„Müssen Geschäft umstellen“: Weder Korridormethode noch Zinsabfall helfen LV-Versicherern langfristig
Licht und Schatten für die Lebensversicherer. Die extremen Zinsbedingungen verschaffen den Unternehmen mehr Ellenbogenfreiheit bei der Ausfinanzierung der Zinszusatzreserve (ZZR). Langfristig bleibt die Zinsentwicklung aber schwierig, die Versicherer müssen ihr Geschäft umstellen.
Der neu gewonnene Handlungsspielraum der Versicherer resultiert aus einem neuerlichen Zinsabstieg, wodurch die Bewertungsreserven in den Handelsbilanzen wieder gestiegen sind, schreibt Assekurata in ihrem fünften Ertragskraft-Garantie-Check (EKG-Check). Seit Ausbruch der Covid-Pandemie im Frühjahr dieses Jahres sind allerdings historische Zinsniedrigstände zu verzeichnen, die das Geschäft der Versicherer langfristig erschweren.
Zwischen neun und elf Mrd. Euro müssten die Versicherer der ZZR in diesem Jahr zuführen, lautetet die Assekurata-Prognose im Frühjahr. Es werden eher elf. „Angesichts des erneuten Zinsverfalls seit Ausbruch der Pandemie gehen wir nun vom oberen Ende dieser Bande aus“, erklärt Lars Heermann, Bereichsleiter Analyse und Bewertung bei Assekurata.
Doch damit enden die Hiobsbotschaften für die Versicherer noch (lange) nicht, denn viel schwerer als die aktuelle Rechnung wiegt der „langfristige Aufbau der ZZR“. Bei anhaltendem Zinsniveau steigt der Reservetopf bis 2030 demnach auf ein Gesamtvolumen von knapp 170 Mrd. Euro. Das sind 15 Mrd. Euro mehr als bei der letzten Hochrechnung zum Zinsniveau am Jahresanfang.
„Mit dem Ende 2020 aufgebauten ZZR-Bestand von rund 85 Mrd. Euro hätten die Lebensversicherer also in diesem Szenario gerade einmal die Hälfte der Strecke geschafft, rechnet Heermann vor. Der Weg sei „weiter als gedacht“. Wie bereits von Assekurata prognostiziert, wird der positive Effekt aus der im Jahr 2018 eingeführten Korridormethode vom negativen Zinstrend „nivelliert“.
Herz aktuell stabil
Die EKG-Quoten 2019 sind im Marktdurchschnitt um 512,49 Prozent um fast 100 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Das bedeutet, dass das Ertragsvolumen der Branche im Extremfall ausreicht, um die Rechnungszinsanforderungen im Geschäftsjahr 2019 mehr als fünfmal zu finanzieren.
Die Steigerung gegenüber dem Vorjahr ist maßgeblich auf den beschriebenen Anstieg der Bewertungsreserven in den Handelsbilanzen zurückzuführen. Wie immer gilt, dass ZZR und Bewertungsreserven zusammengehören.
Es sieht derzeit nicht nach einer schnellen Verwirklichung aus, aber für die Versicherer sind steigende Zinsen ein Problem am Horizont. Wenn die Bezugszinsen in den kommenden Jahren dauerhaft am Nullpunkt oder sogar darunter liegen, sieht die Ratingagentur in der kurzen Frist keine Gefahr für die Lebensversicherer. Dass sieht allerdings anders aus, „wenn die Zinsen langfristig wieder steigen sollten und dann zu wenig Bewertungsreserven zur Deckung der ZZR-Zuführung vorhanden sind“, erklärt Heermann.
Um dem entgegenzuwirken, kommen die Lebensversicherer aus Sicht von Assekurata nicht umhin, ihr Geschäftsmodell konsequent auf garantieärmere Produkte im Neugeschäft umzustellen. Die Allianz geht diesen Weg bereits.
Am Ende wird den Lebensversicherern aber nochmal Mut zugesprochen. „Trotz niedriger oder sogar negativer Zinsen sehen wir Perspektiven für die Lebensversicherung, weil die Sparquote der Kunden in der Corona-Krise deutlich gestiegen sind“, erklärt Assekurata-Geschäftsführer Reiner Will. Mit Blick auf die Anbieter zeige die EKG-Studie allerdings, dass die wirtschaftlichen Voraussetzungen „individuell sehr unterschiedlich sind“.
Nachhaltigkeit in der LV
Natürlich wird auch außerhalb von Assekurata über die Lebensversicherung nachgedacht. Die Infinma Institut für Finanz-Markt-Analyse GmbH hat die Branchen-Initiative „Nachhaltigkeit in der Lebensversicherung2 ins Leben gerufen.
Die neue Branchen-Initiative will die Akteure auf dem Markt der Altersvorsorge bzw. Biometrie zusammenbringen, also Erst- und Rückversicherer, Kapitalanlagegesellschaften und Banken, Makler, Vertriebe und Pools. Aber auch „alle anderen“ Interessierten wären herzlich eingeladen.
Autor: Maximilian Volz