Effizienz gesucht: Fehlentwicklungen und neue Perspektiven in der Rückversicherung

Monte Carlo muss auch in diesem Jahr wieder coronabedingt auf das Rendes-vouz des Septembre verzichten. Quelle: Bild von Julius Silver auf Pixabay

Für die Rückversicherer geht es dieser Tage wieder um die künftige Weichenstellung bei der Preisgestaltung. Da der diesjährige Rückversicherungskongress im September in Monte Carlo wegen Covid-19 abgesagt wurde, treffen sich die Branchenvertreter erneut in virtuellen Meetings, um die Konditionen für die Vertragserneuerungen zum Jahreswechsel zu besprechen. Doch das Preismodell der Branche bröckelt: Zehn Thesen, welchen Herausforderungen die Rückversicherer derzeit ausgesetzt sind.

Corona hat dem alljährlichen Rückversicherungstreffen in Monaco – wie schon 2020 – auch in diesem Jahr wieder den Garaus gemacht. Auf die sonst üblichen Meetings am Hotelpool oder die Cocktail-Empfänge mit Blick auf die monströsen Luxusjachten im Hafen von Monte Carlo werden die Rückversicherungsmanager in diesem Jahr also wieder verzichten müssen. Ob das bisherige Branchenevent in Zukunft allerdings überhaupt noch einmal in der bisher bekannten Form über die Bühne gehen wird, ist mehr als offen. Die Folgen des Klimawandels, zunehmend teure Cyberrisiken sowie neue Konkurrenten – jüngstes Beispiel ist die Balance Re – stellen zunehmend auch das bisherige Geschäftsmodell der Rückversicherer infrage.

Dabei haben die Leitwölfe der Branche das erste Halbjahr 2021 noch vergleichsweise glimpflich überstanden. Während sich die Swiss Re vom coronabedingten Einbruch 2020 augenscheinlich schnell erholt hat, geben sich auch die Munich Re und die Hannover Rück bislang zufrieden mit dem bisherigen Jahresgeschäft. Die Niedersachsen rechnen unterdessen auch für 2022 mit einem weiteren Prämienanstieg. „Die starke Erneuerung zum 1. Januar, die zwei Drittel des Geschäfts betrifft, hat sich sehr dynamisch und erfreulich zum 1. April und 1. Juni fortgesetzt“, prognostizierte jüngst Finanzvorstand Clemens Jungsthöfel bei der Präsentation der Halbjahreszahlen 2021.

Allerdings haben die jüngsten Unwetterkatastrophen sowie Hurrikan „Ida“ die bislang positive Prognose für das laufende Jahr wieder spürbar eingetrübt. Nach Einschätzung der Ratingagenturen dürfte sich der Trend der bisherigen Preissteigerungen zwar weiter fortsetzen. Dennoch dürften diese etwas moderater ausfallen als im Frühjahr und zum Jahreswechsel, schreibt Moody’s. Dennoch warnt die Ratingagentur davor, dass Schäden im Zusammenhang mit schweren Überschwemmungen in Europa und China, Unruhen in Südafrika und das Risiko einer aktiven Hurrikansaison die operative Leistung der vier großen Rückversicherer in der zweiten Jahreshälfte voraussichtlich etwas unter Druck setzen werden. Und auch S&P-Analyst Johannes Bender will laut Börsen-Zeitung noch nicht von einem harten Markt sprechen, da einfach noch genug Kapazitäten da seien, was den Druck zu höheren Preisen abmildere.

Dennoch sehen sich die Global Player der Branche nach Ansicht von VWheute-Korrespondent Philipp Thomas gleich zehn Herausforderungen ausgesetzt, die das Geschäftsmodell der Rückversicherer nachhaltig verändern könnten:

  1. Die Verbilligung der Kosten durch die Niedrigzinspolitik bedeutet langfristig minimale Renditen auf die anlagefähigen Mittel. Überdies müssen Unternehmen ihre Investments künftig nach ESG-Kriterien ausrichten, was die Auswahl der Anlagemöglichkeiten eingrenzt.
  2. Schon seit Jahren grassiert im Bereich der Hauspreise eine nicht von den Lebenshaltungskostenindizes gespiegelte Inflation. Diese dürfte auch Auswirkungen auf die Adäquanz der vorhandenen Schadenrückstellungen haben, etwas gemildert durch die Indexierung von Priorität und Haftung unter den Schadenexzedentendeckungen.
  3. Angesichts des zu vernachlässigenden nicht-technischen Geschäfts bräuchten die Marktteilnehmer zur Erzielung einer risikogerechten Rendite auf ihr eingesetztes Eigenkapital von ca. acht Prozent eigentlich eine Combined Ratio von maximal 95 Prozent. Die meisten liegen jedoch aufgrund der Pandemie-Schäden über dieser Marke.
  4. Wachsende Selbstbehalte von zunehmend überregional operierenden und somit den Risikoausgleich gruppenintern beherrschenden Zedentengruppen.
  5. Zunehmende Verbürokratisierung der Unternehmensabläufe durch rigide Solvency-II-Vorgaben, Datenschutz, von unterschiedlichen Staaten auferlegte Sanktionen, Notwendigkeit immer weiter definierte Geldwäsche zu vermeiden – all dies treibt die Kostensätze, ohne Nutzen zu schaffen.
  6. Möglicherweise nachhaltige Verschlechterung der Risikoexponierung in den Bereichen Naturkatastrophen, Directors & Officers Liability und Cyber. Die anstehenden Ratenerhöhungen könnten nicht ausreichen, um die Kosten für die Bereitstellungen von wesentlich mehr an Eigenkapital aufzuwiegen. Gerade im Bereich Cyber und Catnat wurden bislang wohl die Kumulrisiken bei Weitem zu gering eingeschätzt.
  7. Möglicherweise noch verzögert einsetzende Insolvenzwelle als Spätfolge von Covid-Betriebsschließungen, dies träfe die Kreditversicherer und via subjektives Risiko auch die Sachversicherer.
  8. Potenzieller Wegfall von großen Teilen des Autogeschäfts im Lauf der nächsten zwanzig Jahre aufgrund von Carsharing und autonomen Autos und damit weniger Verkehrsunfällen.
  9. Etablierte Relevanz der Kapitalmärkte, die zunehmend bereit sind, über Cat Bonds, Sidecar Vehicles und ähnliche Konstrukte Versicherungsrisiken zu tragen, was letztlich das Angebot hebt und die Preise verdirbt.
  10. Ebenso wie chinesische Erstversicherer sich weltweit zu etablieren beginnen, könnte auch China Re auf den Gedanken kommen, zu einem ernsthaften Konkurrenten der Branche zu erwachen, vermutlich unter Aufkauf von kleineren Konkurrenten. Hierfür sprächen auch nationale Interessen: Rückversicherer sind gut platziert, um an Informationen zu gelangen, auf die man ansonsten Spione ansetzen müsste. Auch in anderen Branchen begann der Siegeszug chinesischer Konkurrenten mit einigen Jahren des Price Dumpings bzw. Predatory Pricing. Man lässt sich den künftigen Marktanteil etwas kosten.

Zudem gewinnt für den Risikotransfer auch der Captive-Gedanke erneut an Bedeutung, zumal meist der in der Captive gehaltene Konzernselbstbehalt mit am Captive-Standort niedrigen Körperschaftssteuersätzen kombiniert wird. Andererseits wird der Betrieb einer Captive dank Solvency-II, Anforderungen an eine minimale eigene Substanz sowie Regeln für das Transfer Pricing eine immer komplexere Angelegenheit, die sich erst ab einigen zig Millionen an zedierter Prämie lohnt.

Für Jean-Jacques Henchoz, Vorstandschef der Hannover Rück, ist Wandel „für die Branche nicht unüblich. Aber das Geschäftsmodell der Branche funktioniert natürlich seit mehr als 100 Jahren ähnlich. Es geht also um neue Akzente. Die Rückversicherungsbranche ist sicher eine Branche, die effizienter werden muss“.

Autoren: Philipp Thomas / VW-Redaktion

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