Das große Dilemma des Versicherungsvertriebs

Bildquelle: abdulla binmassam/ Pixabay

Schlagzeilen wie „Versicherungsvertreter-Zahlen sinken deutlich“ muss die Branche zähneknirschend hinnehmen. Verbände und Verantwortliche versuchen es mit zum Teil kreativen Gegenmaßnahmen, doch laufen diese häufig ins Leere. Der Fall Stern TV bringt das ganze Dilemma auf den Punkt. Vertriebsleute und Versicherungen werden als lästig empfunden. Und die breite Öffentlichkeit bekommt von den guten Gegenargumenten kaum etwas mit. An die Feuerwehr wird die Assekuranz in der Beliebtheitsskala vermutlich niemals rankommen.

Freunden der Kaffeesatzleserei wird auch dieses Mal wieder viel geboten. Denn sobald die aktuellen Vermittlerzahlen der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) vorliegen, eröffnen sich ihnen bunte Interpretationsspielräume: Zum 1. Oktober 2023 gab es hierzulande exakt 183.709 registrierte Versicherungsvermittler. Das sind 654 Vermittler mehr als drei Monate zuvor. Eine Trendumkehr, eine Wende zum Besseren?

Schaut man etwas weiter zurück, nämlich auf den Beginn des Jahres, so standen noch 190.708 Vermittler in den Büchern der DIHK – sprich: 6.999 Personen mehr als zuletzt. Der jüngste Zuwachs macht also lediglich ein gutes Zehntel des Vermittlerverlustes wieder wett, für eine Aufholjagd ist das zu wenig.

Vor allem bei den gebundenen Versicherungsvertretern ist der Aderlass beträchtlich: Von 109.972 gemeldeten Personen blieben neun Monate später nur noch 103.576 übrig. Das ergibt ein Minus von exakt 6.396 Vermittlern. Schaut man in den Januar 2018 zurück, zählte das Vertreterheer noch 140.211 Mann, Pardon, Personen. Kurzum: 26.038 gebundene Vermittler sind seither verschwunden, zumindest aus der Statistik der DIHK.

Leicht hinzugewonnen haben immerhin die Versicherungsmakler: Zum Stichtag 1. Oktober 2023 führte das Register exakt 46.407 Namen. Der Makler-Bestand wuchs damit binnen dreier Monate um 133 Personen. Und auch im Vergleich zum Jahresanfang kann die Maklerschaft Konstanz vermelden: Nur 102 Personen sind hier übers Jahr verloren gegangen.

Folgt man der Analyse von Philip Kanschik dürfte das aber nicht so bleiben. „Wir müssen damit rechnen, dass die Zahl der Vermittler auch in Zukunft weiter sinken wird“, sagt der Geschäftsführer von Policen Direkt, einem Spezialisten für Maklernachfolge und Bestandsübernahmen, gegenüber VWheute. Die Gründe hierfür seien das hohe Durchschnittsalter der Vermittler, das Wachstum der Konsolidierer und Vertriebe, die zunehmende Digitalisierung sowie der Nachwuchsmangel, zählt Kanschik auf – und fügt hinzu: „Eine kurz- oder mittelfristige Trendwende durch Imagekampagnen oder ähnliche Aktionen ist nicht zu erwarten.“

Die Sache mit dem Image ist in der Tat kompliziert. Menschen, die Versicherungen vermitteln – und ihnen damit eigentlich einen Dienst fürs Leben erweisen – sind in der Bevölkerung nicht sonderlich hoch angesehen. Gelinde gesagt. Das belegt Jahr für Jahr die Bürgerbefragung des Deutschen Beamtenbundes. Auch in diesem Jahr landet der Versicherungsvertreter im Ranking der angesehensten Berufe mit lediglich acht Prozent der Nennungen auf dem letzten Platz. Wobei die Branche jedes Jahr aufs Neue betont, dass Forsa lediglich nach „Versicherungsvertretern“ fragt – und Versicherungsmakler allenfalls mit gemeint werden dürften.

Quelle: DBB Bürgerbefragung Öffentlicher Dienst 2023

Das Image-Thema treibt auch Norman Wirth um – und zwar aus ganz aktuellem Anlass. Der geschäftsführende Vorstand des Bundesverband Finanzdienstleistung AfW, gerät im Gespräch mit VWheute richtiggehend in Rage: „Wenn ich solche Sendungen sehe, wie die letzte Stern-TV-Ausgabe oder auch so manche WISO-Sendung, dann muss man feststellen, dass diverse Personen und Organisationen einiges dafür tun, dass das Image der Branche und der Vermittler schlecht ist – und dazu auch noch völlig unbegründet.“

Und weiter: „Leute, wie ein Herr Tenhagen oder der Herr Perduss, die bei Stern TV zu sehen waren – die machen das Gegenteil von Finanzbildung. Sie sind Influencer, die absolut in die falsche Richtung laufen – und sie tun den Menschen damit keinen Gefallen“, ärgert sich Wirth. Denn gerade in Zeiten, in denen private Altersvorsorge und -absicherung immer wichtiger würden, sei der Rat „Geht ins Internet und sucht euch selber was heraus“ völlig fehl am Platze. Es sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, betont der AfW-Vorstand, „hier in eine andere Richtung zu steuern“. Das könne man zwar als Branche nicht allein bewältigen, aber natürlich könne man etwas tun.

Auch Michael Heinz, Präsident des Bundesverbands Deutscher Versicherungskaufleute (BVK), betont gegenüber VWheute, dass die Attraktivität des Vermittler-Berufes auch dadurch gesteigert werden könne, indem dieser „nicht schlecht geredet und geschrieben wird“. Der BVK fördere mit seinem Berufsbild die Attraktivität des Berufsstands, so Heinz weiter, und setze sich für die Nachwuchsförderung ein.

Dass der Vermittlerberuf in einschlägigen Beliebtheits-Rankings zuverlässig auf den hinteren Plätzen steht – das Klischee des Klinkenputzens hält sich offenbar hartnäckig – hat einst auch den Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) dazu bewogen, eine breit angelegte Kampagne zu starten.

Unter dem Motto „Werde Insurancer“ wurde im Mai 2020 das Ziel ausgegeben, den Berufsstand zu verjüngen und die Neugier potenzieller Bewerber im Alter zwischen 16 und 30 Jahren zu wecken. Aber wie hat sich das Projekt seither entwickelt? Hat sich das Ziel, „junge Menschen für den Vertrieb zu gewinnen“, wie es auch heute noch auf der Website der Initiative heißt, erfüllt?

Gegenüber VWheute verwies GDV-Hauptgeschäftsführer Jörg Asmussen am Mittwoch zunächst darauf, dass die Suche nach geeignetem Nachwuchs „in allererster Linie Sache der einzelnen Unternehmen“ sei. Hier stehe der Versicherungssektor in großer Konkurrenz zu anderen Sektoren, so Asmussen, was besonders für den Versicherungsvertrieb gelte. Deshalb habe der Verband im Jahr 2020 die Social Media-Initiative gestartet. Inzwischen laufe diese unter dem Dach von AGV und BWV. 

Die von manchen Fachjournalisten als „Inschuränzer“ belächelte Initiative wertet Asmussen als großen Erfolg: „Die aktuellen Zahlen für den Monat Oktober belegen erneut, dass die Initiative hervorragend läuft. Allein in diesem Jahr wurden über 20.000 Clickouts auf die Stellenanzeigen erreicht, die die Versicherer für Nachwuchs im Vertrieb geschaltet haben.“

Bemerkenswert sei auch, dass der Begriff „Insurancer“ inzwischen eine signifikante Bekanntheit in der Zielgruppe aufgebaut habe, wie der GDV-Hauptgeschäftsführer betont. „Die Kampagne wird als modern, sympathisch, originell und authentisch wahrgenommen.“ Nach insgesamt vier erfolgreichen Jahren ende die Initiative nun aber zum Ende des Jahres, wie Asmussen hinzufügte. Ob es eine Nachfolgelösung geben wird, ist nicht bekannt.

Autor: Lorenz Klein

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