendungen im Gesundheitswesen führt, allerdings auch Ausgabenverschiebungen nach sich zieht. Neue Ausgabenrekorde sind daher vorprogrammiert. Die rückläufige Konjunktur dürfte sich auch negativ auf die Beitragsseite der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) auswirken. Also ist mit höheren Beitragssätzen in der GKV und steigenden Prämien in der Privaten Krankenversicherung (PKV) zu rechnen.
Weitere Sparten betroffen
In der Schaden-/Unfallversicherung machen sich Preissteigerungen in steigenden Schadenregulierungsleistungen und einem höheren Schadenreservierungsbedarf bemerkbar. Gegenwärtig betrifft dies zum Beispiel rasant steigende Ersatzteilpreise für beschädigte Kraftfahrzeuge. Im Fall von Summenversicherungen, wie beispielsweise in der Wohngebäudeversicherung, sinkt wiederum der Wert der Versicherungsleistung. Dies merken unter anderem die Geschädigten der Starkregenkatastrophe im Sommer dieses Jahres, weil die Preise für viele Baustoffe massiv gestiegen sind.
Die besondere Entwicklung der Inflationsrate geht zum einen auf die coronabedingte Senkung der Mehrwertsteuer vor einem Jahr zurück, da die Rücknahme dieser Maßnahme zu Beginn 2021 einen Basiseffekt auf die Preissteigerungsrate zur Folge hatte. Zum anderen zog gleichzeitig global die Wirtschaft wieder an und in der Folge auch viele Preise. Zudem sind die Preise für Mineralölprodukte und andere energieerzeugende Rohstoffe stark gestiegen, auch wegen Einführung der CO₂-Bepreisung im Kontext des Klimaschutzes zu Beginn 2021.
Kein Wunder also, dass die Rufe nach einer Zinswende der Europäischen Zentralbank (EZB) immer lauter werden. Allerdings schätzen viele Experten und auch die EZB, dass die Entwicklung nur von vorübergehender Dauer sein wird, da die aktuellen Preissteigerungen angebotsseitig getrieben sind. Vor allem in Folge der Pandemie treten Liefer- und Produktionsengpässe auf, die das Angebot kurzfristig verknappen und die Preise ansteigen lassen. Gravierender wären Preissteigerungen, die durch eine vermehrte Nachfrage, zum Beispiel durch höhere Löhne, ausgelöst würden. Für eine Lohn-Preis-Spirale sehen die meisten Ökonomen aufgrund moderater Tarifabschlüsse aber bisher keine Anhaltspunkte. Umfangreiche Kurzarbeit und steigende Arbeitslosigkeit während der Pandemie haben hier auch einen dämpfenden Effekt. Von dauerhaften Preisniveausteigerungen auf breiter Front sollten wir demnach verschont bleiben.
Die Rufe nach steigenden Zinsen dürften demnach kein Gehör finden. Wobei Zinssteigerungen auf der Angebotsseite ohnehin eine eher kontraproduktive Wirkung hätten; denn gestörte Lieferketten, steigende Energiekosten oder die Chipproduktion lassen sich damit nicht stimulieren. Wohl aber würden die Finanzierungskosten steigen, was insbesondere für die Beschäftigung negative Auswirkungen nach sich ziehen könnte. Beschäftigung bleibt nicht nur unter Inflationssicht ein wesentlicher Punkt, dessen Entwicklung auch vom Verlauf der Pandemie abhängt. Solide Arbeitsverhältnisse sind neben Anlagerenditen eben auch ein wesentlicher Wohlstandsfaktor. Ob aber die bisherige Zurückhaltung bei den Löhnen und damit auch beim Konsum dauerhaft Bestand hat, lässt sich durchaus kritisch betrachten. Die Erhöhung des Mindestlohns auf zwölf Euro, die steigende Nachfrage nach Beschäftigten im Gesundheitswesen, der allgemeine Fachkräftemangel, eine in der Coronazeit erhöhte Sparquote und ein nach wie vor gefühlter Nachholbedarf im Konsum sind Indikatoren, die eine Lohn-Preis-Spirale in Gang setzen können.
Zum Autor: Reiner Will ist geschäftsführender Gesellschafter und Mitbegründer der Assekurata Assekuranz Rating-Agentur. Er beschäftigt sich seit über 15 Jahren mit der Analyse und Bewertung von Versicherungsunternehmen und Tarifen.