Klimaaktivisten attackieren Rückversicherer: „Mit Greenwashing und Lippenbekenntnissen muss endlich Schluss sein“

Protestaktion der Aktivisten von Extinction Rebellion in Baden-Baden. Bildquelle: Extinction Rebellion

Nachdem die Umweltschützer von Urgewald bereits am Freitag vor dem Rückversicherungstreffen in Baden-Baden die Branche wegen klimaschädlicher Geschäfte in die Mangel nahmen, legten am Sonntag die Aktivisten der Extinction Rebellion vor Ort mit einer eindringlichen Protestaktion nach. Kurios: Die Demo fand zeitgleich zum Guy Carpenter Reinsurance Symposium statt. Viele der rund 600 Teilnehmer dürften von der Aktion kaum etwas mitbekommen haben.

Die Extincton-Rebellion-Aktivisten besetzten gestern ab 16:30 Uhr friedlich die Kongresshalle in Baden-Baden, Haupttreffpunkt für die Verhandlungspartner des alljährlichen internationalen Rückversicherungstreffens in der Kurstadt Baden-Baden und Veranstaltungsort der Guy Carpenter Reinsurance Symposium. Die Demonstranten positionierten sich am Eingang des Gebäudes. Einige von wollten mit Ölmasse in Sektgläsern im übertragenen Sinne die Feierstimmung der Rückversicherer trotz Klimakrise veranschaulichen. Andere kletterten auf das Vordach und hissten ein Banner mit der Aufschrift „Stop (Re)insuring Climate Chaos“.

Bildquelle: Extinction Rebellion

Extincton Rebellion prangert die aus seiner Sicht lückenhaften Ausschlussregeln der Rückversicherer für Kohle, Öl und Gas an. Die Mehrheit der Rückversicherer habe sich noch nicht aus dem profitablen Geschäft mit fossilen Projekten zurückgezogen.

Einige spontan befragte Rückversicherer selbst argumentieren gegenüber VWheute in Baden-Baden damit, dass sie ihre Kunden nicht plötzlich ohne Schutz dastehen lassen könnten und betonten ihr Engagement zur Nachhaltigkeit.

Bildquelle: Extinction Rebellion

Die Aktivisten dagegen beharren auf Ihrer Forderung, Rückversicherungen für fossile Projekte sofort zu beenden. „Mit Greenwashing und Lippenbekenntnissen muss endlich Schluss sein“, kritisiert Aktivistin und Biologin Susanne Egli. „Fossile Projekte zerstören ganze Lebensräume und Lebensgrundlagen von Millionen Menschen auf der Welt. Die Rückversicherer-Branche muss ihrer Verantwortung endlich nachkommen.“ Und weiter: „Die Klimakatastrophe wird weiter befeuert, gleichzeitig müssen Millionen Menschen ihre Lebensgrundlagen irgendwie absichern, um nicht vor dem Ruin zu stehen. Viele Betroffene werden sich Versicherungen gar nicht leisten können.“

Bildquelle: Extinction Rebellion

Kurios: Die friedlich Kleindemonstration begann am Sonntag ab 16:30 Uhr. Zum gleichen Zeitpunkt begann das hochkarätig besetzte Guy Carpenter Reinsurance Symposium mit rund 600 Zuschauern. Die meisten Rückversicherungsexperten dürften von der Aktion also kaum etwas mitbekommen haben. Zum Schluss des Symposiums gegen 18:30 Uhr war von den Aktivisten keine Spur mehr.

Urgewald fordert Wandel

Dass die Modelle der Rückversicherer für die Risikoabschätzung von klimabedingten Schäden in den letzten Jahren wiederholt versagt haben, glaubt Urgewald. Nun ziehe sie Konsequenzen. Der französische Rückversicherer Scor habe seine Kapazitäten für die Absicherung von Naturkatastrophen reduziert, die US-amerikanische AIG ihr Rückversicherungsgeschäft mit Naturkatastrophen mit dem Verkauf von Validus Re abgestoßen.

Schwergewichte wie Munich Re, Swiss Re und Hannover Rück hingegen würden in den dadurch steigenden Prämien eine Chance auf kurzfristige Profite sehen. „Sie haben eine Ausweitung ihres Naturkatastrophengeschäftes zu höheren Preisen angekündigt, zudem eine geringere Übernahme der von Erstversicherern abgedeckten Risiken – was auch soziale Folgen haben wird“, so Urgewald.

Rückversicherer sollten den Versicherungsschutz sämtlicher neuer Projekte im Kohle-, Öl- und Gassektor sofort beenden, lautet auch ihre die Forderung. Darüber hinaus appelliert die NGO an die Unternehmen, schnellstmöglich einen Ausstiegsplan für alle verbleibenden fossilen Projekte und Unternehmen in ihren Versicherungs- und Investitionsportfolios vorzulegen, der mit der 1,5-Grad-Grenze des Pariser Klimaabkommens kompatibel sei.

Während einige Rückversicherer auf kurzfristige Profite spekulieren, macht die Klimakrise immer größere Teile des Planeten unversicherbar, weil die Risiken zu groß werden. Die Rückversicherer müssen jetzt Verantwortung übernehmen und klimaschädliche Geschäfte beenden“, kritisiert Regine Richter, Finanz-Campaignerin bei Urgewald.

Rückversicherer kontern den Umweltschützern

Die Munich Re kann die Kritik nicht nachvollziehen. Vielmehr habe der Rückversicherer „einen klaren Fahrplan, entlang dem sie dazu beiträgt, die CO₂-Emissionen in Richtung Netto-Null zu reduzieren.“ Die GHG-Emissionen der versicherten Aktivitäten im Zusammenhang mit thermischer Kohleförderung (Minen) sowie von Kohlekraftwerken der Versicherungsnehmer wolle man in diesen Bereichen bis zum Jahr 2025 um 35 Prozent gegenüber dem Basisjahr 2019 reduzieren, betont eine Unternehmenssprecherin gegenüber VWheute.

Bei den Emissionen im Sachversicherungsgeschäft im Bereich Öl & Gasförderung sei bereits eine Reduktion von 40 Prozent verglichen mit 2019 erreicht. „Wir planen, uns aus der (Rück-)Versicherung von thermischen Kohleaktivitäten bis 2040 zurückzuziehen“, heißt es weiter. Zudem wolle man die Treibhausgasemissionen im eigenen Betrieb weiter zu reduzieren, um zwölf Prozent je Mitarbeiter von 2019 bis zum Jahr 2025. Bis zum Jahr 2030 wollen wir die CO₂-Emissionen des eigenen Betriebs auf Netto-Null reduzieren.

Darüber hinaus sei es in der „Kapitalanlage Anspruch, bis 2050 Netto-Nullemissionen zu erreichen. In einem ersten Schritt wollen wir dafür die Scope 1 & 2 (1=direkte eigene Emissionen/2=indirekte Emissionen aus beschaffter Energie) finanzierten GHG-Emissionen von börsennotierten Aktien, Unternehmensanleihen und Immobilien im Direktbestand bis zum Jahr 2025 um 25 Prozent bis 29 Prozent im Vergleich zum Basisjahr 2019 reduzieren.“

Auch bei der Swiss Re will man die Argumentation der Umweltschutzorganisationen nicht gelten lassen. „Die Kohle-Richtlinie von Swiss Re ist seit 2018 in Kraft. Sie ist im Einklang mit unserem Netto-Null-Ziel bis zum Jahr 2050 und unterstützt einen geordneten Übergang zu einem nachhaltigen Energiesystem“, erklärt ein Unternehmenssprecher. Zudem strebe der Schweizer Rückversicherer „einen kompletten Ausstieg aus der Versicherung für thermische Kohle in OECD-Ländern bis 2030 und Nicht-OECD-Ländern bis 2040 an. Dabei sind wir der festen Überzeugung, dass der Dialog mit unseren Stakeholdern ein wichtiges Element auf dem Weg hin zu Netto-Null ist“, erläutert ein Unternehmenssprecher.

Autor: VW-Redaktion

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