Zu unattraktiv für junge Leute? Das Generationenproblem der Versicherer als Arbeitgeber

Quelle: Gerd Altmann/ Pixabay

Die Versicherungsbranche hat einen verstaubten Ruf. Die Zahl der Auszubildenden ist laut AGV seit Jahren rückläufig. Versicherungsunternehmen scheinen jungen Leuten trotz guter Gehälter und sicherer Jobperspektiven nicht das geben zu können, was heute gefragt ist. VWheute begibt sich auf Ursachenforschung.

Dass die Versicherer dringend Nachwuchs brauchen, ist gerade mit Blick auf den Vertrieb mit einem Durchschnittsalter von etwa 50 Jahren besonders offensichtlich. Eine Analyse von Policen Direkt kam jüngst zu dem Ergebnis, dass rund 75 Prozent der Einzelmakler ihre Nachfolge noch nicht geregelt habe. Dabei sind die Vorurteile durchaus hausgemacht.

„Um eine zeitgemäße Ausbildung schaffen zu können, sollte man sich von den alten Konzepten der derzeitigen Vorgehensweise lösen und ein dynamischeres und vor allem flexibleres Konzept zur Übermittlung der verschiedenen Ausbildungsinhalte überlegen. Das Spartendenken erfüllt seinen Zweck, aber ist in meinen Augen nicht wirklich kundenorientiert und zeitgemäß, sondern eher allgemein, kompliziert und unflexibel. Man hat ein bestimmtes Schema, nach dem die Auszubildenden ausgebildet werden.“

Patrick Unger, Auszubildender bei der Nürnberger

„Die Versicherungsbranche hat leider einen sehr eingestaubten Ruf und gilt teilweise als langweilig, dabei stimmt das nicht mal“, betonte Patrick Unger, Auszubildender bei der Nürnberger, vor wenigen Monaten im Interview mit VWheute. Seine Forderung: „Es müsste das Grundkonzept dieser Ausbildung generalüberholt und an die Zeit angepasst werden. Daher finde ich die Auflösung des Spartendenkens zugunsten von Kundenlösungen flexibler, zeitgemäß und auch vor allem praxisorientierter. Man löst sich von dem rein theoretischen und versucht mehr Theorie und Praxis zum Vorteil der Kunden und der Auszubildenden zu kombinieren.“

Charmeoffensive des Branchenverbandes GDV

Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) scheint das Problem zumindest erkannt zu haben und startete bereits im letzten Jahr eine Charmeoffensive, um junge Leute für eine Berufsausbildung in der Versicherungsbranche zu gewinnen. So wollen die Versicherer die Ausbildung zum Versicherungskaufmann bzw. zur Versicherungskauffrau auffrischen.

Laut GDV könnte die Reform nicht nur neue Lehrinhalte bringen, sondern auch eine neue Berufsbezeichnung. Der Fokus der Branche liegt auf einer stärkeren Förderung des digitalen Know-hows. Die neue Ausbildungsordnung soll zum Ausbildungsstart im August 2022 eingeführt werden. Der offizielle Titel Kaufmann für Versicherungen und Finanzen könnte dann einen neuen Namen bekommen.

Glaubt man einer aktuellen YouGov-Umfrage im Auftrag von Werde #Insurancer, der Nachwuchsinitiative der Versicherer, spielen Einkommen und Sicherheit für Berufseinsteiger eine zentrale Rolle. So können sich 41 Prozent der 1.005 Befragten prinzipiell eine Tätigkeit in der Versicherungswirtschaft vorstellen. Acht Prozent votierten eindeutig für ja, für 33 Prozent wäre eine Versicherungskarriere denkbar, aber nur die zweite Wahl. Sowohl Akademiker als auch Menschen mit einer Berufsausbildung kommen bei dieser Frage zu identischen Ergebnissen.

Befragt nach dem Image der Versicherungswirtschaft, gab jeder Zweite an, ein neutrales Bild von der Versicherungswirtschaft zu haben. Neun Prozent sehen die Branche in einem positiven Licht, 27 Prozent negativ. Das Ansehen der Branche spielt für die Jugendlichen daher nur eine untergeordnete Rolle. Laut Umfrage seien für die Befragten daher vor allem das Einkommen, die Sicherheit des Arbeitsplatzes sowie eine sinnvolle Tätigkeit maßgebend.

„Solides Einkommen schon in der Ausbildung sowie eine langfristige Perspektive – genau das können wir jungen Menschen bieten.“

Gerhard Müller, Vorsitzender des Ausschusses Vertrieb im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV)

Allerdings glauben 51 Prozent der 18- bis 30-Jährigen, dass sich die Chancen auf eine gute Ausbildung durch die Pandemie verschlechtert haben. Ein knappes Drittel ist hingegen der Ansicht, dass sich durch die Pandemie nichts verändert hat. „Wer sich jetzt für eine Versicherungskarriere entscheidet, trifft auch in Corona-Zeiten eine Entscheidung für eine sichere Ausbildung, die manchmal direkt vor der Haustür liegt“, glaubt Oliver Brüß, Mitglied im GDV-Vertriebsausschuss.

Dass die Corona-Pandemie den Arbeitsmarkt maßgeblich beeinflusst, zeigt eine Statistik der Bundesagentur für Arbeit zu Beginn des Jahres 2021. Demnach gab es im letzten Jahr im Durchschnitt nur 613.445 gemeldete offene Arbeitsstellen in Deutschland. Das waren 21 Prozent weniger als noch vor einem Jahr. Vor allem der Lockdown ab März habe den schon bestehenden Abwärtstrend auf dem Jobmarkt verstärkt. Damals war der Stellenzugang geradezu eingebrochen, um 59 Prozent unter den Vorjahreswert.

Quelle: Statista

Im Jahresverlauf 2020 wurden rund 1,59 Millionen Stellen zur Besetzung neu angemeldet – das waren 517.000 bzw. 25 Prozent weniger als im Vorjahr. Nach dem Lockdown haben sich die Stellenmeldungen zwar allmählich stabilisiert. Ende 2020 lagen sie aber immer noch um neun Prozent niedriger als im Vorjahr, wie die Bundesagentur für Arbeit weiter mitteilt. In der unsicheren Arbeitsmarktlage wegen der Corona-Pandemie würden zudem weniger Menschen ihren Arbeitsplatz wechseln.

Die eigene Situation am Arbeitsmarkt betrachten die 18- bis 30-Jährigen laut GDV dennoch recht gelassen. Die Mehrheit der Befragten beurteilt ihren beruflichen bzw. ihren Ausbildungsstatus als gut bis befriedigend. Rund drei Viertel der unter 30-Jährigen sorgen sich nicht um ihren Arbeitsplatz. Das gilt sowohl für Akademiker als auch für Angestellte mit Berufsausbildung. Bei knapp der Hälfte der Befragten hat sich während der Pandemie nichts an der beruflichen Situation geändert. 37 Prozent der 18- bis 30-Jährigen geben jedoch an, dass sich ihre berufliche Situation verschlechtert habe.

AGV: Zahl der Auszubildenden ist seit Jahren rückläufig

Dennoch ist die Zahl der Auszubildenden in der Versicherungsbranche seit Jahren rückläufig. Nach Angaben des Arbeitgeberverbandes der Versicherer (AGV) ist die Gesamtzahl der Mitarbeiter in den Versicherungsunternehmen im Jahr 2020 um 0,6 Prozent auf rund 203.300 gestiegen. Im Innendienst ist ein Anstieg der Mitarbeiterzahl um 1,3 Prozent auf 159.400 zu verzeichnen (plus 2.000 Mitarbeiter). Die Zahl der angestellten Außendienstmitarbeiter ist dagegen um 1,3 Prozent auf 32.300 gesunken (minus 400 Mitarbeiter), die der Auszubildenden um 2,8 Prozent (minus 300 Auszubildende) auf rund 10.600.

Zum Vergleich: 2002 wurde mit über 16.000 Auszubildenden der Höchststand in diesem Jahrtausend erreicht. Seitdem ist die Zahl der Azubis um rund 40 Prozent zurückgegangen. An der Vergütung dürfte es jedenfalls nicht liegen. Laut einer Auswertung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) verdienen die Assekuranz-Lehrlinge über die gesamte Ausbildung hinweg mit einer durchschnittlichen Bruttovergütung von 1.105 Euro pro Monat fast 150 Euro über dem Schnitt aller aufgeführten Ausbildungsberufe.

Autor: VW-Redaktion

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

drei × drei =