Was Kanzlerkandidatin Baerbock für die Versicherer bedeutet

Annalena Baerbock, Kanzlerkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen für die Bundestagswahl 2021. Quelle: gruene.de

Nach 16 Jahren hatten die Deutschen Helmut Kohl satt. Nach 16 Jahren Angela Merkel scheinen sie nun der – zerstrittenen – CDU/CSU-Union überdrüssig. Es riecht nach Wechsel. Davon profitieren wollen die Grünen und Annalena Baerbock. Wofür die 40-jährige Kanzlerkandidatin in Finanz-, Wirtschafts- und Versicherungsfragen steht, zeigt die Analyse.

Gestern haben die Grünen Baerbock als Spitzenkandidatin der Partei für die kommende Bundestagswahl nominiert – die Fernsehsender rissen sich um Interviews mit ihr.

„Annalena Baerbock ist eine kämpferische, fokussierte, willensstarke Frau, die genau weiß, was sie will, und die die grüne Programmatik in diesem Wahlkampf mit Leidenschaft vertreten wird.“

Robert Habeck, Co-Bundesvorsitzender von Bündnis 90 / Die Grünen

Wochen zuvor hatte sich die SPD bereits auf den amtierenden Finanzminister Olaf Scholz  als Kandidaten festgelegt, während die CDU derzeit eifrig wie pflichtbewusst an der Selbstdemontage arbeitet. Selbst nach zig Einzel-, Vermittlungs- und Teamgesprächen kann die Union noch keinen Kandidaten präsentieren und schwankt weiter zwischen Markus Söder (CSU) und Armin Laschet (CDU). Den Grünen sind solche Machtspiele entbehrlich, die Festlegung für Baerbock und gegen Robert Habeck verlief geräuschlos und diszipliniert, eigentlich eine Stärke der CDU – und notorische Schwäche der SPD. In der Nacht zum 20. April hat Laschet eine Kandidatenabstimmung im CDU-Vorstand forciert und gewonnen . Mittlerweile hat Söder eingelenkt und seine Kandidatur zurückgezogen.

Die Wähler honorieren die Disziplin offenbar. Die CDU liegt mit prognostizierten 29 Prozent zwar noch vor den Grünen (21 Prozent), doch ist Baerbock bei den Wählern beliebter als Scholz und Laschet, unterliegt allerdings Söder.

Quelle: bundestagswahl-2021.de

Für einen Wechsel im Bundeskanzleramt spricht, dass Klima, Umwelt und Ökologie derzeit dominierende gesellschaftliche Themen sind, was der Umweltpartei der Grünen in die Karten spielt. Einige ausländische Zeitungen sprechen bereits offen über eine/n grüne/n Kanzler/in, beispielsweise die NY Times oder The Guardian.

Das möchten Partei und Kandidatin

Die Grünen wollen laut ihres Wahlprogramms eine umweltfreundlichere und nachhaltigere Finanzwirtschaft sowie eine wesentlich strengere Aufsicht und mehr europäische Zusammenarbeit.

„Klimarisiken sollen offengelegt und bei Banken und Versicherungen mit Eigenkapital unterlegt werden“. Ebenso sollen die festgestellten Wagnisse „bei Ratings berücksichtigt werden“, heißt es in dem Papier. Die Unternehmen sollen „in der Regel nach sechs Jahren“ ihre Wirtschaftsprüfer wechseln müssen. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften dürfen nicht Prüfer und Berater in Personalunion sein, sondern sollen von „Unabhängigen ausgewählt werden“.

Für „besonders nachhaltige Finanzprodukte“ soll ein EU-Label geschaffen werden, um „schmutziges Geld“ in grüne und nachhaltige Investitionen „umzulenken“. Die Aufsichtsräte „müssen gestärkt und kompetent besetzt werden“, der Maßstab von Vorstandsvergütungen soll der langfristige Unternehmenserfolg, nicht der kurzfristige Börsengewinn sein. Ein Hauptaugenmerk soll der Geldwäsche gelten. Alle diese Ziele sollen mit erhöhter Digitalität erreicht oder vereinfacht werden.

„Wir haben das Auto erfunden und das Fahrrad. Die Energiewelt in kürzester Zeit revolutioniert. Wir haben gemeinsam unter größtem Druck in kürzester Zeit einen Impfstoff entwickelt.“

Annalena Baerbock, Kanzlerkandidatin der Grünen über die Innovationskraft in Deutschland.

Das klingt in der Gesamtheit nach einer zunehmenden Regulierung, höherem Kapitalbedarf und Eingriffen in die Struktur der Finanzunternehmen. Gleichzeitig schwingt bei den Vorhaben immer auch der Wille nach einer weiteren Öffnung nach Europa mit, die gerade den großen Versicherern gelegen kommen sollte. Ein Beispiel für die Europalust ist die geplante Einführung eines digitalen Euros.

Da die Bafin bei den letzten Finanzskandalen – Cum-Ex, P&R-Gruppe oder Wirecard –  „wie häufig zuvor kläglich versagt  habe“, fordern die Grünen eine global agierende, informationenaustauschende Finanzpolizei mit „umfassenden Prüfungsrechten“.

Reicht Schneid für Kanzler?

In ihrer Kandidatenantrittsrede sprach Baerbock viel über Mut.  Sie und ihre Partei hätten die Courage zu Veränderung, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit; eine klare Spitze gegen die jetzige Regierung. An fehlendem Schneid wird es bei Baerbock nicht scheitern. Die Spitzenkandidatin äußerte sich bereits in der Vergangenheit klar zu heiklen (Finanz-)Fragen, was aus der Opposition allerdings immer leichter ist. Sie lehnt den Bau der Nordstream 2-Pipeline ab, „spaltet Europa„, an der bereits mehrere Versicherer verzweifelten. In ihrer Vision von Deutschland wird es weniger Auto- und Flugverkehr geben, dafür mehr Investitionen in Bahn und Infrastruktur. Offen bleibt, ob sie den Finanzunternehmen den Herzenswunsch nach staatlich-privaten Infrastrukturprojekten erfüllen möchte.

Final strebt mit Baerbock eine Klimapolitikerin das höchste Amt an, ohne zuvor Ministerpräsidentin oder Bundesministerin gewesen zu sein. Das gab es noch nie. Wenn ihre Partei die Wahl gewinnt, können sich die Finanzunternehmen auf eine strengere Regulierung und mehr Vorschriften einstellen. Dem gegenüber steht die Vorstellung einer grenzenlosen, digitalen Wirtschaft, verbindlichen Klimazielen und eine hohe Innovationsbereitschaft. Das sind alles Punkte, die sich die Versicherer gerne auf die eigene Fahne schreiben.

Das Beispiel Baden-Württemberg zeigt, dass eine erfolgreiche Wirtschaft unter einem grünen Chef möglich ist. Die Wähler im Ländle honorieren das, die CDU erlebte in ihrer ehemaligen Hochburg die zweite Pleite in Folge und bleibt Juniorpartner. Bis September sind es noch ein paar Monate, das Rennen ist offen wie vor Prä-Merkel-Zeiten. Ob es den Versicherern passt oder nicht, Baerbock hat sicher nicht die schlechtesten Kanzlerinnenchancen.

Autor: Maximilian Volz

Anmerkung der Redaktion: Der Artikel wurde am 20. April geupdatet. Die neusten Entwicklungen innerhalb der CDU/CSU wurden berücksichtigt.

7 Kommentare

  • Dieter Aigner

    Wie kommt der Autor zu der Meinung, die CDU/ CSU wirke zerstritten und „die“ Wähler*innen wollten einen Wechsel? Es reicht doch, wenn öffentlich-rechtliche Medien „linkslastig“ berichten. Da muss doch nicht noch ein Fachverlag ins gleiche Horn stoßen.

  • Hier fehlen mir die Worte. 100 % Steuer auf Einkommen sei schon ins Auge gefasst worden. So berichtete unlängst eine führende patriotische Widerstandskämpferin der Grünen in einem Talkabend bei Markus Lanz. So etwas macht Spaß und Lust auf mehr. Und die Versicherer und Banken immer mittendrin. In diesem Getümmel. Mittlerweile haarkleidlos erfreut man sich seinen nicht mehr vorhandenen Outfits.

  • Lieber Herr Volz,

    Danke für Ihren sachlichen Artikel.

  • Naja bei 8% Vorsprung von Union auf Grüne ist es eher gewagt von „es riecht nach Wechsel“ zu schreiben…
    Und das sogar im desolatesten Bild, was die Regierung seit 12 Monaten abgibt mit Laschet als Hinterzimmer-Trickser der wider Meinung in Partei und Bevölkerung an die Macht will plus dem Hin und Her in der Coronakrise….

  • Detlef Schimansky

    Grün ist wichtig, Grün braucht unser Land! Grün hat seit 1980 viel positiv beeinflusst!
    Aber Grün ist auch politische Vielfalt von Berlin Kreuzberg bis Stuttgart. Grün ist auch bunt. Eine Regierung zu führen, den Industrie- und Exportstaat Deutschland in der Welt zu vertreten ist eine anspruchsvolle harte Arbeit. Spätestens dann wird bunt wieder zu einer explosiven Partei.
    Eine Kanzlerin, die für die ersten Jahre BAföG beantragen muss und das Kanzleramt zur Ausbildungsstätte erklärt, können wir uns nicht leisten. Auf die Unterstützung von Herrn Kühnert als Koalitionspartner zu setzen ist schwierig. Auch wenn der Gute nach mehreren angebrochenen Studien, ohne Berufsausbildung, auf die erste qualitative Anstellung hofft.
    Unser Land sollte nach 76 Jahren nicht auf Abenteuer setzen!
    Unsere Branche schon gar nicht. Abschaffung der PKV, Provisionsverbot und weitere Regulierungen!

  • Maximilian Volz

    Liebe Leser,

    das meinte der Autor mit Wechselstimmung.

    https://www.spiegel.de/politik/deutschland/wahlumfrage-buendnis-90-die-gruenen-ziehen-an-cdu-csu-vorbei-a-a0bb7d41-b561-46c5-94e9-76eff934f1cc

    Vielen Dank für die Kommentare.

    Ihr
    Maximilian Volz

  • Holger Schilling

    Welch dumme Kommentare…
    100 % ESt, Ausbildung, keine Erfahrung als MP, Union nicht zerstritten…
    Stimmt, bitte nach 76 alles so lassen, wie es ist: Scheuer, Klöckner, Karliczeck. Cum-Ex, Digitalisierung, Masken & Aserbaidschan, Abgase, Bildung, Gesundheitswesen, Steuergerechtigkeit, und und und…
    Der Bericht ist super. Und die Grünen werden in der Regierung sein. Und das ist gut so. Für uns, unsere Kinder, unsere Enkel. Und keine der hier lesenden wird leiden. Schönes Wochenende ! 😉

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