Kapitalanlage: Hypothekendarlehen als Investmentchance für Versicherer?

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Hinter aufsichtsrechtlichen Fragestellungen wie bei der Regulierung von Versicherungen verbergen sich oft umständliche Regelwerke, die nicht selten ein Korsett für Investitionsvorhaben darstellen. Doch manchmal halten die Regularien interessante Überraschungen und Chancen bereit – etwa im Fall von Hypothekendarlehen, die sich als unerwartet günstiges Investment für Versicherer herausstellen. Ein Gastbeitrag von Jochen Weiss, Director Regulatory and Accounting Solutions bei CrossLend.

Seit einigen Jahren setzt Solvency II die Eckpunkte für das Anlageverhalten von Versicherungen. Durch das europäische Rahmenwerk, das mittlerweile seit fünf Jahren europaweit gilt, soll die Assekuranz relevante Risiken erkennen, quantifizieren und steuern können. Unter anderem bestimmt es, wie viel regulatorische Eigenmittel ein Versicherer vorhalten muss, um die Marktrisiken seiner Kapitalanlagen angemessen zu reflektieren (Solvabilitätskapitalanforderung, SCR). Bekanntermaßen müssen riskantere Anlagen mit viel Eigenkapital, risikoärmere mit weniger unterlegt werden. Auch der gänzliche Verzicht auf eine Unterlegung ist möglich, wenn der Vermögensgegenstand (wie z.B. Staatsanleihen) per se als sicher erachtet werden.

Besonders günstig sind die regulatorischen Vorgaben für Hypothekendarlehen an Privatpersonen oder kleine und mittelständische Unternehmen, die mit Wohnimmobilien besichert sind. Bis zu einem Beleihungswert (Loan-to-Value, LTV) von 60 Prozent muss ein Versicherer keine Eigenmittel vorhalten, wenn er diese Darlehen auf seinen Büchern hält. Beträgt beispielsweise der Wert der Immobilie 100.000 Euro und die Kreditsumme liegt bei 60.000 Euro, sind keine Eigenmittel erforderlich, um das Risiko zu unterlegen. Auch bei einer höheren Beleihungsquote wird das Hypothekendarlehen günstig behandelt. Selbst bei einem Kredit, dessen Summe dem Wert der Sicherheit entspricht (LTV von 100 Prozent), sind laufzeitunabhängig lediglich sechs Prozent Eigenkapital erforderlich.

Diese eigenmittelschonende Behandlung entsteht dadurch, dass Hypothekendarlehen per Gesetz in eine vorteilhafte Risikokategorie eingestuft werden. Solvency II sieht verschiedene Risiko-Module vor, die unterschiedliche Methodologien zur Berechnung des Risikos sowie des jeweils erforderlichen Eigenkapitals enthalten. Hypothekendarlehen auf Wohnimmobilien werden gemäß Artikel 191 der delegierten Verordnung zu Solvency II (SII-DVO) in das sogenannte Gegenparteiausfallrisikomodul eingeordnet.

Ein Vergleich mit dem Hypothekenpfandbrief, dem wohl klassischsten hypothekenbesicherten Wertpapier, zeigt, wie außergewöhnlich diese Regelung ist. Der Pfandbrief unterliegt nach den Vorgaben von Solvency II nicht dem Gegenparteiausfallrisikomodul, sondern dem Spread-Risikomodul. Das erforderliche Eigenkapital wird dementsprechend nach den hier zutreffenden Vorgaben berechnet. Nach Artikel 180 SII-DVO muss ein Pfandbrief mit einer Laufzeit von zehn Jahren und einem AAA-Rating zu sechs Prozent mit Eigenkapital hinterlegt werden – exakt gleich viel wie ein Hypothekendarlehen mit einem LTV von 100 Prozent.

Dass die Eigenkapitalanforderungen für beide Assets identisch sind, ist bemerkenswert, denn ihre Renditen unterscheiden sich deutlich. Während ein deutscher Hypothekenpfandbrief mit zehn Jahren Laufzeit derzeit gerade einmal mit 0,16 Prozent rentiert, werfen Hypothekendarlehen ungefähr zwei bis etwas über drei Prozent ab – je nachdem, wie die Immobilien genutzt werden. Zwei Investments mit höchst unterschiedlichen Ertragsaussichten und Risikoprofilen werden damit vonseiten der Regulierung im Hinblick auf die erforderliche Eigenmittelunterlegung gleichgesetzt.

Diese günstige Behandlung gilt auch dann, wenn jene Hypothekendarlehen im Rahmen einer untranchierten Emission (Mono-Tranche) über eine von einer Zweckgesellschaft emittierten  Schuldverschreibung verbrieft werden. Aus der fehlenden Tranchierung folgt eine Pflicht zur Durchschau auf die zugrundeliegenden Instrumente (Look-through-Ansatz). Damit werden die einzelnen Hypothekendarlehen unmittelbar betrachtet.

Für Versicherungen ergeben sich aus dieser aufsichtsrechtlichen Behandlung interessante Anlagemöglichkeiten. Auf der einen Seite stehen die Pfandbriefe, einst ein Kerninvestment der Assekuranz. Sie sind unter aktuellen Risiko/Rendite-Aspekten nicht mehr attraktiv genug, um den Anforderungen der Anleger gerecht zu werden. Ihre Eigenkapitalanforderungen erscheinen in Relation zu den Erträgen regelrecht übertrieben. Auf der anderen Seite steht die direkte Anlage in Hypothekendarlehen: Bei einer Beleihungsquote von 100 Prozent sind sie in puncto Eigenkapitalbedarf einem zehnjährigen Pfandbrief gleichgestellt. Zugleich übertreffen sie ihn aufgrund ihrer Illiquidität und Risikostruktur ertragstechnisch mit einer Rendite von mehr als zwei Prozent deutlich. Andere Investments mögen zwar noch einmal höhere absolute Wertzuwächse erzielen. Doch müssen die Versicherer für sie auch teils deutlich mehr Eigenkapital vorhalten.

Betrachtet man die Rendite auf das eingesetzte Eigenkapital (Return-on-SCR), können die Hypothekendarlehen im Schuldverschreibungsmantel mehr als überzeugen. Bei einem LTV von 100 Prozent beträgt bei einer zweiprozentigen Verzinsung der Return on SCR 33 Prozent, bei einer Beleihungsquote von 90 Prozent sogar 40 Prozent. Ein besichertes Instrument mit höherer Eigenkapitaleffizienz dürfte schwer zu finden sein.

Die Verpackung von Hypothekendarlehen über eine Zweckgesellschaft mit anschließender Mono-Tranchen-Emission macht diese Opportunität investierbar. Sie ermöglicht den Einstieg in diese Assetklasse – mit attraktiver Rendite und (dank Durchschau) günstiger regulatorischer Behandlung, die einen geringen Eigenkapitaleinsatz erlaubt.

Viele Versicherungen haben auf das geänderte Marktumfeld mit niedrigen Leitzinsen und neuen aufsichtsrechtlichen Zwängen längst reagiert. Die klassischen Instrumente können ihre Renditeerwartungen schon lange nicht mehr erfüllen. Andere Vermögenswerte kommen daher verstärkt zum Einsatz. Besonders im Bereich Alternative Investments weitet die Assekuranz ihr Engagement deutlich aus. Private Debt – und Hypothekendarlehen als ein Teil davon – wird als Anlagesegment immer interessanter.

Die regulatorischen Vorgaben mögen komplex und oftmals umständlich sein. Doch wie der Umgang mit Hypothekendarlehen zeigt, hält Solvency II manchmal eben auch angenehme Überraschungen bereit. Versicherungen sollten sich diese zunutze machen, um ihr Portfolio so effizient wie möglich aufzustellen.

Zum Autor: Jochen Weiss, Director Regulatory and Accounting Solutions bei CrossLend, einem FinTech-Unternehmen, das End-to-End (E2E)-Lösungen für Darlehenstransaktionen anbietet.