Wie trifft die Wirecard-Insolvenz die D&O-Versicherer?

Quelle: Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Der milliardenschwere Bilanzskandal scheint dem Zahlungsdienstleister Wirecard das Genick gebrochen zu haben. Einst ein gefeierter Star am deutschen Börsenhimmel hatte das Start-up sogar die altehrwürdige Commerzbank aus dem Leitindex verdrängt. Nun steht das Unternehmen vor der Pleite – mit entsprechenden Folgen für die D&O-Versicherer.

„Der Vorstand der Wirecard AG hat entschieden, für die Wirecard AG beim zuständigen Amtsgericht München einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wegen drohender Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung zu stellen“, hieß es am Donnerstag in einer Mitteilung des Unternehmens. Zudem werde geprüft, „ob auch Insolvenzanträge für Tochtergesellschaften der Wirecard-Gruppe gestellt werden müssen“. An der Frankfurter Börse stürzte die Aktie zeitweise um weitere 80 Prozent auf 2,50 Euro ab. Seit vergangener Woche verloren sie damit mehr als 90 Prozent.

Quelle: Statista

Der Grund: In der Bilanz des Zahlungsdienstleisters fehlen rund 1,9 Mrd. Euro, berichtet die Tagesschau. Der Konzern geht davon aus, dass das Geld bei zwei philippinischen Banken gar nicht existiert. Nun wirft die Staatsanwaltschaft München I dem mittlerweile zurückgetretenen Wirecard-Chef Markus Braun vor, mit weiteren mutmaßlichen Tätern die Bilanzsumme und das Umsatzvolumen von Wirecard durch vorgetäuschte Einnahmen aufgebläht zu haben.

Mit der Insolvenz wird auch die Kritik an der Finanzaufsicht Bafin und der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young (EY) lauter. „Der Insolvenzantrag von Wirecard ist ein Fiasko für den Finanzplatz Deutschland. Sollten größere Summen bei der Commerzbank abgeschrieben werden müssen, wird Wirecard auch zur Belastung für die Steuerzahler. Bei der Finanzaufsicht müssen daher Köpfe rollen. Das Haftungsprivileg der Wirtschaftsprüfer gehört außerdem endlich abgeschafft“, wird der Finanzexperte und Vizevorsitzende der Linksfraktion, Fabio De Masi, im Handelsblatt zitiert.

„Wir müssen jetzt lückenlos aufklären, an welcher Stelle Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, unternehmerische Kontrollgremien wie der Aufsichtsrat und auch staatliche Aufsichtsbehörden ihren Aufgaben und Pflichten nicht nachgekommen sind und in welchen Bereichen Lücken in der Regulierung bestehen“, ergänzt der rechts- und verbraucherpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Jan-Marco Luczak (CDU).

„Bei Wirecard hat das System versagt. Dieser Fall muss komplett aufgeklärt werden, damit wir daraus lernen können. Das darf nicht wieder so laufen wie bei Volkswagen, dass sich das jahrelang hinzieht und dann mit einer Geldbuße endet“, fordert Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Anlegervereinigung DSW.

„Es gibt zahlreiche Indizien für einen großen Betrug. Sollte sich erweisen, dass EY nicht sauber gearbeitet hat, könnte der Fall eine Nähe zu Enron aufweisen. Nun ist klar, warum die langjährige Konzernführung um Markus Braun sich sehr wahrscheinlich gegen einen Wechsel zu einem Wirtschaftsprüfer, der genauer hingeschaut hätte, ausgesprochen hat“, konstatiert der deutsche Corporate-Governance-Experte Christian Strenger.

Und die D&O-Versicherer?

Nach einem Bericht des „Versicherungsmonitor“ verfügt Wirecard über eine D&O-Police mit einer Deckung von 125 Mio. Euro. Zudem gebe es eine Prospekthaftpflichtdeckung für Anleiheemissionen von Wirecard. Ob die Police nun tatsächlich greift, ist bislang noch offen.

„Summen von 100 Mio. Euro bei einem Schaden Potenzial in Milliardenhöhe reichen natürlich nicht aus. Es muss allerdings bezweifelt werden, ob die Versicherungswirtschaft Bilanzschutz in Höhe von Milliardenbeträgen überhaupt geben möchte. Das muss nicht unbedingt Aufgabe der Versicherungswirtschaft sein“, konstatiert der Rechtsanwalt Michael Hendricks gegenüber VWheute.

„Die Versicherer müssen schon vorsichtig sein, wenn Ungereimtheiten zu Jahresabschlüssen öffentlich diskutiert werden, wie es die Financial Times in Gang gesetzt hatte. Auswirkungen auf die Managerhaftpflicht: jeder verantwortliche Vorstand kennt seine Verantwortung und die daraus resultierenden Haftungsrisiken. Das sollte auch bei den Aufsichtsräten der Fall sein. Aufgrund seltsamer Verlautbarungen des früheren Vorsitzenden bezüglich Fragestellungen durch die Wirtschaftspresse scheint dies allerdings nicht unbedingt der Fall zu sein. Jedenfalls für den Fall Wirecard.“

Michael Hendricks, Rechtsanwalt und D&O-Experte

„Die Rolle der Finanzaufsicht und die Erledigung der dort angesiedelten Aufgaben oder auch deren nicht Erledigung dürfte keinen Einfluss auf den D&O-Versicherungsmarkt haben“, betont der D&O-Experte. Zudem werden die D&O-Versicherer „immer vorsichtiger, sie werden über kurz oder lang Versicherungsausschlüsse verlangen und die Versicherungsprämien massiv erhöhen“.

Dennoch wäre das Szenario rund um den Vorwurf der Bilanzmanipulation bei Wirecard auch geeignet, einen D&O-Haftungsfall auszulösen. „Interessante Anschlussfrage ist dann, ob es für einen solchen Sachverhalt auch Versicherungsschutz unter einer D&O-Deckung (sofern abgeschlossen) geben würde oder ob der D&O-Versicherer sich auf Leistungsfreiheit berufen könnte“, hinterfragt Rechtsanwalt Franz M. Held.

Solange nur der bloße Vorwurf einer Bilanzmanipulation im Raum stehe, sei davon auszugehen, dass ein D&O-Versicherer hier grundsätzlich (vorläufigen) Abwehrkostenschutz zusagen würde. „Konkret bedeutet dies, dass der dem Vorwurf ausgesetzte Unternehmensleiter im Rahmen der bedingungsseitig vereinbarten Möglichkeiten der Anwaltswahl einen spezialisierten Rechtsanwalt zur Abwehr der erhobenen Ansprüche mandatieren kann, dessen Kostentragung dann von dem betreffenden D&O-Versicherer übernommen wird“, so der Anwalt.

Allerdings sei zu beachten, „dass sich der Versicherungsschutz nicht auf Versicherungsfälle erstreckt, die auf einer wissentlichen Pflichtverletzung beruhen. Sollte dem Wirecard-Chef also eine bewusste Bilanzmanipulation nachgewiesen werden können, dürfte auch ein potenziell bestehender D&O-Versicherungsschutz deutlich gefährdet sein. Der KPMG-Bericht kritisiert laut Medienberichten aber auch unzureichende interne Kontrollsysteme um möglichen Manipulationen vorbeugen zu können. Bei einem eventuellen Organisationsverschulden wegen des Vorwurfs einer unzureichenden Compliance-Struktur würden die Karten allerdings noch mal neu gemischt werden können.“

Autor: VW-Redaktion

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