Allianz-Managerin Achhammer über Personal und Recruiting: „Allein mit Geld ist es nicht getan“

Andrea Achhammer ist Leiterin HR und Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung der Allianz Suisse. Quelle: Allianz

Was bedeuten die digitalen Herausforderungen für die Mitarbeiter der Versicherer? „Für mich zählt in erster Linie der Mensch, digitale Trends hin oder her“, betont Andrea Achhammer, Leiterin HR und Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung der Allianz Suisse. VWheute sprach mit der Personalexpertin exklusiv über die aktuellen Herausforderungen der Personalgewinnung.

VWheute: Frau Achhammer, Gratulation zur Ernennung als Leiterin HR der Allianz Suisse. Wie haben Sie das rund gerechnet erste halbe Jahr erlebt, was hat sie überrascht, was lief gut, was nicht so optimal?

Andrea Achhhammer: Vielen Dank! Die letzten Monate sind wie im Fluge vergangen. Ich bin gut gestartet und empfinde die neue Funktion als sehr aufregend und spannend. Vorher hatte ich selbst nur als „Kundin“ Berührungspunkte mit dem HR. Für mich ist es deshalb interessant zu sehen, wie wichtig eine enge Zusammenarbeit zwischen HR und dem Business ist. Häufig wird das Personalwesen ja nur als interner Dienstleister wahrgenommen.

Die strategische Bedeutung des HR für die Unternehmen wird aber angesichts des demographischen Wandels, dem „War for talents“ und der zunehmenden Bedeutung der Unternehmenskultur als Differenzierungsmerkmal markant zunehmen.

VWheute: Ihr oberster Boss, Oliver Bäte, sagte einmal: „Wir können keinen Job garantieren“, gleichzeitig sucht jeder Versicherer händeringend IT-Personal, um die Digitalisierung zu meistern. Ist die Leitung des Personalwesens derzeit der undankbarste Job?

Andrea Achhhammer: Nein, das würde ich überhaupt nicht sagen. Ganz im Gegenteil: Es sind sehr spannende Zeiten, in denen wir gerade im Personalwesen sehr viel bewegen können. Durch die Digitalisierung beispielsweise entstehen neue Berufsbilder und damit verbunden auch neue Anforderungen an die Mitarbeitenden. Dieser Change muss von uns intensiv begleitet und getrieben werden.

VWheute: Was ist für Sie als Leiterin HR die wichtigste Aufgabe, die Gewinnung von Talent, das Arbeitsklima innerhalb des Unternehmens, die Förderung von internen Kräften oder etwas anderes?

Andrea Achhhammer: Dieser Dreiklang beschreibt es schon ganz gut. Wenn ich mir davon aber etwas aussuchen müsste, dann würde meine Wahl auf das Arbeitsklima fallen. Mitarbeitende kündigen häufig nicht wegen der Arbeitsinhalte, sondern wegen der Unternehmenskultur. Deshalb ist es für mich wichtig ein Klima zu schaffen, in dem sich Mitarbeitende wohlfühlen. Somit schaffen wir auch perfekte Voraussetzungen, engagierte und motivierte Mitarbeitende für unser Unternehmen zu begeistern.

VWheute: „Unternehmen, die sich jetzt nicht mit den Themen der digitalen Transformation auseinandersetzen, könnten schnell abgehängt werden“, lautet eine These. Was ist ihr Plan, allein mit Geld wird die Allianz in der Schweiz gegen andere großen Häuser nicht gewinnen können.

Andrea Achhhammer: Da haben Sie völlig Recht, allein mit Geld ist es sicherlich nicht getan. Gerade die digitalen Skills müssen gefördert werden. Als Versicherungsunternehmen stehen wir hier vor großen Herausforderungen, die Branche gilt bei jungen Menschen ja nicht unbedingt als attraktiv. Zu Unrecht, wie ich finde. Wir müssen sicher stärker an unserer Attraktivität für Menschen mit diesen Skills arbeiten, auf den sozialen Medien mehr Präsenz zeigen und flexible Arbeitszeitmodelle ausbauen. Da sind wir auf einem guten Weg.   

VWheute: Die Talanx setzt bei der Personalgewinnung auf den Computer. Mittels eines Algorithmus wird die Persönlichkeit auf verschiedene Kriterien hin untersucht. Nutzen Sie so etwas auch und wie stehen Sie dem technischen Auswahlprozess gegenüber?

Andrea Achhhammer: Für mich zählt in erster Linie der Mensch, digitale Trends hin oder her. Nichtsdestotrotz ist es mir wichtig, den Bewerbungsprozess innovativ und effizient zu gestalten – sowohl für die Bewerbenden als auch für uns. Video-Interviews und Algorithmen sind sicherlich spannende sowie hilfreiche Tools. Aber am Ende entscheidet fast immer das Bauchgefühl.  

VWheute: Können softe Eigenschaften wie Motivation, Widerstandskraft und Begeisterungsfähigkeit gemessen werden oder ist an dieser Stelle das Gefühl des Einstellenden wichtiger?

Andrea Achhhammer: Darauf habe ich eine klare Antwort: Das Gefühl! Die Chemie zwischen dem Mitarbeitenden und dem Unternehmen muss stimmen, ansonsten passt es für beide Seiten nicht. Davon hat dann niemand etwas.

VWheute: Wie wichtig ist Ihnen als HR-Verantwortliche ihr Bauchgefühl, welchen Wert messen sie dem bei Personalentscheidungen bei? Würden Sie bei einer Einstellung eine Person einstellen, die im Auswahlprozess leicht schlechter abgeschnitten hat als der Mitbewerber, wenn ihnen ihr Gefühl sagt, dass er/sie die passende Besetzung ist?

Andrea Achhhammer: Wenn mich eine Person überzeugt, dann ist die Chance schon einmal sehr groß, dass ich sie einstelle. Für mich sind das Mindset und die persönliche Motivation das wichtigste Kriterium. Wenn noch etwas fachliches Know-how fehlt – daran kann man arbeiten. Als HR-Leiterin arbeite und führe ich im Team. Daher ist gegenseitiges Vertrauen unabdingbar. Vertrauen ist aber schlecht messbar und ich verlasse mich da voll und ganz auf mein Bauchgefühl.   

VWheute: Werden Sie als Personalvorstand bald allein in der HR-Abteilung sitzen und mittels Laptop alle Personalangelegenheiten lösen oder wird das persönliche Gespräch bzw. Kontakt wichtig bleiben. Was ist ihre Prognose für die Zukunft der HR?

Andrea Achhhammer: Die ist bei weitem nicht so düster, wie Sie die gerade beschreiben. Je digitaler die Welt, desto höher ist der Wert des persönlichen Kontakts und des Gesprächs. Dass ich mal alleine im Büro sitze, davor habe ich keine Angst. Denn die Aufgaben im HR werden angesichts der Herausforderungen immer wichtiger, um die Attraktivität des Unternehmens als Arbeitgeber sicherzustellen.

VWheute: In Deutschland haben sich Fehltage durch seelische Krankheit verdreifacht, in der Schweiz leiden laut Watson knapp ein Fünftel der Bevölkerung „an einer oder mehreren psychischen Erkrankungen“. Häufig wird Stress auf der Arbeit und Zukunftsängste als Grund angeführt. Beschäftigen sie solche Fragen als Personalvorstand und wie begegnen sie diesem Problem?

Andrea Achhhammer: Nicht nur ich, die ganze Allianz Gruppe beschäftigt sich mit dem Thema, das wir sehr ernst nehmen. Aus diesem Grund haben wir vor rund acht Jahren das weltweite Work Well-Programm gestartet, um die Mitarbeitenden auf das Thema „Umgang mit Stress“ zu sensibilisieren und die Widerstandsfähigkeit zu stärken. Auch für die Allianz Suisse ist dies ein wichtiges Thema, das wir mit Priorität angehen.

VWheute: Ist der Spagat zwischen Produktivität, Erfolg des Unternehmens und Gesundheit bzw. Glück der Mitarbeiter ein Spannungsfeld, das sie beschäftigt? Müssen sie als Leiterin HR zuerst an die Bedürfnisse des Unternehmens denken?

Andrea Achhhammer: Der Mensch steht bei uns immer im Vordergrund. Und nur zufriedene Mitarbeitende identifizieren sich mit dem Unternehmen und sind dementsprechend leistungsbereit und produktiv. Insofern bedingt das eine das andere.

VWheute: Was ist ihre persönliche Herzensangelegenheit, was möchten Sie als HR Leiterin unbedingt erreichen, was ist Ihnen wichtig?

Andrea Achhhammer: Meine persönliche Herzensangelegenheit ist eine Unternehmenskultur, die Mitarbeitende begeistert und motiviert. Das bedeutet ein Umfeld zu schaffen, in dem sie sich wohlfühlen und das allen eine Chance bietet, sich persönlich zu entfalten. Und das unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Hautfarbe oder ihrer Nationalität.

VWheute: Sofie Quidenus Wahlforss, Omnius-CEO, und Carolin Gabor, Finleap CCO, wollen mehr Frauen im Bereich der IT und bemängeln, dass die Förderung von Mädchen in diesem Bereich bereits in der Schule schlecht sei? Was ist ihre Meinung dazu, sehen sie als Personalleiterin eine Männerdominanz in diesem Bereich?

Andrea Achhhammer: Die ist ja nicht zu übersehen und natürlich hätten auch wir gerne mehr Frauen in solchen Berufen. Ich denke es ist wichtig, Mädchen bereits im Schulalter für diese Berufe zu begeistern – und das geht am besten über weibliche Vorbilder. Diese zu schaffen, ist allerdings eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Gerade jungen Frauen muss bewusst sein, dass sie in IT-Berufen große Chancen haben und genauso gut sind, wie ihre männlichen Kollegen.

VWheute: Falls sie das sehen, wie könnte das geändert werden und wie lange muss ein Redakteur solche Fragen nach Gleichberechtigung noch stellen?

Andrea Achhhammer: Ehrlich gesagt frage ich mich das auch. In Zukunft sollte es einfach selbstverständlich sein, dass Menschen unterschiedlichen Geschlechts die gleichen Berufe ausüben – bei gleicher Entlöhnung. Die Unternehmen sind hier zum Handeln aufgefordert, die noch immer gängigen alten Muster zu durchbrechen und damit das Gesellschaftsbild zu verändern. Wir gehen hier einen Schritt voran und wurden Ende 2018 mit dem Label «EDGE ASSESS» für die Gleichstellung von Mann und Frau ausgezeichnet.

VWheute: Letzte Frage: Wenn ich beruflich mit Schweizern kommuniziere, sind die immer freundlich, höflich und zuvorkommend. Sie haben ja auch eine lange Zeit in Deutschland gearbeitet, täuscht der Eindruck oder ist das Arbeitsklima jenseits des Bodensees ein anderes?

Andrea Achhhammer: Der Umgang miteinander ist in der Schweiz vielleicht etwas höflicher und zuvorkommender. Das sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch die Schweizerinnen und Schweizer sehr wohl wissen, wie sie sich im Berufsleben durchsetzen. Die Deutschen sind vielleicht etwas direkter. Aber als so groß empfinde ich die Unterschiede gar nicht. Ich habe mich in Deutschland wohlgefühlt und ich fühle mich in der Schweiz wohl. 

Die Fragen stellte VWheute-Redakteur Maximilian Volz.

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