Kommunikationsexpertin Materne erklärt der Finanzbranche Diversity

Barbara Materne, Kommunikationsexpertin, erklärt die Wichtigkeit von Diversity. Quelle: privat.

Nicht schon wieder das Wischiwaschi-Thema Geschlechterkampf und Kommunikationsprobleme. Das war der Gedanke, als das Angebot für ein Interview mit der Kommunikationstrainerin Barbara Materne hereinflatterte. Doch der Eindruck täuschte. Die Sprachexpertin und Diversity-Trainerin kann die Probleme nicht nur exakt und wissenschaftlich benennen und darstellen, sondern auch konkrete Hilfestellungen (für Versicherer) liefern. Geben Sie ihr fünf Minuten Lesezeit, mehr braucht Materne nicht.

VWheute: Frau Materne, das alte Männer vom Mars-, Frauen von der Venus-Prinzip, ist das nicht längst überholt?

Barbara Materne: Wenn es nach mir ginge: Nichts lieber als das. Meta-Analysen der Universitäten Wisconsin und North Carolina haben ohnehin schon längst erwiesen, dass die Unterschiede zwischen den Geschlechtern erheblich kleiner sind, als das in Ihrer Frage angesprochene Buch suggeriert. Aber die Theorie von den beiden Planeten ist natürlich griffig, plakativ und damit bestens geeignet, um ein komplexes Miteinander fahrlässig zu vereinfachen.

Was in meinen Augen deutlich mehr Aufmerksamkeit verdient ist die Tatsache, dass identisches Verhalten von Männern und Frauen immer noch unterschiedlich wahrgenommen und bewertet wird. Ihr Auftreten wird also nicht danach beurteilt, ob es in der konkreten Situation sinnvoll und angemessen ist, sondern vor dem Hintergrund ihres Geschlechts. Das hat eine weltweit angelegte Studie der University of Texas erst kürzlich wieder festgestellt.

Frauen und Männer kommen also vom selben Planeten, ihnen werden von ihrer Umgebung aber noch zu häufig unterschiedliche Umlaufbahnen zugewiesen. Insofern bleibt auch weiterhin viel zu tun.

VWheute: Sie plädieren für gemischte Teams, beinhaltet das nur eine paritätische Mann/Frau-Besetzung?

Barbara Materne: Ich bin Diversity-Trainerin. In meiner Vorstellung einer idealen Arbeitswelt bestehen Teams und Management daher aus Menschen unterschiedlicher individueller Lebenssituationen, ethnischer und sozialer Herkunft, unterschiedlichen Alters und Geschlechts. Je vielfältiger, desto besser.

Das hat zwei hauptsächliche Gründe: Die Zusammenarbeit in diversen Teams erfordert und fördert die Fähigkeit zum bewussten Perspektivwechsel und die Bereitschaft, verschiedene Sicht- und Herangehensweisen zu integrieren. Das wirkt nach innen und nach außen.

Für alle, die sich von diesen weichen Faktoren nicht überzeugen lassen, sei noch einmal gesagt: Diverse Teams generieren nachweislich die besseren Lösungen und haben damit handfeste wirtschaftliche Vorteile, vor allem vor dem Hintergrund, dass Kundinnen, Kunden und andere Stakeholder ja auch vielfältig sind. Mal ehrlich: Wie soll ein Unternehmen, ein Team exzellente Angebote, Konzepte oder Produkte für eine Zielgruppe entwickeln, deren Erwartungen und Bedürfnisse es nur in der Theorie kennt? Da scheint es mir doch sehr viel erfolgversprechender, sich auf interne Expertise zu stützen, statt auf Spekulationen zu verlassen.

VWheute: Vor diesem Hintergrund, was raten Sie Versicherern, wie sollten Sie vorgehen?

Barbara Materne: Zunächst mal: Alles, was über Lippenbekenntnisse hinausgeht, ist wichtig und richtig. Unternehmen, die es ernst meinen mit der Förderung von Diversität, sollten mit einer Bestandsaufnahme und einem (selbst-)kritischen Blick auf bestehende Strukturen und Abläufe loslegen. Gleichzeitig sollte von vornherein klar sein: Für den Erfolg ist es unverzichtbar, dass die Unternehmensspitze höchst persönlich dieses Ziel sichtbar und glaubwürdig verfolgt.

Zwei Anregungen für konkrete Maßnahmen:

  1. Die Auswahlprozesse für Recruiting und Beförderungen unter die Lupe nehmen – angefangen bei der Formulierung der Ausschreibung über die Besetzung der Auswahlgremien bis zur Gestaltung des Onboarding-Prozesses.
  2. Die Außendarstellung einem Diversity-Check unterziehen: Wie präsentiert sich das Unternehmen auf seiner Homepage, in den sozialen Medien insgesamt, auf Konferenzen und Karrieremessen? Wenn schon dort keine diversen Teams zu sehen und anzutreffen sind, lässt das für das restliche Unternehmen wenig hoffen.

VWheute: Wie sehr hat die digitale Kommunikation die Gesprächskultur verändert, zwischen Mann und Frau, Chef und Angestellten und allgemein.

Barbara Materne: Gerade durch die corona-bedingte Digitalisierung in Druckbetankung hat das Thema natürlich noch mal ein ganz neues Level erreicht. Die größte Herausforderung der digitalen Kommunikation ist der vollständige oder zumindest teilweise Wegfall körpersprachlicher Signale, weil damit wichtige Informationen auf der Beziehungsebene fehlen. Leicht nachvollziehbar also, dass digitale Kommunikation die Gefahr von Fehlinterpretationen und Missverständnissen spürbar erhöht. In der privaten Kommunikation füllen Emojis diese Lücke, im beruflichen Kontext wirkt das allerdings schnell unprofessionell.

Um diesen Nachteil zu kompensieren ist es sinnvoll, die Erwartungen aller Teammitglieder in Erfahrung zu bringen und dann – am besten gemeinsam – Verhaltensregeln und Lösungen für das digitale Miteinander zu entwickeln. Wahre Wunder kann darüber hinaus der Einsatz sozialer Schmiermittel bewirken, die neben der Übermittlung der reinen Sachinformation auch die persönliche Ebene stärken. Das kann ein verbindlicher Satz, eine Nachfrage, ein Dank, ein Anknüpfen an Gemeinsamkeiten sein und empfiehlt sich vor allem in schwierigen Situationen oder wenn man sich (noch) nicht persönlich kennt.

VWheute: HR-Verantwortlich erklären oft, dass sie im Unternehmen für eine angenehme Arbeitsatmosphäre sorgen wollen, welche Rolle spielt die Kommunikation dabei?

Barbara Materne: Die Statistik sagt: Ganz klar die größte Rolle. Fast 40 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nennen mangelhafte Kommunikation als größten Störfaktor am Arbeitsplatz. Die gute Nachricht: Daran lässt sich arbeiten. Zum Beispiel, indem ich Entscheidungen transparent mache, das Team in die Lösungsfindung einbeziehe, Feedbackschleifen etabliere und auf Augenhöhe kommuniziere. Wenn das von allen Beteiligten mit voller Überzeugung umgesetzt wird, kann ich viel erreichen im Hinblick auf Selbständigkeit, Engagement, Gestaltungswillen und Potenzialentfaltung von Kolleginnen und Mitarbeitern.

Letztlich ist das auch nicht nur eine Frage der Arbeitsatmosphäre, sondern der Zukunftsfähigkeit. Zum einen ist eine offene, funktionierende Kommunikationskultur gerade für die Zusammenarbeit in den zuvor angesprochenen gemischten Teams ein zentraler Erfolgsfaktor. Zum anderen ändert sich auch der Anspruch an Führung. Hierarchische Überordnung allein wird immer weniger ausreichen, um Menschen zu motivieren und mitzunehmen.

Anmerkung der Redaktion: Wie Ergo und Axa Ungleichbehandlung zwischen den Geschlechtern bekämpfen, hat VWheute in einer Geschichte dargestellt.

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Maximilian Volz.

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