Branche kommt gut durch Krise – doch bei einigen Lebensversicherern „brennt die Hütte“

Dr. Norbert Rollinger, R+V-CEO, spricht auf der "Insurance Today and Tomorrow_2020. Quelle: usk

Die Versicherungswirtschaft kommt gut durch die Corona-Krise. Das war der allgemeine Tenor auf dem 17. MCC-Kongress „Insurance Today and Tomorrow“. So konnte beispielsweise die R+V laut dem Vorstandsvorsitzenden Dr. Norbert Rollinger bisher im Jahr 2020 ein Wachstum von zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr erzielen. Auch andere Versicherer berichten, dass die Assekuranzen in der Krise weiterhin voll handlungsfähig sind. Zur Lage einiger Lebensversicherer fand Rollinger deutliche Worte.

Trotzdem mahnte Manager Rollinger an, dass die Branche bei der Vernetzung mit anderen Öko-Systemen schneller werden müsse. Der Net Promoter Score (NPS) entwickele sich derzeit negativ. Typische digitale Anbieter, wie etwa Lieferando und Amazon, lägen in der Kundengunst deutlich vorn. Auch Dr. Frank Grund, Exekutivdirektor bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin),

Frank Grund, Exekutivdirektor bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht . Quelle: USK.

sieht in Sparten, die stark von der Corona-Pandemie betroffen seien, wie die Reiseveranstaltungs- und Kreditversicherung, keine Gefahr, dass die Versicherer Schäden nicht bezahlen können.

Bei der Betriebsschließungsversicherung käme den Assekuranzen derzeit noch zugute, dass es in Deutschland im Gegensatz zu Großbritannien kein High-Court-Urteil gebe – VWheute hatte über das Urteil und die Folgen ausführlich berichtet. Auf europäischer Ebene habe die Bafin zudem die Liquidität der Unternehmen geprüft und als ausreichend befunden. Für die Lebensversicherung insgesamt stellte der Präsident des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), Dr. Wolfgang Weiler, fest, dass sich das Neugeschäft in den vergangenen Monaten wieder erfreulich entwickelt habe. In der Sachversicherung, namentlich in Kraftfahrt, sei die Schadenentwicklung offenbar günstiger als vor Jahresfrist. Der Wechsel ins Homeoffice habe in vielen Häusern weitgehend reibungslos geklappt. „Diese organisatorische Flexibilität ist übrigens auch ein Grund dafür, dass kein Versicherer Kurzarbeit anmelden musste“, so Weiler. Der GDV-Präsident ist überzeugt davon, dass die Branche den Pandemie-Digitalisierungsimpuls mit in die Zeit nach Corona nehmen werde.

Gestaffelte System für Betriebsschließungsschutz

Derzeit arbeite der GDV mit Hochdruck an neuen Musterbedingungen für die Betriebsschließungsversicherung. Nachgedacht werde etwa über einen abgestuften Risikoschutz. Dabei könnten die wirtschaftlichen Folgen lokal oder regional begrenzter Epidemien die Versicherer mit ihrem bewährten Instrumentarium bearbeiten. Für eine höhere Epidemie-Stufe sollten Cat-Bonds eingesetzt werden. „Erst wenn alle diese Optionen ausgeschöpft sind, wäre der Staat gefordert“, sagte Weiler. Für die Altersvorsorge müssten die Versicherer aber neue Ertragsquellen erschließen. Daher mahnte der GDV-Präsident an, dass die Aufsicht langfristige Investition auch unter dem neuen System Solvency II ermöglichen soll. „Lassen Sie den Versicherern die Möglichkeit, mit ihrem Kapital am Umbau unseres Wirtschaftssystems mitzuwirken. Gewinner wären Klima und Konjunktur.“

Mehr Lebensversicherer mit Übergangsmaßnahmen

Weiterhin gibt es aber großen wirtschaftlichen Druck durch niedrige Zinsen auf viele Lebensversicherer. „Wir werden bald weitere Lebensversicherer sehen, die ihre Bestände an Abwicklungsplattformen verkaufen“, sagte Rollinger. Diese Unternehmen seien in Schwierigkeiten, weil sie zu hohe Garantien im Bestand haben. „Bei einigen brennt die Hütte“, sagte Rollinger. Er wolle keine Panik verbreiten, doch die Unternehmen müssten ihre Garantien schneller runterfahren. So sei auch die R+V Lebensversicherung gezwungen Transitionals, sogenannte Übergangsmaßnamen, zu beantragen, um aufsichtsrechtlich genügend Reserven bieten zu können. Bei anderen Unternehmen schätzt Rolliger die Situation aber noch viel dramatischer ein.

Trotzdem sei kein deutscher Lebensversicherer derzeit ein Fall für den Sicherungsfonds Protektor. „Alle Unternehmen steuern ja um und stärken ihr Kapital“, so Rollinger. Aufseher Grund bestätigte das in 2020 „einige“ Lebensversicherer neue Übergangsmaßnahmen beantragt haben. Die genaue Anzahl konnte Grund aber nicht nennen. Alle deutschen Lebensversicherer wären aber „robust“ aufgestellt und könnten ihre Verpflichtungen erfüllen. Geprüft werde regelmäßig durch eine Simulation die Wiederanlage. Dabei rechne die Bafin derzeit mit 0,5 Prozent Zins. „Das ist sehr konservativ“, so Grund, die Simulation sei dem Niedrigzinsumfeld angepasst. Auch für die Zukunft sieht Grund kein Problem auf die Lebensversicherer zukommen. Wenn 2032 die Übergangsmaßnahmen auslaufen, dürften die Versicherer keine hohen Garantieverpflichtungen mehr im Bestand haben, da dieser sich in der Regel in 16 Jahren umwälze. „Wer sich dann noch nicht umgestellt hat, ist selbst schuld“, warnte Grund.

Große Probleme bei Pensionskassen

Anders sieht der Aufseher die Lage bei Pensionskassen. Sie seien extrem unter Druck, weil sie grundsätzlich langlaufende Renten bedienen müssen. Derzeit stehen 35 Pensionskassen unter besonderer Beaufsichtigung der Bafin. Hier drohen den Kunden Rentenkürzungen, wenn die Träger der Pensionskassen nicht helfen. „Je nach Branche könnte das nun schwieriger werden“, sagte Grund und verwies damit indirekt darauf, dass Trägerunternehmen durch Corona in wirtschaftliche Schwierigkeiten kommen und dann nicht mehr in der Lage sind, ihren Pensionären zu helfen.

Autor: Uwe Schmidt-Kasparek

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