Brennpunkt LV: Corona hat die Lage verschärft und Bestandskäufer werden mittelfristig profitieren

Der Lebensversicherungsmarkt am Ende oder in Änderung begriffen? Bild von Lorenzo Cafaro auf Pixabay

„Der Bedarf für private Vorsorge steigt hierzulande jedes Jahr um vier Prozent, erklärt Johannes-Tobias Lorenz, Senior Manager McKinsey. Damit die Kunden diese Lücke mit einer Lebensversicherung schließen, müssen die Unternehmen einiges Tun, besonders im Bereich Asset-Management, Risikobereitschaft und Kapital. Trotzdem wird es für einige nicht reichen, die Aufkäufer stehen bereit. „Wir sind mit unserer Position und Aussicht zufrieden“, erklärt Christian Thimann, Vorsitzender der Geschäftsführung der Athora Deutschland Holding. Eine Änderung am LV-Markt sehen beide Experten, bei einer zentralen Einschätzung divergieren die Meinungen.

Wie bei allen Dingen kommt es auf die Perspektive an. Die einen sehen die Lebensversicherung in den letzten Zuckungen, die anderen in voller Restauration, nämlich weg von der klassischen Ausrichtung und hin zu Fondsprodukten und neuen Garantien. Nahezu alle Marktbeobachter sind sich aber einig, dass die klassische Lebensversicherung ein Auslaufmodell ist. Aktuell bestätigte das Michael Solf, Vorstandssprecher der Inter, bei der Präsentation der Jahreszahlen: „Ich glaube weiter an das Produkt Lebensversicherung, allerdings im Fondsmantel.“

Klassische Bestände sind allenfalls noch für Aufkäufer wie Athora interessant. „Wir suchen nach langfristigem Garantiegeschäft. Dort sehen wir auch den größten Bedarf bei den Verkäufern und können bei gutem Management die geringste Stornoquote und das größte Kapitalvolumen erzielen, erklärte Thimann im Gespräch mit der Versicherungswirtschaft. Seinem Unternehmen bescheinigt er eine „gute Aussicht“, wohl auch, weil die Versicherer wegen Corona derzeit noch härter kämpfen müssen.

Die Versicherer mussten zu Beginn der Krise ihre Mitarbeiter schützen, den Vertrieb umbauen und die Digitalisierung vorantreiben, erklärt Thimann. Die SFCR-Berichte würden zeigen, dass es bei einigen Unternehmen bereits Ende 2019 eine Verschlechterung bei der Solvenzbedeckung gegeben hat. „In der Corona- Krise bis Ende März ist Schätzungen zufolge die Solvenzbedeckung noch einmal um 100 Prozentpunkte gefallen“, vermutet er. Für die Versicherer ist die Lage insgesamt „unübersichtlicher und schwieriger“ geworden, wovon der Bestandsversicherungsmarkt „mittelfristig profitieren wird“.

„Konglomerate haben nicht mehr denselben Status wie früher.“

Christian Thimann

Dass die Aufteilung in Erst- und Kundenversicherer sinnvoll ist, glaubt auch der McKinsey-Berater Lorenz. „Auf alle Fälle ist die Unterscheidung zwischen dem Management aktiv angebotener Bestände und dem ‚Inforce Management‘ sinnvoll“. Derzeit seien rund ein Drittel des deutschen LV-Marktes geschlossener Bestand und für die Verwaltung eines solchen Vertragsportfolios würden andere Fähigkeiten benötigt werden als bei offenen Policen im Bestand.

Damit ein Versicherer nicht den Weg des Run-Off gehen muss, bedarf es Kreativität. „Gerade die Produktentwicklung ist heute wesentlich wichtiger als in der Vergangenheit“, erklärt Lorenz. Erfolgreichen Lebensversicherern gelinge es, das „weiterhin sehr hohe Sicherheitsbedürfnis“ der Kunden mit der „nötigen Flexibilität“ zu verbinden. Thimann sagt im Grunde dasselbe, wenn er erklärt, dass heute „Fantasie verkauft werden muss“. Das gehe über Konzentration und Ideen, nicht über Größe. „Konglomerate haben nicht mehr denselben Status wie früher, das gilt auch für viele namhafte Versicherer. Die Kapitalmärkte waren jahrzehntelang auf Größe ausgerichtet, aktuell heißen die Schlagworte „Kerngeschäft“ und „Fokussierung“, sagt der Athora-Chef.

Lorenz ist anderer Meinung. „Größe ist  ein Wert an sich, denn sie beeinflusst Faktoren wie Vertriebs und Markenstärke, Zugang zu Asset-Märkten und Anlage- Diversifikation, die ab einer bestimmten Größe schlicht besser genutzt werden können.“ Insbesondere der Zugang zu Assets habe hohe Priorität, führt Lorenz aus. An dieser Stelle sind sich die Experten wieder einig; die Grundvoraussetzungen für Lebensversicherer seien „Risikoaffinität, Zugang zu den Assets und das nötige Kapital“, erklärt Thimann.  Manche Versicherer hätten einfach nicht den Zugang zu den nötigen Assets, insbesondere der „Mittelbau des deutschen Lebensversicherungsmarktes“, ergänzt er in der aktuellen Versicherungswirtschaft.

Wenn ein „mittelgroßer Lebensversicherer“ die nötigen Optionen nicht besitzt, könne und sollte er sich diese über spezielle Asset-Manager besorgen, assistiert Lorenz.

Immobilien und Aktien funktionieren nicht mehr als Notlösung

Die derzeitige Pandemie hat einen großen Einfluss auf die Lebensversicherung und erschwert die Solvenzpolitik der Häuser, erklärt Thimann. Das liege daran, dass die bisherigen Asset-Rettungsanker wie Immobilien und Aktien nicht mehr „wie vor Covid-19 funktionieren“. Der Markt sei „unübersichtlicher und schwieriger“ geworden. An eine Fülle von Notveräußerungen glauben die Experten nicht.

„Die Portfoliopreise sind sicherlich nicht gestiegen und durch die Turbulenzen an den Kapitalmärkten sind einige Anlageportfolios weiter unter Druck geraten“, analysiert Lorenz.  Er sagt aber auch, dass „keine pauschalen Aussagen“ getroffen werden können.

Thimann bewertet die Lage ähnlich: „Ich sehe keine Panikverkäufe von Beständen, auch weil die Lebensversicherer die Situation kennen und Bewertungsreserven besitzen“, erklärt Thiemann. Auch Lorenz sieht keine Schnellschüsse, wenn „nicht ein zu hoher Druck herrscht“ oder ein Unternehmen der Meinung ist, den Erlös in anderen Bereichen“ sinnvoller investieren zu können“.

Beide schauen positiv in die LV-Zukunft. „Die Lebensversicherung wird in Deutschland weiterhin wichtig sein“, erklärt Lorenz, es bleibe „ein spannender Markt“. An eine fundamentale Änderung glaubt auch Thiemann nicht: “ Die Niedrigzinsphase wird noch viel länger dauern als bisher gedacht, […] eine Zinserhöhung ist kaum möglich.“ Die Lage für die Lebensversicherer ist „schwieriger geworden“, doch er erwarte keine Notverkäufe.

Also ein spannender Markt ohne Panikbewegungen, die Zukunft wird zeigen, ob die Prognose stimmig ist.

Autor: Maximilian Volz

Ein Kommentar

  • Mit ausreichend Solvenzkapital ist sicher auch heute noch klassisches Geschäft möglich wenn der Kunde das wünscht oder als Teil hybrider Lösungen mit Teilgarantien. Der Zugang zu Assets ist dabei auch für mittelgroße Versicherer bereits kein Problem. Von manchen Abwicklern würde man sich einfach auch mal die Publikation der 2019er HGB Geschäftsberichte wünschen …

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