Doppelinterview: Stuttgarter-Manager Bader und Berndt über die Gefahr der grünen Blase, ziellose Regulierung und ein zehnprozentiges Wachstumsziel

Guido Bader (links) und Ralf Berndt (rechts). Quelle: Stuttgarter

Wer Nachhaltigkeit sagt, meint (auch) Regulierung. Kein Gespräch über grüne Angebote ohne Solvency II- und Regulierungsdebatte. Was ist grün, sollten ökologische Angebote besser gestellt werden und wie viel Einfluss sollte die Aufsicht generell nehmen? Das Interview über die GrüneRente mit den Stuttgarter-Vorständen Ralf Berndt und Guido Bader entwickelte sich zu einer offenen Diskussion über Ökologie, Wachstum und die Gefahr vor Anlagefehlern.

VWheute: Acht Jahre GrüneRente was ist ihr Fazit?

Ralf Berndt: Ein klarer Erfolg. Das Produkt hat seit dem Start im Jahr 2013 jedes Jahr Zuwächse generiert. Insbesondere in der bAV ist das Interesse enorm, denn die GrüneRente ist leistungsstark und die Arbeitgeber können ihren Mitarbeitern zeigen, dass sie etwas Gutes für sie und die Allgemeinheit tun.

VWheute: Von welchen Zahlen sprechen wir?

Ralf Berndt: Der Anteil der GrüneRente an der Gesamtproduktion im Bereich der Altersvorsorge betrug im letzten Jahr zehn Prozent. Dieses Jahr sind es aktuell 17 Prozent, es können aber auch 20 Prozent werden. Wir spüren eine unheimliche Dynamik, die zunehmen wird, wenn die Berater das Thema Nachhaltigkeit ab dem nächsten Jahr aktiv ansprechen müssen.

VWheute: Jeder Versicherer macht momentan in grün. Gibt es da genügend Anlagen, wird grün gestrichen oder droht gar eine Blase?

Guido Bader: Der Markt bietet noch genügend nachhaltige Investments und unser Anlage-Bedarf ist noch überschaubar. In der Zukunft könnte das allerdings anders aussehen. Der Staat kann nicht nur die Nachfrage fördern, sondern muss auch das Angebot erhöhen, beispielsweise bei der Finanzierung von Pflegeeinrichtungen oder alternativen Energien; Angebot und Nachfrage bei nachhaltigen Investments müssen in einem sinnvollen Verhältnis stehen. Ist das nicht der Fall, steigt die stets präsente Gefahr des Greenwashing an.

Ein bisschen Sorge habe ich vor einer grünen Blase, gerade wenn die Vermittler ab dem nächsten Jahr beim Kunden dessen Nachhaltigkeitsziele erfragen müssen. Es könnte dann schlagartig ein enormer Anlagedruck in nachhaltige Kapitalanlagen entstehen.

VWheute: Kann der eigene grüne Anspruch nicht leicht zum Publicity-Desaster werden, wenn sich eine Anlage am Ende als pseudo-grün herausstellt?

Guido Bader: Das ist immer möglich. Es gibt z.B. in den verschiedenen Ländern keinen einheitlichen Green-Bond-Standard. Wir kontrollieren unsere nachhaltigen Anlagen nach bestem Wissen und Gewissen. Wenn es einen Zweifel gibt, würden wir das betroffene Asset schnellstmöglich austauschen. Zudem muss bei der Anlage zwischen dem Sicherungsvermögen und dem Fondsuniversum unterschieden werden. Beim Erstgenannten gehen wir aktuell wenig in Fonds, sondern investieren direkt. Da hat man dann auch einen tieferen Einblick.

Ralf Berndt: Unsere Anlagepolitik und grünen Produkte sind keine Marketingkampagne, wir stehen zu unseren ökologischen Überzeugungen. So werden wir in Kürze eine Photovoltaikanlage auf das Dach unserer Hauptverwaltung setzen, um unseren eigenen grünen Strom zu gewinnen.

VWheute: Kommen wir von weichen zu harten Faktoren. Haben Sie Zugang zu den nötigen Assetklassen, Experten sehen internationale Häuser an der Stelle im Vorteil.

Ralf Berndt: Wir haben keinen Nachteil gegenüber großen Häusern. Die Kunst ist es, die richtigen Anbieter zu finden, die das nötige Know-how über die verschiedenen Anlageklassen besitzen oder einkaufen können. Wir fühlen uns sicher in dem Markt, auch weil die eigene Expertise über die Jahre gewachsen ist. Das schließt natürlich den einen oder anderen Missgriff nicht aus.

Guido Bader: Wir investieren bei komplexen oder großen Investments über Partner. Das sind keine großen Publikumsfonds mit unklarem Inhalt, sondern spezialisierte Angebote ausgewählter Partner, bei denen man im Anlageausschuss oft mitentscheidet. Die internationalen Versicherer haben mitunter eigene Asset-Gesellschaften, sodass die Anlage vielleicht weniger kostet. Allerdings müssen auch diese Gesellschaften Gewinne erwirtschaften und Dividenden auszahlen. Unter dem Strich kommt dann am Ende dasselbe heraus.

VWheute: Die Politik nimmt Einfluss auf die Arbeit der Versicherer. Grüne Anlagen sollen bei Solvency II besser gestellt werden, Vermittler  Nachhaltigkeit ansprechen etc. Wie stehen Sie zu dieser Rolleninterpretation?

Guido Bader: Wir unterstehen als Branche seit Jahren einer ständigen, massiven Regulierung. Das ist erst einmal kritisch zu sehen. Bei der Nachhaltigkeitsfrage ist das zunächst nicht dramatisch, sondern nur eine Ergänzung der Beratungstätigkeit. Insgesamt betrachtet ist allerdings die Gefahr einer Überbürokratisierung derzeit gegeben.

Ralf Berndt: Es muss zwischen klaren und sauberen Steuerungsimpulsen und indirekten, fachlich inkorrekten Steuerungswünschen unterschieden werden. Themen wie eine CO2-Besteuerung oder die Frage nach den Nachhaltigkeitswünschen begrüßen wir ausdrücklich.

Guido Bader: Bei Solvency II muss gelten: gleiches Risiko, gleiches Kapital. Es darf an dieser Stelle kein Green-Supporting geben, das konterkariert das ganze System. Es gibt keine Evidenz, dass grüne Anlagen weniger risikobehaftet sind.

Ralf Berndt: Ich fürchte, die Wünsche einiger Politiker laufen am Ende wieder auf aufwands- und kostenträchtige Reportings hinaus, die außer ein paar wenigen Fachjournalisten niemand liest.

VWheute: Klare Worte. Was wünschen Sie sich in Sachen Regulierung und was wird die Realität 2021 sein?

Guido Bader: Eine gezielte Regulierung, die ansetzt, wo sie benötigt wird; auch wenn ich weiß, wie schwierig das ist. Ich bin nicht grundsätzlich gegen Aufsicht, doch insgesamt wäre etwas weniger Reporting angemessen. Ob wir da als Branche auf Gehör stoßen, wird man sehen.

VWheute: Wie sieht es denn bei der Vertriebsregulierung aus?

Ralf Berndt: Auch da ist kein Ende in Sicht. Sowohl IDD wie auch MIFID werden überprüft. Es gibt Bestrebungen nach horizontalen Verbraucherschutzvorschriften. Die genannten Pakete sollen zusammengebracht werden. Es steht uns als Branche also eine neue Regulierungswelle ins Haus, bis hin zur Provisionsdiskussion auf europäischer Ebene. Der Mainstream im Parlament sieht Honorarberatung trotz dem negativen Beispiel aus England als Allheilmittel an.

Eine weitere Idee ist, dass der Ausschließlichkeitsvermittler auch auf fremde Produkte hinweisen muss, was natürlich der Berufs- und Rechtsbeschreibung zuwider läuft.

VWheute: Hat Wirecard die Regulierungssituation verschärft?

Ralf Berndt: Durchaus. Der vom Finanzministerium vorgelegte Aktionsplan wird keinen zweiten Wirecard-Fall verhindern, aber er schafft bei mittelständischen Häusern wie unserem einen zusätzlichen Regulierungsaufwand, der die Kosten in die Höhe treibt.

Guido Bader: Was uns dann von der Politik wieder vorgeworfen wird.

Ralf Berndt: Genau, die Regulierung ist mittlerweile ein wesentlicher Kostenfaktor. Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, wäre es einmal eine Spanne von drei bis fünf Jahren ohne neue Vorschläge.

VWheute: Gehen wir zum Abschluss weg von der kalten Regulierung und zurück zum warmen Grün. Was sind ihre nächsten Schritte und Ziele?

Guido Bader: Wir haben zuletzt den GrüneRente-Index aufgelegt und ergänzen als Nächstes unseren Fondspiloten. Das ist ein digitales Werkzeug zur fachgerechten, automatischen Fondsauswahl. Dieses Werkzeug ergänzen wir nun durch eine Version mit nachhaltigen ESG-Portfolios

Ralf Berndt: Dieses Jahr werden wir mit der GrüneRente voraussichtlich 20 Prozent am Neugeschäft erreichen. Im kommenden Kalenderjahr sind 30 Prozent die Mindestgröße. Für das nächste Jahr gehen wir im Gesamtgeschäft von einer Steigerung unserer gebuchten Beiträge in Höhe von rund zwei Prozent aus.

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Maximilian Volz.

Mehr zum Thema Nachhaltigkeit lesen Sie in der aktuellen Ausgabe der Versicherungswirtschaft.