Belastungsprobe Corona: Insurtechs zwischen Aus und Aufstieg
Corona hat die Versicherer hart getroffen: Nicht nur die etablierten Player, auch die Start-ups sind von den Auswirkungen der Krise nicht verschont geblieben. Dabei könnten die Versicherer einen bösen strategischen Fehler begehen, wenn sie den Start-up- und Insurtechsektor jetzt aus den Augen verlieren.
„Wie alle Wirtschaftsbereiche sind auch Start-ups in den vergangenen Monaten nicht von den Auswirkungen vonC orona verschont geblieben. Dramatische Umsatzeinbrüche, Kurzarbeit und stockende bzw. auf Eis gelegte Verhandlungen zu laufenden Finanzierungsrunden waren nur einige der Auswirkungen, mit denen Start-ups zuletzt zu kämpfen hatten. Zwar wurde vom Bund ein zwei Milliarden Euro schweres Hilfspaket für Start-ups auf den Weg gebracht und auch die Bundesländer taten einiges, um zu helfen. Die Auszahlungen der Gelder waren aber oft an hohe Hürden gekoppelt und kamen daher teilweise nur verzögert bei den Start-ups an“, konstatiert Simon Schneider, Founding Partner Neoteq Ventures, in der aktuellen Ausgabe der Versicherungswirtschaft.
Laut einer aktuellen Umfrage des Bundesverbandes Deutsche Startups und der Beratungsgesellschaft PwC sehen 75 Prozent der befragten 2.000 Jungunternehmer ihr Geschäft durch die Krise beeinträchtigt. Dennoch zeigen sich die Firmengründer überwiegend optimistisch für die Zukunft. Vielmehr würden viele Gründer schnell auf die neue Situation reagieren, „daher schauen sie optimistischer in die Zukunft als die deutsche Wirtschaft insgesamt“, konstatiert Verbandsgeschäftsführerin Franziska Teubert. Sie sähen in der Krise „meist auch eine Chance“.
Zu spüren bekommen haben es auch die Versicherungs-Start-ups. Gingen die weltweiten Investitionen in Insurtechs laut Willis Towers Watson in den ersten drei Monaten des Jahres infolge der Corona-Pandemie noch um mehr als die Hälfte zurück, folgte prompt das schnelle Aufatmen. Nach Angaben des Beratungsunternehmens legten die weltweiten Investments zwischen April und Juni um 71 Prozent auf 1,56 Mrd. US-Dollar zu.
„Die Erholung im zweiten Quartal war aber insbesondere dadurch gegeben, dass es international einige sehr große Finanzierungsrunden gegeben hat, die das Volumen vergrößert haben (z.B. Oscar Health, Druck Creek und Pie Insurance). Insgesamt war die Anzahl der Finanzierungsrunden in Q2 2020 mit 74 Transaktionen aber 23 Prozent unter den Werten des Q1 2020. Die dominierenden Bereiche, in denen Start-ups Geld von Investoren erhalten haben, waren demzufolge Schaden- und Unfallversicherungen, gefolgt von Insurtechs aus den Bereichen Leben- und Krankenversicherung“, konstatiert Schneider.
Geldsegen für französisches Insurtech für Deutschland-Expansion
Jüngstes Beispiel des neuerlichen Geldsegens ist auch das französische Insurtech +Simple: In der letzten Finanzierungsrunde hat das Start-up weitere 20 Mio. Euro an Wachstumskapital erhalten. Investoren in der dieser Runde sind eigenen Angaben zufolge neben den bisherigen Investoren Idinvest und OneRagtime (ein Partner von +Simple seit 2017) die zwei neuen VC-investoren Mundi Ventures und Speedinvest.
Mit dem neuen Wachstumskapital will das französische Insurtech sein Wachstum beschleunigen und die europäische Expansion ausbauen sowie das Produktangebot an innovativen, digitalen Versicherungslösungen für KMUs und Freiberufler erweitern.
Um die Expansion in Deutschland voranzutreiben, hat +Simple zudem Christian Kaiser in den Verwaltungsrat berufen. Kaiser war zuvor CEO von Vero, einer der größten Versicherungsmakler-Plattformen in Österreich, welche 2017 von Aon übernommen wurde.
In Deutschland indes fällt derzeit auf, dass Insurtechs versuchen, mehr auf eigenen Beinen zu stehen. „Als Beispiel sei hier Getsafe genannt, die im Frühjahr 2020 ankündigten, eine eigene Lizenz bei der Bafin beantragt zu haben“, betont Schneider.
Dabei spürt auch Getsafe die Folgen der Corona-Pandemie. „Die Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie werden in der Weltwirtschaft deutlich zu spüren sein. Kein Start-up hat so etwas je erlebt – die Krise wird also als Stresstest für sie sein. Dies wird für unterfinanzierte Startups problematisch sein, da die Finanzierung in den nächsten Monaten zurückgehen wird. Die Pandemie wird also jene Unternehmen aussortieren, die kein nachhaltiges Geschäftsmodell haben“, erläutert eine Unternehmenssprecherin gegenüber VWheute.
Digitaler Brandbeschleuniger Corona
Dabei könnten laut Getsafe „vor allem die Insurtechs in einem sehr frühen Stadium, scheitern, weil sie keinen Zugang zu Risikokapital haben werden. Für die anderen könnte Coronavirus ein Brandbeschleuniger sein, der die digitale Transformation in der Versicherungsbranche vorantreibt. Die Insurtechs sind hier mit ihrer starken technischen Infrastruktur und ihren digitalen Lösungen im Vorteil: Sie sind nicht auf physische Vertriebsstrukturen oder papierbasierte Prozesse angewiesen und könnten ihren technologischen Fortschritt gegenüber traditionellen Konkurrenten weiter ausbauen.“
„Für Start-ups bedeutet dies, dass die Krise auch viele neue Chancen bietet. Es ist absehbar und auch politisch gewollt, dass die Digitalisierung in vielen Bereichen in nächster Zeit einen großen Push erfahren wird. Der Innovationsbedarf wird insgesamt stark ansteigen. Die letzten Monate haben deutlich gezeigt, dass es hier in vielen Bereichen enormen Nachholbedarf gibt und das Bestreben, dies zu ändern, wird auch nicht einfach wieder verschwinden. Da Start-ups hier meistens schneller und agiler agieren können als Corporates ergeben sich hier viele interessante Geschäftsmodelle für neue Unternehmen. Zu nennen sind hier exemplarisch die Bereiche KI, Education, eHealth, Cyber Security und Automation.“
Simon Schneider, Founding Partner Neoteq Ventures
Auf der anderen Seite werden die traditionellen großen Unternehmen nicht über Nacht in Konkurs gehen; und es wird dauern, bis Insurtechs signifikante Marktanteile vorweisen werden. Die größten globalen Versicherungsunternehmen haben Jahresumsätze von jeweils weit über 100 Milliarden Dollar, das entspricht mehr als dem Doppelten des Umsatzes von Facebook im Jahr 2018.
„Bis Insurtechs sich annähernd in dieser Größenordnung bewegen, werden Jahre vergehen. Dennoch glauben wir, dass Insurtechs es mit traditionellen Versicherungsunternehmen aufnehmen können. Etablierte Unternehmen brauchen nicht nur einen technologischen Wandel, sondern vielmehr einen Mentalitätswandel. Die Coronavirus-Pandemie könnte diesen digitalen Wandel massiv beschleunigen“, betont die Getsafe-Sprecherin.
Dabei sind klassische Versicherer angesichts der momentanen Krise zunehmend auf Insurtechs angewiesen, allerdings haben nur wenige den Mut für eine intensivere Kooperation. Zu diesem Ergebnis kam jüngst der World InsurTech Report 2020 des Beratungsunternehmens Capgemini.
Demnach sind 68 Prozent der befragten Versicherer der Ansicht, dass Partnerschaften entscheidend sind, aber nur 32 Prozent arbeiten mit Ökosystem-Partnern zusammen, um Services mit Mehrwert anzubieten. Zudem wollen laut Umfrage weniger als 40 Prozent der etablierten Versicherer eine technologische Infrastruktur aufbauen, die für eine offene Zusammenarbeit mit Insurtechs geeignet ist. Mehr als 60 Prozent der Insurtechs dagegen möchten mit Versicherern zusammenarbeiten, um eine solche Basis zu schaffen.
„Versicherer müssen in allem, was sie tun, kundenorientierter werden. Die Reife von InsurTechs und ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit, um Versicherern neue Technologielösungen zu bieten, nehmen zu und helfen den Versicherern, die steigenden Erwartungen der Kunden zu erfüllen.“
John Berry, CEO von Efma
Außerdem halten 79 Prozent der Versicherer wegweisende Kompetenzen im Datenmanagement für wichtig, aber nur 37 Prozent verfügen über eine konkrete Strategie zur digitalen Transformation. Auch gab mehr als ein Drittel (37 Prozent) an, dass der gemeinsame Besitz von immateriellen Vermögenswerten unerlässlich ist, aber nur elf Prozent nutzen eine offene Architektur, um mit anderen Industrieunternehmen zusammenzuarbeiten.
„Durch die Entwicklung des Versicherungsmarktes müssen die Versicherer über ihre traditionelle Rolle als Kostenträger ihrer Kunden hinauswachsen: Sie werden als Partner Risiken managen und verhindern – und sie werden nicht mehr nur bei Versicherungsfragen umfangreich weiterhelfen, sondern auch in damit verknüpften Belangen“, kommentiert Gunnar Tacke, Managing Business Analyst bei Capgemini.
Ähnlich sieht es auch Star-Investor Carsten Maschmeyer. Er investierte kürzlich in das Hamburger Start-up Nect und bereits im Januar in Neodigital. „Jede Krise bietet auch Chancen: Deswegen haben unsere Investmentfirmen selbst in den Corona-Höchstzeiten April und Mail mehrfach investiert. Zum Beispiel über den Fonds Alstin Capital in Nect, ein Start-up, das künstliche Intelligenz zur Online-Identifizierung entwickelt hat und bereits sehr stark von Versicherungen genutzt wird“, erklärte Maschmeyer Mitte des Jahres gegenüber VWheute.
So bleibt spannend. Für den Digital-Experten Schneider ist es gerade jetzt der richtige Zeitpunkt, die Zusammenarbeit mit Start-ups zu intensivieren und das Thema Innovation & digitale Transformation voranzutreiben.
Autor: Tobias Daniel
Mehr zum Thema lesen Sie in der neuen Oktoberausgabe der Versicherungswirtschaft.