Bayerische Lösung: Rechtsgutachten legt „unwahre Tatsachenbehauptungen“ offen

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Die bayerische Lösung in der Betriebsschließungsversicherung ist umstritten. Anwälte wie Betroffene kritisieren den Kompromiss. Die Versicherungsbranche sieht ihn als faire, unbürokratische Lösung. Der Jurist Professor Dr. jur. Christian Becker hat im Auftrag der Kanzlei Michaelis untersucht, ob sich die Versicherer mit Aussagen zur bayerischen Lösung strafbar gemacht haben. Seine Schlussfolgerung könnte Potenzial für Strafprozesse gegen die Versicherer bergen.

Das Gutachten untersucht Aussagen der Versicherer zur bayerischen Lösung gegenüber ihren Kunden und ob dabei strafrechtliche Verfehlungen des (ggf. versuchten) Betruges gem. § 263 StGB erfüllt sind. Das klingt trocken, ist es aber nicht.  

In den der Arbeit zugrunde liegenden Aussagen erklären die Versicherer, warum aus ihrer Sicht kein Versicherungsschutz gegeben ist. Es ist zu klären, ob es sich bei dem Gegenstand der Aussagen um Tatsachen im Sinne des Betrugstatbestandes handelt und ob den Aussagen hinsichtlich solcher Tatsachen ein Täuschungscharakter zukommt. Dabei ist zwischen ausdrücklicher und konkludenter Täuschung zu unterscheiden. Konkludent dürfte in diesem Zusammenhang mit einer stillschweigenden, durch schlüssiges Verhalten zum Ausdruck gebrachten Willenserklärung beschreibbar sein.

Die Unternehmen erklären in den Aussagen, dass die Versicherten keine Ansprüche aus der von ihnen abgeschlossenen Betriebsschließungsversicherung haben, sofern eine (ggf. teilweise) Stilllegung ihres Betriebs auf einer coronabedingten Anordnung beruht. „Die Schließung erfolgte […] aus generalpräventiven Gründen und nicht, weil von Ihrem konkreten Betrieb eine unmittelbare Gefahr für die Gesundheit anderer ausgeht. […] Diese, die gesamte Gesellschaft einschließlich Wirtschaftsunternehmen betreffenden Einschränkungen und die daraus entstehenden Einbußen für jeden Einzelnen und jedes Unternehmen sind über die Betriebsschließungsversicherung nicht versichert“, lautet ein Beispiel.

Ausdrücklich wird in den Äußerungen kundgetan, dass die Versicherten keine Ansprüche aus der von ihnen abgeschlossenen Betriebsschließungsversicherung haben, sofern eine (ggf. teilweise) Stilllegung ihres Betriebs auf einer coronabedingten Anordnung beruht, fasst Becker zusammen.

Hierbei sei im Hinblick auf § 263 StGB zu berücksichtigen, dass „Rechtsauffassungen grundsätzlich keine Tatsachen i.S.d. § 263 StGB sind“. Damit können sie kein „tauglicher Täuschungsgegenstand“ sein. Das bedeutet, wenn lediglich eine Rechtsauffassung erklärt wird, kann grundsätzlich nicht betrugsrelevant getäuscht werden.

Der Jurist kommt in diesem Punkt zu dem Schluss, dass „es sich um eine reine Rechtsbehauptung hinsichtlich des Nichtbestehens von Versicherungsschutz handelt“. „Unter dem Gesichtspunkt einer ausdrücklichen Täuschung enthalten die hier untersuchten Aussagen also keine betrugsrelevanten Täuschungen über Tatsachen.“ Punkt für die Versicherer beim Aspekt der ausdrücklichen Täuschung.

Auszug aus dem Gutachten von Jurist Professor Dr. jur. Christian Becker im Auftrag der Kanzlei Michaelis.

Schuldig bei der Konkludente Täuschung?

Bisher wurden die Aussagen im Hinblick auf den Tatsachenbezug geprüft. Damit ist kein abschließendes Urteil über die betrugsstrafrechtliche Relevanz der Aussagen gefällt. Denn nach § 263 StGB  kann  der Vorwurf anerkanntermaßen auch durch eine sog. Konkludente Täuschung verwirklicht werden, bei der die Unwahrheit zwar nicht ausdrücklich zum Ausdruck gebracht, „aber nach der Verkehrsanschauung“ mit erklärt wird.

Der Erklärungswert eines Verhaltens ergibt sich […] nicht nur aus demjenigen, was ausdrücklich zum Gegenstand der Kommunikation gemacht wird, sondern auch aus den Gesamtumständen der konkreten Situation. Dieser „unausgesprochene Kommunikationsinhalt“ wird wesentlich durch den dem Erklärenden bekannten Empfängerhorizont und damit durch die „ersichtlichen Erwartungen der Beteiligten“ und den geschäftstypischen Pflichten- und Risikoverteilungen sowie die für das Verhältnis der Beteiligten „relevanten rechtlichen Normen“ bestimmt. Klingt kompliziert, kann für Nichtjuristen allerdings wohl unter dem Begriff „Kontext“ zusammengefasst werden.

Durch die „Gebote der Ehrlichkeit und Redlichkeit“ wird der Versicherer also aufgefordert, nicht nur „formal richtig zu informieren“, sondern auch „missverständliche Informationen“ zu erläutern und „erkennbare Missverständnisse aufseiten des VN auszuräumen“.

Diesem Maßstab werden die begutachteten Aussagen laut Becker „nicht gerecht“. Zum fraglichen Zeitpunkt war die Rechtsfrage der Einstandspflicht bei coronabedingten Schließungen „ungeklärt“ und „ist sie bis heute“.

Dargestellte Rechtslage war und ist in Wahrheit „ungeklärt“

Wer wie der Versicherer nach § 1a VVG  zu ehrlicher und redlicher Kommunikation verpflichtet ist, „muss eine unklare Rechtslage als solche ausweisen“, selbst wenn es dabei unbenommen bleibt, die eigene Rechtsauffassung kundzutun. Hingegen genügt es den durch § 1a VVG formulierten Maßstäben der Ehrlichkeit und Redlichkeit nicht, wenn eine ungeklärte Rechtslage verschwiegen und stattdessen ein für den Versicherungsnehmer nachteiliges „eindeutiges Ergebnis behauptet wird“.

Erlaubt ist also, dass der Versicherer seine Rechtsauffassung vertritt. Dagegen darf er „nicht den Eindruck erwecken“, die Rechtslage sei zum Nachteil des VN auch bei neutraler Prüfung „vollkommen eindeutig“, wenn die Verhältnisse tatsächlich nicht geklärt sind.

Der Hintergrund dieses Aspektes ist nachvollziehbar, der Versicherungsnehmer könnte durch den Passus entmutigt werden, sein Recht in einer nicht finalen Entscheidungsfindung zu suchen.

Das Zwischenergebnis des Juristen ist eindeutig. „Vor diesem Hintergrund sind die untersuchungsgegenständlichen Aussagen so zu interpretieren, dass die darin getätigten Rechtsausführungen in tatsächlicher Hinsicht das Resultat einer ehrlichen und redlichen Prüfung im bestmöglichen Interesse des Versicherungsnehmers sind. Das ist indes nicht der Fall.“

Die in den Aussagen kategorisch und eindeutig dargestellte Rechtslage war und ist in Wahrheit „ungeklärt“. Dass die Versicherer bei der bayerischen Lösung nicht ausreichend kommunizieren – und unangemessen handeln – sagen auch der Anwalt Pilz sowie der Prozessfinanzierer Omni Bridgeway die Allianz widerspricht energisch.

Dieser Aspekt hätte im Rahmen einer redlichen und interessengerechten Kommunikation zum Ausdruck gebracht werden müssen. Somit liegt eine unwahre Tatsachenbehauptung i.S.d. § 263 StGB vor, erklärt der Jurist. Sofern Versicherungsnehmer aufgrund der Angaben der Versicherer über das Nichtbestehen von Versicherungsschutz die Geltendmachung ihrer Ansprüche unterlassen, liegt darin eine „schädigende Vermögensverfügung“, sofern ein Anspruch tatsächlich besteht.

Auszug aus dem Gutachten von Jurist Professor Dr. jur. Christian Becker im Auftrag der Kanzlei Michaelis.

Strafgesetz statt Geldverlust?

Wenn die Rechtsauffassung von Professor Christian Becker vor Gericht Bestand hat, bedeutet das erhebliche Probleme für die Branche. Hat ein Versicherungsnehmer einen der zitierten Ablehnungsgründe per Schreiben erhalten, gewinnt in der Folge aber den BSV-Prozess um Entschädigung, war die Aussage des Versicherers falsch. Es liegt dann wohl tatsächlich eine unwahre Tatsachenbehauptung i.S.d. § 263 StGB vor. Die Wichtigkeit der BSV-Prozesse ist für die Versicherer damit über finanzielle Aspekte hinaus strafrechtlich relevant geworden.

Autor: Maximilian Volz

3 Kommentare

  • Schon sehr weit hergeholt diese Argumentation…. jedes Wirtschaftssubjekt vertritt nun zuerst einmal seine eigenen Interessen und es wäre vermessen zu verlangen, man müsste stets der Gegenseite noch die selbst die Argumente beschaffen….

  • Wolfgang Leber

    insbesondere im Rahmen einer auf Dauer angelegten Geschäftsbeziehung wird man doch wohl „Ehrlichkeit und Redlichkeit“ in besonderem Maße erwarten können

  • Ob eine Sache weit hergeholt ist liegt doch stark im Blickwinkel des Betrachters. Der juristisch ungebildete Laie mag hier so denken. Die Einschätzung diese Professors für Rechtswissenschaften ist eine durchaus wenigstens gut vertretbare Interpretation des Gesetztes.

    Insbesondere muss man sich vor Augen führen, dass es hier nicht um „jedes Wirtschaftssubjekt“ geht, sondern eines, dem qua Gesetzes nun einmal besondere Regeln für die Kommunikation mit seinen Kunden auferlegt wurden. Das mag man – warum auch immer man auf diese Idee kommen sollte – kritisieren, aber ignorieren darf man das in einem Rechtsstaat nun mal nicht.

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