Nachhaltige Kapitalanlage: Greenwashing oder nur Geburtsschmerzen?

Betreibt die Finanzbranche im großen Stil Greenwashing? Bild von PublicDomainPictures auf Pixabay.

„Wir dürfen den Klimaschutz nicht dem Markt überlassen, das System ist kaputt.“ Diese klare Botschaft stammt von Tariq Fancy, ehemaliger Chefanlagestratege für nachhaltige Investments beim weltgrößten Vermögensverwalter Blackrock.  Den Finanzunternehmen wirft er Greenwashing vor, also das Vorspielen von umweltfreundlichen und verantwortungsbewusstem Image ohne Grundlage. Das Fehlen von einheitlichen Standards helfe Betrügern. Das ist auch für die Versicherer schlecht.

Das Problem der Finanzwirtschaft sei hausgemacht. Es sei viel einfacher, das eigene Unternehmen „grün zu vermarkten“, anstatt Geld in „Nachhaltigkeit zu investieren“, zitiert der Spiegel den Ex-Blackrocker. Die Finanzunternehmen würden die starke Nachfrage nach grünen Anlagen für Preiserhöhungen ausnutzen. Allein ist er mit der Meinung nicht. Die Finanzindustrie nutze den Nachhaltigkeitsboom, „um teils unpassende Produkte zu gesalzenen Preisen an Kunden zu verkaufen“, sagt Gerhard Schick, Vorstand des Vereins Finanzwende. Für die Finanzwirtschaft wäre ein solches Vorgehen lohnend, denn jeder zweite Euro deutscher Anleger fließe inzwischen in grüne Fonds, schreibt das Nachrichtenmagazin. Am Ende des ersten Halbjahres seien mehr als 360 Milliarden Euro angelaufen, „ein Zuwachs von 240 Milliarden Euro in nur einem Jahr“. Das bedeutet, dass jeder Deutsche knapp 4.500 Euro in Nachhaltigkeitsfonds gesteckt habe, sei es über Aktien, Lebensversicherungen oder die betriebliche Altersvorsorge. Ist der grüne Großanleger Versicherungsbranche nun aber Teil des Problems oder der Lösung?

Frage für Profis

„Das ist im Einzelfall schwer nachzuweisen. Viele ETF auf ESG-Indizes sind ja nicht teurer als normale ETF. Aber Nachhaltigkeit ist natürlich ein Verkaufsschlager, das zeigen schon die Absatzzahlen“, erklärt die Verbraucherzentrale Bundesverband. Das Problem sei, dass Verbraucher kaum eine Chance haben nachzuvollziehen, wie nachhaltig eine bestimmte Anlage tatsächlich ist. Das seien „Fragen für Profis“.

Doch auch die tun sich allein oft schwer, setzen oft auf Partner oder Labels, die die Nachhaltigkeit belegen sollen. Die R+V nutzt mehrere Quellen: „Wo möglich werden von der R+V mehrere sogenannte ESG-Ratings von führenden Anbietern zur Orientierung herangezogen. Darüber hinaus werden Gespräche mit Unternehmen geführt, um zu einer eignen ESG-Bewertung zu gelangen.“ Zudem verwenden die Wiesbadener die „neu eingeführte ganzheitliche ESG-Integrationsstrategie“, die auf den Säulen „Ausschlüsse/ Kontroversen, ESG-Ratings und Vorgabe von eigenen Klimazielen“ basiert. Ein stringenter ESG-Prozess begleitet die Portfoliomanager bei jedem Schritt der Kapitalanlage.

Auch die Allianz hat „klare ESG-Kriterien definiert“, an denen sie ihre Investitionen „nachhaltig ausrichtet“. Dass nach Erfolg bezahlte Fonds-Manager das grüne Unterfangen unterlaufen, glauben die Münchener nicht. „Als Lebensversicherer ist es für uns zentral, dass wir über Jahrzehnte attraktive Renditen für unsere Kunden erwirtschaften. Nachhaltigkeit ist dabei ein wesentlicher Faktor, um zu beurteilen, wie wertstabil ein Investment über lange Zeiträume ist.“ Den Wucher-Vorwurf weisen sie von sich: „Mit InvestFlex Green sprechen wir Kunden an, die bewusst nachhaltig vorsorgen wollen. Die Konditionen unterscheiden sich nicht zum fondsgebundenen Angebot InvestFlex.“

Ein Problem für Versicherer ist, dass sie sich bei der Anlage auf externe Hilfe verlassen müssen, aber bei Fehlern von Dritten eventuell selbst haften müssen. „Es muss schon das drin sein, was drauf steht. Ansonsten ist eine Haftung evtl. möglich“, erklärt Norman Wirt, Anwalt und Vorstand des Bundesverbandes Finanzdienstleistung AfW. Wie immer basiert die Haftung auf der Vertragslage, also inwieweit sich der Anbieter „enthaftet hat“. Das gelte auch für Rating- oder Siegelanbieter. Wirth kann aktuell „keine belastbare Aussage dazu treffen“, inwieweit die derzeitigen Ratings eine „echte Hilfe sein können“. Die Haftung seitens einer Ratinggesellschaft könnte er „nicht sehen“. Das Grundproblem liegt allerdings woanders.  

Der Wilde Westen der Geldanlage?

Bei nachhaltigen Anlagen gibt es keine einheitlichen Standards, auf die sich Branche, Verbraucherschützer oder Kunde stützen kann. Aus Sicht der Zurich-Deutschland müsse es „international einheitliche Standards und ein Klassifikationssystem für nachhaltige Investitionen geben“. Diese Methode müsse Bewertungs- und Offenlegungsvorschriften enthalten, sodass „wirkungsvolle Nachhaltigkeitsprojekte“ tatsächlich als solche identifiziert werden können.

Die nationalen und pan-europäischen Aufsichtsbehörden haben das Problem erkannt und adressiert. Das Phänomen „Greenwashing“ werde von der Bafin „sehr ernst“ genommen, erklären die Bonner auf Nachfrage. So hat die Bafin jüngst den „Entwurf einer Richtlinie für nachhaltige Investmentvermögen zur Konsultation“ gestellt. Mit dieser soll Greenwashing im Bereich inländischer Investmentvermögen effektiv bekämpft werden. Es soll verhindert werden, dass dem Anleger vermeintlich nachhaltige Investmentvermögen angeboten werden, die Nachhaltigkeitsgesichtspunkten „gar nicht“ oder „nur in einem rudimentären Umfang“ Rechnung tragen. Darüber hinaus beteiligen sich die Aufseher auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene an den Arbeiten im Bereich Nachhaltigkeit bzw. Sustainable Finance.

Wird alles gut?

Vielleicht dauert es einfach ein wenig, bis sich Aufsicht, Branche und Kunden den neuen Gegebenheiten angepasst haben. „Es ist gerade en vogue, bei dem Thema wieder auf die Branche draufzuhauen“, erklärt Wirth. Alle stünden gerade am Beginn eines „gigantischen Transformationsprozesses“. Zu Beginn ginge es ohne klare gesetzliche Leitplanken „vielleicht nicht nur um Perfektion“, sondern darum, „die Dinge weiter zu verbessern“. Das Weitere komme Schritt für Schritt und hoffentlich sehr zügig vom Gesetzgeber Hilfe.

Autor: Maximilian Volz