Nach BSV-Urteil in Großbritannien: Branche drohen Verteilungskämpfe auf mehreren Ebenen

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Lloyd’s prognostizierte bereits vor einigen Monaten einen weltweiten Covid-19-Schaden von über 100 Mrd. US-Dollar. In Monte-Carlo gingen die Rückversicherer von weit weniger aus. Die Musterentscheidung der Financial Conduct Authority gegen eine Reihe britischer Versicherer könnte den Markt zum Beben bringen. Eine Analyse.

Die 16 von der britischen Aufsichtsbehörde ausgewählten Versicherer (darunter auch britische Töchter der Allianz, Axa und Zurich) haben den Musterprozess rund um die Betriebsschließungsversicherung verloren und müssen mit Entschädigungskosten in Milliardenhöhe rechnen. Etwa 370.000 britische Unternehmen mit entsprechenden Policen könnten von dem Urteilsspruch profitieren, VWheute berichtete.

Das britische Zivilverfahrensrecht (Civil Procedure Rules) gestattet mittlerweile derartige Financial Market Test Cases, welche mit ungewöhnlicher Geschwindigkeit durch den High Court gepeitscht werden können, um eine Welle von Einzelprozessen bezüglich ähnlicher Fallkonstellationen zu verhindern.

Die FCA steht ebenso wie die parallel zu ihr existierende Aufsichtsbehörde Prudential Regulatory Authority unter dem Dach der Bank of England. Letztlich hat die FCA für die britische Assekuranz ein Problem geschaffen, mit dessen Solvabilitäsauswirkungen die PRA nun wird kämpfen müssen. Dabei kommt es insbesondere auch darauf an, in welchem Umfang es britischen Erstversicherern gelingen wird den unerwarteten Schaden auf ihre Rückversicherer zu transferieren.

Drei Typen von Deckungen

Disease Wordings, wie sie von RSA, Argenta, MS Amlin und QBE verwendet wurden. Diese stellen auf die Beeinflussung eines Betriebs aufgrund von Infektionskrankheiten innerhalb eines 25 Meilen Radius vom Ort des Versicherungsnehmers ab. Die beklagten Versicherer waren mit ihrer Auffassung nicht durchgedrungen. Sinn und Zweck dieser Policen sei lediglich die Deckung lokaler, nicht nationaler Ausbrüche. Der High Court hingegen betrachtete alle Ausbrüche irgendwo in England/Wales als ausreichend. Jedenfalls wenn sich daraus für die Region des Risikoorts eine gewisse Gefährdung ergab. Dies gilt jedoch nicht für diejenigen Policen, die statt einem 25 Meilen Radius einen solchen von nur einer Meile nennen. In diesen Fällen geht auch der High Court von der Absicht der Versicherer aus, lediglich lokale Seuchen zu decken, nicht aber nationale.  

Prevention of Access / Public Authority Wordings, verwendet von Arch, Ecclesiastical, Hiscox, MS Amlin, RSA und Zurich. Diese Policen sehen einen die Nachbarschaft betreffenden Unfall und die hieraus resultierende behördliche verfügte Betriebsbeschränkung. Gemäß High Court bedarf es unter solchen Policen sowohl einer lokalen Seuchengefahr als auch einer staatlichen Weisung. Ein bloßer staatlicher Rat den Betrieb zu schließen bzw. einzuschränken reiche nicht aus. Möglicherweise genüge eine Beschränkung von Restaurants auf Take-Away nicht aus für einen Leistungsanspruch unter der Police. Vermutlich gilt gleiches auch für eine Kapazitätsbeschränkung.

Hybride Wordings von Hiscox und RSA, die sowohl eine Krankheit als auch zusätzlich eine behördliche Weisung erfordern. Diese sieht der High Court ähnlich den Disease Wordings, jedoch mit der Einschränkung, dass es zusätzlich einer rechtlich bindenden behördlichen Anweisung bedürfe. Eine bloße Schließungsempfehlung reicht also nicht aus.

Versicherer unter Druck

Versicherer hatten sich zum Teil auf die Trends Clause berufen, die vorsieht, dass bei der Regulierung von BSV-Schäden die hypothetische Geschäftsentwicklung ohne das schädigende Ereignis zu betrachten ist. Sie hatten argumentiert, dass bei der Bemessung des Schadenumfangs der generelle Geschäftsrückgang während der Covid-19-Krise zu berücksichtigen sei, waren damit aber beim High Court auf taube Ohren gestoßen.

Der High Court hatte im ähnlich gelagerten Fall Orient Express Hotels Ltd v Assicurazioni Generali SpA in New Orleans infolge eines Hurricanes entschieden, dass beim hypothetischen Umsatz von einem generellen Geschäftsrückgang aufgrund des Gesamtereignis auszugehen sei und dies den Umfang des geltend zu machenden Schadens reduziere. Der High Court bezeichnete die seinerzeitige Präzedenzentscheidung ausdrücklich als rechtsirrig.

Die Londoner Grundsatzentscheidung könnte auch in anderen vom Common Law geprägten Staaten präjudiziell auswirken, etwa in Australien, Neuseeland oder Kanada. Rechtsvertreter der FSA war die „Magic Circle“ Kanzlei Herbert Smith Freehills, auf welche nun wohl eine ganze Reihe von Folgeprozessen gegen Versicherer warten dürfte. Die Grundsatzentscheidung der FSA hat andererseits für Versicherungsnehmer die Argumentationslage bereits drastisch verbessert, sodass nun viele Fälle bereits auf dem Verhandlungsweg weitgehend im Sinne des Versicherungsnehmers ausgehen dürften.

Verteilungskämpfe auf mehreren Ebenen

Mancher Versicherer gewährte zu Soft-Market-Zeiten im Rahmen seiner BSV-Deckungen auch Schutz für den Fall von Pandemien. Dabei glaubte man an die Kalkulierbarkeit des Risikos und hatte lokal begrenzte Schadenszenarien vor Augen. Insbesondere vernachlässigte die Branche den Aspekt des politischen Risikos, also dass mögliche Schäden zum Großteil eine direkte Folge staatlicher Intervention in Form von Lock Downs sein könnte.

Erstversicherer hoffen, ihre Schäden möglichst weitgehend auf ihre Rückversicherer überwälzen zu können. Unproblematisch ist dies im Rahmen der Schicksalsteilung unter proportionalen Zessionen (es sei denn, der Vertrag weise ein per Event Limit auf, im Grunde eine Durchbrechung des Follow-The-Fortunes-Prinzips). Hinsichtlich von nicht-proportionalen Akzepten jedoch ist mit Widerstand der Rückversicherer zu rechnen, welche einer Aggregierung von z.B. hunderten einzelnen Gastronomen betreffenden Schäden zu einem einzigen Ereignis widersprechen dürften.

Zedenten könnten argumentieren, dass es auf die jeweiligen behördlichen Schließungsverfügungen ankomme. Honig könnten Zedenten daraus saugen, dass es in Großbritannien gleich mehrere unterschiedliche Wirtschaftszweige betreffende Verfügungen dieser Art gab, die an unterschiedlichen Tagen Ende März 2020 ergingen. Hieraus ließe sich dann eine Mehrzahl an separat je nach Kundengruppe zu aggregierenden Schäden gestalten. Die betroffenen Rückversicherer hätten es gleich mit vielleicht fünf fast parallelen Schadenereignissen zu tun – mit der Folge, dass die von ihnen gewährte und in vielen Fällen ohnehin zu kurz bemessene Deckung gleich fünffach abgeräumt würde.

Die Rückversicherer, die gegenüber ihren Erstversicherern versuchen dürften einer Aggregierung zu widersprechen, dürften gegenüber ihren Retrozessionären eine umgekehrte Haltung einnehmen. Während die High Court Entscheidung lediglich BSV-Policen betraf, ergeben sich weitere Kumulprobleme in den Bereichen Ereignisausfall (Olympiaden, Fussballspiele etc.) sowie Reisedeckungen.

Nicht verwundern würde es, wenn Erst- und Rückversicherern ins Schlingern kämen. Mancher Erstversicherer dürfte in unzureichendem Umfang XL Schutz eingekauft haben, mancher Rückversicherer nie mit einer solchen Welle gleichgelagerter XL Schäden gerechnet haben.

Autor: Phillipp Thomas