Treibende Kraft der Transformation: Perspektiven von KI in der Versicherungsbranche

KI entwickelt sich zu einer treibenden Kraft der Transformation. Ihre Einsatzmöglichkeiten in Versicherungsunternehmen reichen von der Produktentwicklung über Vertrieb, Underwriting und Betrieb bis hin zum Schaden- und Leistungsmanagement. Konkrete Ergebnisse verdeutlichen bereits das mittel- und langfristige Potenzial von KI, und die Voraussetzungen für eine Skalierung dieser ersten Erfolge sind gegeben, schreibt Dr. Clemens Frey, Partner bei Roland Berger, im Gastbeitrag. „Das wirtschaftliche Interesse ist ausgeprägt, Rechenkapazitäten sind vorhanden, und regulatorische Vorgaben – etwa in DORA und im EU AI Act – sind zunehmend konkret.“
Hürden im Aufbau: IT, Daten und Fachkräfte
Gleichzeitig hemmen veraltete IT-Architekturen, fragmentierte Datenhaushalte sowie unzureichende Datenqualität und -quantität den Fortschritt. Die Gewinnung qualifizierter Fachkräfte gestaltet sich für Versicherer im Wettbewerb mit Technologieunternehmen schwierig. Branchenweit herrscht dennoch Konsens, dass der strategische Ausbau von KI-Kompetenz absolut notwendig ist, um eine grundlegende Souveränität im Einsatz der neuen Methoden und Technologien zu behaupten.
Drei strategische Stoßrichtungen
Dabei kristallisieren sich drei strategische Stoßrichtungen heraus:
1. Steigerung der Kundenzufriedenheit durch personalisierte, jederzeit verfügbare Services, aber auch durch Qualitätsgewinne, etwa eine feinere Preis- und Risikodifferenzierung
2. Effizienzgewinne durch intelligente Automatisierung repetitiver Prozesse, etwa in der Dokumentenanalyse oder Schadenbearbeitung
3. Bewältigung demografischer Herausforderungen durch Reduzierung manueller Tätigkeiten und Modellierung von Geschäftsintelligenz und Erfahrungswissen
(Hyper-)Personalisierung als Schlüssel zur Differenzierung
Durch die Kombination interner Daten mit externen Verhaltens- und Umgebungsdaten können Versicherer ein immer feineres Verständnis für Kundenwünsche entwickeln und damit die Gestaltung von Interaktionsmustern und Produkten weiter individualisieren. Proaktives Schadenmanagement und dynamisierte Customer Journeys werden möglich und schaffen neues Potenzial für Cross-Selling und Kundenbindung.

Wirkung entfalten: Kontextualisierung und Integration
Die Wirksamkeit von KI-Anwendungen hängt von zwei Faktoren ab: vom Grad ihrer Kontextualisierung für das jeweilige Unternehmen und von der Breite ihres Einsatzes über Unternehmensbereiche hinweg. Ein hoher Individualisierungsgrad – etwa durch Retrieval-Augmented Generation (RAG) oder eigens trainierte Machine-Learning-Modelle – in Kombination mit breiter Nutzbarkeit kann signifikante strategische Wirkung entfalten. Je stärker die horizontale Integration, desto höher der Return on Invest, und je stärker die Kontextualisierung, desto größer die Differenzierung gegenüber dem Wettbewerb.
Transformationslogik: Zwei Geschwindigkeiten
Erfolgreiche Transformationen folgen dabei einer Logik der zwei Geschwindigkeiten:
• Erstens gilt es, grundlegende KI-Funktionalitäten – wie generative Assistenten oder automatisierte Texterkennung – zügig und breit verfügbar zu machen. Diese Basisanwendungen schaffen Akzeptanz und datenbasierte Lernkurven.
• Zweitens erfolgt die Individualisierung durch Verwendung interner Daten, unternehmensspezifisches Fine-Tuning sowie die Entwicklung von Use Cases, die auf die eigenen Kernprozesse einzahlen.
Erfolgsfaktor Mensch
Auch wenn Technologie und Dateninfrastruktur notwendige Grundlagen sind, entscheidend bleibt der Mensch. Versicherer sollten gezielt in Weiterbildungsprogramme investieren, um Daten- und KI-Kompetenzen aufzubauen. Interdisziplinäre Teams und eine innovationsfreundliche Organisationskultur sind dabei erfolgskritisch, ebenso wie die Umsetzung einer robusten KI-Governance. Letztere adressiert die regulatorischen Anforderungen und schafft gleichzeitig Vertrauen bei Kunden und Mitarbeitenden – durch den transparenten Einsatz nachweislich verlässlicher KI-Systeme, systematisches Monitoring und stringente Qualitätssicherung.
Wachstum mit KI-Risiken
Versicherern eröffnen sich auch Wachstumsfelder. Denn mit der zunehmenden Verbreitung von KI in Wirtschaft und Gesellschaft gehen neue Risiken einher. Aus ungeeigneten Trainingsdaten, Fehlfunktionen der nicht-deterministischen Vorhersagemodelle oder systemischen Wechselwirkungen können signifikante Schäden entstehen. Die Absicherung solcher KI-Risiken – etwa über Cyber-, Haftpflicht- oder Betriebsunterbrechungsdeckungen – wird zu einem Geschäftsfeld mit Herausforderungen, aber großem Potenzial. Wer es hier schafft, frühzeitig Produkte und flankierende Services zu entwickeln, wird sich nachhaltig differenzieren können.
Ausblick: Strategische Positionierung durch KI
Versicherer, die die KI-getriebene Transformation aktiv mitgehen, stärken nicht nur ihre operative Exzellenz und die Bindung ihrer Kunden, insbesondere durch Fähigkeiten zur (Hyper-)Personalisierung auf Vertriebs- wie auf Produktseite. In der Konsolidierung der kommenden Jahre werden sie sich auch besser behaupten können.
Wir unterstützen unsere Kunden auf diesem Weg: von Reifegradanalysen über KI-Strategien bis zum Aufbau eines umfassenden KI-Zielbetriebsmodells inkl. des unternehmensspezifischen KI-Qualitätsmanagements. Darüber hinaus begleiten wir die Entwicklung von Differenzierungsstrategien durch innovative KI-Produkte – damit Versicherer heute die Grundlage für ihren Erfolg von morgen legen.
Autor: Dr. Clemens Frey, Partner bei Roland Berger