Schadenfall Wirecard: Ein Hoffnungsträger und Partner der Versicherer demontiert sich selbst

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Eigentlich sollte Dienstleister Wirecard im großen Konzert der globalen Finanzplayer mitspielen. 1999 gegründet, verdiente das Unternehmen anfangs auch Geld mit Zahlungen für Glücksspiel und Pornografie. Von dieser Schmuddelecke löste man sich schnell, stieg 2018 mit einer fulminanten Performance in den Dax 30 auf. Doch kleine Pannen blieben. Mit dem Bilanzskandal kommt nun der große Rückschlag. Das hat auch Folgen für die Versicherer.   

Die Investoren hat Wirecard mit stetig wachsenden Gewinnen verwöhnt. Nicht allzu lange ist es her, da wurde die Gewinnprognose erhöht – Umsätze sollten sich bis 2020 auf mehr als drei Mrd. Euro verdoppeln. Der Konzern wolle neue Branchen stärker in den Blick nehmen, kündigte man an, Zahlungsabwicklungen für Streaming-Dienste etwa. Das alles ist in den Hintergrund gerückt.

Nun droht Wirecard im schlimmsten Fall der Totalschaden. Aufgrund des fehlenden Nachweises von 1,9 Mrd. Euro hatte der Wirtschaftsprüfer EY Wirecard das Testat für den Jahresabschluss verweigert. Der Fall löste ein Beben aus, das Unternehmenschef Markus Braun sowie Vorstand Jan Marsalek den Job kostete.

D&O-Haftungsfall?

Experten zufolge ist das Szenario rund um den Vorwurf der Bilanzmanipulation bei Wirecard auch geeignet, einen D&O-Haftungsfall auszulösen. „Interessante Anschlussfrage ist dann, ob es für einen solchen Sachverhalt auch Versicherungsschutz unter einer D&O-Deckung (sofern abgeschlossen) geben würde oder ob der D&O-Versicherer sich auf Leistungsfreiheit berufen könnte“, hinterfragt Rechtsanwalt Franz M. Held.

Solange nur der bloße Vorwurf einer Bilanzmanipulation im Raum stehe, sei davon auszugehen, dass ein D&O-Versicherer hier grundsätzlich (vorläufigen) Abwehrkostenschutz zusagen würde. „Konkret bedeutet dies, dass der dem Vorwurf ausgesetzte Unternehmensleiter im Rahmen der bedingungsseitig vereinbarten Möglichkeiten der Anwaltswahl einen spezialisierten Rechtsanwalt zur Abwehr der erhobenen Ansprüche mandatieren kann, dessen Kostentragung dann von dem betreffenden D&O-Versicherer übernommen wird“, so der Anwalt.

Felix Hufeld entsetzt

Die Finanzaufsicht Bafin zeigt sich entsetzt über den Bilanzskandal. „Das ist ein komplettes Desaster, das wir da sehen, und es ist eine Schande, dass so etwas passiert ist“, sagte Felix Hufeld, Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, im Spiegel. „Wir befinden uns mitten in der entsetzlichsten Situation, in der ich jemals einen Dax-Konzern gesehen habe.“

Die Ratingagentur Moody’s hat Wirecard die Kreditwürdigkeit komplett entzogen, nachdem sie das Unternehmen zuvor auf Ramschniveau herabgestuft hatte. Um die Glaubwürdigkeit des Zahlungsdienstleisters indes steht es vielleicht noch schlechter, das Bankgeschäft steht auf der Kippe und erste Spekulationen über eine Pleite machen die Runde. Anleger bringen sich bereits in Stellung. Der Anlegerschutzverbands DSW sei überrollt worden mit Klageanfragen. Zunächst wolle man aber die Ermittlungsergebnisse der Bankenaufsicht Bafin sowie der Staatsanwaltschaft München abwarten.

Mächtige Partnerschaften

Der Finanzplayer hat im Laufe seiner Tätigkeit in der Finanzbranche viele Partner gewonnen und große Partnerschaften geschlossen. Anfang des Jahres etwa ergatterte der Konzern einen Großauftrag bei der Signal Iduna. Ziel: der Ausbau des Online- und Mobilangebots um weitere Zahlmethoden.

Der Versicherer sah darin einen wichtigen Schritt, um wettbewerbsfähig zu bleiben und personalisierte Kundenerlebnisse für die Versicherungsnehmer über alle Kanäle hinweg zu gewährleisten.

„Die Kooperation mit Wirecard ist ein weiterer Schritt, uns auf die zunehmende Digitalisierung einzustellen und der digitalen Lebensweise gerecht werden. Dank einer intuitiven Zahlungsseite, die auf der Wirecard-Plattform basiert, können wir Reibungsverluste minimieren und ein optimales Erlebnis für unsere Kunden sicherstellen“, erklärte Arne Boysen, Abteilungsleiter Inkasso und Projektleiter für das Projekt „alternative Bezahlmöglichkeiten“ bei Signal Iduna, damals.

Der jetzige Skandal dürfte den Dortmundern genauso wenig schmecken, wie den anderen großen Playern aus der Branche. Gemeinsam mit Visa kam die Münchener Allianz über das Projekt Allianz Prime – das Kunden Online-Zahlungen ermöglicht – mit Wirecard in Berührung. Die App galt nach Angaben der Unternehmen für mobiles Bezahlen und Kundenbindung als erste ihrer Art in der Versicherungsbranche.

Anfang des Jahres testete Wirecard u.a. mit der Zurich-Gruppe und SAP digitale Payment- und Authentifizierungslösungen für autonomes Fahren, in Österreich arbeitet man mit Ergo, und auch kleine Player, wie der Online-Makler Q-Versicherung, sehen in Wirecard einen wichtigen Partner. Hoffnungsvolle Projekte, die jetzt in ein ganz anderes Licht rücken und neu bewertet werden.

Der Ruf ist stark beschädigt

Die aktuelle Debatte um Wirecard dürfte die Spielregeln verändern. Vielleicht entfacht der Fall eine neue Vertrauens- Compliance- und Governance-Debatte in der deutschen Wirtschaft. Das verschwundene Geld existiere mit „überwiegender Wahrscheinlichkeit“ jedenfalls nicht, teilte der Dax-Konzern mit. Die vorläufigen Ergebnisse des vergangenen Geschäftsjahres sowie die Prognosen für 2020 und darüber hinaus seien nicht mehr zu halten. Das Unternehmen prüfe nun Kostensenkungen, einen Umbau sowie den Verkauf oder die Einstellung von Firmenteilen und Produkten.

Der Finanzkonzern, der für Händler und Kunden Zahlungen in Online-Shops und an Ladenkassen abwickelt, musste seinen Jahresabschluss 2019 zum vierten Mal verschieben. Eine Insolvenz von Wirecard wäre theoretisch nicht ausgeschlossen. Da das Unternehmen aus Aschheim keine testierte Bilanz vorweisen kann und jetzt auch noch einräumen muss, dass die 1,9 Mrd. aus der Bilanz offenbar nicht existieren, könnten die Institute unter Führung von Commerzbank, Landesbank Baden-Württemberg und den beiden niederländischen Großbanken ABN Amro und ING das Darlehen, das erst am Ende der Laufzeit inklusive Zinsen zurückgezahlt werden muss, sofort fällig stellen. In diesem Fall droht dem Unternehmen der Knockout.  

Autor: Michael Stanczyk